Köln
Vergewaltigungen unter dem Vorsatz der Medizin
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Der Fall des Professors & Oberarztes für Neurologie an der Uniklinik Köln
Am 4. April 2003 verurteilte das Landgericht Köln einen renommierten 53-jährigen Neurologen wegen sexuellen Missbrauchs von Patientinnen in Einrichtungen in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren. Zusätzlich verhängte das Gericht ein dreijähriges Berufsverbot für den medizinischen Bereich bezüglich weiblicher Patientinnen.
Er ist auch 22 Jahre nach seiner Verurteilung auf der Website der Universität zu Köln vollumfänglich und voller Ehrerbietung zu finden.
Ein angesehener Neurologe · Bis heute
Der 53-jährige Verurteilte war bis zu seiner Suspendierung Oberarzt und außerplanmäßiger Professor an der neurologischen Universitätsklinik in Köln.
Er hatte sein Medizinstudium mit «sehr gut» abgeschlossen, promovierte 1975 und erhielt 1976 seine Approbation als Arzt. Nach verschiedenen Stationen, darunter auch als Forscher am renommierten H1 Institute in den USA, kam er 1976 nach Köln, wo er bis 1985 an der Neurologischen Klinik des Städtischen Krankenhauses und am angegliederten Institut für Hirnforschung tätig war.
1985 wechselte er zur neurologischen Universitätsklinik, wo er zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war.
1987 legte er die Facharztprüfung zum Arzt für Neurologie und Psychiatrie ab, 1989 folgte seine Habilitation zum Professor. Seine Fachgebiete waren Hirnforschung und insbesondere Hirnuntersuchungen mittels Positronen-Emissions-Tomographie/PET.
Er war zudem als Privatdozent tätig und ab 1997 als außerplanmäßiger Professor und Oberarzt am Universitätsklinikum angestellt.
In der Klinik galt er als «extrem gründlicher und kenntnisreicher Arzt», dessen überlegenes Wissen aber auch zu Konflikten mit jüngeren ärztlichen Mitarbeitern führte. Zudem pflegte er enge Beziehungen zum Pflegepersonal seiner Station und war für Krankenschwestern oft Ansprechpartner bei medizinischen und privaten Problemen.
Nach den im Urteil beschriebenen Vorfällen wurde er Anfang Juli 2000 von klinischen Tätigkeiten mit Patientenkontakt entbunden, blieb aber als Personaloberarzt weiterhin in der Klinikverwaltung tätig.
Die Taten
Das Gericht stellte fest, dass der Angeklagte von Ende 1999 bis April 2000 an insgesamt vier Patientinnen sexuelle Handlungen im Rahmen von neurologischen Untersuchungen und Therapien vornahm. Die Taten umfassten insbesondere:
-
Vortäuschung von Untersuchungshandlungen mit und ohne Handschuhen an den Brüsten und im Genitalbereich, sowie im Anal- & Rektalbereich ⇒ sexuelle Handlungen ⇒ sexuelle Übergriffe ⇒ Vergewaltigungen
-
Durchführung von «Sensibilitätsprüfungen» mit einer Stimmgabel und diversen anderen Instrumenten an intimen Körperstellen ohne medizinische Indikation
-
Täuschung darüber, dass ein Griff in die Schambehaarung Bestandteil einer Therapie sei
I · Patientin G (30-jährige MS-Patientin)
Wann und wo:
- 16.11.1999, Station 1 der Neurologischen Universitätsklinik, während eines stationären Aufenthalts wegen eines akuten MS-Schubs mit Sehverschlechterung auf beiden Augen
Erstuntersuchung:
- Durchgeführt von Assistenzärztin Dr. T., später «Abnahmeuntersuchung» durch den Angeklagten im Beisein mehrerer Assistenzärzte (Dr. T., Dr. K. und Dr. T.) sowie eines Studenten im praktischen Jahr (W.)
- Bereits bei der ersten «Abnahmeuntersuchung» prüfte der Angeklagte den Analreflex der Patientin vor allen anwesenden männlichen Medizinern - eine äußerst belastende und übergriffige Situation für eine verängstigte Patientin mit akuter Sehverschlechterung
Detaillierter Vorfall am 18.11.1999:
- Ausführliches Explorationsgespräch mit Fragen zum Sexualleben und zu Missbrauchserfahrungen in der Kindheit
- Patientin musste sich bis auf Unterhose entkleiden
- Prüfung des Schmerz- und Vibrationsempfindens
- Aufforderung, die Unterhose auszuziehen und sich in Knie- Ellenbogen-Lage zu begeben
- Prüfung der Sensibilität im «Reithosenbereich» und am Sitzbeinhöcker mit Pinsel, Kunststoffstäbchen und Stimmgabel
- Aufforderung zur Anspannung und Entspannung des Analschließmuskels
- Ob der Angeklagte mit dem Finger in die Vagina der Patientin eindrang, konnte in der Hauptverhandlung nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden
«Psychotherapiesitzungen» ab 22.11.1999:
- Form des autogenen Trainings
- Patientin lag nackt unter der Bettdecke
- Angeklagter legte eine Hand unter der Decke auf ihren Bauch
- Sitzungen fanden nach Dienstschluss, teilweise erst nach 20 Uhr statt
- Bei späteren Sitzungen unklar, ob die Patientin mit Bettdecke «bekleidet» oder vollständig unbekleidet war
- Dr. T. bewertete das Setting als «problematisch und unprofessionell»
Zeugenaussagen:
- Patientin berichtete nachts der Krankenschwester M. von den ungewöhnlichen Untersuchungsmethoden
- Schwester M. glaubte ihr nicht, da sie «große Stücke auf den Angeklagten hielt»
- Patientin sprach später mit ihrem Ex-Freund über die Vorfälle
Folgen:
- Ende Juli 2000 anonymer Anruf einer Klinikbeschäftigten, die auf weitere ähnliche Fälle hinwies
- Strafanzeige am 27.07.2000
- Artikel im K. Stadt-Anzeiger am 05.08.2000 mit dem Titel «Hat Arzt Patientinnen sexuell genötigt?»
II · Patientin R (21-jährige Schwesternschülerin)
Wann und wo:
- 14.12.1999, Bürogebäude der Universitätskliniken (P2-Trakt), ambulante Untersuchung
Vorgeschichte:
- Patientin hatte Gelenkbeschwerden, war in Behandlung in der immunologischen Ambulanz
- Schwester M. vermittelte den Kontakt zum Angeklagten
- Patientin kam in Begleitung ihres Ehemanns, der im Eingangsbereich warten musste
Detaillierter Vorfall:
- Längeres Anamnesegespräch mit Fragen zur Orgasmusfähigkeit und zum Eheleben
- Neurologische Untersuchung, bei der sich die Patientin bis auf die Unterhose entkleiden musste
- Sensibilitätstestung auf einer Couch im Büro
- «Auffallend lange» Beschäftigung mit den Brüsten der Patientin, zunächst mit Stimmgabel, dann mit Händen
- Untersuchung der Brüste wurde als «Streicheln bzw. Ausstreichen» empfunden, «wesentlich sanfter» als bei gynäkologischen Untersuchungen
- Plötzliches Herunterziehen der Unterhose ohne Vorwarnung
- Beine wurden angestellt, Vulvalippen mit den Händen auseinandergezogen
- Stimmgabel an äußeren Vulvalippen, Vaginaleingang und Klitoris angesetzt
- Wiederholte Fragen, ob und wo die Patientin mehr spüre
- Patientin versteifte sich und antwortete nur noch einsilbig, woraufhin der Angeklagte abbrach
- Der Patientin kamen bereits während der Untersuchung der Brüste erste Zweifel
- Sie fühlte sich aufgrund ihrer Position auf der Couch dem Angeklagten unterlegen und hatte Angst, etwas zu sagen oder sich zu wehren
Besonderheiten:
- Keine Handschuhe getragen
- Falsche Diagnose «Fibromyalgiesyndrom» gestellt, obwohl dem Angeklagten bewusst war, dass diese unrichtig war
- Gesamtdauer der Intimbereichsuntersuchung: höchstens 5 Minuten
Gutachterliche Feststellung:
- Keine medizinische Indikation für Stimmgabeluntersuchung im Intimbereich
- Angeklagter täuschte medizinische Untersuchungen vor, handelte ausschließlich zur sexuellen Erregung
Folgen:
- Patientin wollte zunächst nicht über die Untersuchung sprechen
- Probleme im Sexualleben (kausaler Zusammenhang nicht eindeutig feststellbar)
- Strafanzeige am 09.10.2000 nach Bekanntwerden weiterer Fälle
III · Patientin W (35-jährige Patientin)
Wann und wo:
- 03.01.2000, Privatstation der Neurologischen Universitätsklinik
Vorgeschichte:
- Überweisung von der Augenklinik mit Verdacht auf Multiple Sklerose
- Eingangsuntersuchung durch Dr. N. mit Nervenwasserentnahme
- Patientin war aufgrund der Verdachtsdiagnose MS «fertig mit den Nerven, geschockt» und befürchtete, den Rest ihres Lebens im Rollstuhl verbringen zu müssen
Detaillierter Vorfall:
- Angeklagter erschien am späteren Nachmittag, brachte Schild «Bitte nicht stören!» an der Tür an
- Kurzes Anamnesegespräch in Anwesenheit des Ehemanns
- Ehemann musste für die weitere Untersuchung auf den Flur
- Patientin musste T-Shirt ausziehen (trug keinen BH), Angeklagter strich kurz im Brustbereich mit den Händen
- Gang- und Standprüfung mit diversen Übungen
- Sensibilitätsprüfung mit Stimmgabel in Rückenlage
- Aufforderung, den Slip auszuziehen
- Stimmgabel an Innenseite der Oberschenkel und im Genitalbereich
- Toilettenpause der nackt bleibenden Patientin
- Nach Rückkehr Wiederholung der Übungen im vollständig entkleideten Zustand
- Weitere Stimmgabeluntersuchung in Bauchlage
- Schrittweise Aufforderung, Beine zu spreizen und Gesäß zu heben bis zur Knie-Ellenbogen-Lage
- Spreizung der äußeren Vulvalippen, vaginales Ansetzen der Stimmgabel an den inneren Vulvalippen
- Wiederholte Fragen, ob die Patientin das spüre
Besonderheiten:
- Keine Handschuhe getragen
- Keine medizinische Indikation für Genitaluntersuchung
- Patientin hatte keine Missempfindungen im Genitalbereich erwähnt
- Wiederholung von Übungen im unbekleideten Zustand medizinisch nicht indiziert
Gutachterliche Feststellung:
- Ausschließlich zur sexuellen Erregung durchgeführt
Folgen:
- Einschränkungen im Sexualleben (keine vaginale Penetration «von hinten» mehr möglich)
- Nach der Untersuchung war die Patientin unsicher über die Einordnung, überlegte, ob es sich vielleicht nur um eine besonders gründliche Untersuchung handelte
- Der Angeklagte besuchte die Patientin auch an den beiden Folgetagen im Rahmen der Visite
- Polizeianzeige am 25.09.2000 nach Erhalt eines Polizeischreibens
IV · Patientin N (29-jährige Patientin)
Wann und wo:
- 19.01.2000, Station 1 der Neurologischen Universitätsklinik
Vorgeschichte:
- Überweisung wegen starker Kopfschmerzen und auffälliger Kernspintomographie
Detaillierter Vorfall:
- Längeres Anamnesegespräch mit Fragen zum Sexualleben, zu Kindheitserlebnissen und Selbstbefriedigung
- Zimmernachbarin und Schwester M. mussten draußen bleiben
- Angeklagter löschte das Licht über dem Bett
- Patientin musste sich vollständig ausziehen und zunächst auf den Bauch legen
- Sanftes Streichen mit der Hand über den Körper, auch nach dem Drehen auf den Rücken
- Berührungen auch im Genitalbereich
- Fragen, ob die Berührungen überall gleich gespürt würden
- Stimmgabeluntersuchung an verschiedenen Körperpunkten
- Stimmgabel an beiden Brustwarzen, am Schambein, an der Klitoris und in der Vagina
- Aufforderung zur Knie-Ellenbogen-Lage
- Vaginales Eindringen mit einem oder zwei Fingern (ganzer Finger)
- Abtasten der Vagina von innen mit Fragen, ob links oder rechts mehr gespürt werde
Besonderheiten:
- Keine Handschuhe getragen
- Keine Händewaschung nach der Untersuchung
- Keine medizinische Indikation für Genitaluntersuchung
Zeugenaussagen:
- Patientin hatte Tränen in den Augen, als Schwester M. ins Zimmer kam
- Berichtete mehreren Personen (Lebensgefährte, Praktikantin O., Dr. T., Zimmernachbarin, beste Freundin, Schwester) von den Vorfällen
- Dr. T. reagierte mit «Nicht schon wieder!» und fühlte sich an die Ereignisse mit der Nebenklägerin G. erinnert
- Dr. T. erklärte ihr, solche Untersuchungen seien möglich
- Dr. T. sprach den Angeklagten an, der die Untersuchung mit «Missempfindungen feststellen» begründete
- Assistenzärztin O. war verunsichert über die Untersuchungsmethoden und sprach den Angeklagten später darauf an
- Der Vorfall wurde in der gesamten Station bekannt
Folgen:
- Bis heute gestörtes Vertrauen gegenüber Ärzten
- Probleme mit männlichem medizinischen Personal
- Strafanzeige am 09.08.2000 nach Erhalt eines Polizeischreibens
V · Patientin P (18-jährige Epilepsie-Patientin)
Wann und wo:
- April 2000, Station 1 der Neurologischen Universitätsklinik
Vorgeschichte:
- Notfallmäßige Aufnahme nach epileptischem Anfall mit Bewusstseinsverlust am 12.04.2000
- Angeklagter übernahm persönlich die Behandlung statt nur die Kontrolle seiner Assistenzärzte
Detaillierte Vorfälle:
- Ausführliches Anamnesegespräch mit Fragen nach Freund und erster Periode
Ab 14.04.2000:
- Einübung einer Ylang-Ylang-Aromatherapie
- Patientin sollte Angeklagten an Händen, Armen und im Gesicht berühren
- Sollte ihn duzen
Ab 17.04.2000:
- «Traum- oder Weltreise» (autogenes Training)
- Patientin musste sich ausziehen, während Angeklagter sich umdrehte
- Lag nackt unter der Bettdecke
- Angeklagter legte Hand unter der Decke auf ihren Bauch
- Anweisung, Körperteile anzuspannen und «fallen zu lassen»
Am 18.04.2000:
- Bei einer Therapiesitzung führte er die Hand zu ihren Schamhaaren und kraulte diese, bis sie protestierte
- Bei anderer Gelegenheit übte er starken Druck auf ihre Schultern aus
- Bei weiterer Gelegenheit verlagerte er sein Gewicht Rücken an Rücken auf sie
«Nachuntersuchung» am 18.04.2000:
- Patientin lag nackt im Bett
- Sensibilitätsuntersuchung mit Stimmgabel
- Stimmgabel an Brustwarzen, Vulvalippen
- Spreizung der Vulvalippen mit zwei Fingern
- Ansetzen der Stimmgabel in der Vagina
Besonderheiten:
- Keine Handschuhe getragen
- Keine medizinische Indikation für Berührung der Schamhaare oder Genitaluntersuchung
- Keine medizinische Notwendigkeit für Nacktheit beim autogenen Training
- Der Angeklagte gab der Patientin seine Dienst- und Handynummer für weitere Kontakte
- Die Patientin hatte am 01.05.2000 Probleme (konnte plötzlich nicht mehr sehen) und rief den Angeklagten an
- Bei einem späteren Beratungsgespräch äußerte der Angeklagte, die Patientin sei «etwas ganz Besonderes»
Gutachterliche Feststellung:
- Handlungen dienten ausschließlich der sexuellen Erregung des Angeklagten
Folgen:
- Patientin berichtete ihrer besten Freundin von den Vorfällen
- Starke psychische Belastung durch Zwiespalt: Dankbarkeit für medizinische Hilfe vs. Gefühl des Missbrauchs
- Patientin umarmte den Angeklagten aus Dankbarkeit bei der Abschlussbesprechung
- Blieb in Kontakt mit ihm, traf sich zu einem Beratungsgespräch in seinem Büro
VI · Patientin O (27-jährige Patientin)
Wann und wo:
- 20./21.06.2000, Station 1 der Neurologischen Universitätsklinik
Vorgeschichte:
- Überweisung wegen Gefühlsstörungen und krampfartigen Vorspannungen im rechten Arm
- Auffällige Kernspintomographie
Detaillierter Vorfall:
- Erstuntersuchung am 20.06.2000 im Beisein von Assistenzarzt Dr. S., PJ-Student K. und teilweise Dr. M.
- Patientin musste sich bis auf Unterhose entkleiden
- Sensibilitätsprüfung im Brustbereich durch Schreiben von Zahlen mit Kunststoffstäbchen
- Herunterziehen der Unterhose
- Untersuchung in Knie-Ellenbogen-Lage mit Inspektion der Analregion
Zweite Untersuchung am 21.06.2000 ohne Zeugen:
- Nach ausführlichem Vorgespräch vollständiges Entkleiden
- Untersuchung der Haut mit Glasspatel
- Aufforderung, selbst die Vulvalippen zu spreizen
- Inspektion der Vagina (vaginales Eindringen mit dem Finger nicht sicher feststellbar)
- Vibrationsempfindungstestung mit Stimmgabel
Zeugenaussagen:
- Patientin war sehr aufgeregt, befürchtete erneutes Erscheinen des Angeklagten
- Äußerte gegenüber Schwester M.: «Ich frage mich, ob ich auf der Neurologie oder auf der Gynäkologie bin»
- Berichtete, der Angeklagte sei «überall am Fummeln» gewesen
- Krankenschwestern M. und H. informierten Dr. M.
- Der Vorfall fand am Fronleichnamstag statt
- Dr. M. war nicht im Dienst, sondern zum Schreiben eines Gutachtens in der Klinik
- Dr. M. wollte zunächst nicht eingreifen, erklärte sich nach Hinweis auf frühere Vorfälle bereit
- Patientin berichtete Dr. M., der Angeklagte habe «am Arsch rumgefummelt» und sie gynäkologisch ohne Handschuhe untersucht
- Die Patientin erhielt den Rat, in Zukunft nur noch von Frauen körperlich untersucht zu werden
Allgemeine Details aus dem Urteil:
- Das Gericht hat festgehalten, dass in der Neurologie Stimmgabeln zur Untersuchung des Vibrationsempfindens verwendet werden, wobei diese im Regelfall auf Knochen aufgesetzt werden
- Gemäß den Feststellungen des Gerichts sind Untersuchungen der Sensibilität im Genitalbereich nur bei entsprechenden Beschwerden oder Anhaltspunkten indiziert
- Im Regelfall würde für solche Untersuchungen ein gynäkologisches oder urologisches Konsil eingeholt
- Das Gericht stellte fest: «Dass Neurologen selbst Untersuchungen im Genitalbereich durchführen, kommt so gut wie nie vor.»
Diese detaillierte Zusammenfassung dokumentiert ein systematisches Vorgehen des Angeklagten, der unter dem Deckmantel medizinischer Untersuchungen und Therapien gezielt intime Bereiche der Patientinnen berührte und untersuchte, ohne dass dafür medizinische Indikationen vorlagen. Die Gemeinsamkeiten der Fälle (fehlende Handschuhe, Untersuchungen ohne Zeugen, besondere Körperpositionen, Fokus auf Genitalbereich) deuten auf ein muster- und wiederkehrendes Verhalten hin, das laut Urteil ausschließlich der sexuellen Erregung des Angeklagten diente.
Aufdeckung und Reaktionen
Die Übergriffe kamen ans Licht, als eine der Patientinnen Ende Juli 2000 einen anonymen Anruf erhielt. Eine Frau, die behauptete aus der Universitätsklinik zu sein, wies sie darauf hin, «dass es noch weitere Fälle wie den ihren gebe.» Dies veranlasste die Patientin, Strafanzeige zu erstatten. Am 5. August 2000 erschien daraufhin ein Artikel im Kölner Stadt-Anzeiger mit der Überschrift «Hat Arzt Patientinnen sexuell genötigt?».
Die Polizei kontaktierte anschließend alle Patientinnen der neurologischen Universitätsklinik im Alter von 16 bis 45 Jahren aus dem Zeitraum 1999 bis Juli 2000. In den Schreiben teilte die Polizei mit, dass Ermittlungen «wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung» geführt würden.
Nach der Aufdeckung der Vorwürfe wurde der Neurologe Anfang Juli 2000 von klinischen Tätigkeiten mit Patientenkontakt entbunden, blieb aber als Personaloberarzt in der Klinikverwaltung tätig.
Fazit des Gerichts
Das Gericht stellte klar fest, dass für die durchgeführten intimen Untersuchungen und Berührungen «keine medizinische Indikation» bestand. Der Arzt hatte «lediglich vortäuschte, medizinische Untersuchungshandlungen vorzunehmen», und handelte «ausschließlich, um sich sexuell zu erregen».
Die Sachverständigen bestätigten vor Gericht, dass neurologische Untersuchungen im Genitalbereich nur bei spezifischen Beschwerden indiziert sein können und normalerweise nach vorheriger Besprechung mit der Patientin durchgeführt werden. In der Regel würde ein Neurologe solche Untersuchungen nicht selbst durchführen, sondern ein gynäkologisches Konsil einholen. Das Gericht stellte fest: «Dass Neurologen selbst Untersuchungen im Genitalbereich durchführen, kommt so gut wie nie vor.»
Quellen
Urteil des Landgerichts Köln (14. große Strafkammer) vom 04.04.2003 (114-18/01)
Nachfolgend: Die Urteilsschrift
LG Köln (14. große Strafkammer),
Urteil vom 04.04.2003 – 114-18/01
Titel:
Hauptverhandlung, Angeklagte, Arzt, Erkrankung, Krankheit, Staatsanwaltschaft, Klinik, Schmerzensgeld, Angeklagten, Freiheitsstrafe, Diagnose, Versorgung, Untersuchung, Multiplen Sklerose, medizinische Indikation, Multiple Sklerose
Rechtsgebiete:
Sozialrecht, Medizinrecht, Strafprozessrecht/OWiG, Strafrecht
Schlagworte:
Hauptverhandlung, Angeklagte, Arzt, Erkrankung, Krankheit, Staatsanwaltschaft, Klinik, Schmerzensgeld, Angeklagten, Freiheitsstrafe, Diagnose, Versorgung, Untersuchung, Multiplen Sklerose, medizinische Indikation, Multiple Sklerose
ECLI:
ECLI:DE:LGK:2003:0404.114.18.01.0A
Rechtskraft:
unbekannt
Tenor:
Der Angeklagte wird wegen sexuellen Missbrauchs von Kranken in Einrichtungen in 4 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren
verurteilt.
Im Übrigen wird der Angeklagte freigesprochen.
Gegen den Angeklagten wird ein Berufsverbot für den medizinischen Bereich, soweit es um weibliche Patientinnen geht, für die Dauer von 3 Jahren verhängt.
Der Angeklagte wird verurteilt, an die Nebenklägerin N. ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 € zuzüglich Zinsen von 5% über dem Basiszinssatz seit dem 23.01.2003 zu zahlen. Insoweit ist das Urteil gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Soweit der Angeklagte verurteilt worden ist, trägt er die Kosten des Verfahrens, seine notwendigen Auslagen sowie die den Nebenklägerinnen W und P entstandenen notwendigen Auslagen einschließlich der Kosten des Adhäsionsverfahrens betreffend die Nebenklägerin N. Soweit der Antrag zuerkannt worden ist.
Soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist und das Verfahren nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist, trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens sowie die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen.
Gründe:
1A. Zur Person des Angeklagten
2Der heute 53-jährige Angeklagte wuchs in H. auf, wo er von 1956 bis 1960 die Grundschule und von 1960 bis 1964 das Gymnasium besuchte. Sein Mutter trennte sich vor 1964 von seinem Vater, dem Schlosser … Die Ehe wurde geschieden. Am … 1964 heiratete sie den Arzt Dr. med. P. der den Angeklagten am 14.07.1966 an Kindes Statt annahm. Von 1964 bis 1968 besuchte der Angeklagte das Städtische Gymnasium in E., wo er 1968 das Abitur mit der Note „gut“ ablegte.
3Von 1968 bis 1975 studierte der Angeklagte in B. Medizin. Das medizinische Staatsexamen legte er am 31.01.1975 mit der Note „sehr gut“ ab. Am 23.5.1975 promovierte er in B. über das Thema „Geschwindigkeitsabfall von Geschossen bei Glasdurchschuss“. Am 01.04.1976 wurde ihm durch den Regierungspräsidenten von K. die Approbation als Arzt erteilt. Von 1975 bis 1976 war er zunächst als Medizinalassistent, dann als Assistenzarzt in Krankenhäusern in C., B. und Z./M. tätig. Im November 1976 kam der Angeklagte nach K., wo er bis 1985 an der Neurologischen Klinik des Städtischen Krankenhauses K.-M1 und am angegliederten …-Institut für Hirnforschung,, die ab 1978 von dem Zeugen Prof. Dr. H. geleitet wurden, tätig war. Diese Tätigkeit wurde von Mai 1978 bis April 1980 von einem Forschungsaufenthalt am H1 Institute in P1/USA unterbrochen, im Rahmen dessen er sich auch im analytisch-psychiatrischen und psychotherapeutischen Bereich fortbildete. 1985 wechselte der Angeklagte mit dem Zeugen Prof. Dr. H. und dem …-Institut zur neurologischen Universitätsklinik in K., wo er zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter, später als Privatdozent und ab 1997 als außerplanmäßiger Professor und Oberarzt angestellt war und bis heute ist. 1987 legte er die Facharztprüfung zum Arzt für Neurologie und Psychiatrie ab, 1989 habilitierte er sich über ein Thema aus dem Bereich der höheren Hirnleistungen. Schwerpunkte seiner wissenschaftlichen und klinischen Tätigkeit waren Hirnforschung, insbesondere Hirnuntersuchungen mittels Positronen-Emissions-Tomographie (PET).
4Nach den unten unter B, II. 6. geschilderten Ereignissen wurde der Angeklagte Anfang Juli 2000 von klinischen Tätigkeiten mit Patientenkontakt entbunden; bis zum Beginn der Hauptverhandlung war er aber als Personaloberarzt weiterhin in der Klinikverwaltung tätig und übte auch noch klinische Tätigkeiten aus, wenn etwa Kollegen wegen der Befundung von PET-Bildern zu ihm kamen.
5Der Angeklagte heiratete am … 1970 Frau … Die Ehe wurde durch Urteil des Landgerichts B. vom … 1973 geschieden. Am … 2002 heiratete er seine langjährige Lebensgefährtin, die Zeugin …, die ebenfalls in der Klinik für Neurologie der Universitätskliniken K. als Ärztin tätig ist. Der Angeklagte hat keine Kinder.
6Strafrechtlich ist der. Angeklagte, in dessen Leben weder Alkohol noch Drogen eine Rolle spielen, bislang nicht in Erscheinung getreten. Bis auf Rückenbeschwerden aufgrund eines Unfalls im Jahre 2001 leidet er auch nicht an ernstzunehmenden Erkrankungen.
7Für den Angeklagten ist sein Beruf sein Lebensinhalt. In der Universitätsklinik zu K. ist er als extrem gründlicher und kenntnisreicher Arzt bekannt. Seine Art, Mitarbeiter und Kollegen sein überlegenes Wissen spüren zu lassen, führte aber auch zu Konflikten insbesondere mit jüngeren ärztlichen Mitarbeitern. Der Angeklagte, der seit Beginn der Hauptverhandlung beurlaubt ist, hat bis zuletzt seine vollen Bezüge als Oberarzt und außerplanmäßiger Professor an der neurologischen Universitätsklinik in K. erhalten, die zuletzt zwischen 2.700 und 2.900 € netto pro Monat lagen. Auch an den Honoraren des Chefarztes, des Zeugen Prof. Dr. … von denen regelmäßig ein Teil in Form einer Poolbeteiligung auf die Mitarbeiter ausgeschüttet wird, war der Angeklagte zumindest bis November 2002 weiterhin beteiligt. Diese Beteiligung wurde unregelmäßig und in unterschiedlicher Höhe ausgezahlt. So erhielt der Angeklagte im Jahre 2001 insgesamt über 11.500,00 DM anteilige Honorare, im Mai 2002 erhielt er 751,11 €, im August 2002 1.376,51 €.
B. Zu den Taten
8In dem vorliegenden Verfahren hat die Kammer zu ihrer vollen Überzeugung festgestellt, dass der Angeklagte von Ende 1999 bis April 2000 an insgesamt 4 Patientinnen und zwar den Nebenklägerinnen R. W. N. und P. im Rahmen von neurologischen Untersuchungen und von Therapien sexuelle Handlungen vorgenommen hat: Hierbei geht es insbesondere um die Vortäuschung von Untersuchungshandlungen an den Brüsten und im Genitalbereich, die zum Teil mit der Stimmgabel, zum Teil mit den Fingern durchgeführt wurden, sowie um die Täuschung darüber, dass ein Griff in die Schambehaarung Bestandteil einer Therapie sei. In den Fällen der Nebenklägerinnen G. und O. die Kammer das Verfahren nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.
I.
9Der Angeklagte war bis zum 30.06.2000 neben dem Zeugen Prof. Dr. G. für die Station 1 der Neurologischen Universitätsklinik in K. als Oberarzt zuständig. Er hatte immer ein sehr gutes Verhältnis zu den auf seiner Station tätigen Krankenschwestern. Das Verhältnis des Angeklagten zu den Krankenschwestern war so eng, dass der erst ab 1999 als zweiter Oberarzt auf der Station tätige Zeuge Prof. Dr. G. den Angeklagten als „Platzhirsch“ empfand. Der Angeklagte war über das dienstliche Verhältnis hinaus für die Krankenschwestern in vielen Fällen auch Ansprechpartner für ihre eigenen medizinischen, aber auch privaten Probleme. So unterstützte er die aus Kroatien stammende Zeugin … M. die nur eine befristete Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis hatte, als diese eine unbefristete Erlaubnis beantragte, indem er ihr bei der Abfassung der Anträge half. Er sorgte auf Bitten einer anderen Schwester auch dafür, dass die Zeugin, als sie mit Verdacht auf eine Blinddarmentzündung in der chirurgischen Universitätsklinik lag, in eine andere, bessere Klinik verlegt wurde.
10Im Juli 1999 verstarb die auf Station 1 tätige Krankenschwester E. im im Alter von 39 Jahren aufgrund Herzversagens. Nur zwei Monate später beging eine weitere Krankenschwester, Schwester P. die an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis litt, Selbstmord. Zwei Wochen zuvor hatte der Angeklagte diese Krankenschwester auf Bitten der Stationsschwester, der Zeugin P. im Rahmen eines akuten psychotischen Schubes in der K. Innenstadt aufgegriffen und dafür gesorgt, dass sie in der renommierten Fachklinik A. Straße in K. auf der geschlossenen Station aufgenommen wurde. Dort wurde sie jedoch nach nur zwei Tagen auf die offene Station verlegt. Während ihres ersten unbegleiteten Ausgangs schnitt sie sich die Pulsadern auf.
11Unter dem Eindruck dieser Ereignisse verschlechterte sich die Stimmung auf Station 1 zusehends. Der Angeklagte gewann – ohne dass es hierfür eine tatsächliche Grundlage gegeben hätte – den Eindruck, dass ihm seitens der Krankenschwestern vorgeworfen werde, er habe sich nicht genügend um die beiden verstorbenen Schwestern, gekümmert. Er legte seither eine erhöhte Fürsorge im Verhältnis zum Pflegepersonal an den Tag. So fragte er immer genau nach den Erkrankungen, wenn sich eine Schwester krank meldete. Ein Teil des Pflegepersonals empfand dieses Interesse des Angeklagten als zu weitgehend.
1. (Fall G)
12Am 16.11.1999 wurde die damals 30-jährige Nebenklägerin G. aufgrund eines akuten Schubes der bei ihr schon seit 1996 bestehenden Multiplen Sklerose auf Station 1 der Neurologischen Universitätsklinik aufgenommen. Dieser akute Schub äußerte sich vor allem in einer erheblichen Verschlechterung des Sehvermögens auf beiden Augen. Die Aufnahmeuntersuchung bei der Nebenklägerin führte die sachverständige Zeugin Dr. T. durch, die zu dieser Zeit als Assistenzärztin auf Station 1 tätig war.
13Der Angeklagte untersuchte die Zeugin G. erstmals am Nachmittag des Aufnahmetages im Rahmen der sogenannten oberärztlichen „Abnahmeuntersuchung“. Anwesend waren neben dem Angeklagten und der Nebenklägerin die Assistenzärzte Dr. T., Dr. K. und Dr. T. sowie der Student im praktischen Jahr W. Im Rahmen dieser Untersuchung prüfte der Angeklagte auch den Analreflex der Nebenklägerin. Da der Angeklagte eine weitergehende psychische Exploration und körperliche Untersuchung der Nebenklägerin für erforderlich hielt, erschien er am Nachmittag des 18.11.1999 erneut im Zimmer der Nebenklägerin. Im Rahmen des ausführlichen Explorationsgesprächs befragte der Angeklagte die Zeugin auch zu ihrem Sexualleben, insbesondere zu Missbrauchserfahrungen in der Kindheit. Er führte sodann eine ausführliche Sensibilitätsuntersuchung durch, für die sich die Zeugin G. zunächst bis auf die Unterhose entkleiden musste.
14Nach einer Prüfung des Schmerz- und des Vibrationsempfindens forderte er die Zeugin auf, die Unterhose auszuziehen und sich in Knie-Ellenbogen-Lage zu begeben. In dieser Position prüfte er mit Pinsel und Kunststoffstäbchen sowie mit der Stimmgabel die Sensibilität im sogenannten „Reithosenbereich“ und am Sitzbeinhöcker. Außerdem forderte er sie zur Anspannung und Entspannung des Analschließmuskels auf. Ob der Angeklagte im Rahmen dieser Untersuchung mit dem Finger in die Scheide der Zeugin eindrang, konnte in der Hauptverhandlung nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden.
15Aufgrund der Ergebnisse der Nachuntersuchung begann der Angeklagte ab dem 22.11.1999 mit der Zeugin G. Psychotherapiesitzungen durchzuführen. Als Methode wählte er eine Form des autogenen Trainings; bei den ersten Sitzungen lag die Zeugin nackt unter der Bettdecke, während der Angeklagte eine Hand unter der Decke auf ihren Bauch legte. Ob die Zeugin bei späteren Sitzungen, bei denen sie dem Angeklagten gegenüber saß, mit der Bettdecke „bekleidet“ war – so der Angeklagte – oder vollständig unbekleidet war, konnte nicht festgestellt werden. Die Sitzungen fanden regelmäßig nach den üblichen Dienststunden, teilweise erst in den Abendstunden nach 20.00 Uhr statt. Die sachverständige Zeugin Dr. T. die von den Therapiesitzungen durch die Zeugin M. die Krankenschwester auf der Station 1 ist, erfuhr, hielt das „Setting“ für diese Sitzungen für problematisch und unprofessionell, worauf sie den Angeklagten auch ansprach.
16Während des Klinikaufenthalts kam die Zeugin G. eines Nachts, zwischen 22.00 Uhr und 24.00 Uhr in das Schwesternzimmer, um eine Zigarette zu rauchen. Sie unterhielt sich mit der Zeugin M. die Nachtdienst hatte. Im Rahmen dieses Gesprächs äußerte sich die Nebenklägerin verwundert über die Untersuchungsmethoden des Angeklagten und berichtete, sie habe sich bei Untersuchungen vollständig entkleiden müssen und sei an den Brüsten und auch „unten herum“ untersucht worden. Die Zeugin M. die große Stücke auf den Angeklagten hielt und ihm aufgrund seiner Unterstützung bei ihren ausländerrechtlichen Problemen sehr dankbar war, glaubte der Nebenklägerin jedoch nicht. Sie konnte sich eine solche Handlungsweise des Angeklagten nicht vorstellen.
17Die Nebenklägerin, die merkte, dass die Zeugin M. ihr keinen Glauben schenkte, sprach im weiteren Verlauf ihres Aufenthalts in der Klinik nicht mehr mit Dritten über die Untersuchungs- und Therapiemethoden des Angeklagten. Erst einige Wochen nach der Entlassung aus der Klinik erzählte sie ihrem Ex-Freund, dem Zeugen K. der bemerkt hatte, dass sie verstört wirkte, dass der Angeklagte bei ihr unter anderem Sensibilitätsuntersuchungen im Genitalbereich durchgeführt habe.
18Ende Juli 2000 erhielt die Zeugin G. einen anonymen Anruf. Eine Frau, die behauptete, aus der Universitätsklinik in K. zu seih, wies die Zeugin darauf hin, dass es noch weitere Fälle wie den ihren gebe. Dies veranlasste die Zeugin, die die Anruferin so verstanden hatte, dass auch die anderen Betroffenen Anzeige erstattet hätten, dazu, am 27.07.2000 bei der Polizei in P1 Strafanzeige zu erstatten. Die anonyme Anruferin gab der Nebenklägerin auch die Telefonnummer des Zeitungsreporters E. Die Nebenklägerin rief diesen an, und berichtete ihm von den Ereignissen. Am 05.08.2000 erschien daraufhin ein Artikel im K. Stadt-Anzeiger mit der Überschrift „Hat Arzt Patientinnen sexuell genötigt?“, in dem unter anderem der Fall der Zeugin G. die in dem Artikel als W. bezeichnet wird erwähnt wird. In dem Artikel heißt es, die Nebenklägerin habe sich komplett ausziehen und auf das Bett legen müssen. Sie sei dann so untersucht worden, wie sie es nur vom Gynäkologen kenne.
2. (Fall R.)
19Die seinerzeit 21 Jahre alte Nebenklägerin R. war im Dezember 1999 Schwesternschülerin auf Station 1 der Neurologischen Universitätsklinik in K. Sie litt bereits seit längerem an erheblichen Gelenkbeschwerden, weswegen sie sich auch in Behandlung bei der immunologischen Ambulanz der Universitätskliniken zu K. befand, wo jedoch bis zu diesem Zeitpunkt noch keine genaue Diagnose gestellt worden war. Im Rahmen ihrer Arbeit auf der Station sprach die Zeugin M. die Nebenklägerin auf ihre Beschwerden an. Sie empfahl ihr, sich an den Angeklagten zu wenden. Durch Vermittlung der Zeugin M. vereinbarte die Nebenklägerin daraufhin einen Untersuchungstermin mit dem Angeklagten für den Vormittag des 14.12.1999 in einem Bürogebäude der Universitätskliniken, dem sogenannten P2-Trakt.
20Zu dem Termin begab sich die Zeugin R. in Begleitung ihres Ehemanns, des Zeugen K. R. Während die Zeugin mit dem Angeklagten in dessen Büro ging, wartete der Zeuge R. im Eingangsbereich, der von dem Büroflur durch eine Glastüre getrennt war. Das Büro lag am Ende des Flurs. Nach Durchsicht der von der Nebenklägerin mitgebrachten Krankenunterlagen folgte zunächst ein längeres Anamnesegespräch, in dessen Verlauf der Angeklagte auch Fragen zur Orgasmusfähigkeit und dem Eheleben der Nebenklägerin stellte. Die Zeugin verneinte, in diesen Bereichen Probleme zu haben. Im Anschluss erfolgte zunächst eine übliche neurologische Untersuchung, in deren Verlauf die Zeugin sich bis auf die Unterhose entkleiden sollte. Die Zeugin legte sich dann auf Anweisung des Angeklagten auf die Couch, die in dem Büro stand. Der Angeklagte, der vor der Couch auf einem Stuhl saß, führte nunmehr eine Sensibilitätstestung bei der Nebenklägerin durch, bei der er sich auffallend lange mit deren Brüsten beschäftigte, die er erst mit der Stimmgabel und dann mit den Händen untersuchte. Die Stimmgabel setzte er an beiden Brüsten und den Brustwarzen an. Die Untersuchung der Brüste mit den Händen empfand die Zeugin eher als ein Streicheln bzw. Ausstreichen, das, wesentlich sanfter war als die ihr bekannten Untersuchungen beim Gynäkologen.
21Im weiteren Verlauf der Untersuchung stellte der Angeklagte der Zeugin eine Frage. Bevor diese antworten konnte, zog der Angeklagte der Zeugin plötzlich die Unterhose runter. Dann stellte er die Beine der Zeugin an. Nachdem er mit den Händen die Schamlippen auseinandergezogen hatte, setzte er die Stimmgabel an den äußeren Schamlippen, am Scheideneingang und an der Klitoris an. Während dieses Vorgangs fragte er die Zeugin – wie schon zuvor während der gesamten Sensibilitätstestung –, ob die Zeugin das spüre und ob sie an bestimmten Stellen mehr spüre als an anderen; zum Teil fragte er mehrfach nach. Der Nebenklägerin, der schon während der Untersuchung der Brüste erste Zweifel gekommen waren, wurde nunmehr klar, dass es sich nicht mehr um eine medizinisch indizierte Untersuchung handelte. Da sie sich jedoch aufgrund ihrer Position auf der Couch dem Angeklagten unterlegen fühlte und Angst hatte, etwas zu sagen oder sich zu wehren, ließ sie die weitere „Untersuchung“ über sich ergehen, antwortete aber nur noch einsilbig und versteifte sich. Daraufhin brach der Angeklagte die „Untersuchung“ ab. Er fragte die Zeugin, ob er noch etwas untersuchen solle und sagte, als diese verneinte; „Ich denke, sie haben ein Fibromyalgiesyndrom. Dagegen hilft Saroten. Das können Sie sich auf der Station holen.“ Als der Angeklagte sich die Hände wusch, bemerkte die Zeugin, dass er keine Handschuhe getragen hatte. Die „Untersuchung“ im Intimbereich, die der Zeugin sehr unangenehm war, dauerte insgesamt höchstens 5 Minuten.
22Die Diagnose „Fibromyalgiesyndrom“ war unrichtig, was dem Angeklagten auch bewusst war.
23Für eine Untersuchung mit der Stimmgabel im Intimbereich – d. h. an Schamlippen, Scheide und Klitoris – gab es bei der Nebenklägerin R. keine medizinische Indikation. Insoweit handelte der Angeklagte, der lediglich vortäuschte, medizinische Untersuchungshandlungen vorzunehmen, ausschließlich, um sich sexuell zu erregen.
24Zu neurologischen Untersuchungen im Vaginalbereich und mit der Stimmgabel hat die Kammer folgende Feststellungen getroffen:
25In der Neurologie werden spezielle Stimmgabeln zur Untersuchung des Vibrationsempfindens verwendet. Hierzu wird das untere Ende der Stimmgabel angeschlagen und auf Körperstellen aufgesetzt; das Vibrationsempfinden an der konkreten Stelle wird dann mittels an den beiden oberen Enden der Stimmgabel angebrachten Skalen gemessen. Die insoweit verwendeten Stimmgabeln können ein durchaus unterschiedliches Aussehen haben. Aufgesetzt wird die Stimmgabel im Regelfall auf Knochen, z. B. auf Ellenbogen, Beckenknochen oder auch Schambein; sie kann aber auf jede vibrationsempfindliche Körperstelle aufgesetzt werden. Das Aufsetzen der Stimmgabel auf andere Körperstellen als Knochen ist indessen gänzlich unüblich.
26Untersuchungen der Sensibilität im Genitalbereich – ob diese nun mit der Stimmgabel, anderen Instrumenten oder den Fingern durchgeführt werden können neurologisch indiziert sein, wenn ein Patient bzw. eine Patientin über Empfindungsstörungen im Genitalbereich, sexuelle Funktionsstörungen oder Orgasmusprobleme klagt oder sonst Anhaltspunkte für solche Probleme bestehen, etwa weil diese bei der Krankheit des Patienten häufig vorkommen. Bevor eine solche Untersuchung durchgeführt wird, wird dies mit dem Patienten zunächst besprochen. Im Regelfall wird eine solche Untersuchung dann nicht von dem behandelnden Neurologen selbst durchgeführt – obwohl dies gerade auch unter Berücksichtigung der (Richtlinien 7 der Europäischen Föderation Neurologischer Gesellschaften (Projektgruppe für Neurosexologie) aus Mai 2001 durchaus lege artis wäre –, sondern es wird ein gynäkologisches oder urologisches Konsil eingeholt. Dass Neurologen selbst Untersuchungen im Genitalbereich durchführen, kommt so gut wie nie vor.
27Die Zeugin R. wollte über die Untersuchung durch den Angeklagten zunächst nicht sprechen. Ihrem Mann gegenüber äußerte sie lediglich, die Untersuchung sehr komisch gewesen. Der Zeugin … die nach dem Ergebnis der Untersuchung fragte, sagte sie, es sei alles in Ordnung. Ende Juli 2000, als im Zuge der unten unter B. III. geschilderten Ereignisse die Vorwürfe gegen den Angeklagten Gesprächsthema in der gesamten K. Universitätsklinik waren, hörte der Ehemann der Zeugin R. der Krankenpflegeschüler in der Psychiatrischen Klinik war, ein Gespräch zwischen der Zeugin Dr. R. und seinem Stationsleiter, in dem es um die Ereignisse in der Neurologie ging. Er erfuhr, dass gegen den Angeklagten Strafanzeige erstattet werden sollte. Er sprach daraufhin die Nebenklägerin nochmals auf die Untersuchung an und erzählte ihr von dem Gespräch. Diese wandte sich daraufhin an die Zeugin Dr. R. mit der sie am 29.07.2000 ein längeres Gespräch führte. In diesem Gespräch schilderte sie den Ablauf der Untersuchung im Einzelnen. Die Zeugin Dr. R. fertigte sich über dieses Gespräch ein Gedächtnisprotokoll an, weil sie der Ansicht war, der Inhalt des Gesprächs könnte noch einmal von Bedeutung sein.
28Erst nach diesem Gespräch erzählte die Nebenklägerin R. auch ihrem Mann mehr von der Untersuchung, wobei sie nur den groben Ablauf schilderte. Sie sprach auch mit einer Freundin, der Zeugin S. die ebenfalls Schwesternschülerin in der Neurologie war, darüber, ohne jedoch ins Detail zu gehen. Sie sagte lediglich, der Angeklagte habe sie an Stellen berührt, an denen es für eine neurologische Untersuchung nicht erforderlich gewesen sei. Am 09.10.2000 wurde die Zeugin R. polizeilich vernommen, nachdem die Zeugin Dr. M sie in ihrer polizeilichen Vernehmung als weiteres Opfer eines sexuellen Übergriffs des Angeklagten genannt hatte und sie am 20.09.2000 durch den Zeugen KHK B. per Anrufbeantworter um Rückruf gebeten und zugleich schriftlich zur Vernehmung geladen worden war.
29Die Nebenklägerin R. hatte in der Zeit nach der Untersuchung durch den Angeklagten Probleme im Sexualleben; ob diese allerdings auf die Handlungen des Angeklagten zurückzuführen waren, konnte in der Hauptverhandlung nicht festgestellt werden.
3. (Fall W)
30Die Nebenklägerin W. die zu dieser Zeit 35 Jahre alt war, begab sich am Vormittag des 03.01.2000 zunächst in die Augenklinik der Universitätsklinik zu K.. Von dort wurde sie mit Verdacht auf Multiple Sklerose an die Neurologische Klinik überwiesen, wo sie mittags gegen 14.00 Uhr auf der Privatstation aufgenommen wurde. Die Eingangsuntersuchung führte dort der Zeuge Dr. N. durch, der zu dieser Zeit Arzt im Praktikum auf der Privatstation war. Der Zeuge nahm unter anderem eine Nerven Wasserentnahme vor und riet der Nebenklägerin W. viel zu trinken und sich hinzulegen, weil sie sonst Kopfschmerzen bekommen könnte. Der Aufnahmebefund des Zeugen gelangte aus unbekannten Gründen nicht in die Krankenakte der Zeugin W.
31Am späteren Nachmittag erschien sodann der Angeklagte im Zimmer der Nebenklägerin, wo sich inzwischen auch deren Ehemann, der Zeuge M. eingefunden hatte. Der Angeklagte, der seinerzeit den urlaubsabwesenden Chefarzt der Klinik, den Zeugen Prof. Dr. H. vertrat, brachte vor dem Eintreten ein Schild an der Tür des Krankenzimmers an. Die Aufschrift des Schildes lautete sinngemäß „Bitte nicht stören!“ Die Zeugin war zu diesem Zeitpunkt aufgrund der Verdachtsdiagnose der Augenklinik immer noch „fertig mit den Nerven, geschockt“. Sie befürchtete, den Rest ihres Lebens im Rollstuhl verbringen zu müssen. Nach einem kurzen Anamnesegespräch in Gegenwart des Zeugen M. im Rahmen dessen der Angeklagte die Nebenklägerin W. auch auf ihr zitterndes Knie ansprach („Haben Sie das öfter?“) und es untersuchte, bat er den Zeugen M. für den weiteren Verlauf der Untersuchung auf dem Flur zu warten, was dieser auch tat.
32Auf Bitten des Angeklagten zog die Zeugin, die keinen BH trug, sich dann das T-Shirt aus. Der Angeklagte strich sie nunmehr kurz im Brustbereich mit den Händen ab. Die Zeugin sollte hierauf aufstehen und zur Gang- und Standprüfung diverse Übungen, wie zum Beispiel auf einer Linie Gehen und Kniebeugen, durchführen. Sodann forderte der Angeklagte die Zeugin auf, sich wieder hinzulegen. Der Angeklagte führte bei der Zeugin nun mit der Stimmgabel eine Sensibilitätsprüfung durch, wobei die Zeugin zunächst auf dem Rücken lag. Nachdem er die Stimmgabel zunächst im Beckenbereich angesetzt hatte, zog sich die Zeugin auf seine Bitte hin den Slip aus. Der Angeklagte setzte die Stimmgabel dann zunächst an der Innenseite der Oberschenkel, im weiteren Verlauf aber auch im Genitalbereich der Zeugin an.
33Nunmehr bat die Nebenklägerin W. die – wie ihr der Zeuge Dr. N. nach der Nervenwasserentnahme empfohlen hatte – viel getrunken hatte, darum, auf die Toilette gehen zu dürfen. Der Angeklagte ließ die Zeugin, die weiterhin vollständig entkleidet war, auf die an das Zimmer angeschlossene Toilette gehen. Als sie wieder in das Krankenzimmer zurückkam, bat er sie, die gleichen Übungen wie zuvor noch einmal zu machen, was die Zeugin – die im Gegensatz zum ersten Mal nunmehr vollständig entkleidet war – auch tat. Im Anschluss sollte sich die Zeugin wieder ins Bett legen, diesmal auf den Bauch. Der Angeklagte untersuchte sie wiederum mit der Stimmgabel. Dabei bat er sie in mehreren Schritten, die Beine zu spreizen und das Gesäß zu heben, bis sich die Zeugin in Knie-Ellenbogen-Lage befand. In dieser Lage spreizte der Angeklagte, der während der gesamten Untersuchung keine Handschuhe trug, die äußeren Schamlippen der Zeugin mit einer Hand, während er mit der anderen die Stimmgabel vaginal, unter anderem an dien inneren Schamlippen ansetzte. Hierbei fragte er immer wieder, ob die Zeugin das merke. Als die Zeugin angab, nichts mehr zu spüren, beendete der Angeklagte die Untersuchung und verließ das Krankenzimmer.
34Für eine Untersuchung im Genitalbereich mit der Stimmgabel und für eine – Wiederholung von – grundsätzlich neurologisch erforderlichen – Übungen im unbekleideten Zustand gab es bei der Nebenklägerin W. keine medizinische Indikation. Die Zeugin hatte dem Angeklagten gegenüber weder Missempfindungen im Genitalbereich erwähnt, noch hatte dieser danach gefragt. Die Zeugin litt auch nicht an solchen Missempfindungen. Insoweit handelte der Angeklagte, der lediglich vortäuschte, medizinische Untersuchungshandlungen vorzunehmen, ausschließlich, um sich sexuell zu erregen.
35Ihrem Mann, der nach der Untersuchung das Zimmer betrat, sagte die Zeugin zunächst lediglich, die Untersuchung sei merkwürdig gewesen. Zu diesem Zeitpunkt stand für die Zeugin die Diagnose im- Vordergrund. Bezüglich der Einordnung der Untersuchung durch den Angeklagten war sie sich unsicher; sie überlegte, ob es sich vielleicht nur um eine besonders gründliche Untersuchung gehandelt haben könnte und ob an der Uni-Klinik die Dinge eben insgesamt anders abliefen als in anderen Kliniken, die sie kannte.
36Der Angeklagte kam auch an den beiden Folgetagen im Rahmen der Visite noch zu der Zeugin W. ohne dass er hierbei aber irgendwelche Untersuchungen durchführte oder länger mit der Zeugin sprach. Am 06.01.2003 kehrt der Zeuge Prof. Dr. H. aus dem Urlaub zurück und übernahm die Behandlung der Nebenklägerin.
37Auch nach ihrer Entlassung aus der Uni-Klinik in K. erzählte die Nebenklägerin W. ihrem Mann zunächst keine Details der Untersuchung durch den Angeklagten. Da sie seitdem keinen vaginalen Geschlechtsverkehr in der Stellung „von hinten“ haben möchte – diese Einschränkung ihres Sexuallebens hält bis heute an – erwähnte sie lediglich, dass sie sich hierfür aufgrund eines Ereignisses in der Uniklinik nicht mehr öffnen könne. Im September 2000 erhielt die Nebenklägerin das Schreiben der Kriminalpolizei in K. vom 12.09.2000. Es handelte sich um ein Standardschreiben, das an alle Patientinnen der neurologischen Universitätsklinik in K. im Alter von 16 bis 45 Jahren aus dem Zeitraum 1999 bis Juli 2000 geschickt worden war. In diesem Schreiben hieß es unter anderem:
„Betr.: Ermittlungsverfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung
Sehr geehrte Frau «Nachname»,
nach den hier vorliegenden Informationen wurden Sie als Patientin in der Neurologischen Klinik der Universitätskliniken K. stationär behandelt. (…)“
38Die Adressatinnen wurden mit diesem Schreiben aufgefordert; sich mit der Kriminalpolizei in Verbindung zu setzen.
39Nach Erhalt dieses Schreibens erzählte die Nebenklägerin W. ihrem Mann erstmals, dass sie im Rahmen der Untersuchung durch den Angeklagten nackt Übungen habe machen müssen und dass der Angeklagte sie mit der Stimmgabel im Genitalbereich berührt habe. Nähere Einzelheiten erzählte sie ihm nicht. Sie rief am 25.09.2000 bei der Kriminalpolizei in K. an, wo sie mit dem Zeugen KHK B. sprach. Die Nebenklägerin fragte den Zeugen B., ob es um einen Arzt in der Uni-Klinik gehe, was dieser bejahte. Sie vereinbarte dann einen Vernehmungstermin sowohl für sich als auch für ihren Mann. Über das Telefonat fertigte der Zeuge B. einen Vermerk, in dem es heißt, sie habe auf Befragen mitgeteilt, dass sie sich bei der Untersuchung vollständig habe ausziehen müssen. Es seien dann Untersuchungen unter Verwendung einer Stimmgabel im Vaginalbereich erfolgt.
40Die Zeugin wurde daraufhin am 25.09.2000 polizeilich vernommen.
41Nach ihrer Vernehmung bei der Polizei, am 02.10.2000, sprach die Nebenklägerin W. auch mit ihrer niedergelassenen Neurologin, der Zeugin … über die Untersuchung durch den Angeklagten. Bei diesem Gespräch, das allerdings „zwischen Tür und Angel“ stattfand, weil die Nebenklägerin eigentlich nur für eine Infusion in die Praxis gekommen war, sagte sie der Zeugin sinngemäß, sie sei vom Angeklagten mit der Stimmgabel „von hinten“ untersucht worden. Die Zeugin … verstand dies fälschlicherweise so, dass der Angeklagte bei der Nebenklägerin … eine Stimmgabeltestung am After vorgenommen habe.
42Abgesehen von den bereits erwähnten Einschränkungen ihres Sexuallebens leidet die Nebenklägerin W. nicht unter besonders schweren Folgen aufgrund der Untersuchung. Andererseits kann sie den Vorfall auch nicht einfach vergessen.
4. (Fall N)
43Die 1971 geborene Nebenklägerin N. litt Ende 1999/Anfang 2000 an starken Kopfschmerzen, wegen deren sie sich an einen niedergelassenen Neurologen, den sachverständigen Zeugen Dr. H. wandte. Dieser ließ eine Kern-Spin-Tomographie durchführen, auf der sich Veränderungen zeigten. Zur Abklärung überwies er die Nebenklägerin an die Neurologische Universitätsklinik K. Dort wurde sie am 17.01.2000, fünf Tage nach ihrem 29. Geburtstag, auf der vom Angeklagten geleiteten Station 1 aufgenommen.
44Am Vormittag des 19.01.2000 erschien der Angeklagte im Krankenzimmer der Zeugin. Im Rahmen eines längeren Anamnesegesprächs befragte er sie zunächst auch zu ihrem Sexualleben, so, ob Sie in ihrer Kindheit sexuelle Erlebnisse gehabt habe und ob sie eher bei der Selbstbefriedigung oder beim Geschlechtsverkehr Befriedigung finde. Die Zimmernachbarin der Zeugin und die Zeugin M. die während des Gesprächs das Zimmer betraten, bat der Angeklagte, draußen zu bleiben beziehungsweise, im Falle der Zeugin M. den geplanten Termin in der Augenklinik, zu dem sie die Nebenklägerin abholen wollte, zu verschieben. Da es draußen im Verlauf des Gesprächs heller wurde, löschte der Angeklagte das Licht über dem Bett der Zeugin.
45Danach bat er die Zeugin, sich vollständig auszuziehen und sich zunächst im Bett auf den Bauch zu legen, was die Zeugin auch tat. Der Angeklagte strich ihr nun mit der Hand sacht über ihren Körper und setzte dies fort, nachdem die Zeugin sich auf seine Aufforderung hin auf den Rücken gedreht hatte. Hierbei berührte er sie auch im Genitalbereich. Er fragte die Nebenklägerin N. dabei, ob sie die Berührungen spüre beziehungsweise überall gleich spüre. Dann nahm der Angeklagte die Stimmgabel und setzte sie auf verschiedene Punkte am Körper an. Hierbei fragte er, ob die Zeugin die Vibration spüre. Er setzt die Stimmgabel auch an beiden Brustwarzen, am Schambein, an der Klitoris und in der Vagina an.
46Hierauf forderte der Angeklagte die Zeugin auf, sich in eine Knie-Ellenbogen-Lage zu begeben, was diese wiederum befolgte. Der Angeklagte dräng nunmehr in dieser Position mit einem oder zwei Fingern vaginal in die Zeugin ein, wobei er den ganzen Finger einführte. Er tastete sodann die Vagina der Zeugin von innen ab und fragte sie, ob sie links oder rechts mehr spüre. Bei dieser Handlung trug der Angeklagte keine Handschuhe, im Anschluss wusch er sich im Krankenzimmer auch nicht die Hände.
47Für eine Untersuchung im Genitalbereich mit der Stimmgabel oder mit dem Finger gab es bei der Nebenklägerin F. keine medizinische Indikation. Insoweit handelte der Angeklagte, der lediglich vortäuschte, medizinische Untersuchungshandlungen vorzunehmen, ausschließlich, um sich sexuell zu erregen.
48Als der Angeklagte das Zimmer der Nebenklägerin N. verlassen hatte, kam die Zeugin M. herein. Sie sah die Nebenklägerin auf dem Bett sitzen, die Tränen in den Augen hatte, und fragte: „Was hat er mit Ihnen gemacht?“ Die Nebenklägerin sagte ihr, die Untersuchung sei so schlimm gewesen, sie habe sich nackt ausziehen müssen und sei auch „unten herum“ untersucht worden. Die Zeugin M. die sich der Situation nicht gewachsen fühlte, empfahl ihr, sich an einen anderen Arzt zu wenden. Als die Zeugin N. nachmittags von dem Termin aus der Augenklinik zurückkehrte, war ihr Lebensgefährte, der Zeuge G. gekommen, um sie zu besuchen. Die Zeugin, die immer noch aufgelöst wirkte und immer wieder weinte, schilderte ihm die Einzelheiten der Untersuchung. Der Zeuge G. regte sich über das Verhalten des Angeklagten auf. Er meinte, die Nebenklägerin N. solle die Klinik sofort verlassen. Die Nebenklägerin wollte dies jedoch nicht. Sie sprach daher die Zeugin O. im Arztzimmer an, die zu dieser Zeit ihr praktisches Jahr auf Station 1 absolvierte. Dieser gegenüber berichtete sie, dass der Angeklagte sie mit der Stimmgabel im Genitalbereich untersucht habe. Sie fragte, ob diese Untersuchung in Ordnung sei. Die Zeugin O. meinte ebenfalls, sie sei nicht kompetent genug, um der Nebenklägerin weiter zu helfen. Sie rief daher die Stationsärztin, die Zeugin Dr. T. an. Diese reagierte auf den Anruf mit den Worten: „Nicht schon wieder!“, wobei sie sich an die Ereignisse betreffend, die Nebenklägern G. nur kurze Zeit zuvor erinnert fühlte. Die Zeugin Dr. T. kam auf die Bitte der Zeugin O. hin auf die Station, um mit der Nebenklägerin N. zu sprechen. Auch dieser gegenüber berichtete die Nebenklägerin, sie sei mit der Stimmgabel im Genitalbereich untersucht worden. Die Zeugin Dr. T. die nicht nach Einzelheiten fragte, erklärte ihr, dass solche Untersuchungen möglich seien. Dass der Angeklagte die Untersuchung nicht in Begleitung einer Krankenschwester durchgeführt habe, liege am Personalmangel. Die Nebenklägerin könne sich aber an, den Chefarzt Prof. Dr. … wenden, wenn sie dies wünsche. Sie, die Zeugin Dr. T. werde sich noch einmal bei dem Angeklagten nach der Untersuchung erkundigen.
49Nach dem Gespräch mit der Nebenklägerin rief die Zeugin Dr. T. Angeklagten an, der sich noch In seinem Büro befand. Sie berichtete ihm von dem Gespräch und bat ihn um Aufklärung, was der Sinn der Untersuchung gewesen sei. Der Angeklagte erklärte daraufhin, er habe eine Untersuchung mit der Stimmgabel im Intimbereich durchgeführt, um dort Missempfindungen feststellen zu können. Die Zeugin Dr. T. gab sich mit dieser Erklärung zufrieden und sagte dem Angeklagten, sie halte es nicht für erforderlich, dass er noch am selben Abend mit der Nebenklägerin spreche. Sie bat ihn aber, zu einem späteren Zeitpunkt mit der Nebenklägerin zu sprechen, was er auch zusagte. Einige Tage später sprach die Zeugin O. den Vorfall gegenüber dem Angeklagten im Arztzimmer an. Sie fragte ihn, warum er die Zeugin im Intimbereich untersucht habe. Der Angeklagt erklärte, es könne neurologische Erkrankungen geben, die auch auf den sexuellen Empfindungsbereich Auswirkungen haben. Dies sei auch bei der Nebenklägerin N. der Fall gewesen. Auf die Frage, warum er die Nebenklägerin nicht zum Gynäkologen geschickt habe, antwortete er, es sei um rein neurologische Aspekte gegangen, eine gynäkologische Untersuchung sei, nicht erforderlich gewesen. Bei diesem Gespräch waren auch die Zeugin Dr. T. und der Zeuge Dr. T anwesend.
50Die Nebenklägerin N. erzählte noch während ihres Aufenthalts in der neurologischen Universitätsklinik ihrer Zimmernachbarin, der Zeugin W. von der Untersuchung. Sie berichtete, sie sei vom Angeklagten vaginal ohne Handschuhe untersucht worden. Der Angeklagte sei auch mit dem Finger in ihre Vagina eingedrungen. Gemeinsam mit der Zeugin W. sprach die Nebenklägerin auch noch einmal die Zeugin M. an, die mit der Sache aber nichts weiter zu tun haben wollte.
51Auch ihrer besten Freundin, der Zeugin B. und ihrer Schwester, der Zeugin E. erzählte die Nebenklägerin noch während des Klinikaufenthalts von der Untersuchung, wobei sie die Einzelheiten des Ablaufs nur der Zeugin B. berichtete. Nach ihrer Entlassung aus der Uni-Klinik sprach sie ihren behandelnden Neurologen, den Zeugen Dr. H. auf die Untersuchung an und berichtete, sie sei in Knie-Ellenbogen-Lage im Genitalbereich untersucht worden. Der Zeuge riet ihr, sich schriftlich an den Direktor der Uni-Klinik zu wenden, was die Nebenklägern aber nicht tat, weil sie sich nicht in der Lage sah, die Ereignisse zu Papier zu bringen. Auch weiteren Freundinnen, den Zeuginnen H. und F. erzählte sie, dass sie in der Uni-Klinik vaginal ohne Handschuhe und mit der Stimmgabel untersucht worden sei.
52Am 09.08.2000 erhielt die Nebenklägerin N. ein Schreiben der Polizei in K., in dem es hieß:
„(…) bei der hiesigen Dienststelle wird zur Zeit ein Strafverfahren bearbeitet, bei dem es um sexuelle Übergriffe durch einen Arzt der Universitätskliniken K. geht.
Nach hier vorliegenden Informationen besteht die Vermutung, dass auch sie Opfer derartiger Handlungen sein könnten. (…)“
53Nach Erhalt des Schreibens war die Nebenklägern zunächst, derart aufgelöst, dass der Zeuge G, für sie bei der Polizei anrief. Er vereinbarte mit dem Zeugen KHK B. einen Vernehmungstermin für die Nebenklägerin noch für den selben Tag, der dann auch durchgeführt wurde.
54Die Zeugin N. leidet bis heute unter den Folgen der Untersuchung durch den Angeklagten. Es ist ihr nicht gelungen, diese vollständig zu verarbeiten. Ihr Grundvertrauen zu Ärzten ist gestört, sie hat Probleme mit männlichem medizinischen Personal. Von männlichen Ärzten will sie sich nicht mehr untersuchen lassen.
5. (Fall P.)
55Die damals 18-jährige Nebenklägerin P. erlitt am 12.04.2000 einen epileptischen Anfall, bei dem sie das Bewusstsein verlor. Sie wurde deswegen mit einem Krankenwagen in die Neurologische Universitätsklinik gebracht, wo sie auf Station 1 notfallmäßig aufgenommen wurde. Der Angeklagte übernahm nach seiner ersten eigenen Untersuchung am 13.04.2000 persönlich die Behandlung der Zeugin anstatt, wie üblich, nur die Tätigkeit seiner Assistenzärzte zu kontrollieren. Zuvor führte er mit der Zeugin ein ausführliches Anamnesegespräch, im Rahmen dessen er unter anderem fragte, ob die Zeugin einen Freund habe und wann sie zum ersten Mal ihre Periode bekommen habe. In der Hauptverhandlung konnte nicht festgestellt werden, ob der Angeklagte die Zeugin auch nach ihrem Masturbationsverhalten fragte.
56Ab dem nächsten Tag begann der Angeklagte mit der Zeugin: verschiedene Therapieformen einzuüben, die – bei einem sich abzeichnenden epileptischen Anfall angewandt – eine anfallshemmende Wirkung entfalten sollten. So begann er ab dem 14.04.2000 mit der Einübung einer Ylang-Ylang-Aromatherapie. Im Rahmen dieser Übungen, bei denen die Zeugin dem Angeklagten gegenüber saß, sollte die Nebenklägerin Angeklagten zunächst an den Händen, bei späteren Sitzungen auch an den Armen und im Gesicht berühren und ihn auch duzen, was sie auch tat.
57Als weitere Therapieform übte der Angeklagte ab dem 17.04.2000 eine Art autogenes oder Entspannungstraining mit der Zeugin ein, das er gegenüber der Zeugin auch Traum- oder Weltreise nannte. Die Zeugin musste sich für diese Übungen ausziehen, wobei sich der Angeklagte, der sich im Zimmer befand, umdrehte. Die Zeugin legte sich dann nackt unter die Bettdecke, der Angeklagte legte die Hand unter der Decke auf ihren Bauch. Die Zeugin sollte sich dann auf einzelne Körperteile konzentrieren, diese anspannen und „fallen lassen“. Im Rahmen einer solchen Therapiesitzung am 18.04.2000 nahm der Angeklagte einmal seine Hand vom Bauch der Zeugin und führte sie zu ihren Schamhaaren. Er kraulte die Schamhaare, bis die Zeugin ihm sagte, dass sie das nicht wolle.
58Bei einer anderen Gelegenheit, bei der der Angeklagte und die Zeugin – die allerdings bekleidet war – sich gegenübersäßen und sich an den Schultern berührten, übte der Angeklagte starken Druck auf die Schultern der Zeugin aus, bis diese wiederum äußerte, dass sie das störe: Bei einer weiteren Gelegenheit setzte der Angeklagte sich Rücken an Rücken mit der (bekleideten) Zeugin und verlagerte dann, sein Gewicht immer mehr auf die Zeugin, bis diese sich über das Gewicht beschwerte.
59Ebenfalls am 18.04.2000 führte der Angeklagte eine Nachuntersuchung der Nebenklägerin P. durch. Während dieser Nachuntersuchung befand sich der Angeklagte allein mit der Zeugin in deren Krankenzimmer. Im Rahmen dieser Untersuchung lag die Zeugin nackt im Bett, der Angeklagte führte mit der Stimmgabel eine Sensibilitätsuntersuchung durch. Er setzte die Stimmgabel an verschiedenen Körperteilen an; die Zeugin sollte sagen, wenn sie das Vibrieren nicht mehr spüre. Unter anderem setzte der Angeklagte, der bei der Untersuchung keine Handschuhe trug, die Stimmgabel auch an den Brustwarzen, an den Schamlippen und schließlich, nachdem er mit zwei Fingern die Schamlippen auseinandergezogen hatte, in der Scheide der Zeugin an. Die Zeugin hatte zuvor weder über Empfindungsstörungen im Vaginalbereich geklagte, noch litt sie an solchen.
60Weder für die Berührung der Schamhaare im Rahmen des Entspannungstrainings noch für eine Untersuchung im Genitalbereich mit der Stimmgabel gab es bei der Nebenklägerin P. Beine medizinische Indikation. Insoweit handelte der Angeklagte, der lediglich vortäuschte, medizinische Untersuchungshandlungen vorzunehmen bzw. eine therapeutische Maßnahme durchzuführen, ausschließlich, um sich sexuell zu erregen. Auch dafür, dass die Nebenklägerin sich für die Durchführung des Entspannungstrainings nackt unter die Bettdecke legen musste und der Angeklagte; ihr die Hand auf den Bauch legte, gab es keine medizinische Indikation.
61Die Nebenklägerin P. berichtete noch während ihres Aufenthalts in der Uni-Klinik im April 2000 ihrer besten Freundin, der Zeugin I. von den Untersuchungen und Therapiesitzungen. „Während sie zunächst nur zurückhaltend von unangenehmen Untersuchungen sprach, öffnete sie sich im Laufe derzeit immer mehr und berichtete der Zeugin die Einzelheiten. Mit anderen Personen sprach sie kaum darüber. Zu ihren Eltern und ihrer Schwester, die sich immer lobend über die fachlichen Fähigkeiten und den persönlichen Einsatz des Angeklagten äußerten, sagte sie lediglich, der Angeklagte sei nicht so gut, wie sie dächten.
62Gleichwohl war die Nebenklägerin P. dem Angeklagten sehr dankbar, weil sie meinte, er sei der erste Arzt, der; ihr wirklich helfe. Jedenfalls nach . der Abschlussbesprechung in der Uni-Klinik am 27.04.2000 umarmte sie ihn aus diesem Grund auch. Der Angeklagte gab der Zeugin seine Dienst- und seine Handynummer, damit sie ihn bei weiteren epileptischen Anfällen; oder Problemen mit der Dosierung ihrer Medikamente anrufen könne. Tatsächlich hatte die Nebenklägerin am 01.05.2000 Probleme, sie konnte auf einmal nicht mehr sehen. Sie rief daraufhin den Angeklagten an, der ihr sagte, sie solle die Medikamentendosis senken. Die Nebenklägerin traf sich zwischen ihrer Entlassung am 27.04.2000 und ihrer erneuten Aufnahme in der Uni-Klinik am 29.06.2000 auch einmal mit dem Angeklagten in dessen Büro zu einem Beratungsgespräch. Im Laufe dieses Gesprächs äußerte der Angeklagte, die Nebenklägerin sei etwas „ganz Besonderes“.
63Die Nebenklägerin P. leidet noch heute stark unter den psychischen Folgen der Taten des Angeklagten: Sie fühlt sich innerlich zerrissen, weil sie dem Angeklagten einerseits für seihe medizinischen Bemühungen und seihen persönlichen Einsatz dankbar ist, sich andererseits aber durch ihn, dem sie als Arzt und Professor ihr volles Vertrauen geschenkt und viel Respekt entgegengebracht hat, ausgenutzt und missbraucht fühlt.
6: (Fall O)
64Die damals 27 Jahre alte Zeugin O. wurde am 20.06.2000 aufgrund einer Überweisung ihres niedergelassenen Neurologen, des Zeugen Dr. Gf. auf Station 1 der Neurologischen Universitätsklinik in K. aufgenommen; Sie litt seit einiger Zeit an Gefühlsstörungen und krampfartigen Vorspannungen im rechten Arm; auf den auf Veranlassung des Zeugen Dr. G. angefertigten kernspintomographischen Bildern waren Veränderungen erkennbar, die in der Uni-Klinik abgeklärt werden sollten.
65Der Angeklagte untersuchte die Nebenklägerin erstmals am Nachmittag des Aufnahmetags in Anwesenheit des Zeugen Dr. S. der zu dieser Zeit Assistenzarzt; auf Station 1 war, und des Zeugen K. der auf Station 1 sein praktisches Jahr absolvierte. Zu -Beginn und am Ende der Untersuchung war auch die Zeugin Dr. M. anwesend, die ebenfalls Assistenzärztin auf Station 1 war. Die Nebenklägerin war zuvor bereits von dem Zeugen K. untersucht worden, der sie auf Station aufgenommen hatte. Im Rahmen dieser Untersuchung, für die die Nebenklägerin sich bis auf die Unterhose entkleiden musste, prüfte der Angeklagte unter anderem die Sensibilität im Bereich der Brüste, indem er im oberen Bereich der Brüste Zahlen mit einem Kunststoffstäbchen auf die Haut schrieb. Nachdem die Zeugin O. sich auf Bitten des Angeklagten die Unterhose heruntergezogen und sich in Knie-Ellenbogen-Lage begeben hatte, inspizierte der Angeklagte auch die Analregion der Zeugin.
66Am Nachmittag des 21.06.2000 begab sich der Angeklagte – dieses Mal ohne Begleitung – erneut in das Zimmer der Nebenklägerin O. um weitere Untersuchungen durchzuführen. Nach einem ausführlichen Vorgespräch untersuchte er unter anderem die Haut der Nebenklägerin, die sich vollständig entkleiden musste, mithilfe eines Glasspatels auf Veränderungen. Auf seine Bitte hin spreizte die Nebenklägerin ihre Schamlippen mit den Fingern und der Angeklagte inspizierte auch ihre Vagina. Ob der Angeklagte mit einem Finger in die Vagina der Nebenklägerin eingedrungen ist, konnte in der Hauptverhandlung nicht festgestellt werden. Anschließend testete der Angeklagte mithilfe einer Stimmgabel das Vibrationsempfinden der Nebenklägerin.
67Am folgenden Tag, es war Fronleichnam, kam die Zeugin M. die Dienst hatte, in das Zimmer der Zeugin O. Die Zeugin O. war sehr aufgeregt und sagte, sie befürchte, dass der Angeklagte jederzeit wieder erscheinen könne. Sie frage sich, ob sie auf der Neurologie oder auf der Gynäkologie sei. Sie habe sich für eine Untersuchung nackt ausziehen müssen und der Angeklagte sei „überall am Fummeln“ gewesen und habe nach jedem Muttermal geguckt. Die Zeugin M. sprach daraufhin die Zeugin H. an, die ebenfalls Krankenschwester auf Station 1 war und mit ihr Dienst hatte. Gemeinsam beschlossen die beiden Krankenschwestern, die auf der Station anwesende Zeugin Dr. M. zu informieren. Diese hatte zwar an Fronleichnam keinen Dienst, war aber in die Klinik gekommen, um ein Gutachten zu schreiben. Die Zeugin Dr. M. wollte zunächst nicht mit der Nebenklägerin O. sprechen. Sie sei ja gar nicht im Dienst. Als die Zeuginnen M. und H. jedoch insistierten und auch darauf hinwiesen, dass es bereits früher einmal einen Vorfall gegeben habe – dies bezog sich auf den Fall der Nebenklägerin N. –, erklärte sie sich bereit, mit der Nebenklägerin im Arztzimmer zu sprechen. Diese war immer noch sehr aufgebracht und entrüstet. Sie berichtete der Zeugin Dr. M. wiederum, dass sie sich für die Untersuchung habe ausziehen müssen, der Angeklagte, habe ihr „am Arsch rumgefummelt“ und sie dann gynäkologisch ohne Handschuhe untersucht. Die Zeugin Dr. … die unsicher war, was sie tun sollte, sagte der Nebenklägerin O. dass solche Untersuchungen in Ordnung sein könnten. Es sei aber ihr Recht, bestimmte Untersuchungen zu verweigern und darauf zu bestehen, nur noch von Frauen körperlich untersucht zu werden; Frau O. sagte, dass sie hierauf in Zukunft bestehen werde. Nach dem Gespräch rief die Zeugin Dr. M. die Zeugen Dr. S. und Dr. H. – seinerzeit Sprecher der Assistenzärzte in der Neurologischen Universitätsklinik – an, um sich Rat zu holen, wie sie mit der Situation umgehen solle. Man beschloss, die Zeugin Dr. M. solle die Nebenklägerin O. an ihrem nächsten Arbeitstag, dem kommenden Montag, den 26.06.2000, an die Klinikleitung verweisen.
68Am folgenden Tag, dem 23.06.2000, hatte die Zeugin Dr. M. Urlaub. Der Zeuge Dr. S. sprach vormittags auf Station den Angeklagten auf die Ereignisse des Vortags an und konfrontierte ihn mit den Vorwürfen, die die Nebenklägerin O. gegen ihn erhoben hatte. Der Angeklagte stritt ab, die Nebenklägerin vaginal untersucht zu haben; eine Erklärung, wie es zu den Vorwürfen habe kommen können, blieb er jedoch schuldig. Der Zeuge Dr. S. der von dem Angeklagten eine solche Erklärung erwartete, hatte den Eindruck, dieser reagiere „wie ein angeschossene Reh“. Er sagte, er wolle mit der Patientin selbst sprechen. Hiervon ließ er sich trotz des Hinweises, dass diese es ablehne, von Männern untersucht zu werden, nicht abbringen. Er wollte auch nicht, dass der Zeuge Dr. S. ihn begleitet. Dieser bestand jedoch darauf, dass der Angeklagte zumindest eine Krankenschwester mitnehmen solle. Der Zeuge Prof. Dr. G. der seinerzeit neben dem Angeklagten als Oberarzt für Station 1 zuständig war, kam während dieses Gesprächs in das Arztzimmer und setzte; sich dazu. Er hörte, welche Vorwürfe gegen den Angeklagten erhoben wurden. Daraufhin informierte er noch am selben Tag den Chefarzt der Neurologischen Universitätsklinik in K., den Zeugen Prof. Dr. H. ausführlich über dieses Gespräch. Dieser reagierte mit den Worten: „Das kann doch nicht sein, spielt der denn total verrückt?“
69Der Angeklagte begab sich sodann in Begleitung einer Krankenschwester, der Zeugin S. in das Krankenzimmer der Nebenklägerin O. nachdem er diese kurz zuvor noch auf dem Flur angesprochen hatte. In dem Gespräch im Krankenzimmer erklärte der Angeklagte der Nebenklägerin, warum er sie nochmals gründlich habe untersuchen müssen. Er eröffnete ihr, dass er beabsichtige, ab dem kommenden Montag mit ihr eine Psychotherapie durchzuführen. Die Nebenklägerin entschuldigte sich daraufhin bei dem Angeklagten und umarmte ihn.
70Im Verlauf des nächsten Montags, des 26.06.2000, erklärte der Angeklagte den Zeugen Dr. S. und Dr. M anhand von PET-Bildern, dass die Nebenklägerin O. emotional labil sei. Sie habe daher seine die Tiefen ihrer Psyche berührende Exploration vom 21.06. am folgenden Tag, an dem er nicht da gewesen sei, um dies aufzufangen, in ein körperliches Eindringen uminterpretiert. Er werde von nun an Psychotherapiesitzungen mit der Nebenklägerin durchführen. Jedenfalls in diesem Gespräch bezeichnete der Angeklagte sich im Zusammenhang mit der Erklärung der Vorwürfe als „der Papi“; der nicht für die Nebenklägerin dagewesen sei. Am Abend dieses Tages begab sich der Angeklagte dann auch in deren Zimmer und führte mit ihr, wie schon bei den Nebenklägerinnen G. und P. das von ihm als Welt- oder Traumreise bezeichnete Entspannungstraining durch. Auch die Zeugin O. musste sich nackt unter die Bettdecke legen, wobei der Angeklagte seine Hand auf ihren Bauch legte. Sie sollte einzelne Körperteile anspannen und dann fallen lassen. Hierbei duzte der Angeklagte die Nebenklägerin. Als der Angeklagte die Nebenklägerin O. am 27.06.2000 zu einer weiteren Therapiesitzung aufsuchte, erklärte diese, sie wolle dies nicht. Weitere Sitzungen seien nicht mehr nötig, sie beherrsche die Therapie schon. Sie brauche aber eine Bescheinigung für das Ausländeramt, dass wegen ihrer Krankheit eine angemessene medizinische Versorgung in der Türkei nicht gewährleistet sei. Ansonsten fürchte sie, mit ihrem Mann – dieser verbüßte seinerzeit eine längere Freiheitsstrafe wegen Betäubungsmitteldelikten – in die Türkei abgeschoben zu werden. Der Angeklagte sagte der Nebenklägerin zu, eine solche Bescheinigung auszustellen, falls die medizinische Sachlage dies rechtfertigen würde. Tatsächlich wurde eine solche Bescheinigung seitens des Zeugen Prof. Dr. H. später auch erstellt, wobei in der Hauptverhandlung nicht geklärt werden konnte, ob die Nebenklägerin O. diese dann auch erhalten hat. Nach diesem Gespräch begann die Nebenklägerin O. jeden auf Station, der einen weißen Kittel trug, auf die Untersuchung durch den Angeklagten anzusprechen.
III.
71Am 28.06.2000 wandten sich die Zeugen Dr. M. Dr. S. und Dr. H. die die Situation weiterhin als ungeklärt empfanden, an einen Oberarzt ihres Vertrauens, den Zeugen Prof. Dr. R. Sie informierten ihn über die Vorwürfe, die die Nebenklägerin O. gegen den Angeklagten erhoben hatte und baten ihn um Rat, was sie unternehmen sollten. Der Zeuge Dr. R. meinte, der Chefarzt, der Zeuge Prof. Dr. H. müsse umgehend informiert werden. Daraufhin begab sich die Zeugin Dr. M. zu dem Zeugen Prof. Dr. H. und berichtete auch, diesem von den Ereignissen seit Fronleichnam. Der Zeuge Prof. Dr. H. tat so, als höre er hiervon zum ersten Mal und gab sich überrascht. Er erklärte, er müsse dies mit dem Angeklagten besprechen. Er bat dann den Angeklagten zu sich; zum Inhalt des sich anschließenden Gesprächs konnte die Kammer in der Hauptverhandlung keine sicheren Feststellungen treffen.
72Nachdem er von dem Zeugen Prof. Dr. H. zurückgekehrt war, forderte der Angeklagte die Zeugen Dr. S. und Dr. M. auf, in sein Büro zu kommen. Dort stellte er zunächst die Frage, ob die beiden Zeugen überhaupt noch mit ihm zusammenarbeiten wollten. Er stellte die fachliche Kompetenz des Zeugen Dr. S. in Frage; dieser sei nicht in der Lage, die Station selbstständig zu führen. Er wandte sich dann der Zeugin Dr. M. zu und warf, ihr vor, sie hätte erst mit ihm statt mit dem Zeugen Prof. Dr. H. sprechen müssen. Bei dem folgenden Streitgespräch regte sich der Angeklagte sehr auf und wurde so laut, dass. der Zeuge Prof. Dr. G. der sein Büro auf dem selben Flur hatte, die Zeugin Dr. M. abends anrief, als sie Dienst hätte, um zu fragen, ob alles in Ordnung sei. Die Zeugin Dr. M. selbst und der Zeuge, Dr. S. empfanden das Verhalten des Angeklagten in dieser Situation als aggressiv und bedrohlich.
73Am 29.06.2000 würde die Nebenklägerin P. erneut auf Station 1 der neurologischen Universitätsklinik aufgenommen und auf das Zimmer der Nebenklägerin O. gelegt. Am selben Tag kam der Angeklagte in das Schwesternzimmer auf Station 1, wo sich die Zeugin Dr. M. mit der Stationsschwester, der Zeugin P. aufhielt. Er sagte, er wolle noch einmal ein Gespräch mit den beiden Zeuginnen und der Zeugin M. führen. Da die Zeugin Dr. M. wünschte, dass an dem Gespräch noch ein weiterer Oberarzt teilnehmen sollte, einigte man sich auf den Zeugen Prof. Dr. G. Dieser informierte – ohne hiervon den anderen Teilnehmern des Gesprächs etwas zu sagen – noch vor dem Gespräch den Zeugen Prof. Dr. H. der meinte, er solle daran ruhig teilnehmen und danach noch einmal berichten. Nachdem die Zeugin M. die zuerst zuhause angerufen werden musste, eingetroffen war, sprach der Zeuge Prof. Dr. G. zunächst allein mit dieser, weil sie Angst hatte. Er sagte ihr unter anderem, sie solle sich auf die Fakten beschränken. Das eigentliche Gespräch fand dann im Arztzimmer statt. Bei dem Gespräch war außer den zuvor genannten Personen auch der Zeuge Dr. S. anwesend. Der Angeklagte fragte zunächst die Zeuginnen M. und Dr. M. welche Vorwürfe die Nebenklägerin O. konkret erhoben habe, worauf beide noch einmal wiederholten, was diese ihnen gesagt hatte. Auf Bitten des Angeklagten beschrieben sie auch die psychische Verfassung der Nebenklägerin am 22.06.2000. Als der Angeklagte fragte, ob noch andere Patientinnen Vorwürfe gegen ihn erhoben hätten, und die Zeugin P. dies bejahte – sie bezog sich auf den Fall der Nebenklägerin N., verließ die Zeugin M. weinend das Zimmer. Der Zeuge Prof. Dr. G. erklärte das Gespräch daraufhin für beendet. Sodann begab er sich wiederum zu dem Zeugen Prof. Dr. H. und informierte diesen über den Ablauf des Gesprächs.
74Am folgenden Tag begaben sich die Zeuginnen P. und H. zu dem Zeugen Prof. Dr. H. Sie erklärten, das Pflegepersonal auf Station 1 wolle nicht mehr mit dem Angeklagten zusammenarbeiten. Durch die Ereignisse der letzten Tage sei das Vertrauensverhältnis zerstört worden. Sie baten den Zeugen Prof. Dr. H. darum, den Angeklagten auf eine andere Station zu versetzen. Der Zeuge folgte diesem Wünsch und versetzte den Angeklagten mit Wirkung vom folgenden Tag auf Station 5.
75Am 03.07.2000 sprach der Angeklagte den Zeugen Prof. Dr. G. an und regte an, die Nebenklägerin P. auf Station 5 zu verlegen, damit er sie weiter behandeln könne. Der Zeuge Prof. Dr. G. stimmte dem zu, weil es sich aus seiner Sicht um einen komplizierten Fall handelte und der Angeklagte bereits eingearbeitet war. Die Verlegung fand auch wie geplant statt, ohne dass die Nebenklägerin P. gefragt worden wäre, ob sie damit einverstanden wäre.
76Am 04.07.2000 begab sich die Nebenklägerin P. in das Zimmer der Nebenklägerin mit der sie sich während der Tage, an denen sie das Zimmer geteilt hatten, angefreundet hatte. Die Nebenklägern O. berichtete ihr, dass der Angeklagte sie vaginal untersucht und ihren Alter inspiziert habe. Sie berichtete auch von der Welt- bzw. Traumreisetherapie. Die Zeugin P. sagte während dieser Schilderung immer wieder, dass der Angeklagte das gleiche mit ihr auch gemacht habe. Dies hörte die Zeugin M. die während des Gesprächs das Zimmer betreten hatte, um nach der Nebenklägerin O. zu sehen. Die Zeugin M. forderte daraufhin die Nebenklägerin P. auf, hiervon einem Arzt zu berichten. Die Zeugin P. die dem Angeklagten weiterhin dankbar war, wollte zunächst nicht. Als die Zeugin M. darauf bestand und darauf hinwies, es habe schon mehr Fälle gegeben, es bekomme aber keiner den Mund auf, folgte sie ihr dann aber doch in das Schwesternzimmer, wo sich unter anderem; der Zeuge Dr. S. befand. Die Nebenklägerin erklärte sich bereit, mit diesem unter vier Augen zu sprechen, woraufhin sie sich mit dem Zeugen in das Dienstarztzimmer begab.
77Die Nebenklägerin P. berichtete dem Zeugen Dr. S. zunächst, sie habe festgestellt, dass der Angeklagte bei ihr die gleichen Untersuchungsmethoden angewandt habe wie bei der Zeugin O. Sie sagte, sie sei mit einem Untersuchungsinstrument, „das klingt“, unter anderem „unten herum“ untersucht worden. Dabei habe der Angeklagte keine Handschuhe getragen. Auf Nachfrage bezeichnete die Nebenklägerin das Untersuchungsinstrument zunächst als „Glöckchen“. Der Zeuge zeigte ihr daraufhin seine neurologische Stimmgabel, worauf sie bestätigte, dass sie eine solche gemeint habe. Auf Nachfrage des Zeugen bestätigte sie weiterhin, dass sie mit „unten herum“ ihre Scheide gemeint habe. Die Nebenklägerin berichtete weiter, der Angeklagte führe mit ihr Therapiesitzungen durch, bei denen sie … nackt unter der Bettdecke liege und er die Hand auf ihrem Bauch kreisen lasse. Der Zeuge Dr. S. fragte dann nicht weiter nach, weil ihm die Situation unangenehm war. Die Zeugin P. bat ihn noch, die Informationen vertraulich zu behandeln. Sie wolle nicht, dass er sie an Dritte weitergebe.
78Gleichwohl informierte der Zeuge Dr. S. am Vormittag des 5.7.2000 zunächst die Zeugen Prof. Dr. G. und Prof. Dr. R. Letzterer wiederum informierte den Chefarzt, den Zeugen Prof. Dr. H. über das Gespräch zwischen der .Nebenklägerin P. und dem Zeugen Dr. S. Am Nachmittag dieses Tages trat eine Krankenschwester an den Zeugen Prof. Dr. G heran und sagte ihm, die Nebenklägerin G. noch einmal mit ihm sprechen. Als der Zeuge Prof. Dr. G. den Zeugen Prof. Dr. H. hierüber informierte, schlug dieser vor, eine weitere Oberärztin, die Zeugin Prof. Dr. S. mit zu dem Gespräch zu nehmen. Der Zeuge Prof. Dr. G. war hiermit einverstanden.
79Die Zeugen Prof. Dr. S. und Prof. Dr. G. begaben sich daraufhin zu der Nebenklägerin O. Diese berichtete, sie sei vom Angeklagten gynäkologisch ohne Handschuhe und auch vaginal mit einer Stimmgabel untersucht worden. Sie habe jetzt Angst, dass ihr aufgrund der Vorwürfe, die sie erhoben habe, etwas zustoßen könnte. Sie selbst wolle keine Anzeige erstatten, es gehe ihr nur darum, dass der Angeklagte so etwas nicht mehr tun könne. Die Zeugin Prof. Dr. S. erklärte der Nebenklägerin O. dass die geschilderten Untersuchungen grundsätzlich möglich seien, man werde aber dafür Sorge tragen, dass bei solchen Untersuchungen in Zukunft Handschuhe getragen würden.
80Nachdem die Zeugen Prof. Dr. G. und Prof. Dr. S. den Zeugen Prof. Dr. H. über dieses Gespräch informiert hatten, bat er sie darum, auch noch mit der Nebenklägerin P. zu sprechen. Diese wollte zunächst nicht mit ihnen reden. Sie war enttäuscht, dass der Zeuge Dr. S. den Inhalt ihres Gesprächs weitergegeben hatte. Als die Zeugen jedoch insistierten, berichtete die Nebenklägerin ein weiteres Mal, dass der Angeklagte … sie vaginal mit einer Stimmgabel untersucht habe. Sie berichtete auch von Therapiesitzungen, bei denen sie nackt unter der Bettdecke habe liegen müssen, wobei der Angeklagte, der immer die Hand auf ihrem Bauch gehabt habe, einmal ihre Schamhaare berührt habe. Auch sie wollte keine Anzeige erstatten. Der Angeklagte sei der erste Arzt, der ihr geholfen habe. Die Zeugin Prof. Dr. S. erklärte sodann auch der Zeugin P. diese Untersuchungen und Therapien seien grundsätzlich in Ordnung. Die Zeugen Prof. Dr. G. und Prof. Dr. S. begaben sich nach diesem Gespräch wieder zu dem Zeugen Prof. Dr. H. und informierten ihn über dessen Inhalt.
81Aufgrund der Ereignisse des 05.07.2000 beschloss der Zeuge Prof. Dr. H. den Angeklagten ab dem 06.07.2000 bis auf weiteres von allen Tätigkeiten mit Patientenkontakt zu entbinden. Auf Empfehlung des Zeugen S. der in der Verwaltung der Uni-Klinik tätig ist, sprach der Zeuge Prof. Dr. H. in Gegenwart der Zeugin Prof. Dr. S. dann noch einmal mit den Nebenklägerinnen O. und P. die ihre Schilderung der Untersuchungen bzw. Therapiesitzungen wiederholten. Die Nebenklägerin O. sagte weiterhin, bei ihr sei es gar nicht so schlimm gewesen, bei anderen sei es viel schlimmer gewesen. Der Zeuge Prof. Dr. H. sagte den Nebenklägerinnen nochmals, dass solche Untersuchungen grundsätzlich in Ordnung seien, aber normalerweise mit Handschuhen und im Beisein einer dritten Person durchgeführt würden. Beide Nebenklägerinnen, denen durch die Zeugen Prof. Dr. H. und Prof. Dr. S. das Gefühl vermittelt worden war, sie würden sich sexuelle Übergriffe durch den Angeklagten nur einbilden, erklärten, sie wollten keine Anzeige gegen den Angeklagten erstatten.
82Am Abend nach diesen Gesprächen oder aber am Abend des 05.07.2000, nach den Gesprächen mit den Zeugen Prof. Dr. G. und Prof. Dr. S. kamen die Nebenklägerinnen O. und P ins Schwesternzimmer von Station 1, wo sich die Zeugin P. sowie ein Pfleger, der Zeuge T. befanden. Die Nebenklägerinnen waren sehr aufgeregt; sie fragten, ob sie etwas verkehrt gemacht hätten. Im Verlauf des Gespräches kam auch der Zeuge Dr. L. ein weiterer Assistenzarzt der Klinik, der in dieser Nacht Bereitschaftsdienst hatte, in das Schwesternzimmer.
83Die Nebenklägerin O. wurde am 06.07.2000 aus der Uni-Klinik entlassen, ohne dass eine konkrete Ursache für ihre Beschwerden gefunden worden wäre. An diesem Tag fertigte der Zeuge Prof. Dr. G. auf Anweisung des Zeugen Prof. Dr. auch ein Gedächtnisprotokoll über den Ablauf der Ereignisse aus seiner Sicht an. Von diesem Protokoll übergab er dem Zeugen Prof. Dr. H. allerdings erst zu einem späteren Zeitpunkt einen Ausdruck, als er schon nicht mehr an der Kölner Universitätsklinik tätig war, jedoch vor Beginn der Hauptverhandlung in vorliegendem Verfahren.
84Am 10.07.2000 sprachen die Zeugen Prof. Dr. H. und Prof. Dr. G. mit der Zeugin M. Diese wiederholte, was die Nebenklägerinnen C. und P. berichtet hatten. Sie sagte auch, dass es schon früher Vorwürfe gegeben habe. Eine strafrechtliche Verfolgung des Angeklagten wünsche sie jedoch nicht, dies solle intern geregelt werden. Dieser Ansicht war auch die Zeugin P. mit der der Zeuge Prof. Dr. H. am gleichen Tag sprach. Sie zeigte sich mit den bis dahin getroffenen Maßnahmen zufrieden.
85Ebenfalls am 10.07,2000 wurde die Zeugin Dr. M. von Station 1 auf Station 4 versetzt. Ihr gegenüber wurde seitens des Angeklagten in seiner Funktion als Personaloberarzt und seitens des Zeugen Prof. Dr. H. betont, es handele sich nicht um eine Strafversetzung. Die Versetzung sei vielmehr aus organisatorischen Gründen notwendig geworden.
86Im gleichen Zeitraum fand auch ein Gespräch zwischen der Zeugin M. sowie den Zeugen Prof. Dr. S. und Prof. Dr. G. statt. In diesem Gespräch äußerte die Zeugin Prof. Dr. S. deutlich Unmut darüber, dass die Zeugin M. zu viel erzähle. Sie sei eine Unruhestifterin und solle in Zukunft bei den Fakten bleiben.
87Am 11.07.2000 fand ein Abschlussgespräch bezüglich der Behandlung der Nebenklägerin P. statt, an der diese selbst, ihre Mutter, der Angeklagte, die Zeugin Prof. Dr. S. sowie die auf Station 5 zuständige Assistenzärztin, die Zeugin Dr. R. nahmen: In diesem Gespräch wurde vor allem die Diagnose und der weitere Verlauf, insbesondere die Frage einer Operation des bei der Nebenklägerin festgestellten Hirntumors, erörtert. Der Angeklagte erklärte aber auch noch einmal, dass aufgrund der Besonderheiten des Falles der Nebenklägerin P. eine besonders eingehende Sensibilitätsprüfung notwendig gewesen sei. Die Nebenklägerin P. wurde am selben Tag aus der Uni-Klinik entlassen. Sie entschied sich in der Folgezeit für eine Operation ihres Tumors, die am 14.08.2000. in der Neurologischen Klinik der Universität E.-N. mit Erfolg durchgeführt wurde. Der Angeklagte war der erste Arzt, der bei Frau F. das Vorliegen eines Tumors erkannte und die erforderliche Diagnostik anordnete. Seine Bemühungen waren für den Erfolg der Operation in Erlangen mit ausschlaggebend.
88Auch an die Nebenklägerin P. sandte die Polizei unter dem 07.08.2000 ein inhaltsgleiches Schreiben wie an die Nebenklägerin N. Da die Nebenklägerin sich zu diesem Zeitpunkt bereits in E. befand und ihre Eitern sie nicht aufregen wollten, hielten Sie das Schreiben zurück. Nachdem die ermittelnden Polizeibeamten in Erfahrung gebracht hatten, dass die Nebenklägerin sich bereits in der Reha-Klinik G1 in B. befand, rief die Zeugin K. in S. dort an und sprach mit der Nebenklägerin. Diese gab in zwei Telefonaten an, sie wolle keine Aussage vor der Polizei machen. Auf Bitten der Zeugin KK’in S. die auf die Bedeutung der Vernehmung hinwies, erklärte die Nebenklägerin sich schließlich zu einem „informatorischen Gespräch“ am 14.09.2000 bereit. Sie wolle jedoch nicht, dass die Vernehmung aufgenommen werde; sie werde auch nichts unterschreiben. Gleichwohl machte sich die Zeugin KK’in S. bei dem Gespräch am 14.09.2000 Notizen und fertigte anschließen einen umfangreichen Vermerk über den Inhalt des Gesprächs an. Ob sie die Nebenklägerin vor dem Gespräch als Zeugin belehrt hat, konnte in der Hauptverhandlung nicht geklärt werden. Der Zeugin KK’in S. war dabei klar, dass die Nebenklägerin P. Zeugin in dem Verfahren war. Es ging ihr bei dem Gespräch darum, Informationen zu gewinnen.
89Am 19.07.2000 ging bei der Staatsanwaltschaft Köln ein anonymes Schreiben ein, mit dem „mögliche Straftaten“ des Angeklagten angezeigt wurden. Dieser werde beschuldigt, „Patientinnen (mehr als) sexuell belästigt zu haben.“ Konkret genannt wurden die Namen der Nebenklägerinnen O. P. N. (in dem Schreiben N. geschrieben) und G. Aufgrund dieses Schreibens sowie der Strafanzeige der Nebenklägerin G. vom 27.07.2000 wurden die Ermittlungen in vorliegendem Verfahren eingeleitet.
90Am 21.07.2000 teilte der Chefarzt der Psychiatrischen Universitätsklinik, der Zeuge Prof. Dr. K., der Zeugin Dr. M., dass die Neurologie wünsche, dass die Zeugin vorzeitig in die Psychiatrie zurückkehre. Die Zeugin Dr. M. war nämlich im Rahmen ihrer psychiatrischen Facharztausbildung für das sogenannte neurologische Jahr in die Neurologie gekommen. Es war in K. langjährige Übung, dass immer 2 Assistenzärzte zwischen der neurologischen und der psychiatrischen Klinik im Rahmen der sogenannten Rotation ausgetauscht wurden. Der Zeuge Prof. Dr. K. sagte der Zeugin Dr. M. der Angeklagte als Personaloberarzt der Neurologie habe dies dem in der Psychiatrie hierfür zuständigen Oberarzt gegenüber mit der mangelnden Qualifikation der Zeugin begründet. Nachdem die Zeugin Dr. M. den Zeugen Prof. Dr. K. über die Ereignisse in der Neurologie in Kenntnis gesetzt hatte, meinte dieser, unter diesen Umständen ließe sich sicherlich eine für die Zeugin positive Bescheinigung „herausschlagen“.
91Am 27.07.2000 fand in der Psychiatrie ein Frühstück der dort tätigen Assistenzärzte statt, bei dem unter anderem die Ereignisse in der Neurologie und auch die Frage der vorzeitigen Rückkehr der Zeugin Dr. M. besprochen wurde. Am 02.08.2000 trafen sich die Assistenzärzte der psychiatrischen und der neurologischen Universitätsklinik zu einer Vollversammlung. Auf dieser wurde die Frage, ob man eine Anzeige erstatten müsse oder die Vorgänge an die Presse weiterleiten müsse, kontrovers diskutiert. Auch die geplante Rückkehr der Zeugin Dr. M. in die Psychiatrie wurde besprochen. Man beschloss, dass man einen Abbruch des neurologischen Jahrs der Zeugin Dr. M. nicht hinnehmen wolle. Von einer Information der Presse nahm man Abstand, als ein Teilnehmer der Versammlung äußerte, der K. Stadt-Anzeiger wisse bereits Bescheid.
92Am 03.08.2000 sprach die Zeugin Dr. M erneut mit dem Zeugen Prof. K. Dieser meinte, ihre vorzeitige Rückkehr in die Psychiatrie würde angesichts der aktuellen Situation schon die „Raison“ verlangen. Falls sie sich dagegen sperren würde, könnte die Situation in der Neurologie für sie schlimm werden. Dies könnte auch das gesamte System der Rotation gefährden.
93Über den bereits oben unter B. II. 1. erwähnte Presseartikel im K. Stadt-Anzeiger vom 05706.08.2000 hinaus gab es bereits in der Anfangszeit des Verfahrens weitere Artikel in der lokalen Presse zu den Ereignissen in der Uni-Klinik, so am 08.08.2000 in der K. Rundschau. Das Verfahren wurde bald als der „Stimmgabel-Fall“ bekannt, in einem späteren Artikel in der Kölner Boulevard-Zeitung Express wurde der Angeklagte sogar als „Professor Stimmgabel“ bezeichnet.
94Am 07.09.2000 fand aufgrund des Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts Köln vom 22.0.8.2000 (505 GS 2427/00) eine Durchsuchung in den Räumlichkeiten der Neurologischen Universitätsklinik in K. statt, bei der die Patientenakten der Nebenklägerinnen, Unterlagen bezüglich weiterer Patienten und die Personalakten des Angeklagten sichergestellt wurden. Die Patientenakten der Nebenklägerinnen O. P., N. und G. wurden im Büro des Zeugen Prof. Dr. H. gefunden. Ebenso fanden sich dort Notizen des Angeklagten sowie dessen Personalakte. Im Büro des Angeklagten fanden sich unter anderem Ausdrucke der Arztbriefe der Nebenklägerinnen O. P., G. und N. sowie Notizen zu diesen.
95Etwa ein Jahr nach den unter B. II. 6. geschilderten Ereignissen rief die Pflegedienstleiterin der Uni-Klinik, die Zeugin T. die Zeugin M. zu sich. Sie fragte sie, ob es nicht besser für sie wäre, wenn sie in eine andere Klinik wechseln würde. Die Zeugin M., die dieses Ansinnen als Bestrafung für ihr Verhalten im Zusammenhang mit den Ereignissen des Vorjahres empfand, lehnte dies ab. Zu der Versetzung kam es dann auch nicht, nachdem andere Mitglieder des Pflegepersonals von Station 1 der Neurologischen Universitätsklinik mit der Zeugin T, gesprochen hatten.
C. Beweiswürdigung
I.
96Zur Person hat der Angeklagte sich nur begrenzt eingelassen. Im Zusammenhang hat er Angaben lediglich zu Geburtsdatum und -ort sowie zu seinem beruflichen und wissenschaftlichen Werdegang gemacht. Auf diesen glaubhaften Angaben, die durch die auszugsweise verlesenen Personalakten des Angeklagten bestätigt werden, beruhen die entsprechenden Feststellungen. Auf der auszugsweisen Verlesung der Personalakten beruhen auch die Feststellungen zum Elternhaus des Angeklagten und zu seiner Schulbildung.
97Auf Befragen hat der Angeklagte weiterhin angegeben, keine ernsthaften Erkrankungen, Drogen- oder Alkoholprobleme zu haben. Auch die Frage nach Kindern hat er verneint. Die Feststellungen zu seiner zweiten Heirat beruhen auf den Angaben der Zeugin R. und der in der Hauptverhandlung verlesenen Heiratsurkunde.
98Die Feststellungen zum Stellenwert des Berufes im Leben des Angeklagten beruhen auf seinen bruchstückhaften Angaben, die insoweit glaubhaft sind. So hat er mehrfach betont, er sei regelmäßig bis weit nach Dienstschluss in seinem Büro anzutreffen. Aufgrund seiner Arbeitszeiten habe er früher ein Zimmer in der Nähe der Klinik, im Hause des Zeugen Prof. Dr. H. angemietet. Diese Angaben wurden durch zahlreiche Zeugen aus dem Bereich der neurologischen Universitätsklinik bestätigt, so durch die Zeugen Prof. Dr. H. und Prof. Dr. F. Diese haben auch ebenso wie beispielsweise die Zeugen Dr. T., Dr. S., Dr. M., Dr. T., K. und O. die als Assistenzärzte bzw. Studenten im praktischen Jahr unter dem Angeklagten gearbeitet haben, den hohen Kenntnisstand und die sehr gründlichen, teilweise als pedantisch empfundenen Untersuchungen des Angeklagten hervorgehoben. Aufgrund dieser Eigenschaften sei der Angeklagte zum einen ein Kollege gewesen, von dem man viel habe lernen können, zum anderen habe er einen sein überlegenes Wissen bisweilen auf unangenehme Art spüren lassen.
99Diese Art des Angeklagten, sein Wissen herauszustellen, aber auch andere Menschen zu bewerten und zu kategorisieren, ist auch in der Hauptverhandlung immer wieder zum Ausdruck gekommen. So hat der Angeklagte immer wieder betont, mit wie vielen medizinischen Spezialgebieten er sich eingehend wissenschaftlich und klinisch beschäftigt hat. Bei seiner Befragung des Sachverständigen Prof. Dr. S. gewann die Kammer bisweilen den Eindruck, der Angeklagte verwechsele die Hauptverhandlung mit einer mündlichen Prüfung im medizinischen Staatsexamen, Über die Zeugin Dr. M. hat er gesagt, diese sei nach der Jung’schen Typologie ein „Gefühlstyp“. Sie könne die Umwelt nur in Bezug auf sich selber wahrnehmen, wenn beispielsweise ein Patient ihr nicht in irgendeiner Weise nutze, interessiere er sie nicht. Er selber sei da ganz der gegensätzlich Typ, er sei sich selber nicht so wichtig, die anderen seien für ihn wichtig. Er sei aber dennoch auf „humorvolle“ Weise mit der Zeugin klargekommen; der Angeklagte sagte zu seinem Verhältnis zu der Zeugin, er habe sich damals gedacht: „I can train a monkey!“ Eine weitere ärztliche Mitarbeiterin, die Zeugin O. charakterisierte der Angeklagte als „sehr diskrepantes Wesen“.
II.
100Die Feststellungen zu den Bezügen des Angeklagten beruhen auf den in der Hauptverhandlung verlesenen Gehaltsmitteilungen und Kontoauszügen sowie den Angäben, die der Angeklagte auf Befragen zu der sogenannten „Poolbeteiligung“ gemacht hat. Diese hat der Zeuge Prof. Dr. H. insoweit glaubhaft bestätigt.
101Die Feststellungen zu den allgemeinen neurologischen Untersuchungsmethoden mit der Stimmgabel beruhen auf den Angäben des Angeklagten, der den Einsatz der Stimmgabel in der Hauptverhandlung erläutert und mit einer mitgebrachten neurologischen Stimmgabel auch demonstriert hat. Dass die Stimmgabel im Regelfall auf Knochen aufgesetzt wird, haben in der Hauptverhandlung auch alle hierzu befragten sachverständigen Zeugen aus dem neurologischen Bereich bestätigt.
102Die Feststellungen zur Indikation neurologischer Untersuchungen an den Brüsten und im Genitalbereich beruhen auf dem in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. K. Dieser hat – insbesondere auf Grundlage der Richtlinien 7 der Europäischen Föderation Neurologischer Gesellschaften (EFNS), Projektgruppe für Neurosexologie, die der sachverständige Zeuge Prof. Dr. H. in der Hauptverhandlung überreicht hat – dargelegt, welche möglichen Ursachen es für sexuelle Funktionsstörungen geben kann. Eine Untersuchung der Sensibilität im Genitalbereich sei grundsätzlich indiziert, wenn ein Patient, über entsprechende Empfindungsstörungen klage. Vor der Untersuchung sei diese mit dem Patienten eingehend zu besprechen.
103Die Kammer hat keine Veranlassung, an der Richtigkeit dieser Ausführungen des Sachverständigen zu zweifeln. Der Sachverständige, der selber Neurologe und Psychiater ist, hat die EFNS-Richtlinie, die auch nach Angaben des Angeklagten sowie des sachverständigen Zeugen Prof. Dr. H. den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft in diesem Bereich wiedergibt, vollständig ausgewertet und in geraffter Form wiedergegeben. Es hat auch keiner der sachverständigen Zeugen aus dem Bereich der Neurologie bekundet, dass Untersuchung im Genitalbereich über das vom Sachverständigen dargelegte Maß hinaus indiziert oder in der Praxis etwa der Neurologischen Universitätsklinik in K. vorgekommen seien. Sämtliche sachverständige Zeugen aus dem neurologischen Bereich, die hierzu befragt worden sind, haben auch übereinstimmend bekundet, selber noch nie eine Sensibilitätsuntersuchung an den Genitalien durchgeführt zu haben. Soweit die sachverständigen Zeugen – wie etwa die Zeugin Prof. Dr. S. zunächst angegeben haben, Sensibilitätsuntersuchungen auch im „Intim- bzw. Genitalbereich“ seien durchaus üblich, sie würden sie auch selbst durchführen, haben sie dies auf Befragen dahin konkretisiert, dass es nicht um Untersuchungen an oder in den Genitalien selbst sondern beispielsweise am Schambein gehe. Andere sachverständige Zeugen – etwa der Zeuge Prof. Dr. R. haben gar eine Untersuchung der Genitalien nicht mehr als Teil der neurologischen Untersuchung bezeichnet; zu dieser gehöre – soweit hierfür ein konkreter Anlass bestehe – allenfalls eine Inspektion der Genitalien, insbesondere der Schleimhäute, wobei ein Körperkontakt nicht stattfinde.
104Soweit der Zeuge Prof. Dr. H. bei seinen beiden Vernehmungen in der Hauptverhandlung bekundet hat, er habe selber schon Untersuchungen mit der Stimmgabel im Genitalbereich von Patientinnen durchgeführt, ist diese Aussage nicht glaubhaft. Die Kammer ist vielmehr davon überzeugt, dass der Zeuge insoweit bewusst die Unwahrheit gesagt hat, um den Angeklagten zu schützen.
105Das Aussageverhalten des Zeugen zu dieser Frage ist von Widersprüchen geprägt und wechselhaft. Bei seiner Vernehmung bei der Staatsanwaltschaft K. hat der Zeuge – wie er selbst und die vernehmende Staatsanwältin; die Zeugin R. bestätigt haben – bekundet, er habe mit der Stimmgabel noch nie die Schamlippen einer Patientin berührt. Das vaginale Einführen der Stimmgabel sei neurologisch nicht indiziert. In seiner ersten Vernehmung in der Hauptverhandlung am 10. und 11.10.2002 hat er – nachdem er die o. g. EFNS-Richtlinien überreicht hatte – zunächst bekundet, dass „die Stimmgabel auch im Schambereich standardmäßig eingesetzt“ werde, sie werde auf den Schamlippen und an der Klitoris angesetzt. Er selbst habe dies in den letzten 10 Jahren wiederholt gemacht. Auf Vorhalt des staatsanwaltschaftlichen Vernehmungsprotokolls hat er dann zunächst behauptet, er habe sich an diese Fälle bei der Staatsanwaltschaft nicht erinnert. Die Lektüre der nach der Vernehmung erschienenen EFNS-Richtlinien habe seine Erinnerung aber wieder aufgefrischt. Auf weiteres Befragen hat er dies dann erneut korrigieren müssen: Er könne sich nur an einen konkreten Fäll erinnern; diese Untersuchung habe er erst nach Lektüre der Richtlinien durchgeführt. Im weiteren Verlauf der Vernehmung hat er seine Angaben weiter dahin eingeschränkt, dass die Stimmgabel nicht innerhalb der Vagina sondern nur an den äußeren Schamlippen angesetzt werde. In seinem Fall habe sich die Patientin für die Untersuchung auch gar nicht Vollständig entkleiden müssen; man könne die Stimmgabel nämlich auch über einem dünnen Gewebe, etwa einem Slip, ansetzen. Auf Befragen der Verteidigung am zweiten Tag seiner Vernehmung hat er dann aber wiederum behauptet, es habe doch mehr als einen Fall in den letzten zwei Jahren gegeben, er könne sich nur nicht mehr an die konkreten Patientinnen erinnern.
106Nachdem aufgrund der Beschlüsse der Kammer vom 12.11.2002 die Wohnräume des Angeklagten und des Zeugen Prof. Dr. H. durchsucht worden waren, hat die Kammer den Zeugen am 26.11.2002 erneut vernommen. In dieser Vernehmung hat der Zeuge nun wieder bekundet, er sei nicht in die Vagina eingedrungen, habe aber wiederholt an den äußeren Schamlippen mit der Stimmgabel untersucht. Das sei „doch das Problem bei diesem Protokoll der Staatsanwaltschaft.“ Auf erneuten Vorhalt, dass bei der Staatsanwaltschaft aber protokolliert worden sei, er habe noch nie die Schamlippen mit der Stimmgabel berührt, hat er wiederum bekundet, er habe es seit der Lektüre der EFNS-Richtlinien gelegentlich gemacht. Auf Vorhalt, dass er in seiner ersten Vernehmung in der Hauptverhandlung zunächst bekundet habe, er habe solche Untersuchungen in den letzten 10 Jahren – also auch vor der Vernehmung bei der Staatsanwaltschaft – wiederholt durchgeführt, musste der Zeuge sich erneut korrigieren. Er habe sich bei der Staatsanwaltschaft zunächst nicht erinnert. Nach Lektüre der EFNS-Richtlinien habe er sich wieder an die Untersuchungen vor der Vernehmung bei der Staatsanwaltschaft erinnert und dann auch wieder Untersuchungen mit der Stimmgabel an den Schamlippen von Patientinnen durchgeführt. In der Vagina oder ah der Klitoris habe er die Stimmgabel aber noch nie eingesetzt. Auf erneute Nachfrage musste der Zeuge dann wiederum einräumen, sich an keinen einzigen Fall aus der Zeit vor der Vernehmung bei der Staatsanwaltschaft erinnern zu können. Er könne sich aber an Fälle in den letzten zwei Jahren erinnern.
107Lässt bereits dieses Aussageverhalten des Zeugen Prof. Dr. H. erhebliche Zweifel daran aufkommen, dass seine Angaben der Wahrheit entsprechen, spricht auch das persönliche Verhältnis des Zeugen zum Angeklagten dafür, dass der Zeuge den Angeklagten schützen wollte und deshalb die Unwahrheit gesagt hat. Der Zeuge Prof. Dr. H. und der Angeklagte sind durch langjährige gemeinsame berufliche Tätigkeit verbünden, zunächst ab 1978 in der Neurologischen Klinik des Städtischen Krankenhauses K.-M. und am angegliederten …-Institut für Hirnforschung, ab 1985 dann in der neurologischen Universitätsklinik. Der Angeklagte gehörte seinerzeit zu dem Mitarbeiterstab, dessen Übernahme im Bereich der Uni-Klinik Voraussetzung für den Wechsel des Zeugen Prof. Dr. H. nach dort gewesen war. Von 1986 bis 1996 hatte der Angeklagte im Wohnhaus des Zeugen Prof. Dr. H. in der O. in K. eine Einliegerwohnung angemietet, weil er häufig länge arbeitete und nicht in seine eigentliche Wohnung nach S. fahren wollte. Die Wohnung in der O. war während dieser Zeit der Hauptwohnsitz des Angeklagten, wenn auch nach seinen Angaben aus steuerlichen Gründen.
108Das Bestehen dieser Wohnung haben der Zeuge Prof. Dr. H. und auch der Angeklagte dem. Gericht zunächst verschwiegen. Auf Befragen zum persönlichen Verhältnis zum Angeklagten hat der Zeuge in seiner ersten Vernehmung lediglich die berufliche Zusammenarbeit geschildert und bekundet, es gebe kein näheres Freundschaftsverhältnis zum Angeklagten, man sehe sich gelegentlich bei gesellschaftlichen Anlässen, habe aber ansonsten ein rein berufliches Verhältnis, Nachdem der Angeklagte zunächst auf Vorhalt der Ergebnisse einer Anfrage beim Einwohnermeldeamt eingeräumt hatte, die vorgenannte Wohnung fünf Jahre lang angemietet zu haben, musste er schließlich auf Vorhalt, dass er aber 10 Jahre lang dort gemeldet war, zugeben, dass die Wohnung auch 10 Jahre lang bestanden habe. Dass die erste Angabe auf einem Missverständnis beruht haben soll – er habe gemeint, er sei vor fünf Jahren ausgezogen –, ist nicht nachvollziehbar. Zum einen lag der Auszug zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits sechs Jahre zurück, zum anderen hat der Angeklagte von sich aus auf die Frage, wie es komme, dass er und der Zeuge Prof. Dr. H. einmal die gleiche Adresse gehabt hätten, bekundet, er habe „für einen Zeitraum von etwa fünf Jahren“ im Haus des Zeugen gewöhnt. Dass der – sonst immer auf Präzision bedachte – Angeklagte mit diesen eindeutigen Worten etwas anderes gemeint haben soll, kann nicht angenommen werden.
109In seiner zweiten Vernehmung hat der Zeuge Prof. Dr. M. den wahren Sachverhalt hinsichtlich der Wohnverhältnisse dann ebenfalls eingeräumt. Seine Erklärung, er habe gedacht, dieser sei aktenkundig und deshalb nicht der Erwähnung wert gewesen, ist konstruiert. Dass der Umstand, dass er und der Angeklagte eine lange Zeit im selben Haus gewohnt haben, für die Frage nach seinem Verhältnis zum Angeklagten von Bedeutung ist, liegt auf der Hand. Dem Zeugen war aufgrund der gesamten Vernehmung auch bewusst, dass er auch zu Umständen aussagen musste, die bereits aktenkundig waren.
110Die Kammer ist jedenfalls davon überzeugt, dass das Verhältnis zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen Prof. Dr. H. über das reine Verhältnis zwischen Chefarzt und Oberarzt bzw. Vermieter und Mieter hinaus ging. Der Angeklagte und der Zeuge Prof. Dr. H. waren zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung seit fast 15 Jahren beruflich miteinander verbunden. Der Angeklagte hat fast seinen gesamten beruflichen und wissenschaftlichen Aufstieg zum Oberarzt und Professor unter dem Zeugen Prof. Dr. H. absolviert. Beide lebten lange Zeit im selben Haus und haben sich, wie der Zeuge Prof. Dr. H. eingeräumt hat, bisweilen auch privat, wenn auch eher zufällig, getroffen. Für ein gewisses persönliches Verhältnis spricht auch dass der Angeklagte auch bei privaten Festen des Zeugen Prof. Dr. H. eingeladen war, so auf der Feier zum 10-jährigen Jahrestag in K. des aus Ö. stammenden Zeugen. Fotos von dieser Feier, auf denen auch der Angeklagte abgebildet ist, waren im Rahmen der Durchsuchung der Wohnung des Zeugen sichergestellt worden, woraufhin der Angeklagte zunächst behauptet hat, es habe sich um die Feier zum 10-jährigen Bestehen des PET-Labors gehandelt, also um eine Feier mit beruflichem Anlass. Erst die erneute Vernehmung des Zeugen Prof. Dr. H. brachte insoweit die Wahrheit ans Licht.
111Über dieses persönliche Verhältnis hinaus hatte der Zeuge Prof. Dr. H. auch aus persönlichen Gründen Anlass, den Angeklagten zu schützen. Denn er musste befürchten, dass eine Verurteilung des Angeklagten dem ohnehin aufgrund der Presseberichterstattung angeschlagenen Ruf seiner Klinik und auch seiner eigenen Reputation weiter schaden würde. Diese Befürchtung des Zeugen ergibt sich auch aus den bei der Durchsuchung seiner Wohnräume aufgefundenen und in der Hauptverhandlung verlesenen Schreiben der von ihm beauftragten Rechtsanwälte Dr. N. aus B. vom 02.05. und 25.09.2001 an den Leitenden Oberstaatsanwalt in Köln, die mit dem Vermerk „Persönlich/Vertraulich“ versehen sind. In dem erstgenannten Schreiben heißt es u. a.:
„(…) Unser Mandant befürchtet durch möglicherweise auf Erklärungen Ihrer Behörde zurückgehende Presseveröffentlichungen erhebliche negative Auswirkungen für die Klinik.“
112In dem zweiten Sehreiben vom 25.09.2001 wird dann betont, dass nach Auffassung des Zeugen Prof. Dr. H. die Einholung weiterer Sachverständigengutachten – über die zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. K. und Prof. Dr. S. hinaus – erforderlich sei. Es werden auch zwei Sachverständige vorgeschlagen.
113Auch in anderen Punkten hat der Zeuge es mit der Wahrheit nicht so genau genommen. So hat er bei seiner ersten Vernehmung bekundet, sein Kontakt zur Verteidigung habe sich auf Gespräche mit dem ersten Verteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt C. und auch mit der jetzigen Verteidigerin beschränkt; letztere habe ihn nach Sachverständigen gefragt. Bei seiner zweiten Vernehmung hat er auf ausdrückliche Frage von Rechtsanwältin F. bekundet, die Verteidigungsstrategie des Angeklagten sei ihm nicht bekannt: Auf den Vorhalt, dass bei der Durchsuchung der Wohnräume des Zeugen Durchschriften der an Staatsanwaltschaft und Gericht gerichteten Schriftsätze von Rechtsanwalt C. aufgefunden worden seien, aus denen sich die Verteidigungsstrategie ergebe, musste der Zeuge dies einräumen. Seine Erklärung, er habe die Frage falsch verstanden, damals habe er selbstverständlich die Verteidigungsstrategie gekannt, die Frage habe er ausschließlich auf die Strategie der jetzigen Verteidiger bezogen, verfängt nicht. Die Frage war ersichtlich allgemein gehalten, eine Einschränkung auf die aktuelle Strategie war nicht erkennbar.
114Massiv gelogen hat der Zeuge Prof. Dr. K. was seine Information über die Vorgänge ab dem 23.06.2003 angeht. In seiner ersten Vernehmung in der Hauptverhandlung hat er bekundet, erstmals am 28.06.2000 durch die Zeugin Dr. M. von den Vorwürfen gegen den Angeklagten erfahren zu haben. Tatsächlich war es – wie oben unter B. 11. 6. festgestellt – so, dass er bereits am 23.06.2000 durch den Zeugen Prof. Dr. G. informiert worden ist, worauf er mit den unter B. II, 6. zitierten Worten reagiert hat. Dies hat der Zeuge Prof. Dr. H. auch dann noch weiter bestritten, nachdem im Rahmen der Durchsuchung seiner Wohnräume ein Ausdruck des Gedächtnisprotokolls des Zeugen Prof. Dr. G. aufgefunden worden war; in diesem hatte der Zeuge Prof. Dr. H. unter dem 23.06. den Satz, „Am Nachmittag habe ich Prof. H. über diese Vorgänge informiert.“ gestrichen. Das Gedächtnisprotokoll ist in der. Hauptverhandlung mit und ohne Streichungen verlesen worden. Die Existenz dieses Gedächtnisprotokolls hätte der Zeuge Prof. Dr. H.- wie auch der Zeuge Prof. Dr. G. bei seiner ersten Vernehmung verschwiegen. Er hat dann bei seiner zweiten Vernehmung zunächst immer wieder bestritten, am 23.06.2000 informiert worden zu sein. Erst auf zahlreiche Nachfragen und Vorhalte hat er eingeräumt, dass es sein könne, dass der Zeuge Prof. Dr. G. auf etwas hingewiesen habe, was er nicht hinreichend ernst genommen habe. Letzteres ist schon angesichts des Gewichts des Vorwurfs sexueller Übergriffe durch einen Oberarzt gegenüber Patientinnen nicht glaubhaft. So hat der Zeuge Prof. Dr. H. auch selbst in der Vernehmung vom 10.10.2002 sein Bedauern darüber geäußert, nicht früher informiert worden zu sein, damit er früher hätte eingreifen können.
115Glaubhaft sind dagegen die Bekundungen des Zeugen Prof. Dr. G. zu der Information des Zeugen Prof. Dr. H. am 23.06.2000. Auch der Zeuge Prof. Dr. G. hat dieses Gespräch ebenso wie die Existenz seines Gedächtnisprotokolls bei seiner ersten Vernehmung in der Hauptverhandlung am 08.10.2002 verschwiegen; die Existenz eines Gedächtnisprotokolls hat er in dieser Vernehmung sogar im ersten Satz seiner Aussage zur Sache verneint („Ich möchte zunächst sagen, dass ich mich nicht an Details erinnern kann, ich habe mir nämlich keine Aufzeichnungen gemacht.“), und dies, obgleich er, wie er bei, seiner zweiten Vernehmung eingeräumt hat, noch über ein Exemplar des Gedächtnisprotokolls verfügte. Schon während dieser ersten Vernehmung drängte sich der Eindruck auf, dass der Zeuge ausweichend antwortete und Erinnerungslücken vorschützte. Der Zeuge hat dann aber bei seiner zweiten Vernehmung, nachdem sein Gedächtnisprotokoll beim Zeugen Prof. Dr. H. aufgefunden worden war, den Ablauf der Ereignisse, auch die Reaktion des Zeugen Prof. Dr. H.| so geschildert, wie unter B. II. 6. festgestellt. Die Kammer hat keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Aussage. Dem Zeugen war bei seiner zweiten Vernehmung sichtlich daran gelegen, zu einer umfassenden Aufklärung der Vorgänge beizutragen und alle Fragen von Gericht und Staatsanwaltschaft erschöpfend zu beantworten, wobei er bezüglich der Gründe für sein Aussageverhalten bei seiner ersten Vernehmung, insbesondere der Frage, ob er vor dieser Vernehmung Kontakt mit dem Angeklagten oder dem Zeugen Prof. Dr. H. hatte, berechtigterweise von seinem Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO Gebrauch gemacht hat. Seine Bekundungen entsprechen dem in seinem Gedächtnisprotokoll bereits am 06.07.2000, also sehr zeitnah, festgehaltenen Ablauf der Ereignisse. Ein Grund dafür, dass der Zeuge in dieses Protokoll Ereignisse aufgenommen haben könnte, die nicht stattgefunden haben, ist nicht ersichtlich. Die Reaktion des Zeugen Prof. Dr. H. mit den Worten „Das kann doch nicht sein, spielt der denn total verrückt?“ ist dort zwar nicht festgehalten; es ist aber nachvollziehbar, dass der Zeuge diese deutlichen Worte auch so in Erinnerung behalten hat.
116Gleiches gilt auch für. die Information des Zeugen Prof. Dr. H. über das Gespräch in großer Runde am 29.06.2000. Auch insoweit hat der Zeuge Prof. Dr. G. glaubhaft und in Übereinstimmung mit seinem Gedächtnisprotokoll bekundet, den Zeugen Prof. Dr. H. vor und nach dem Gespräch umfassend informiert zu haben, was dieser wahrheitswidrig bestritten hat.
117Dass der Zeuge Prof. Dr. H. sich an diese Informationen durch den Zeugen Prof. Dr. G. lediglich nicht mehr erinnert, schließt die Kammer aus. Gedächtnisprobleme hatte der Zeuge offenkundig picht. So konnte er sich noch sehr genau erinnern, an welchem Tag er im Januar 2000 aus den Weihnachtsferien zurückgekehrt war. Dass der Zeuge sich dann an derart bedeutsame Informationen im Zusammenhang mit den sicherlich nicht alltäglichen Ereignissen im Juni 2000 nicht erinnern will, ist eine Ausrede. Gerade bei der Erstinformation am 23.06.2000, die den Zeugen, wie seine Reaktion zeigt, sichtlich erschütterte, handelt es sich um ein gedächtnisprägendes Ereignis.
118Für die Richtigkeit der Angäben des Zeugen Prof. Dr. H. spricht im Übrigen nicht, dass er seine erste Aussage in der Hauptverhandlung beeidet hat.
III.
119Die Feststellungen zu den Ereignissen vor der stationären Aufnahme der Nebenklägerin G. beruhen auf der Einlassung des Angeklagten, soweit ihr gefolgt werden konnte, sowie den Aussagen der Zeugen Prof. Dr. G., M., H., P., S., T., W. und Dr. M.
120Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, immer ein enges, von Hilfsbereitschaft geprägtes Verhältnis zu den Krankenschwestern gehabt zu haben. Er sei auch außerdienstlich – wie z. B. im Fall der Zeugin M. die er wie unter B. I. festgestellt unterstützt habe – in medizinischen und persönlichen Fragen Ansprechpartner für sie gewesen. Aus diesem Grund sei seitens des Pflegepersonals von ihm erwartet worden, dass er sich um die psychisch erkrankte Schwester P. kümmere. Als diese ihn dann – offensichtlich während eines akuten psychotischen Schubes – aus der K. Innenstadt angerufen habe, sei er mit der Zeugin P. losgefahren und habe dafür gesorgt, dass Frau P. in der Klinik A. Straße aufgenommen worden sei. Nachdem diese nach zwei Tagen auf die offene Station verlegt worden sei, habe sie sich dann bei ihrem ersten unbegleiteten Ausgang nach zwei Wochen die Pulsadern aufgeschnitten. Seitdem sei ihm seitens der Schwestern vorgeworfen worden, er habe den Ärzten in der Klinik A. Straße „auf die Finger sehen müssen.“ Er sei „sozusagen die Galionsfigur der Medizin für die Schwestern“ gewesen, ihm sei das alles angehängt worden. Das sei dann auch die „schicksalhafte Basis“ dafür gewesen, dass die Schwestern die späteren Anschuldigungen geglaubt hätten.
121Diese Einlassung haben, was das Verhältnis zu den Schwestern vor den beiden Todesfällen angeht, die Zeuginnen M. und P. bestätigt, die Krankenschwestern auf Station 1 sind. Auch der Zeuge Prof. Dr. G. hat dies bestätigt und bekundet, der Angeklagte sei der „Platzhirsch“ gewesen. Was die Unterstützung der Zeugin M. betrifft, hat diese auch die unter B. I. festgestellten Hilfeleistungen des .Angeklagten geschildert. Die Angaben des Angeklagten zu den Ereignissen um die verstorbene Schwester … P. haben die Zeugin P. und die Zeugin W. die seinerzeit Assistenzärztin auf Station 1 war, bestätigt. Auch die Zeugin T. die Pflegedienstdirektorin der Uni-Klinik in K. ist, hat bekundet, man habe ihr gesägt, dass der Angeklagte sich sehr um die verstorbenen Schwestern gekümmert habe. Es besteht insoweit keine Veranlassung, an der Richtigkeit der Einlassung des Angeklagten zu zweifeln.
122Die Kammer glaubt dem Angeklagten auch, dass er den Eindruck gehabt hat, ihm werde seitens der Schwestern vorgeworfen, dass er sich für Schwester P. nicht genügend eingesetzt habe. Zwar haben alle in der Hauptverhandlung als Zeuginnen gehörten Krankenschwestern – also die Zeuginnen M., P., S. und H. – glaubhaft bekundet, dies sei keineswegs der Fall gewesen. Auch die Zeuginnen T. und W. die 1999 Assistenzärztin auf Station 1 war, haben angegeben Schuldzuweisungen gegenüber dem Angeklagten habe es nicht gegeben. Laut der Zeugin Dr. M. waren die Schwestern sogar voll des Lobes über den persönlichen Einsatz des Angeklagten. Andererseits haben die als Zeuginnen vernommenen Krankenschwestern auch bekundet, die Stimmung auf Station 1 habe sich nach den Todesfällen verschlechtert. So hat die Zeugin W. bekundet – ohne dass sie dies hätte konkretisieren können –, dass das Engagement des Angeklagten durchaus zwiespältig bewertet worden sei. Auch die Zeugin S. hat – ebenfalls ohne dies konkretisieren zu können – bekundet, einige hätten den Eindruck gehabt, der Angeklagte habe sich zu sehr um die Schwester gekümmert, ohne das allerdings in Zusammenhang mit dem Selbstmord zu bringen. Zudem war es, wie die Zeugin P. glaubhaft bekundet hat, so, dass die erhöhte Fürsorge des Angeklagten gegenüber dem Pflegepersonal – wie unter B. I. festgestellt – einigen Krankenschwestern zu weit ging. Insgesamt erscheint es daher durchaus nachvollziehbar, dass der Angeklagte den Eindruck gewonnen hat, ihm würden im Zusammenhang mit dem Tod der beiden Krankenschwestern Vorwürfe gemacht.
123Soweit der Angeklagte sich allerdings weiter dahin eingelassen hat, die Zeugin M. habe ein sexuelles Verhältnis zu ihm haben wollen und ihm kurz vor der Aufnahme der Nebenklägerin G. auch offen Avancen gemacht, ist die Kammer davon überzeugt, dass die Einlassung unrichtig ist.
124Der Angeklagte hat insoweit zunächst angegeben, es habe im Zusammenhang mit den Vorwürfen wegen der verstorbenen Schwestern eine direkte Aktion seitens einer Krankenschwester gegeben, der er geholfen habe. Es sei zu einer „Überreaktion“ der Schwester gekommen und dann zu einer Zurückweisung durch ihn. Diese Schwester habe dann gezielt Kontakt zu Patientinnen aufgenommen; in allen Fällen, in denen diese Schwester direkt nach seiner Behandlung bei den Patientinnen gewesen, sei, hätten die Patientinnen den Vorwurf erhoben, er habe bei ihnen den Finger vaginal eingeführt. Auf Befragen hat der Angeklagte dann angegeben, dass es sich hierbei um die Zeugin M. handele. Sie habe ihn eines Abends drei bis vier Tage vor der Aufnahme der Nebenklägerin G. in seinem Arbeitszimmer im Pestalozzi-Trakt aufgesucht und habe ihm „Avancen“ gemacht, die er deutlich zurückgewiesen habe.
125Die Kammer ist davon überzeugt, dass es sich bei dieser Einlassung um den Versuch handelt die Zeugin M. als „Spinne im Netz“ aufzubauen, auf deren Beeinflussung die verfahrensgegenständlichen Vorwürfe zurückzuführen seien, Hierfür spricht bereits der Zeitpunkt, zu dem diese Einlassung erstmals erfolgte. Denn obwohl die Verteidigung bereits in ihren Schriftsätzen im Zwischenverfahren – von denen der Angeklagte in der Hauptverhandlung auf konkreten Vorhalt bestätigt hat, dass sie seine Einlassung gewesen seilen – umfangreiche Ausführungen auch zur Frage der Entstehung der Aussagen der Nebenklägerinnen gemacht hat, wobei auch die Rolle der Zeugin M. thematisiert wurde, erfolgte die Einlassung, die Zeugin M. habe dem Angeklagten Avancen gemacht, erstmals am zweiten Tag der Hauptverhandlung. Es war zudem so, dass der Angeklagte, nachdem er zunächst Einlassungen bezüglich der Nebenklägerinnen G., R. W. N. und P. verlesen hatte, die Fortsetzung seiner Einlassung nach dem Willen der Verteidigung eigentlich auf den Folgetag verschieben wollte, weil die schriftliche Ausarbeitung betreffend den Fall O. noch nicht fertig gestellt war. Erst auf Nachfrage der Kammer fand er sich bereit, schon an diesem Tag – wie es seitens der Kammer von Anfang an vorgesehen gewesen war – Fragen zu beantworten und machte unter anderem die vorzitierten Äußerungen. Die Erklärung der Verteidigung, dies sei nicht vorher vorgetragen worden, weil man sich nur mit der Entstehung der Aussagen der Nebenklägerinnen befasst habe, nicht aber mit den Motiven für eine bewusste Suggestion seitens der Zeugin M. verfängt nicht. Gerade im Zusammenhang mit der Frage, ob eine Suggestion durch die Zeugin erfolgt ist, ist doch die Frage von entscheidender Bedeutung, ob diese denn ein Motiv für eine solche Suggestion hatte.
126Weiter fällt auf, dass der Angeklagte nicht bereit war, die Art der „Avancen“ näher zu beschreiben. Er wolle ihre Worte nicht wörtlich zitieren. Dass er dies aus reiner Höflichkeit nicht getan hat, ist nicht anzunehmen. Der Angeklagte hat nämlich im Verlauf des Verfahrens mehr als einmal unter Beweis gestellt, dass höfliche Zurückhaltung keineswegs seine Art ist, so wenn er über die Nebenklägerin O. geäußert hat, diese habe „gegrinst wie ein Honigkuchenpferd“, oder über die Nebenklägerin N. diese habe ihn „glupschäugig“ angesehen. Die Annahme, dass ein Angeklagter, der sich in dieser Art und Weise über ehemalige Patientinnen äußert, bezüglich einer Krankenschwester, die die Ursache für schwerwiegende Falschbeschuldigungen gegen ihn gesetzt haben soll, Zurückhaltung geübt haben soll, erscheint lebensfremd.
127Gegen die Angaben des Angeklagten spricht auch, dass dieser die angeblichen Avancen der Zeugin M.| und deren Reaktion auf seine Ablehnung auch Dritten gegenüber so gut wie nie als mögliche Erklärung für die gegen ihn erhobenen Vorwürfe vorgebracht hat. So hat er gegenüber seinen ärztlichen Mitarbeitern, den Zeugen Dr. S. und Dr. M. die psychische Befindlichkeit der Nebenklägerin O. und seine in die Tiefe gehende Exploration als Grund für die Vorwürfe angegeben. Auch dem Zeugen Prof. Dr. H. gegenüber hat er die angeblichen Avancen der Zeugin M. nicht erwähnt. Lediglich der Zeuge S. konnte sich erinnern, dass der Angeklagte ihm gegenüber auf die Frage nach möglichen Ursachen für die Vorwürfe angegeben habe, eine Krankenschwester habe ein Verhältnis mit ihm haben wollen, was er abgelehnt habe. Es könne sein, dass die Schwester Rachegefühle habe. Auch diesem Zeugen gegenüber hat der Angeklagte aber weder den Namen der Zeugin M. erwähnt, noch Art oder Zeitpunkt der „Avancen“ konkretisiert.
128Glaubhaft ist dagegen die Aussäge der Zeugin M. die auch auf mehrfaches Befragen vehement („Nein! Nie im Leben!“) bestritten hat, ein sexuelles Verhältnis zum Angeklagten angestrebt zu haben. Angesichts des aufgelösten und deutlich verängstigten Zustands der Zeugin in der Hauptverhandlung – die Vernehmung musste mehrfach unterbrochen werden, weil die Zeugin so sehr weinte – ist nicht zu erwarten, dass diese eine bewusste Lüge unter dem Druck der intensiven Befragung durch den Vorsitzenden aufrechterhalten hätte. Für die Glaubwürdigkeit der Zeugin und die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage spricht dagegen, dass sie sich in einem deutlichen emotionalen Zwiespalt befand, weil sie einerseits den Angeklagten als Arzt schätzte und ihm für seine Unterstützung bei ihren privaten ausländerrechtlichen und medizinischen Problemen dankbar war, sich aber andererseits seitens mehrerer Patientinnen mit Vorwürfen gegen den Angeklagten konfrontiert sah und ihn dann selbst mit ihren Aussagen bei Polizei und Gericht belastete. Die Zeugin hat dies mit den Worten zum Ausdruck gebracht: „Ich verdanke diesem Mann doch alles. Eine Hälfte von mir sagt: Wie kannst du gegen ihn aussagen?“ Es waren auch keine überschießenden Belastungstendenzen der Zeugin erkennbar. So hat sie beispielsweise verneint, dass die Nebenklägerin O. ihr etwas von einer vaginalen Untersuchung erzählt habe. Dabei ist sie auch auf Vorhalt des Protokolls der staatsanwaltschaftlichen Vernehmung der Nebenklägerin, nach dem das Gegenteil der Fall sein soll, und nach mehreren Nachfragen geblieben.
129Gestützt wird diese Aussage der Zeugin M. zudem durch die Bekundungen der Zeuginnen P., S. und H. Alle drei, die als Krankenschwestern-Kolleginnen einen engeren Kontakt zur Zeugin M. hatten, haben bekundet, nie etwas von Annäherungsversuchen der Zeugin M. oder sonst einer Krankenschwester – gegenüber dem Angeklagten mitbekommen zu haben. Die Zeuginnen S. und H. fanden die entsprechende Frage des Vorsitzenden sogar derart erheiternd, dass sie trotz ihrer sichtlichen Anspannung aufgrund der Vernehmungssituation laut lachen mussten. Auch den Zeuginnen Dr. T. und W. aus dem Bereich der Assistenzärztinnen sind keine Annäherungsversuche der Zeugin M. aufgefallen. Diese sei zwar hübsch und auf ihr Äußeres bedacht, dies sei aber vor ihrem sozialen und kulturellen Hintergrund nicht auffällig.
IV.
130Der Angeklagte hat sich zu den einzelnen angeklagten Fällen umfassend eingelassen. Er hat jeweils den äußeren Ablauf der Untersuchungen bzw. Therapiesitzungen grundsätzlich in Übereinstimmung mit den Angaben der Nebenklägerinnen geschildert, aber bestritten, hierbei die ihm vorgeworfenen sexuellen Handlungen begangen zu haben. Er hat sich weiter dahin eingelassen, dass die Nebenklägerinnen sämtlich aufgrund ihrer neurologischen und psychischen Erkrankungen nur eingeschränkt zeugentüchtig seien. Hieraus resultierten Fehlwahrnehmungen bei der Untersuchung bzw. Fehlerinnerungen an diese. Zudem seien die Nebenklägerinnen durch Dritte – bewusst oder unbewusst – suggestiv beeinflusst worden, wobei insbesondere die Zeugin M. bewusst Einfluss auf die Nebenklägerinnen G. N. P. und O. ausgeübt habe, um ihm zu schaden.
131Soweit seine Einlassungen den getroffenen Feststellungen widersprechen, sind sie jedoch durch das Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere die Aussagen der Nebenklägerinnen und die Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. K. und Prof. Dr. S. widerlegt. Im Einzelnen:
1321. Zum Fall G. (B.II.1.) hat der Angeklagte folgende Einlassung verlesen:
„Zum Zeitpunkt ihres zweiten stationären Aufenthalts in der Klinik für Neurologie der Universität zu K. im November 1999 bestand nach meiner diagnostischen Einschätzung bei Frau G. ein schweres und komplexes Krankheitsbild mit akuter, ausgedehnter Entzündung des Gehirns, des Rückenmarks und der Sehnerven, mit Selbstmordgefährdung bei Depression, einer zusätzlichen psychosomatischen Störung der Harnblasen- und Genitalfunktion sowie einer kombinierten Persönlichkeitsstörung. Organisch handelte es sich um einen akuten Krankheitsschub im Rahmen einer seit 1996 Beschwerden verursachenden und mittlerweile weit fortgeschrittenen Multiplen Sklerose. Der bisherige Verlauf dieser Krankheit war gekennzeichnet sowohl durch ein allmähliches Fortschreiten der Symptome als auch durch schubförmige Verschlechterungen mit jeweils nur geringer Rückbildungsneigung der neurologischen Ausfälle, was zusammen mit dem Krankheitsbeginn im jungen Erwachsenenalter eine sehr ungünstige Prognose anzeigte. Voruntersucher hatten sogar nach den Beschreibungen der Patientin überhaupt keine Krankheitsschübe ausmachen können und daher auf eine kaum therapierbare, gleichmäßig fortschreitende Verlaufsform geschlossen: Erstmals gestellt wurde die Diagnose einer Multiplen Sklerose anlässlich eines nur viertägigen stationären Aufenthalts in unserer Klinik im Juni 1998, während dessen Frau G. auf Station V von der hier als Zeugin geladenen psychiatrischen Rotationsassistentin Frau Dr. R. während ihres neurologischen Pflichtjahres betreut wurde. Offenbar war es Frau Dr. R. nicht gelungen, die Patientin von der Zweckmäßigkeit einer umfassenden Diagnostik und einer aussichtsreichen Therapie zu überzeugen, so dass nur die dringlichsten Befunde erhoben wurden.
Schon im März 1998 waren Konzentrations- und Gedächtnisschwäche, Müdigkeit und Koordinationsstörungen der Anlass, bei Frau G. eine Kernspintomografie des Kopfes anzufertigen, wobei sich viele Läsionen im Großhirn und Hirnstamm zeigten. Ebenso wurde bei der Aufnahmeuntersuchung während des ersten Klinikaufenthalts im Juni 1998 von den beiden untersuchenden Studenten im Praktischen Jahr T. und I. eine Reihe von Auffälligkeiten bei der Patientin festgehalten, nämlich Müdigkeit, allgemeines Schwächegefühl, eine Minderung des Konzentrationsvermögens, Gedächtnisstörungen, eine Verlangsamung der Denkabläufe, Wortfindungsstörungen, eine depressive Verstimmung, Blasenentleerungsstörungen mit verzögertem Beginn des Wasserlassens und unwillkürlichem Harnabgang. All diese Störungen wurden – zusammen mit Schwindel, Gangunsicherheit mit Fallneigung, Sehstörungen, Gefühls- und Schreibstörungen der rechten Hand, Gefühlsstörungen im Gesicht und krankhaft veränderten Reflexen – in Verbindung mit den Befunden der zuvor ambulant durchgeführten Kernspintomografie des Kopfes, den Ergebnissen einer Untersuchung des Nervenwassers und der Leitfähigkeit der Sehnerven unter der. Diagnose einer Multiplen Sklerose zusammengefasst. Im Einzelnen wurde ihnen jedoch nicht nachgegangen. Eine aussagefähige biografische und Sozialanamnese wurde nicht erhoben.
Die stationäre Aufnahme von Frau auf der unter meiner Aufsicht stehenden Station 1 der Klinik für Neurologie der Universität zu K. am 16.11.1999 erfolgte auf Veranlassung unserer Poliklinik. Dort hatte sich die Patientin am Vortag wegen einer seit acht Tagen bestehenden schubförmigen Verschlechterung des Sehvermögens auf beiden. Augen im Sinne einer fast völligen funktionellen Blindheit auf Überweisung von der Augenklinik vorgestellt, nachdem sich schon drei Monate zuvor eine bleibende Verschlechterung ihrer Gehfähigkeit entwickelt hatte. Wie schon 1998 hatte Frau G. auch jetzt in unserer Poliklinik als einzigen Hinweis auf eine klinisch bedeutsame Blasen-Mastdarm-Störung plötzlichen Harndrang und unwillkürlichen Harnabgang angegeben. Derartige Blasenstörungen, enthemmte Reflexblase genannt, kommen häufig im Frühstadium einer Multiplen Sklerose vor, aber unter anderem auch bei Demenzen und im Rahmen psychosomatischer Krankheitsbilder. Grundsätzlich ist es insbesondere bei weiblichen Patienten mit einer Multiplen Sklerose wichtig, Blasen-Mastdarm-Störungen frühzeitig zu erfassen, weil bei ihnen durch Blasenentleerungsstörungen das Auftreten wiederholter Harnwegsinfekte begünstigt wird und gerade solche bakteriellen Blasenentzündungen die häufigsten Auslöser eines erneuten Schubes der Multiplen Sklerose darstellen.
Die Aufnahmeuntersuchung am 16.11.1999 wurde von Frau Dr. T. einer erst seit 21 Tagen in der Klinik für Neurologie tätigen psychiatrischen Rotationsassistentin vorgenommen. Dabei berichtete Frau G. unter anderem nicht nur von Harn-, sondern auch von Stuhldrang und unvollständiger Blasenentleerung. Frau Dr. T. stellte einige orientierende Fragen zur gynäkologischen, Familien- und Sozialvorgeschichte, wobei die Patientin ihr unter anderem von vier Abtreibungen, ihrer Arbeitslosigkeit seit April 1996, ihrer homöopathischen Weiterbildung, für die sie jetzt eigentlich die; Prüfung habe ablegen wollen, und ihrem guten Verhältnis zu ihren geschiedenen Eltern erzählte; ferner, dass sich ihr Freund nicht um sie kümmere. Zwar sei sie auf Anraten der Augenklinik zu einer kurzen Kortisonbehandlung bereit, obwohl sie so etwas eigentlich grundsätzlich ablehne; eine Punktion zur Nervenwasserentnahme wolle sie aber nicht durchführen lassen. Bis auf die Feststellung deutlicher Konzentrationsstörungen verzichtete Frau Dr. T. auf die Erhebung eines aussagefähigen psychischen Befundes. Der körperliche Befund wurde von ihr nur unvollständig erhoben. Bis auf die Feststellung eines auf 5/8 geminderten Vibrationsempfindens an den Unterschenkeln fehlte insbesondere eine eingehendere Sensibilitätsprüfung, die bei Multipler Sklerose einen hohen diagnostischen Stellenwert hat, es gab keine Befunde zur Blasen-Mastdarm-Funktion, und bezüglich einiger der ansonsten von ihr erhobenen Befunde war sich Frau Dr. T. unsicher.
Bei meiner Abnahmeuntersuchung in Gegenwart von Frau Dr. T. Frau Dr. K., Herrn Dr. T. und dem Studenten im Praktischen Jahr W. am Nachmittag des Aufnahmetages berichtete mir Frau G. auf gezieltes Befragen, dass sie sich von ihrem langjährigen Freund getrennt und kaum noch Kontakt zu ihren Eltern habe. Zwar sei sie bislang auch allein zurechtgekommen, nur wisse sie nicht, wie sie das jetzt nach der erneuten Verschlechterung ihres Gesundheitszustands schaffen solle. Deshalb wünsche sie auch dringend eine Psychotherapie. Abweichend von ihren bisherigen Schilderungen gab sie mir an körperlichen Symptomen ein Ganzkörpertaubheitsgefühl mit völligem Verlust des Gefühls im Genitalbereich an; ferner, dass sie nur durch Druck mit den Händen auf den Bauch eine Entleerung von Blase und Mästdarm herbeiführen: könne. Blasen-Mastdarm-Störungen dieser Art mit unvollständiger Entleerung, auch autonome neurogene oder sensible Lähmung genannt, kommen bei einer Multiplen Sklerose vor allem in fortgeschrittenen Krankheitsstadien vor, wenn im Rückenmark entsprechende Zentren zur Entleerungssteuerung geschädigt sind, und bestehen dann nicht gleichzeitig mit Stuhl- und Harndrang.
Im Rahmen einer kurzen orientierenden allgemeinmedizinisch-neurologischen Untersuchung stellte ich neben einem ausgeprägten hirnorganischen Psychosyndrom eine fast vollständige funktionelle Erblindung auf beiden Augen, Störungen der koordinierten Augenbewegung, Reflexabnormitäten im Sinne spastischer Zeichen an. allen Extremitäten sowie erhebliche Koordinationsstörungen an Rumpf, Armen und Beinen fest mit starkem Abweichen bei Zeigeversuchen, starkem Schwanken im Sitzen und deutlicher Fallneigung beim Stehen und Gehen. Da die Patientin zu diesem Zeitpunkt nach zweimaliger Untersuchung in kurzer Folge kaum noch kooperationsfähig war, müsste ich die Prüfung der sensiblen Fähigkeiten auf das Gefühl für Oberflächliche Berührung im Gesicht, an Armen und Beinen sowie auf das Vibrationsempfinden an den Beinen beschränken, weiches auf 4/8 herabgesetzt war. Als weiteren Hinweis auf eine ausgedehnte Störung sensibler Systeme fand ich die Bauchhautreflexe in allen Etagen erloschen. Wegen der angegebenen Blasen-Mastdarm-Störungen, und; um meinen Mitarbeitern die einfachste Methode zur orientierenden Untersuchung auf eine Schädigung der untersten Rückenmarksabschnitte zu demonstrieren, die bei jedem, insbesondere weiblichen Patienten, mit Multipler Sklerose angewandt werden sollte, prüfte ich dann noch die Analreflexe, die beidseits erloschen waren: Eine kurze, leicht schmerzhafte Berührung der äußeren Analschleimhaut mit einem speziellen angespitzten Kunststoffstäbchen führte also weder zu einer Zusammenziehung des Analschließmuskels, noch zeigte Frau O. insgesamt irgendeine Reaktion. Nach ihrer späteren Bekundung projizierte die Patientin diese Untersuchung offenbar auf den Bereich des äußeren Genitale, hielt mich für einen Zuschauer und glaubte, eine Ärztin habe diese Prüfung vorgenommen. Abschließend wies ich die Patientin darauf hin, dass ich meine Untersuchung zur Erhebung der noch ausstehenden Befunde demnächst fortsetzen müsse, und erläuterte ihr sowohl die Gründe für eine erneute Nervenwässerdiagnostik als auch die Möglichkeit einer medikamentösen Vorbeugung von Kopfschmerzen, wie sie nach ihrer Punktion im Vorjahr aufgetreten waren. Daraufhin erklärte sie sich mit einer Nervenwasserentnahme einverstanden.
Viele der Angaben von Frau G. waren widersprüchlich, passten nicht zu dem bislang erst unvollständig erhobenen körperlichen Befund, Und es gab zusätzlich zu der absehbar schlechten Prognose der organischen Krankheit offenbar erhebliche psychosoziale Probleme. Dabei ließen Frau G. beruflicher Werdegang, der mir nur sehr unvollständig bekannt war und dennoch Sprunghaftigkeit erkennen ließ, ihre viermalige Abtreibung und ihr lang anhaltender Beziehungs- oder Bindungskonflikt sowohl mit ihren Eltern als auch mit ihrem Freund an eine neurotische Entwicklungs- bzw. Persönlichkeitsstörung denken. Diese war jedoch überdeckt von dem erheblichen hirnorganischen Psychosyndrom, das auch noch nicht hinreichend analysiert war. Zugleich sprach ihr Ganzkörpertaubheitsgefühl mit Gefühlsverlust in der Genitalregion – und nicht, wie bei einer Multiplen Sklerose mit erloschenen Analreflexen zu erwarten, in zusammenhängenden Zonen des Reithosenareals, also vorwiegend an der Innen- und Rückseite der Oberschenkel sowie in der Region um den After herum und am äußeren Genitale – ebenso wie die Stuhl- und Harndrangkomponente ihrer Blasen-Mastdarm-Störung für eine psychosomatische Symptomentstehung. Wenn sie unerkannt und unbehandelt bleiben, schließen solche neurotischen Körperreaktionen eine positive Auseinandersetzung mit einer ohnehin schon schwer zu bewältigenden, fort. schreitenden Hirn- Und Rückenmarkskrankheit üblicherweise völlig aus und verhindern so die Entwicklung tragfähiger, behinderungsgerechter Alltagsstrategien, Darüber hinaus handelt es sich bei der Multiplen Sklerose um eine typische entzündliche Immunkrankheit, bei der der seelische Zustand des Patienten auf organischem Weg über das Immunsystem einen starken Einfluss auf den Krankheitsverlauf hat. Unspezifisch krankhaft veränderte immunologische Laborwerte waren bei Frau G. schon 1998 nachgewiesen worden und fanden sich auch im November 1999. Diese sich überlagernden Problemkreise und infrage kommenden Diagnosen voneinander abzugrenzen und zu klären, um der Patientin eine umfassende Behandlung ihrer verschiedenen Krankheiten und Störungen anzubieten und ihr so trotz aller körperlichen Einschränkungen die Chance zu einem möglichst selbstbestimmten Leben zu erhalten, war der Zweck meiner Nachuntersuchung, die ich aus Termingründen erst zwei Tage später, am Nachmittag des 18.11.1999, durchführen konnte. Entgegen Frau G. Aussage brauchte ich dafür keine Bettnachbarin der Patientin aus dem Zimmer zu schicken, da nach meiner Erinnerung das zweite Bett in ihrem Krankenzimmer unbelegt war. Falls es allerdings eine Bettnachbarin gegeben hätte, hätte ich sie aus dem Zimmer gebeten, um bei dem Explorationsgespräch die Privatsphäre der Patientin zu schützen. Ebenfalls entgegen Frau G. Aussage brachte ich genauso wenig wie jemals sonst anlässlich einer Untersuchung ein Schild irgendeiner Art an. der Zimmertür an. Ein Diskretion erbittendes Türschild benutzte ich ausschließlich für manche Therapiesitzungen – und auch nur, solange ich mich nicht von einer ausreichenden Suggestibilität des Patienten überzeugt hatte.
Diese einzige Nachuntersuchung von Frau G. dauerte etwa eine Dreiviertelstunde, wovon gut 35 Minuten auf das Gespräch mit der Patientin und weniger als 10 Minuten auf die ergänzende körperliche Untersuchung entfielen. Es folgte eine etwa 10-minütige Nachbesprechung der Befunde und meiner Vorschläge für das weitere diagnostische und therapeutische Vorgehen. Während des Explorationsgesprächs erfuhr ich sozialmedizinisch wichtige Einzelheiten zu ihren Lebensumständen während der letzten Jahre sowie zu ihrem gebrochenen Verhältnis zu ihrer Familie und zu ihrem Freund, der ihr angeblich am Vortag erst wieder gesagt hatte, dass er sie nicht mehr liebe. Schon seit sie krankheitsbedingt so stark eingeschränkt sei, könne sie sich nicht mehr auf ihn verlassen. Deswegen, und weil es für ihre spezielle Verlaufsform einer Multiplen Sklerose ohnehin keine Therapie gäbe, habe sie in der letzten Zeit öfters daran gedacht, sich umzubringen; sie wolle nicht mehr leben. Da im Anschluss an eine Akutbehandlung mit hoch dosiertem Kortison tatsächlich eine Langzeittherapie z. B. mit Interferon nur bei einem Verlauf der Multiplen Sklerose mit eindeutigen Schüben in Betracht kommt und darüber hinaus der Patient psychisch gefestigt und zuverlässig sein muss, um nicht gerade durch dieses Medikament, dessen bedeutsamste Nebenwirkung eine erhöhte Suizidrate ist, einem unvertretbaren Selbstmordrisiko ausgesetzt zu werden, befragte ich Frau … erneut nach der bisherigen Entwicklung ihrer Symptome und deren Auswirkungen auf ihren Alltag.
In diesem Zusammenhang berichtete sie unter anderem einerseits von einem inneren Leere- und Taubheitsgefühl, weil sie sich von ihrem Freund benutzt fühlte, ohne von ihm loskommen zu können, andererseits aber wieder von einer äußeren Schmerz- und Gefühllosigkeit am ganzen; Körper mit .Schwerpunkt links an der Brust sowie am After und im Genitalbereich, wo sie fast nichts mehr spüre. Spontan verdeutlichte sie diese Gefühlsstörung durch Hinweis darauf, dass sie beim Geschlechtsverkehr im Gegensatz zu früher seit etwa einem Jahr keinen Orgasmus mehr gehabt habe; Ebenfalls ungefragt wies sie darauf hin, dass sie zunächst hoch durch Masturbation Orgasmus habe gelangen können, aber das sei mittlerweile auch nicht mehr möglich. Art und Inhalt ihrer Schilderung, insbesondere die ausgeprägte Genitalfixierung und die Tatsache, dass die Patientin nicht etwa ihre Gedächtnis-, Auffassungs-, Koordinations- und Sehstörungen und deren Auswirkung auf ihr Leben an den Anfang ihrer freien Ausführungen stellte, sprachen deutlich für eine Körpersymbolik, wie sie häufig bei psychosomatisch Kranken mit neurotischer Entwicklungsstörung speziell nach sexuellem Missbrauch in der Kindheit festzustellen ist. Deshalb fragte ich sie gezielt, ob sie als Kind sexuell missbraucht worden sei, was Frau G. bejahte. Ein Freund ihrer Mutter habe sie als junges Mädchen wiederholt sexuell bedrängt. Da weder das aktuelle Psychosyndrom der Patientin noch die Rahmenbedingungen und der Hauptzweck dieses Krankenhausaufenthalts geeignet waren für eine aufdeckende“ Psychotherapie, unterband ich weitere Erläuterungen zu diesem Thema und bat anschließend Frau Dr. T. zu einem späteren Zeitpunkt die Missbrauchsanamnese zu vertiefen. Wie Frau Dr. … mir dann berichtete, schilderte Frau G. dabei an ihr von dem damaligen Freund ihrer Mutter vorgenommene Cunnilingus-Handlungen – ganz im Gegensatz zu den von ihr anlässlich ihrer zweiten Vernehmung am 26.09.2000 beschriebenen sexuellen Handlungen.
Das weitere Gespräch während meiner Nachuntersuchung betraf Frau G. Drogenerfahrung, ihre offizielle Arbeitslosigkeit seit 1996, dass sie bis vor kurzem noch häufig in ihrem gelernten Beruf als Tierarzthelferin gejobbt habe, im Übrigen von Sozialhilfe lebe, auch bei einem befreundeten Medienunternehmer als Aushilfe arbeiten könne und sich nicht von unserem Sozialarbeiter bezüglich eines eventuellen Rentenantrags beraten lassen wolle. Anschließend erklärte ich ihr die Diskrepanzen in ihren Beschwerden und bisherigen Befunden sowie den Zweck und Umfang der folgenden ergänzenden Untersuchung zur Erhebung der noch ausstehenden körperlichen Befunde.
Die gesamte körperliche Untersuchung war erheblich erschwert durch die Aufmerksamkeitsstörung und den Rededrang der Patientin. Da es zunächst um den Nachweis oder Ausschluss bandförmiger Empfindungsstörungen am Rumpf bei entzündlicher Schädigung des Rückenmarks ging, bat ich Frau sich bis auf die Unterhose zu entkleiden. Bei auf dem Bauch in ihrem Krankenbett liegender Patientin nahm ich dann erst am Rücken, anschließend bei auf dem Rücken liegender Patientin an der Rumpfvorderseite eine Prüfung des oberflächlichen Berührungs- und Schmerzempfindens mittels eines speziell dafür bestimmten kleinen Pinsels und eines speziellen angespitzten Kunststoffstäbchens vor. Berührungen der Brustwarzen vermied ich dabei. Es folgte eine Prüfung des Vibrationsempfindens an Schultern, Brustkorb und Becken mittels neurologischer 64-Hz-Stimmgabel. Für die abschließende Untersuchung auf entzündliche Schädigung der untersten Rückenmarksabschnitte als Ursache zumindest eines Teils der angegebenen Blasen-Mastdarm-Störungen bat ich Frau G. wie für eine neuroproktologische Untersuchung üblich, ihre Unterhose auszuziehen und sich in Knie-Ellenbogen-Lage zu begeben. Wieder prüfte ich dann zunächst mit Pinsel und Kunststoffstäbchen im Reithosenbereich, welcher in Form zwiebelschalen- bzw. hufeisenförmig gebogener Streifen von Nerven aus den untersten Rückenmarksabschnitten versorgt wird, das oberflächliche Berührungs- und Schmerzempfinden am Gesäß sowie an der Oberschenkelrück-, und -innenseite, anschließend mit neurologischer 64-Hz-Stimmgabei das Vibrationsempfinden am Sitzbeinhöcker, dann durch Daumendruck auf den Sitzbeinhöcker die Fähigkeit der Patientin zur örtlichen Zuordnung von Tiefendruck. Schließlich forderte ich die Patientin auf, ihren; Analschließmuskel und Beckenboden schnell und fest anzuspannen und dann wieder zu entspannen, um die Willkürmotorik dieser aus den unteren Rückenmarksanteilen versorgten und typischerweise bei Blasen-Mastdarm-Störungen beeinträchtigten Muskelgruppen zu beurteilen. Weder habe ich die Patientin genital berührt, noch gar einen Finger in ihre Scheide eingeführt und habe daher auch keine Handschuhe benutzt. Sexuell gefärbte Berührungsfantasien, so genannte haptische Fantasien, gibt es allerdings ohnehin bei keiner neurologischen Patientengruppe so häufig wie bei Patientinnen mit Multipler Sklerose.
An krankhaften körperlichen Befunden erbrachte meine Nachuntersuchung eine Minderung des Schmerz- und Berührungsempfindens in einem halbreifenförmigen Areal vom linken Schulterblatt über die Brust bis links neben dem Brustbein als Ausdruck einer hinteren linksseitigen Schädigung der Brustmarkabschnitte 4 und 5. Eine gleichartige Störung bestand beidseits, links jedoch stärker ausgeprägt, in einem ausgedehnten, hufeisenförmig den After umschließenden Areal von der Oberschenkelinnen- und -rückseite bis zum unteren Kreuzbein. Ebenso wie das an den Sitzbeinhöckern fast aufgehobene Vibrationsempfinden, die Unfähigkeit zur richtigen örtlichen Zuordnung von Druck auf die Sitzbeinhöcker, der spontan schlaffe, willkürlich nur verzögert und schwach anspannbare Beckenboden und Analschließmuskel handelte es sich um Zeichen einer Läsion vorwiegend der mittleren Anteile der untersten, zum Kreuzbein gehörigen Rückenmarksabschnitte. Obwohl ich keine gesonderte Sensibilitätsprüfung des äußeren Genitale vorgenommen habe, war auch dort von einer gleichartigen organischen Gefühlsstörung auszugehen, weil die Nervenversorgung dieser Region aus demselben Rückenmarksabschnitt erfolgt wie bei der am stärksten beeinträchtigten Zone innerhalb des Reithosenareals. Einige wesentliche Teile der beschriebenen Gefühllosigkeit am ganzen Körper sowie der Blasen-Mastdarm-Störungen waren also nicht nur Ausdruck einer psychosomatischen Störung, sondern auch auf eine erhebliche organische Rückenmarksschädigung zurückzuführen. Diese Befunde und die sich daraus für das weitere Vorgehen ergebenden Konsequenzen berichtete ich anschließend meinen ärztlichen Mitarbeitern. Auch ordnete ich an, dass bei Frau G. der Restharn nach spontaner Blasenentleerung mittels Katheterisierung gemessen werden sollte und dass im Falle nur einer einzigen kernspintomografischen Untersuchungsmöglichkeit während dieses stationären Aufenthalts von den grundsätzlich wünschenswerten Aufnahmen sowohl des Hirns als auch des Rückenmarks letzteren zur Dokumentation der Vorzug zu geben sei. Dass die 15 Tage später durchgeführte Kernspintomografie des Rückenmarks dann keine sicheren krankhaften Veränderungen mehr zeigte, ist einerseits darauf zurückzuführen, dass selbst diese beste derzeit verfügbare technische Methode im Rückenmark Entzündungsherde bei einer Multiplen Sklerose nur mit geringer Nachweiswahrscheinlichkeit erfassen kann, andererseits kann das Negativergebnis auch Ausdruck eines zwischenzeitlichen Therapieerfolgs gewesen sein.
In psychischer Hinsicht hatte ich aus Form und Inhalt der Äußerungen Frau aus der Vagheit und den inneren Widersprüchen ihrer Angäben den Eindruck einer deutlichen, stirnhirnbetonten Demenz mit Konzentrations-, Zeitgitter- und Gedächtnisstörungen, Auffassungsminderung, Denkverlangsamung, Kritikschwäche insbesondere bezüglich der eigenen Person, Enthemmung, sprunghaftem Wechsel sowohl des Antriebs als auch des verflachten Affekts gewonnen, wie sie typisch ist für einen akuten Hirnentzündungsschub bei Multipler Sklerose. Ihre depressive Verstimmung mit Selbstmordgefährdung hatte offenbar teils hirnorganische, teils nachvollziehbare reaktive Ursachen, weshalb ich anschließend die Krankenschwestern bat, Frau G. engmaschig zu beobachten. Ihre Biografie war gekennzeichnet einerseits von einer unsteten Sprunghaftigkeit und labilem Selbstwertgefühl, andererseits aber auch von übermäßiger Bindung mit raschem Wechsel von Passivität und Aggressivität, was den Verdacht auf eine kombinierte Persönlichkeitsstörung begründete. Darüber hinaus war das Körperbild der Patientin erheblich neurotisch gestört, was sich in weit über den organischen Kern hinausgehenden Taubheitsgefühlen mit paradoxer Ausblendung und zugleich Fixierung auf die Genitalregion sowie in angeblich häufigem Harndrang äußerte.
Bei der Nachbesprechung mit Frau G. ging ich unter Bezug auf die vorliegenden Befunde nochmals auf die bereits begonnene Kortisonbehandlung, ihre Chancen und Risiken ein, erklärte der Patientin, was sie selbst zu ihrer Gesundung beitragen könne und welche Art der von ihr erneut angemahnten Psychotherapie für sie nach meiner Einschätzung am ehesten in Betracht käme. Obwohl sie zunächst eine Therapie nach der Feldenkrais-Methode wünschte, einigte ich mich rasch mit ihr auf Autogenes Training als Verfahren der Wahl, weil bei dieser psychotherapeutischen Basistechnik mit hoher Wirksamkeit insbesondere bei psychosomatischen Störungen ihre erheblichen Koordinationsstörungen nicht hinderlich seien und ich im Übrigen damit die längste Erfahrung besäße. Wir vereinbarten einen Spätnachmittagstermin am 22.11.1999 für den, Therapiebeginn. Die Durchführung von Autogenem Training bei hirnorganisch Kranken gilt allgemein als besonders problematisch, weil sie wegen ihrer eingeschränkten höheren Hirnleistungen oft leicht ablenkbar und nur begrenzt kooperationsfähig sind, was auf Frau G. in hohem Maße zutraf. Deshalb fertigte ich ein provisorisches Türschild, das ich vor jeder Therapiesitzung mit der Patientin an ihrer Zimmertür anbrachte, um den Therapieerfolg nicht durch unnötige Unterbrechungen gefährden zu lassen.
Weder gegenüber Patienten, noch gegenüber dem Pflegepersonal öder ärztlichen Mitarbeitern habe ich im Zusammenhang mit Psychotherapie jemals Begriffe wie „Traumreise“ oder „Weltreise“ benutzt. Diese Ausdrücke las ich erstmals in den Ermittlungsakten. Niemals habe ich mich gegenüber Patienten – so auch nicht gegenüber Frau G. zu ihrer Schönheit geäußert; dies gehört nicht zu meinen Aufgaben. Wahrscheinlich handelt es sich bei der Aussage der Patientin zu meiner angeblichen Äußerung, sie sei eine wunderschöne Frau, um eine Übernahme aus der stereotyp wiederholten Suggestionsformel während ihres Autogenen Trainings: „Spür deinen rechten kleinen Finger! Spür deinen: schönen kleinen Finger! Und wenn der so in Ordnung ist, ganz in Ordnung ist, dann lass ihn los!“ Diese Befehlsformel wurde während jeder Sitzung für alle entspannbaren Körperteile, also vielleicht hundertmal, gesprochen. Dabei erwies sich Frau G. als äußerst suggestibel. Im Gegensatz zu den gebräuchlicheren Suggestionsformeln in der Art meiner Behauptung, „Der rechte Arm wird schwer, immer Schwerer“, hatte ich aus zwei Gründen die Befehls- und Duzform gewählt: Zum einen fehlt kognitiv beeinträchtigten, womöglich noch enthemmten Patienten oft das Vorstellungsvermögen und die Bereitschaft, sich den auf diese Weise suggestiv vorgegebenen Zustand zu eigen zu machen, und sie reagieren mit paradoxem Aufbegehren, wenn der angesagte Zustand nicht unmittelbar mit ihrem aktuellen Erleben übereinstimmt; dies wird durch die Befehlsform mit konfliktfreier Aufforderung zur Selbststeuerung des Patienten vermieden. Zum anderen zählt das Autogene Training zu den suggestiv-übenden Verfahren, bei denen der Patient selbst bald das Kommando, also die erlernten Suggestionsformeln, übernehmen soll, um ohne äußere Führung den Zustand konzentrativer Entspannung, das so genannte Hypnoid, zu erreichen; dabei wäre es merkwürdig, wenn der Patient sich selbst siezen sollte. Im Übrigen habe ich weder Frau G. noch anderen Patienten eine Ganzkörper- oder Teilmassage verabreicht, und meine Hand ruhte während des Autogenen Trainings im Liegen bewegungslos auf Frau G. auch in Nabelhöhe, um auf diese Weise mir eine Rückmeldung über Atmung, Puls, Hautfeuchtigkeit, Hauttemperatur und Muskelspannung der bis zum Hals zugedeckten Patientin zu geben. Auch bei dem am 29.11.1999 erstmals im Sitzen durchgeführten Autogenen Training, während dessen ich die Patientin Wegen ihres Rumpfschwankens an den Schultern stützte, war sie bis unter die Achseln in eine Decke gehüllt. Trugwahrnehmungen von Bewegung oder Schweben bis hin zu Schwindel aus der Fantasie des Patienten sind allerdings beim Autogenen Training wegen der damit verbundenen gezielten Verlagerung der Aufmerksamkeit keine Seltenheit. Da Frau … das Autogene Training nach ihrer Klinikentlassung möglichst fortführen solle sie wiederholt dazu aufgefordert, bei entsprechender Gelegenheit diese Übung selbst durchzuführen, was ihr auch nach knapp einer Woche geführten Trainings – angeblich gelang. Zur Masturbation angehalten habe ich sie hingegen nie; vielmehr entspricht auch diese Angabe der Patientin am ehesten ihrer krankhaften Genitalfixierung.“
133Feststellungen, die zu dieser Einlassung sowie zu den weiteren Ausführungen, die der Angeklagte zum Fall G. der Hauptverhandlungen gemacht hat, im Widerspruch stehen, hat die Kammer nicht getroffen. Allerdings hat der Angeklagte in seiner Einlassung nicht ausdrücklich eingeräumt, dass die Nebenklägerin G. wie sie selber bekundet hat – bei den Therapiesitzungen, bei denen sie im Bett lag, unter der Bettdecke nackt war. Dies hat er indessen im Rahmen seiner Einlassung bezüglich der Nebenklägerin P. so beschrieben. Bei der Nebenklägerin O. heißt es dann, er habe das autogene Training „in der üblichen, hoch suggestiven Weise“ durchgeführt. Bereits dies impliziert, dass er das autogene Training, bei allen drei Nebenklägerinnen in der gleichen Weise durchgeführt hat, nämlich bei nackt unter der Bettdecke liegender Patientin. Hierfür spricht auch, dass im Verlauf der Hauptverhandlung auch vor der Einstellung des Verfahrens: bezüglich der Nebenklägerin G. nach §154 Abs. 2 StPO die Frage des autogenen Trainings in dieser Form mehrfach thematisiert wurde, wobei jeweils keine Differenzierung bezüglich der drei betroffenen Nebenklägerinnen erfolgte. Weder der Angeklagten noch seine Verteidiger haben in diesen Fällen darauf hingewiesen, dass diese Form des autogenen Trainings zwar bei den Nebenklägerinnen F. und O. nicht aber bei der Nebenklägerin G. praktiziert worden sei. Hierfür spricht zudem, dass der Angeklagte hinsichtlich der späteren Therapiesitzungen im Sitzen ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass die Nebenklägerin bis unter die Achseln in eine Bettdecke gehüllt gewesen sei. Dies wäre überflüssig, wenn sie bei diesen Therapiesitzungen normal bekleidet gewesen wäre.
134Die Einstellung des Verfahrens betreffend die Nebenklägerin G. ist erfolgt, weil die Kammer aufgrund ihres Aussageverhaltens eine Einschränkung ihrer Zeugentüchtigkeit, nicht hätte ausschließen können und so gezwungen gewesen wäre, die Nebenklägerin auch noch aussagepsychologisch begutachten zu lassen. Zudem wäre die Vernehmung zahlreicher weiterer Zeugen aus dem persönlichen Umfeld der Nebenklägerin erforderlich gewesen. Dies wollte die Kammer der Nebenklägerin ersparen.
1352. Zum Fall R.|(B.II.2.) hat der Angeklagte folgende Einlassung
„Meine Untersuchung von Frau R. im Dezember 1999 war eine außerdienstliche persönliche Gefälligkeit, die auf Bitten sowohl von Krankenschwester M. als auch von Frau R. zustande kam. Obwohl sie schon seit Wochen als Krankenschwesternschülerin meiner Station zugeteilt war, hatte ich Frau … nur zweimal kurz auf Station gesehen.
Anlässlich meiner täglichen routinemäßigen Nachfragen bezüglich besonderer Probleme auf Station erfuhr ich in der zweiten Dezemberwoche 1999 in Gegenwart der Schwesternschülerin R. zunächst von Krankenschwester … dass Frau R. seit über einem Jahr wegen Gelenkbeschwerden häufig krankgeschrieben und schon von vielen Ärzten – auch von Rheumatologen, Immunologen und in unserer Poliklinik – untersucht worden -sei, ohne dass eine Diagnose hätte gestellt werden können. Diese Darstellung verbanden Krankenschwester M. und Frau R. mit der Bitte, ob. ich nicht bereit wäre, Frau R. zu untersuchen. Da ich mich seit vielen Jahren mit entzündlichen Gefäß- und Bindegewebserkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis und ihren neurologischen Folgen befasse und Frau R. ihren offiziellen Einsatz auf meiner Station noch in jener Woche beenden sollte und dann nicht mehr zum Stationsteam gehören würde, willigte ich ein und gab ihr einen frühen Nachmittagstermin für die folgende Woche. Da nachmittags in der Klinik alle Untersuchungszimmer regelmäßig für Spezialambulanzen und Notfälle benötigt werden, schlug ich vor, die Untersuchung in meinem Arbeitszimmer außerhalb der Klinik im P1-Trakt des …-Instituts für neurologische Forschung durchzuführen, in dem sich an demselben Flur dicht gedrängt 13 regelmäßig besetzte Mitarbeiterzimmer befinden, und bat Frau R. alle Vorbefunde zum Termin mitzubringen.
Die Untersuchung dauerte gut eine Stunde, wobei mehr als eine Dreiviertelstunde auf das Gespräch mit Frau F. und die Durchsicht ihrer mitgebrachten, sehr umfangreichen und aussagefähigen, sämtlich unauffälligen Vorbefunde entfiel. In meiner Erhebung der Krankengeschichte beschränkte ich mich weitgehend auf die Dauer der aktuellen Symptomatik und die unmittelbar voraufgegangenen Monate. Meine Kenntnis der Ergebnisse der einen Monat zuvor durchgeführten poliklinischen Untersuchung einschließlich der elektrodiagnostischen Befunde der Nerven und Muskeln erwähnte ich nicht; ebenso wenig kam Frau R. darauf zu sprechen. Vielmehr berichtete sie mir ein ganz anderes Beschwerdebild als das, welches: sie in unserer Poliklinik angegeben hatte: Dort hatte sie über seit Monaten bis Jahren wechselnd ausgeprägte Taubheitsgefühle und kribbelnde Missempfindungen .der Füße, seit einigen Wochen auch der Hände, geklagt mit Verschlechterung trotz angeblicher Einnahme eines in der Rheumatologie gebräuchlichen, antibiotisch und entzündungshemmend wirkenden Medikaments. Mir hingegen schilderte sie seit über einem Jahr bestehende, heftigste Gelenkschmerzen und -Schwellungen an Füßen, Knien und Hüften, wobei jeweils für einige Zeit mal diese, mal jene Gelenke auf der einen oder der anderen Seite betroffen seien, die Beschwerden sich dann an einigen Gelenken besserten, an anderen verschlimmerten. Aktuell betroffen sei nur das rechte Kniegelenk.
Trotz ausdrücklichen Befragens nach Vorerkrankungen erwähnte sie – im … Gegensatz zu ihrer Untersuchung in unserer Poliklinik – weder ihre zweiwöchige stationäre neurologische Krankenhausbehandlung 1995 in T. wegen einer angeblichen akuten Gangstörung, noch ein angebliches schmerzhaftes Krankheitsbild 1996 mit Muskelschwellung, Durchblutungsstörung, Gefäß- und Nervenschädigung an der linken Körperseite, welches konservativ behandelt worden sei, noch eine chronische Mandelentzündung mit bestimmten Bakterien als Erreger, die Ursache eines rheumatischen Fiebers sein können. Im Übrigen waren auch diesbezüglich alle einschlägigen Laborergebnisse negativ, also normal. Allein aufgrund der geschilderten Beschwerdeentwicklung und der Laborbefunde waren zu diesem Zeitpunkt bereits einige der zunächst von mir in Betracht gezogenen Krankheiten ausgeschlossen – so auch eine reaktive. Arthritis bzw. reaktive Spondylarthropathie, also eine sich fortschreitend entwickelnde, vorwiegend symmetrische Entzündung mehrerer großer Gelenke insbesondere der unteren Extremitäten infolge einer chronischen Infektion vor allem der Harnröhre, des Gebärmutterhalses oder des Darms mit besonderen Bakterien, wie sie später angeblich von einem Rheumatologen diagnostiziert und mit stark nebenwirkungsträchtigen Medikamenten behandelt worden sein soll. Als Ursache der Beschwerden kamen daher nur noch wenige immunologisch-entzündliche Krankheiten und einige rein psychogene Störungsbilder infrage. Diese auszuschließen bzw. weiter einzugrenzen war der Zweck meiner folgenden körperlichen Untersuchung, für die ich Frau R. bat, sich wie allgemein üblich bis auf BH und Unterhose zu entkleiden.
Die körperliche Untersuchung erfolgte unter schwerpunktmäßiger Berücksichtigung immunologischer, rheumatologischer, neurologischer und psychosomatischer Aspekte; Vollständigkeit war nicht angestrebt. Zunächst überprüfte ich den Stand und Gang, das Koordinationsvermögen, Augen und Mundhöhle auf Entzündungszeichen, die aktive und passive Gelenkbeweglichkeit an den oberen Extremitäten und der Wirbelsäule, tastete an Hals und Nacken nach Lymphknoten, inspizierte Kopf und Rücken im Hinblick auf Hautzeichen einer immunologischen Gefäß- und Bindegewebserkrankung, suchte an der Wirbelsäule nach klopfschmerzhaften Stellen sowie an Muskeln und Faszien des Nackens, des Rückens, am Kreuz-Darmbeingelenk und den Armen nach schmerzhaften Druckpunkten. Nachdem ich Frau gebeten hatte, den BH abzulegen, um auch die Rumpfvorderseite und danach die Beine auf typische Hautzeichen abzusuchen, legte sie sich auf die Liege, und ich fuhr mit ihr in Rückenlage fort, sie zu untersuchen. Während der Hautinspektion tastete ich in Achselhöhlen und in der Leiste nach Lymphknoten, prüfte die Gelenke der unteren Extremitäten auf Schwellungen, aktive und passive Beweglichkeit und Reibegeräusche sowie Muskeln und Faszien auf Druckschmerzhaftigkeit und große Nerven auf Dehnungsschmerz. Nach Untersuchung auf Zeichen einer eventuellen Lähmung an Armen und Beinen prüfte ich die wichtigsten Muskeleigenreflexe und die Bauchhautreflexe.
Aufgrund der zu diesem Zeitpunkt bereits erhobenen Befunde war eine organische Ursache der geklagten Beschwerden schon weitgehend ausgeschlossen, so dass nur noch wenige, allesamt psychogene Störungsbilder in Betracht kamen. Daher fragte ich Frau R. nach beruflichen oder familiären Problemen, welche Auslöser einer psychosomatischen Konversionsstörung sein können. Auch stellte ich ihr eine: gezielte Frage nach Orgasmusstörungen, weil diese zu den häufigsten Symptomen einer in der neurologischen Standardliteratur als Briquet-Syndrom bezeichneten Störung gehören, die ebenfalls zu erwägen war. Alles verneinte sie. Anschließend prüfte ich zum Vergleich mit den in unserer Poliklinik erhobenen Befunden sowie zur weiteren Unterscheidung zwischen einer somatoformen Schmerzstörung mit komplexer entwicklungspsychologischer Störung des Fühlens und Erlebens seit der Kindheit und einer vorgetäuschten Störung bzw. einem Briquet-Syndrom orientierend im Seitenvergleich durch flüchtiges Bestreichen der Haut mit Fingerkuppen die Oberflächensensibilität und danach halbquantitativ mittels neurologischer 64-Hz-Stimmgabel das Vibrationsempfinden an den Extremitäten, an Brustkorb, Becken und großen Muskeln. Weder habe ich bei Frau R. Brustabtastung vorgenommen, noch ihr die Unterhose heruntergezogen oder -ihr Genitale berührt, Frau R. war während der gesamten körperlichen Untersuchung voll kooperativ und zu keinem Zeitpunkt „stocksteif. Fragen des Inhalts, ob sie noch etwas untersucht haben wolle, habe ich nicht gestellt.
An Positivbefunden zeigten sich im Verhalten von Frau R. deutliche histrionische Persönlichkeitszüge sowie eine bemerkenswerte Diskrepanz zwischen der Schwere der geschilderten und auch aktuell noch angegebenen Gelenkbeschwerden einerseits und ihrem distanziert gleichmütigen Affektausdruck andererseits. Auch die Vagheit ihrer Darstellung sowohl der zeitlichen Abläufe ihrer Symptomentwicklung als auch der den Schmerz begleitenden Krankheitszeichen an den angeblich betroffenen Gelenken war auffällig. Der gesamte körperliche Befund einschließlich des Spontanbewegungsmusters hingegen war unauffällig. Weder gab es jetzt die einen Monat zuvor in unserer Poliklinik festgestellte Abschwächung des rechten Achillessehnenreflexes, noch die beidseitige Schwäche der Fuß- und Zehenheber und -senker; der Finger-Nase-Versuch links war im Bewegungsablauf nicht mehr gestört, die schnelle Feinmotorik der rechten Hand nicht mehr verlangsamt. Die zuvor beobachtete Minderung des Berührungsempfindens der Finger und Zehen war ebenso wenig nachweisbar wie das herabgesetzte Bewegungsempfinden und das erheblich, nämlich auf 5/8, geminderte Vibrationsempfinden der Füße. In Übereinstimmung mit den völlig unauffälligen elektrodiagnostischen Befunden der Nerven und Muskeln lag bei Frau R. ein körperlicher Normalbefund vor bei erheblich gestörtem Verhaltensmuster.
Nach meiner diagnostischen Einschätzung handelte es sich bei Frau R. um eine vorgetäuschte Störung mit vorwiegend körperlichen Symptomen gemäß DSM IV bzw. um eine artifizielle Störung gemäß ICD-10, den beiden wichtigsten Standardwerken zur diagnostischen Klassifikation psychischer Störungen. Diese Störung stellte sich mir als undifferenzierte Osteoarthropathie im Sinne eines vorgetäuschten Rheumas dar. Die Diagnose war so vorher noch nicht gestellt bzw. formuliert worden. Sie stützt sich auf die Krankheitsvorgeschichte seit 1995, die von mir gesichteten Fremdbefunde, die Diskrepanz sowohl in der Symptomschilderung als auch im klinischen Befund zwischen einer am 17.11.1999 in unserer Poliklinik durchgeführten Untersuchung und meiner Untersuchung sowie den bei meiner Untersuchung erhobenen Befunden.
Da ich die weitere ambulante Behandlung nicht übernehmen konnte, wäre es kontraproduktiv gewesen, Frau R. mit der tatsächlichen Diagnose zu konfrontieren. Aus diesem Grund entschied ich mich für ein Vorgehen, das einerseits bei ihr auf weniger Abwehr stoßen und andererseits von ihr ein „positives Signal ihres Gesundungswillens erfordern sollte: Ich erklärte ihr, ihre Krankheit sei so ähnlich wie ein Fibromyalgiesyndrom, weil dieses Störungsbild einschließlich seiner Standardtherapie für eine Schwesternschülerin leicht in Lehrbüchern nachzuschlagen und, so hoffte ich, zu akzeptieren ist. Wir vereinbarten, dass sie zunächst bei ihrer Hausärztin, Frau Dr. U. in Weiterbehandlung bleiben und diese bitten sollte, mich anzurufen, damit ich mit dieser Kollegin die Diagnose und das weitere therapeutische Vorgehen besprechen könne. Wie allerdings bei Patienten mit einer vorgetäuschten Störung kaum anders zu erwarten, kam es nie zu einem solchen Anruf, und Frau R. begab sich zum nächsten Organmediziner.“
136Der Angeklagte hat auf Befragen weiterhin eingeräumt, dass er der Nebenklägerin R. die Einnahme von Saroten empfohlen habe. Es handele sich um ein Antidepressivum, das in manchen Fällen – sozusagen als Nebenwirkung – auch gegen Gelenkschmerzen helfe. Er habe der Nebenklägerin das Medikament aber nicht verschrieben, weil er ja gewollt habe, dass diese ihre Hausärztin über seine Diagnose und auch die vorgeschlagene Einnähme von Saroten informiere und diese ihn dann anrufe, so dass er ihr die währe Diagnose einer vorgetäuschten Störung hätte mitteilen können.
137Diese Einlassung ist, soweit sie bezüglich des äußeren Geschehensablaufs den getroffenen Feststellungen widerspricht, widerlegt durch die Aussage der Nebenklägerin R. Diese hat den äußeren Geschehensablauf, ihre Gefühle während der Untersuchung sowie ihre Gespräche mit Dritten über das Geschehen so wie unter B. II. 2. festgestellt bekundet.
138Die Zeugin R. ist uneingeschränkt aussagetüchtig, im Hinblick auf die Einlassung des Angeklagten, sie leide an einer vorgetäuschten bzw. artifiziellen Störung hat die Kammer den Sachverständigen Prof. Dr. K. mit der Begutachtung der Zeugin auf ihre Aussagetüchtigkeit beauftragt.
139Der Sachverständige Prof. Dr. K. besitzt die erforderliche Sachkunde. Er ist Nervenarzt und Inhaber des Lehrstuhls für forensische Psychiatrie an der Freien Universität B. Er besitzt langjährige klinische und wissenschaftliche Erfahrung. Strafrechtliche Gutachten, auch solche, die die Frage der Zeugentüchtigkeit betreffen, erstattet er bereits seit 1987.
140Sein Gutachten betreffend die Nebenklägerin R. hat er auf der Grundlage ihrer Aussagen in der Hauptverhandlung, in der sie bereits zu ihrer Biographie und ihrer Krankengeschichte befragt wurde, und seiner eigenen Exploration der Nebenklägerin erstattet. Ihm lagen zahlreiche medizinische Unterlagen der Nebenklägerin vor, insbesondere die Arztbriefe der neurologischen Poliklinik der Universität Köln, der immunologischen Ambulanz der Universität K. und des St.-J.-Stifts in S. Nachdem er sein Gutachten betreffend die Nebenklägerin R. im Hauptverhandlungstermin vom 9.1.2003 erstattet hatte, sind ihm seitens der Kammer die Unterlagen des Trierer Brüderkrankenhauses sowie die „Patienten-Mappe“ der immunologischen Ambulanz zu der Nebenklägerin zur Verfügung gestellt worden. Diese Unterlägen hat er ausgewertet und in seine abschließende, zusammenfassende Beantwortung der Gutachtenfrage im Hauptverhandlungstermin vom 18.03.2003, in dem er zunächst die Gutachten bezüglich der Nebenklägerinnen … und P. erstattet hat, einbezogen.
141Der Sachverständige Prof. Dr. K. ist auf dieser tatsächlichen Grundlage zu dem Ergebnis gelangt, dass es bei der Nebenklägerin R keinen Hinweis auf eine hirnorganische Erkrankung gebe, die die Zeugentüchtigkeit beeinträchtigen könne. Der Angeklagte selbst habe eine solche Erkrankung im Rahmen seiner Einlassung nicht behauptet. Die Ausfallerscheinungen von ungeklärter Ursache – Schwindel, Gangunsicherheiten, erhöhte Lichtempfindlichkeit –, wegen deren sie Anfang 1996 stationär im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in T. behandelt worden sei, die sich dann aber spontan zurückgebildet hätten und nie wieder aufgetreten seien, ließen ebenso wenig den Schluss auf eine relevante hirnorganische Erkrankung zu wie die 1999 in der neurologischen Poliklinik in K. untersuchten Missempfindungen in den Fingern und Füßen, deren Ursache ebenfalls nicht zweifelsfrei geklärt werden könne.
142Die bei der Nebenklägerin R. an wechselnden Gelenken seit 1999 auftretenden Schmerzen, wegen denen sie sich seit dem Sommer 1999 in Behandlung der immunologischen Ambulanz der Universitätsklinik K. befinde, seien nach der dortigen Diagnose die Symptome einer Erkrankung aus dem rheumatischen Formenkreis, einer sogenannten Spondarthritis. Er, der Sachverständige, teile diese Einschätzung auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen. Sie werde durch die Ergebnisse der zahlreichen technischen Untersuchungen gestützt. Auch die erfolgreiche Behandlung unter anderem mit einem Rheumamedikament, die zum Abklingen der Beschwerden geführt habe, spreche für die Richtigkeit der Diagnose.
143Der Sachverständige Prof. Dr. K. hat weiter ausgeführt, dass es bei der Nebenklägerin R. keinerlei Anhaltspunkte für eine psychische Störung gebe. Sie stehe mit beiden Beinen auf der Erde, sei intelligent, studiere inzwischen Medizin und sei in der Lage, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Hinweise auf das Vorliegen einer histrionischen bzw. hysterischen Persönlichkeitsstörung gebe es nicht. Sie zeige nicht die typischen Verhaltensauffälligkeiten (z. B. Verlangen nach äußerer Anerkennung, übertrieben attraktives und verführerisches Gehabe, übertriebenes Zeigen von Emotionen, Drang, im Mittelpunkt zu stehen oder schnell wechselnde, oberflächliche Emotionen), im Gegenteil, sie sei eine sachliche, zupackende Person.
144Auch für das Vorliegen der vom Angeklagten diagnostizierten vorgetäuschten bzw. artifiziellen Störung hat der Sachverständige Prof. Dr. K. keine Anhaltspunkte gefunden. Bei dieser psychischen Störung würden Befunde teilweise selbst produziert (z. B. Selbstverletzungen, manipulierte Fiebermessungen oder Urinproben), zum teil vorgetäuscht. So etwas sei bei der Nebenklägerin F. jedoch, nicht bekannt geworden. Für die von ihr angegebenen Schmerzen gebe es eine körperliche Ursache. Auch der Umstand, dass ihr der Blinddarm und die Mandeln operativ entfernt worden seien, spreche nicht für eine vorgetäuschte Störung, Es sei zudem so, dass die Feststellung einer vorgetäuschten Störung eines ausführlichen diagnostischen Prozesses bedürfe, an dessen Ende sie positiv festgestellt werden müsse. Es. reiche nicht aus, dass für Beschwerden keine körperliche Ursache gefunden werden könne. Es sei auch nicht möglich, die Diagnose nach hur einem Untersuchungstermin positiv zu stellen. Die seitens des Angeklagten angeführten vermeintlich positiven Hinweise, könnten die Diagnose auch nicht tragen. So erkläre sich der Umstand, dass die Nebenklägerin in der neurologischen, Poliklinik und beim Angeklagten unterschiedliche Angäben zu ihren Beschwerden gemacht habe, zwanglos damit, dass sie den Angeklagten eben wegen anderer Beschwerden aufgesucht habe, nämlich wegen ihrer Gelenkschmerzen, als die Poliklinik, wo sie zur Abklärung der Missempfindungen in den Fingern und Füßen war.
145Darüber hinaus könne aus dem Vorliegen einer vorgetäuschten Störung aber auch nicht unbedingt auf eine Einschränkung der Aussagetüchtigkeit geschlossen werden; im Gegenteil, Patienten mit einer vorgetäuschten Störung seien im Regelfall besonders aufmerksam, wenn es um ärztliche Behandlungen gehe.
146Bei der Nebenklägerin R. gebe es schließlich auch keine sonstigen Hinweise auf Probleme bei der Wahrnehmungs- oder Erinnerungsfähigkeit. Sie habe eine Ausbildung abgeschlossen, studiere nunmehr ein anspruchsvolles Fach. Probleme bei der Alltagsbewältigung seien nicht bekannt geworden.
147Insgesamt sei eine Einschränkung der Zeugentüchtigkeit der Nebenklägerin R. zu den Zeitpunkten der Untersuchung durch den Angeklagten, des Gesprächs mit der Zeugin Dr. R. ihrer polizeilichen Vernehmung und ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung auszuschließen.
148Diesen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. K. schließt die Kammer sich an. Der Sachverständige hat die Ergebnisse seiner Begutachtung nachvollziehbar, verständlich und überzeugend erläutert. Das Gutachten ist in sich schlüssig und widerspruchsfrei.
149Der Sachverständige ist von einem zutreffenden methodischen Ansatz ausgegangen. Ausgangspunkt seiner Begutachtung war, dass Menschen im Normalfall zeugentüchtig sind. Er hat dann geprüft, ob bei der Nebenklägerin R. Anknüpfungstatsachen vorliegen, aus denen sich die Annahme einer Beeinträchtigung der Zeugentüchtigkeit ergeben kann Zurecht hat er sich bei dieser Prüfung auf die Fragenkomplexe beschränkt, ob Probleme bei der Wahrnehmung von Informationen, bei ihrer Einspeicherung, bei der Erinnerung an die eingespeicherten Informationen, oder bei ihrer Wiedergäbe bestehen. Darüber hinausgehende Fragestellungen, insbesondere die Frage, ob eine Aussage richtig oder falsch ist, betreffen die Frage der Aussagetüchtigkeit nicht. Zutreffend ist weiterhin, dass objektivierbare körperliche Befunde, insbesondere hirnorganische Erkrankungen, zwar Einfluss auf die vorgenannten, für die Zeugentüchtigkeit relevanten Fähigkeiten haben können, dass sie aber nur dann zu einer Einschränkung der Zeugentüchtigkeit führen, wenn sie mit psychopathologischen Beeinträchtigungen einhergehen. Selbstverständlich geben gerade hirnorganische Erkrankungen Anlass zu einer besonders genauen Prüfung, ob sich aus ihnen psychopathologische Beeinträchtigungen ergeben. Wenn sie sich aber auf die Exekutivebene nicht auswirken, etwa weil die Funktion eines beeinträchtigten Hirnareals durch ein anderes übernommen wird, schränken sie die Zeugentüchtigkeit nicht ein. Richtig ist auch, dass es bei der Frage der Zeugentüchtigkeit zwar einerseits nur auf die konkreten Zeitpunkte der Wahrnehmung des Ereignisses und der Wiedergabe – etwa bei der polizeilichen Vernehmung oder der Vernehmung in der Hauptverhandlung – ankommt, andererseits aber grundsätzlich davon auszugehen ist, dass etwaige relevante Einbußen der kognitiven Funktionen, wie sie vorliegend in Betracht kommen, nicht nur von kurzfristiger Natur sind. Anlass für die Annahme zeitweiliger Funktionseinbußen oder der Wiederherstellung früher beeinträchtigter Funktionen gibt es nur, wenn es hierfür konkrete Anhaltspunkte gibt. Zu beachten ist schließlich, worauf der Sachverständige zurecht hingewiesen hat, dass normalpsychologische Vergessensprozesse, wie sie bei jedem Menschen auftreten, keine Einschränkung der Zeugentüchtigkeit bedeuten.
150Der Sachverständige Prof. Dr. K. hat sein Gutachten weiterhin aufgrund zutreffender Anknüpfungstatsachen erstattet. Den Inhalt der Vernehmung der Nebenklägerin R. in der Hauptverhandlung und der medizinischen Unterlagen hat er – soweit für die Gutachtenerstattung erforderlich – wiedergegeben. Mit der Einlassung des Angeklagten hat er sich ausführlich auseinandergesetzt. Er ist insbesondere zurecht davon ausgegangen, dass die Diagnose der immunologischen Ambulanz, dass eine Spondarthritis die Ursache für die Gelenkbeschwerden der Nebenklägerin ist, zutreffend ist. Diese Diagnose hat die sachverständige Zeugin Dr. R. die die Nebenklägerin R. als Oberärztin der immunologischen Ambulanz seit dem Sommer 1999 betreut, bei ihrer Vernehmung an zwei Hauptverhandlungstagen ausführlich anhand der medizinischen Unterlagen der immunologischen Ambulanz erläutert. Sie hat insbesondere darauf hingewiesen, dass die Diagnose durch die technischen Untersuchungsverfahren gestützt werde. Frau R. weise die für eine Spondarthritis typischen Blutwerte auf. Insbesondere sei bei ihr das Antigen HLA-B 27 nachweisbar. Dass insoweit eine Testung aus März 1999 negativ ausgefallen sei, während sie im August 1999 positiv ausgefallen sei, lasse auch nicht auf eine Manipulation schließen. Es sei nämlich so, dass es aufgrund der Testmethode zu einem falschen negativen Ergebnis kommen könne, während ein positiver Nachweis als sicher gelte. Die unterschiedlichen Ergebnisse seien daher erklärbar. Auch die Befunde der bildgebenden Verfahren, insbesondere der Szintigraphien, sprächen für eine Spondarthritis. Die Ergebnisse der K. Universitätsklinik stimmten auch mit denen des St.-J.-Stifts in S1 überein, wo die Nebenklägerin Anfang 2001 aufgrund akuter Beschwerden ambulant behandelt worden sei. Die Spondarthritis werde auch mit Erfolg medikamentös behandelt.
Das Ergebnis des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. K. entspricht auch dem eigenen Eindruck, den die Kammer von der Zeugin R. Während ihrer beiden Vernehmungen in der Hauptverhandlung gewonnen hat. Es gab bei ihr keinerlei Auffälligkeiten im Aussageverhalten. Insbesondere konnte die Kammer keinerlei histrionische Persönlichkeitszüge an der Zeugin feststellen. Nachdem der Angeklagte zur Veranschaulichung dieses Begriffs gesagt hatte, man solle sich „eine Parfümerieverkäuferin bei Douglas“ vorstellen, war die Kammer überrascht, eine eher bodenständig wirkende, sachliche junge Frau anzutreffen.
Die Aussage der Nebenklägerin R. ist auch glaubhaft. Bezüglich des äußeren Geschehensablaufs stimmt die Aussage der Nebenklägerin fast vollständig mit der Einlassung des Angeklagten überein. Der Angeklagte bestreitet lediglich, die Nebenklägerin mit den Händen oder der Stimmgabel an den Brüsten und an den Genitalien berührt zu haben. Diese sei auch zu keinem Zeitpunkt Während der Untersuchung steif geworden.
Soweit die Angaben der Nebenklägerin mit denen des Angeklagten übereinstimmen, hat die Kammer keine Veranlassung an deren Richtigkeit zu zweifeln. Aber auch bezüglich der Berührung der Brüste und der Genitalien durch den Angeklagten ist die Aussage der Nebenklägerin glaubhaft. Sie weist zahlreiche Elemente auf, die dafür sprechen, dass die Nebenklägerin ein tatsächliches Erlebnis schildert (sogenannte Realkennzeichen):
Die Nebenklägerin hat die Handlungen des Angeklagten lebensnah und widerspruchsfrei geschildert. Die Beschreibung enthält zahlreiche auch originelle Details. So hat die Nebenklägerin die Berührung der Brüste als sanftes Streicheln bzw. Ausstreichen geschildert im Gegensatz zu Tasten und Drücken. Es sei ähnlich wie beim Gynäkologen gewesen, der mache das aber viel härter, wobei es dieselbe Technik des Ausstreichens sei. Originell und unter Zuhilfenahme plastischer Gesten hat die Nebenklägerin auch beschrieben, wie der Angeklagte zunächst ihre Unterhose heruntergezogen habe, ihr dann die Beine angestellt habe und nach Auseinanderziehen der Schamlippen („Er hat sich dann mit den Händen Zugriff verschafft.“) die Stimmgabel an Schamlippen, Klitoris und Scheideneingang angesetzt habe. Die Stellung, in der sie sich hierbei befunden hat, hat die Zeugin – auf Bitten der Verteidigerin des Angeklagten – in der Hauptverhandlung vorgeführt.
Realkennzeichencharakter hat es .auch, dass die Zeugin während ihrer Aussage Ergänzungen eingeschoben hat („Da fällt mir ein, er hatte mich ja vorher schon nach meiner Orgasmusfähigkeit befragt und nach meinem Eheleben.“) und viel wörtliche Rede verwendet hat („Dann sagte er: Dann ist jetzt gut!“ oder „Seine Diagnose war ganz kurz und knapp: „Ich denke, Sie haben ein Fibromyalgiesyndrom. Dagegen hilft Saroten. Das können Sie sich auf der Station holen.“).
Auch die Schilderung von Gefühlen während der Untersuchung spricht für die Wiedergabe eines tatsächlichen Erlebnisses. So hat die Nebenklägerin bekundet, als der Angeklagte ihr die Unterhose heruntergezogen habe, sei sie sich gefangen vorgekommen, weil er vor ihr und in erhöhter Position gesessen habe und hinter ihr die Wand gewesen sei. Sie habe Angst gehabt („Ich dachte, er wird vielleicht brutal.“) und sei „stocksteif geworden.
Die Zeugin R. ist auch glaubwürdig. Sie hat keine überschießenden Belastungstendenzen gegenüber dem Angeklagten gezeigt. Im Gegenteil, ihr war sichtlich an einer präzisen, vorsichtigen Aussage gelegen. So hat sie auf die Frage nach etwaigen psychischen Folgen der Tat Probleme im Sexualleben genannt, aber sogleich hinzugefügt, sie wisse nicht, ob diese auf die Tat zurückzuführen seien. Ebenso hat sie zwar angegeben, Angst vor dem Angeklagten gehabt zu haben, hat aber auch betont, dieser sei keineswegs gewalttätig gewesen. Dass die Zeugin sich; erst lange nach der Tat Dritten anvertraut hat und eine Aussage bei der Polizei erst gemacht hat, nachdem diese sie kontaktiert hatte, spricht nicht gegen ihre Glaubwürdigkeit. Im Gegenteil, es ist nachvollziehbar, dass die Geschädigte sich nicht gerade danach gedrängt hat, Dritten überhaupt von dem erlittenen demütigenden Vertrauensbruch zu berichten, um so weniger, diesen an die Öffentlichkeit zu tragen. Dies zeigt auch der Umstand, dass die Nebenklägerin sich – obwohl sie der Zeugin Dr. R. ausführlich von dem Vorfall berichtet hatte und diese ihr mitgeteilt hatte, dass es weitere Fälle gebe – nicht von alleine an die Polizei gewandt hat, sondern dass es eines erneuten Anstoßes von außen bedurfte.
Für eine bewusste Falschaussage der Nebenklägerin R. ist auch kein Motiv ersichtlich. Sie hat Sich an den Angeklagten gewandt, weil dieser ihr von der Zeugin M. als fachlich hervorragender und hilfsbereiter Arzt empfohlen worden war. Der Angeklagte hat sie aus reiner Gefälligkeit außerhalb der üblichen Dienstzeiten untersucht. Anzunehmen, dass die Nebenklägerin den Angeklagten etwa aus Wut über die Fehldiagnose derart schwer belasten würde, wäre lebensfremd.
Die Kammer ist auch davon überzeugt, dass bei der Aussage der Nebenklägerin finanzielle Interessen keine Rolle gespielt haben. Sie hat erst nach ihrer ersten Aussage in der Hauptverhandlung mit Schriftsatz ihrer Nebenklagevertreterin vom 23.01.2003 einen Adhäsionsantrag gestellt. Sie hat bei ihrer zweiten Vernehmung im Hauptverhandlungstermin vom 18.03.2003 glaubhaft bekundet, dass sie von diesem Antrag erst einige Tage zuvor, am 4.03.2003, erfahren habe. Ihre Rechtsanwältin habe zwar einmal erwähnt, sie überlege, Schmerzensgeld zu fordern, dies sei ihr persönlich aber nicht so wichtig gewesen. Auf Vorhalt, dass der Inhalt der Antragsschrift teilweise im Widerspruch zu ihren Bekundungen stehe, hat sie deutlich gemacht, dass es ihr auf den Antrag nicht ankomme, und ihre Verärgerung über den nicht mit ihr abgesprochenen Inhalt der Antragsschrift zum Ausdruck gebracht. Soweit ihre Nebenklagevertreterin geschrieben habe, sie habe erst bei ihrer polizeilichen Vernehmung die fehlende medizinische Indikation für die Handlungen des Angeklagten erkannt, sei dies falsch. Wörtlich meinte die Zeugin: „Es wäre doch jedem Blöden klar geworden, das da etwas nicht stimmt, wenn man genital ohne Handschuhe Untersucht wird.“ Der entsprechende Satz in der Antragsschrift stamme ja auch nicht von. ihr sondern von ihrer Rechtsanwältin, die ihr im Nachhinein erklärt habe, sie habe dies wegen der Verjährung geschrieben.
Auch die Entstehungsgeschichte der Aussage der Nebenklägern R. spricht für die Richtigkeit ihrer Bekundungen. Unmittelbar nach der Untersuchung wirkte sie, wie ihr Mann, der Zeuge … der Hauptverhandlung glaubhaft bestätigt hat, bedrückt, äußerte diesem gegenüber aber nur, die Untersuchung sei „komisch“ gewesen. Gegenüber der Zeugin Dr. R. nachdem ihr Mann ihr von deren Gespräch mit seinem Stationsleiter erzählt hatte, schilderte sie dann den Ablauf der Untersuchung, insbesondere auch die Berührung der Brüste und der Genitalien durch den Angeklagten übereinstimmend mit ihrer Aussage in der Hauptverhandlung. Diese Übereinstimmung ging bis in die Details der Aussage. So hat die Zeugin auch schon gegenüber der Zeugin Dr. R. die Berührung der Brüste durch den Angeklagten mit der Untersuchung beim Frauenarzt verglichen. Bei der Untersuchung im Genitalbereich sei sie stocksteif geworden.
Dies haben neben der Nebenklägerin R. auch ihr Mann – abgesehen, von dem Gespräch mit der Zeugin Dr. und die Zeugin Dr. R. – soweit es das Gespräch mit ihr betrifft – glaubhaft bekundet. Die Zeugin Dr. R. hatte über das Gespräch, bei dem sie sich Notizen gemacht hatte, auch einen Vermerk angefertigt, den sie im Hauptverhandlungstermin vom 08.10.2002 übergeben und verlesen hat. Der Vermerk hat folgenden Wortlaut:
„(…) Frau R berichtete, im W. 1999 als Schwesternschülerin auf Station 1 der hiesigen Neurologie eingesetzt gewesen zu sein. Zu der Zeit sei sie einmal in der hiesigen neurologischen Poliklinik wegen Parästhesien vorstellig geworden. Es habe sich bei ihr später die Symptomatik im Zusammenhang mit der Einnahme von NSAR bei Rheumaerkrankung erklären lassen. Sie sei aber damals durch die Symptomatik verunsichert gewesen.
Eine Kollegin von Station 1, Schwester M. habe sie daraufhin gefragt, ob sie Prof. P. um Rat fragen sollte und ihm davon erzählt. Woraufhin Prof. P. sie später im Dienst angerufen habe und ihr einen „privaten Untersuchungstermin“ angeboten hätte. Sie sei daraufhin an einem Wochentag gegen 11:00 Uhr in sein Arbeitszimmer ins Gartenhaus (P1-station) gegangen und habe sich von ihm untersuchen lassen. Er habe zunächst die Reflexe, Gang und Stand geprüft. Die Untersuchung sei anfangs normal und sächlich gewesen. Dann habe er sie bei Sensibilitätsprüfungen merkwürdig angefasst und auffallend lange die Brust untersucht wie beim Frauenarzt und so Wie ihr Mann sie berühren würde. Er habe dabei mit leiser tiefer Stimme gesprochen, wie eine Verführerstimme. Er habe dann Vibrationsuntersuchungen mit der Stimmgabel gemacht, zunächst an Fuß, Unterschenkel und Armen. Dann sollte sie ihre Unterhose ausziehen, und er habe im Intimbereich Vibrationsempfinden getestet, an Klitoris, Schamlippen und am Scheideneingang. Sie sei dann plötzlich stocksteif geworden und habe gar nicht mehr reagieren können wie als Kind, Sie sei einmal als 10-jährige von einem Arbeitskollegen ihrer Mutter angefasst worden. Damals habe sie ihrer Mutter erst zwei Jahre später davon berichten können.
Prof. P. habe daraufhin die Untersuchung abrupt abgebrochen und schnell abgefertigt: Er habe gesagt, sie habe Fibromyalgie und ihr Saroten angeraten.
Ihr Mann habe draußen auf sie gewartet. Sie habe damals nur gesagt, es sei eine „komische“ Untersuchung gewesen, aber keine Einzelheiten erzählen wollen. Sie habe auch mit keinem anderen mehr darüber gesprochen. Sie habe es vergessen wollen und. dann einfach nicht mehr darüber nachgedacht. Sie habe sich wohl gefragt, ob er zu weit gegangen sei, oder ob das nur ihr Empfinden gewesen sei. Sie habe sich aber gedacht, dass er zu weit gegangen sei, weil sie solche Untersuchungen eigentlich nicht aus der Neurologie kenne.
Sie habe erst jetzt davon erzählt, nachdem ihr Mann, der ebenfalls im Haus Krankenpflegeschüler ist, ihr von ähnlichen Vorfällen berichtet habe. (…)“
Zweifel an der grundsätzlichen inhaltlichen Richtigkeit der Aussagen der Zeugen R. und Dr. R. bestehen danach nicht. Allerdings hat die Zeugin R. bekundet und ist auch auf Nachfrage dabei geblieben, dass die Nebenklägerin R. ihr gegenüber angegeben habe, der Angeklagte habe sie gebeten, die Unterhose runterzuziehen; wobei sie nicht gefragt habe, wer sie letztendlich runtergezogen habe. Jedenfalls habe die Nebenklägerin ihr gegenüber nicht bekundet, der Angeklagte habe ihr plötzlich die Unterhose runtergezogen.
Aus dieser Abweichung von der Aussage der Zeugin R. in der Hauptverhandlung ergeben sich keine Zweifel an deren Richtigkeit. Die Kammer ist davon überzeugt, dass es sich um ein Missverständnis der Zeugin Dr. R. gehandelt hat. Es handelt sich um ein eher nebensächliches Detail, dem weder die Zeugin Dr. R. noch die Nebenklägerin bei ihrem Gespräch besondere: Bedeutung beigemessen haben. So hat die Zeugin Dr. R. dann auch zunächst bekundet, die Nebenklägerin habe die Unterhose ausziehen müssen (in ihrem Vermerk heißt es: „Dann sollte sie ihre Unterhose ausziehen, (…)“), auf Befragen dann aber geäußert, sie sei sich „ziemlich sicher“, dass der Angeklagte die Nebenklägerin dazu aufgefordert habe, die Unterhose runterzuziehen, habe aber nicht erfragt, wer es dann letztlich getan habe. Zeigt sich hier bereits eine gewisse Unsicherheit der Zeugin, war dagegen die Zeugin R. in der Hauptverhandlung um so sicherer, dass der Angeklagte ihr die Unterhose selbst und ohne Vorankündigung runtergezogen habe. Sie ist bei dieser Angabe, die in Übereinstimmung mit ihren Bekundungen in ihrer polizeilichen Vernehmung steht, trotz mehrerer Nachfragen und Vorhalts der Aussage der Zeugin Dr. R. geblieben.
Selbst wenn aber die Erinnerung der Zeugin Dr. R. richtig sein sollte, würde diese Abweichung in einem eher nebensächlichen Detail nicht dazu führen, dass die Aussage der Nebenklägerin R. nicht glaubhaft wäre. Entsprechende Fehlerinnerungen sind etwas vollkommen Normales.
Übereinstimmend mit ihrer Aussage in der Hauptverhandlung hat die Zeugin die Ereignisse auch bei ihrer polizeilichen Vernehmung geschildert. Auch hier geht die Übereinstimmung bis in die Details, so vergleicht sie die Untersuchung der Brüste auch in dieser Vernehmung mit der Untersuchung beim Gynäkologen und gibt an, sie sei bei den Berührungen im Genitalbereich stocksteif geworden. Zum Inhalt dieser Vernehmung hat die Kammer die Ermittlungsbeamtinnen, die Zeuginnen KK’in S. und KK’in G. vernommen. Diese haben in Übereinstimmung mit den Angaben der Nebenklägerin hierzu Einzelheiten zum Inhalt der Vernehmung bekundet. Der Zeugin KK’in S. hat glaubhaft bestätigt, das der Tonbandmitschnitt der Vernehmung, der ihr im Wege des Vorhalts vorgespielt worden ist, die Vernehmung der Zeugin R. wiedergebe. Sie erinnere sich auch an die Vernehmung so, wie sie aufgezeichnet worden sei.
Schließlich hat die Nebenklägerin auch gegenüber der Zeugin S. die dies bei ihrer Vernehmung glaubhaft bestätigt hat – geäußert, der Angeklagte habe sie bei der Untersuchung an Stellen berührt, an denen dies neurologisch nicht notwendig gewesen sei.
Die Zeugin hat mithin bereits unmittelbar nach der Untersuchung gegenüber ihrem Ehemann geäußert, es sei eine komische Untersuchung gewesen und deren Ablauf dann gegenüber der Zeugin Dr. R. (7 Monate nach der Untersuchung), bei ihrer polizeilichen Vernehmung (10 Monate nach der Untersuchung) und in der Hauptverhandlung (3 Jahre nach der Untersuchung) so wie unter B. II. 2. festgestellt geschildert, ohne dass es zu irgendwelchen wesentlichen Abweichungen gekommen wäre. Dies spricht dafür, dass die Aussage auf einem tatsächlichen Erlebnis der Zeugin beruht, da bei einer – wenn auch nur teilweise – erfundenen Aussage nicht damit zu rechnen ist, dass die Aussage über diese Anzahl von Vernehmungen und über einen derart langen Zeitraum konstant bleibt.
Die Kammer schließt auch aus, dass die Aussage der Nebenklägerin zu der Berührung der Brüste und der Genitalien durch den Angeklagten auf fremdsuggestiven Einflüssen beruht. Ein Suggestion durch die Zeugin M. scheidet aus. Die Nebenklägerin R. und die Zeugin M. haben übereinstimmend bekundet, nur kurz über die Untersuchung gesprochen zu haben, wobei die Zeugin M. sichtlich Mühe hätte, sich überhaupt an die Nebenklägerin zu erinnern. Dass es bei diesem kurzen Gespräch zu einer Beeinflussung der Nebenklägerin gekommen ist, ist ausgeschlossen. Ausgeschlossen ist auch eine Beeinflussung durch den Ehemann der Nebenklägerin, dem diese gar nichts über die Untersuchung an sich erzählte. Dass die Schilderung eines derart detaillierten Geschehens, wie das, welches die Nebenklägerin bekundet hat, durch die Information seitens des Ehemanns über den Inhalt des Gesprächs zwischen der Zeugin Dr. R. und seinem Stationsleiter zustande gekommen sein soll, ist ebenfalls nicht anzunehmen.
Aber auch eine Suggestion durch die Zeugin Dr. P. der ersten Person, der die Nebenklägerin R. die Untersuchung detailliert geschildert hat, scheidet aus. Für eine bewusste Beeinflussung durch die Zeugin Dr. R. gibt es keine Anhaltspunkte. Diese war zwar empört über die Vorwürfe, die gegen den Angeklagten erhoben wurden, und auch über den Umgang der Klinikleitung mit diesen Vorwürfen, dass sie aber aus ihrem – berechtigten -Wunsch nach besserer Aufklärung heraus oder aber aufgrund ihrer Vorbefassung mit der Problematik von Sexualdelikten im Rahmen ihrer Tätigkeit als Psychiaterin die Nebenklägerin zu einer Falschaussage anstiften oder diese bewusst in einer Weise beeinflussen würde, dass diese in eine vollkommen normale Untersuchung im Nachhinein schwerwiegende sexuelle Übergriffe hineininterpretieren würde, ist lebensfremd. Ebenso lebensfremd ist es, anzunehmen, dass ein etwaiger Unbewusster suggestiver Einfluss der Zeugin Dr. R. aufgrund ihrer Empörung und ihrer eigenen Einstellung zum Thema sexueller Missbrauch ausgereicht hätte, um eine Aussage von der Qualität derjenigen der Nebenklägerin R. zu ermöglichen.
Hinzukommt, dass die Nebenklägerin R. auch nicht leicht beeinflussbar ist. Sie hat bei ihren Vernehmungen einen hohen Suggestionswiderstand gezeigt. Bei ihrer polizeilichen Vernehmung hat sie. trotz mehrerer direkter Nachfragen immer wieder verneint, dass der Angeklagte mit der Stimmgabel über den Scheideneingang hinaus in ihre Scheide eingedrungen sei oder sie mit den Fingern im Genitalbereich berührt habe. Durch den Vorhalt der Abweichung der Aussage der Zeug in Dr. R. von ihrer eigenen Aussage in der Hauptverhandlung hat sie sich nicht verunsichern lassen und nicht – wie man es häufig erlebt – damit reagiert, zu sägen, sie sei sich doch nicht mehr sicher. Vielmehr ist sie bei ihrer Aussage geblieben. Auf das Fehlen von überschießenden Belastungstendenzen, obwohl weitergehende Belastungen sich im Rahmen der Antwort durchaus angeboten hätten, ist bereits hingewiesen worden.
Die Aussage der Zeugin R. weist auch nicht die in der aussagepsychologischen Forschung herausgearbeiteten Merkmale auf, die auf eine Suggestion hindeuten. So hat sich ihre Aussäge nicht von diffusen zu immer konkreteren Angaben entwickelt, die wesentlichen Details des Kerngeschehens hat sie von Anfang an gleichbleibend bekundet. Die Nebenklägerin zeigt auch keine Tendenz, ihre Aussage um immer neue Elemente, Personen oder Sachverhalte zu erweitern.
Auszuschließen ist zuletzt auch eine autosuggestive Entstehung der Aussäge etwa aufgrund von früheren Missbrauchserfahrungen. Die Zeugin hat zwar angegeben, dass ihr als 10-Jährige einmal ein Kollege ihrer Mutter von hinten in die Hose gegriffen habe. Diese Erfahrung ist aber dem Ereignis, um das es hier geht, nämlich dem sexuellen Missbrauch im Rahmen einer ärztlichen Untersuchung, nicht vergleichbar.
Die Einlassung des Angeklagten dagegen wirkt konstruiert, insbesondere was seine Erklärung angeht, warum er der Nebenklägerin R. die – wie er selbst einräumt – falsche Diagnose Fibromyalgie gestellt haben will: Die Annahme, dass die Nebenklägerin ihre Hausärztin informieren und diese ihn dann anrufen würde, so dass er ihr seine wahre Diagnose hätte mitteilen können, ist lebensfremd. Hätte der Angeklagte der Hausärztin der Nebenklägerin seine Diagnose mitteilen wollen, hätte er sie ohne weiteres selbst anrufen können. Dies gilt um so mehr, als der Angeklagte selbst angibt, dass er nicht erwartet habe, dass die Nebenklägerin tatsächlich ihre Hausärztin informieren würde. Gegen diese Erklärung spricht weiterhin, dass der Angeklagte die Fehldiagnose Firbromyalgie auch entweder dem Zeugen Prof. Dr. H. oder dem Zeugen S. im Rahmen eines Gespräches vor dem 07.09.2000 mitteilte. Der Zeuge Prof. Dr. H. hat sich diese Diagnose neben den Worten „Schwesternschülerin, keine Patientin der Klinik“ seinerzeit auf einem Zettel, notiert, der bei der Durchsuchung seines Büros 07.09.2000 aufgefunden wurde und in der Hauptverhandlung vom 11.10.2002 in Augenschein genommen worden ist. Der Zeuge Prof. Dr. H. hat bekundet, es handele sich bei diesem Zettel um Notizen, die er sich im Zusammenhang mit Presseanfragen und eines Gesprächs, dass der Zeuge S. mit dem ersten Verteidiger des Angeklagten führen wollte, gemacht habe. Dass er die Diagnose Fibromyalgie aus der Presse erfahren habe, wie er weiter bekundet hat, ist allerdings zur Überzeugung der Kammer unrichtig, wobei dahinstehen mag, ob der Zeuge auch in diesem Punkt bewusst die Unwahrheit gesagt hat. In keinem der Presseartikel, die vor dem Zeitpunkt der Beschlagnahme des Notizzettels des Zeugen erschienen sind – eine Zusammenstellung von Presseartikeln ist teilweise im Wege der Verlesung, im Übrigen im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführt worden –, taucht dieser Begriff auf. Der Fall der Nebenklägern R. war auch vor der Durchsuchung der Uni-Klinik am 07.09.2000, bei der der genannte Zettel aufgefunden wurde, noch gar nicht bekannt; ihr Name wurde erstmals bei der Vernehmung der Zeugin Dr. M. am 18.09.2000 genannt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Nebenklägerin sich lediglich der. Zeugin Dr. PJJH anvertraut. Da es keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass diese Informationen an den Zeugen Prof. Dr. … weitergegeben hat, kann dieser die Diagnose Fibromyalgie und die Information, dass eine Schwesternschülerin, die nicht Patientin der Klinik war, im Zusammenhang mit den Vorwürfen eine Rolle; spielen könnte, nur vom Angeklagten erhalten haben, wenn auch unter Umständen auf dem Umweg über den Zeugen S. Die Kammer ist schließlich davon überzeugt, dass der Angeklagte die Stimmgabelprüfung an Schamlippen, Klitoris und Scheideneingang bei der Nebenklägerin … nur vorgenommen hat, um sich sexuell zu erregen. Eine medizinische Indikation ist nicht gegeben, wie der Sachverständige Prof. Dr. K. den die Kammer auch insoweit mit der Begutachtung beauftragt hat, unter besonderer Berücksichtigung der bereits erwähnten Richtlinien der EFNS erläutert hat. Der Angeklagte hat auch keine medizinische Indikation angegeben. Es gibt weiterhin keine Anhaltspunkte dafür, dass er zu Unrecht vom Vorliegen einer medizinischen Indikation ausgegangen ist und die Untersuchung aus diesem Grund so vorgenommen hat, wie er es getan hat. Die Kammer schließt auch aus, dass der Angeklagte aus einem medizinisch nicht begründbarem Vollständigkeitswahn, wissenschaftlicher Neugier oder einer paternalistischen Vereinnahmung der Nebenklägerin als Objekt medizinischer Untersuchungen heraus gehandelt hat, wie die Verteidigung in ihrem Antrag vom 13.11.2002 in den Raum gestellt hat. Er ist zwar als sehr gründlicher Arzt bekannt, dass seine Untersuchungen aber medizinisch überflüssig oder sinnlos gewesen seien, hat keiner der hierzu vernommenen sachverständigen Zeugen aus der Neurologischen Universitätsklinik in K. bekundet. Auch der Angeklagte hat dies nicht behauptet. Die einzige weitere ernsthaft in Betracht kommende und tatsächlich vorliegende Motivation bleibt daher eine sexuelle.
3. Zum Fall W (B.II.3.) hat der Angeklagte folgende Einlassung verlesen:
„Bei Frau W. bestand zum Zeitpunkt ihrer stationären Aufnahme in der Klinik für Neurologie der Universität zu K. am 03.01.2000 nach meiner diagnostischen Einschätzung der mindestens zweite Schub einer schubförmig mit Rückbildung der Symptome und Restdefizit verlaufenden Multiplen Sklerose in Form einer ausgedehnten Entzündung des Hirngewebes und des linken Sehnervs. Diese Diagnose war jedoch am Aufnahmetag noch nicht bekannt. Vielmehr zwang die sich seit wenigen Tagen anbahnende, zur Aufnahme führende und als einzige sichere körperliche Störung am selben Tag in der Universitäts-Augenklinik als Sehnerventzündung links diagnostizierte Symptomatik zur Abklärung einer ganzen Reihe möglicher Ursachen.
Nach Untersuchung in der Augen-Poliklinik war die Patientin zunächst in die Neurologische Poliklinik überwiesen, dort nur zum Zweck einer Klärung der Aufnahmeindikation orientierend untersucht und anschließend auf der Privatstation der Klinik für Neurologie in einem leeren Doppelzimmer stationär aufgenommen worden. Vom 30.12.1999 bis zum 05.01.2000 war ich als Stellvertreter des abwesenden Klinikdirektors Prof. Dr. H. für die Privatstation zuständig. Einziger ärztlicher Mitarbeiter auf dieser Station war am Tag der Aufnahme von Frau W. der Arzt im Praktikum N. Dieser hatte nach telefonischer Rücksprache mit mir und einem kurzen Anamnesegespräch mit der Patientin ohne weitere Untersuchung eine Nervenwasserentnahme durchgeführt und danach weit vor Dienstschluss die Klinik verlassen, obwohl es sich um einen regulären Arbeitstag handelte. Deshalb musste ich ohne relevante Vorinformationen die Aufnahmeuntersuchung allein durchführen. Normalerweise erfolgt diese Aufnahmeuntersuchung durch den Klinikdirektor oder Stellvertreter im Rahmen seiner morgendlichen Visite in Begleitung seines Oberarztes und seiner Assistenten an dem auf die Aufnahme folgenden Tag, nachdem am Nachmittag des Aufnahmetages der Oberarzt im Rahmen einer so genannten Abnahmeuntersuchung die wesentlichen, zuvor von einem Assistenten erhobenen Befunde kontrolliert hat. Der Assistenzarzt der Station, Herr Dr. M. G. kam jedoch erst am 04.01.2000 und der Oberarzt Priv.-Doz. Dr. R am 05.01.2000 wieder aus dem Urlaub zurück.
Als ich gegen 15:45 Uhr das; Krankenzimmer betrat, fand ich dort außer Frau W. auch ihren Ehemann Herrn M. vor und erhob zunächst von der Patientin in seiner Gegenwart die Vorgeschichte. Trotz wiederholter, nachdrücklicher und gezielter Befragung unter anderem auch zu eventuellen früheren vorübergehenden Gefühlsstörungen war die Patientin nicht in der Lage, dazu positive Angaben zu machen, obwohl sie am selben Tag anderenorts schon darüber berichtet hatte. Wäre mir diese Information bekannt gewesen, hätte ich mich in der folgenden körperlichen Untersuchung stärker beschränken können. Anschließend bat ich den Ehemann der Patientin – wie üblich, um zu einem möglichst objektiven Befund zu gelangen – vor die Tür und nahm eine routinemäßige, Symptom- und Differenzialdiagnosegeleitete Untersuchung vor, die etwa 20 Minuten dauerte. Nach anschließendem kurzen Gespräch mit der Patientin verließ ich das Zimmer und sagte zu Herrn M. er könne jetzt gern wieder zu seiner Frau gehen; über Weiteres könne man erst nach Vorliegen der wichtigsten Zusatzbefunde sprechen. Entgegen Herrn M. Aussage habe ich genauso wenig wie jemals sonst bei einer Untersuchung – im Gegensatz zu manchen Therapiesitzungen – ein Schild irgendeiner Art an der Tür des Krankenzimmers angebracht. Ebenfalls entgegen – seiner Bekundung habe ich meine neurologische 64-Hz-Stimmgabel niemals in der oberen Kitteltasche getragen.
Aus der aktuellen Personalsituation und dem privatärztlichen Behandlungsvortrag, den Frau W. bei ihrer Klinikaufnahme abgeschlossen hatte, ergab sich für mich als Stellvertreter des Chefarztes die Verpflichtung zu einer Untersuchung in problemgerechter Vollständigkeit. Ziel dieser pflichtgemäßen Untersuchung war es, einerseits über die bereits festgestellte Sehnerventzündung links hinausgehende sonstige Zeichen einer Multiplen Sklerose als der wahrscheinlichsten Ursache zu finden, andererseits nach Hinweisen auf sonstige Krankheiten zu Suchen, die ebenfalls mit einer Sehnerventzündung einhergehen können und deren Spektrum von Vergiftungen über bestimmte Infektions- und Stoffwechselkrankheiten oder immunologisch entstandene Entzündungen der Blutgefäße und des Bindegewebes bis zu verschiedenen Krebserkrankungen reicht. Daher bat ich die Patientin, wie für eine neurologische Ganzkörperuntersuchung lehrbuchmäßig erforderlich und international üblich, sich bis auf die Unterwäsche zu entkleiden und aus dem Bett aufzustehen. Da sie keinen BH trug, blieb sie nur mit Unterhose bekleidet, was ebenfalls nicht ungewöhnlich ist. Ich führte erst eine Stand-, Gang- und Koordinationsprüfung durch, untersuchte dann orientierend die Sehschärfe und das Gesichtsfeld, danach die Augenbeweglichkeit, spiegelte den Augenhintergrund, horchte Herz und Lunge ab, inspizierte die Haut der oberen Körperhälfte und die Mundhöhle, prüfte Wirbelsäule und Nierenlager auf Klopfschmerzhaftigkeit, tastete an Hals und Nacken: nach Lymphknoten und prüfte die grobe Kraft an den Armen. Bevor sich Frau W wieder ins Bett legte, suchte sie kurz die Toilette auf. Bei im Bett auf dem Rücken liegender Patientin fuhr ich dann mit meiner Untersuchung fort. Ich prüfte die Funktion der wichtigsten Hirnnerven, tastete in den Achselhöhlen und in der Leiste nach Lymphknoten, prüfte Oberarme, Oberschenkel und den Bauch auf Druckschmerzhaftigkeit, die Leber auf ihre Größe und tastete die Pulse. Gleichzeitig inspizierte ich die Haut der gerade von mir untersuchten Körperregion, prüfte den Muskeltonus und die grobe Kraft an den Beinen. Es folgte eine Prüfung auf leichte Lähmungen in Vorhalteversuchen,- Störungen schneller Wechselbewegungen sowie der Feinmotorik, sodann die Untersuchung der wichtigsten Muskeleigenreflexe, der Bauchhautreflexe und spastischen Zeichen. Dann prüfte ich das oberflächliche Berührungsempfinden an Armen, Rumpfvorderseite und den Beinen, danach mittels neurologischer 64-Hz-Stimmgabel das Vibrationsempfinden an Zehen- und Fingerkuppen, Schultern und Becken. Schließlich bat ich die Patientin, sich die Unterhose herunterzuziehen und sich mit gebeugten Knien auf die Seite zu drehen, weil ich, wie stets bei der Frage einer Multiplen Sklerose, die Analreflexe noch prüfen musste. Daraufhin zog die Patientin ihre Unterhose vollständig aus und kniete sich ins Bett. Zu derartigen Fehlhandlungen kommt es – insbesondere bei auffassungs- und aufmerksamkeitsgestörten Patienten – häufig im Rahmen einer, neurologischen Aufnahmeuntersuchung. Sie sollten üblicherweise nur dann korrigiert werden, wenn sie die Untersuchung behindern. Daher kommentierte ich nicht, sondern prüfte die Analreflexe. Damit war die Untersuchung beendet. Kein Untersuchungsteil wurde wiederholt – schon gar nicht bei vollständig entkleideter Patientin. Weder ist Frau W. in meiner Gegenwart nackt durch den Raum gelaufen oder hat nackt auf einem Bein gestanden; noch habe ich ihr äußeres Genitale berührt oder sonstwie untersucht. Sexuell gefärbte Berührungsfantasien, so genannte haptische Fantasien, gibt es allerdings ohnehin bei keiner neurologischen Patientengruppe so häufig wie bei Patientinnen mit Multipler Sklerose. Während der gesamten Untersuchung war Frau W. voll kooperativ – wenn auch in ihren Aktivleistungen verzögert und unsicher, ob sie auch alles richtig mache. Nachdem sich die Patientin wieder angezogen hatte, sprachen wir noch über ihre weitere Diagnostik zur Klärung der bislang nicht sicheren Diagnose, dass die ihr von dem Arzt in der Augenklinik mitgeteilte Multiple Sklerose bislang nur eine Möglichkeit unter mehreren sei, und über ihre vorgesehene Kortisonbehandlung.
An krankhaften körperlichen Befunden stellte ich eine deutliche, nicht ganz homogene Sehschwäche auf dem linken Auge fest, welche Frau W. ebenso irritierte wie der Schmerz hinter dem linken Auge bei Blickbewegungen. Der linke Augapfel war druckschmerzhaft, die Sehnerveneintrittsstelle am linken Augenhintergrund leicht glasig und randunscharf. Beim Aufsetzen aus liegender Position trat ein eher niederfrequenter so genannter Aktionstremor der Hüft- und Oberschenkelmuskulatur beidseits mit grobem Zittern der Beine auf, der für eine Funktionsstörung auf Mittelhirnebene sprach und nach Angaben der Patientin bei Aufregung schon seit langem aufträte. Entsprechend ihrer Anspannung und vegetativen Erregung waren die Muskeleigenreflexe sehr lebhaft, sichere körperliche Krankheitszeichen fanden sich ansonsten jedoch nicht. In psychischer Hinsicht wirkte Frau W. angespannt, unkonzentriert, auffassungsgemindert, im Denken sprunghaft und verlangsamt, affektiv eher verflacht. Ihre Sprache war hektisch und floskelhaft mit stark verkürzten, oft unvollständigen Sätzen.
Diese Untersuchungsergebnisse und meine Überlegungen zu den infrage kommenden Diagnosen sowie zur weiteren Diagnostik berichtete ich am folgenden Morgen vor meiner Visite auf der Privatstation meinen beiden ärztlichen Mitarbeitern, die auch für die Befunddokumentation zuständig waren. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich das erste Ergebnis der Nervenwasseruntersuchung, nämlich eine stark erhöhte Zahl von Entzündungszellen, die unter Berücksichtigung des klinischen Befundes eine weit über den Sehnerven hinausgehende akute Entzündung des Hirngewebes anzeigte. Ebenfalls erfuhr ich, dass Frau W. schon am selben Tag in einer auswärtigen radiologischen Praxis eine Kernspintomografie des Kopfes bekommen könne. Als ich dann auf meiner Visite in Gegenwart meiner beiden ärztlichen Mitarbeiter und einer Krankenschwester mit Frau W. sprach, erläuterte ich ihr kurz die Konsequenz des Nervenwasserbefundes und bereitete sie auf die anstehende Kernspintomografie vor. Zu dieser Zeit lief bei der Patientin bereits die erste Kortisoninfusion, und es zeigte sich an ihrer leichten Gesichtsrötung auch schon die erste vegetative Reaktion auf dieses Medikament. Abgesehen von einem ungewohnten Wärmegefühl gab Frau W. aber keine neuen Beschwerden an.
Am Morgen des 05.01.2000 wertete ich vor der Visite die aktuellen kernspintomografischen Aufnahmen der Patientin aus und fand mindestens 23 teils ältere, teils ganz frische Entzündungsherde vorwiegend im Großhirn. Dabei lagen die ganz frischen Herde bevorzugt im oberen Marklager sowie an der Mark-Rindengrenze des vorderen oberen Stirnhirns. Zwei größere, unscharf begrenzte Entzündungsherde fanden sich ungewöhnlicherweise im linken, also bei einer Rechtshänderin wie Frau W. wesentliche Gedächtnisfunktionen tragenden, Thalamus an der Grenze zur inneren Kapsel. Allein die letztgenannten Herde in Verbindung mit den ganz frischen Herden im Stirnhirn bewiesen zusammen mit den stark entzündlichen Veränderungen des Nervenwassers, dass es sich bei dem Psychosyndrom der Patientin um ein organisches Kombinationssyndrom mit Beeinträchtigung des Gedächtnisses und übergeordneter Hirnleistungen infolge der ausgedehnten Hirnentzündung handelte – und nicht, wie ich zunächst gehofft hatte, lediglich um eine Reaktion auf die frühzeitige Mitteilung der Verdachtdiagnose einer Multiplen Sklerose durch den erstuntersuchenden Augenarzt. Ich empfahl meinen mittlerweile drei ärztlichen Mitarbeitern, erst nach Vorliegen der restlichen Nervenwasser- und sonstigen Laborbefunde sowie nach klinischer Besserung mit der Patientin die wahrscheinliche Diagnose einer Multiplen Sklerose und deren Langzeitbehandlung zu besprechen. In diesem Sinne erkundigte ich mich auf meiner Visite bei Frau W. auch nur nach ihrem Befinden und gab ihr eine bewusst knappe Erläuterung des kernspintomografischen Befundes. Nach eigenem Bekunden war ihr Zustand unverändert. Die Kortisonbehandlung vertrug sie gut. Dies war mein letzter persönlicher Kontakt mit der Patientin.“
Der Angeklagte hat sich weiter dahin eingelassen, dass er Schilder mit der – sinngemäßen – Aufschrift „Bitte nicht stören!“ nur bei Therapiesitzungen verwendet habe. Hierbei habe es sich um von ihm selbst angefertigte Schilder gehandelt. Ein solches Schild sei aber auf der Privatstation nie vorhanden gewesen; er habe es bei Frau W. auch nicht verwendet.
Im Rahmen seines letzten Wortes in der Hauptverhandlung hat der Angeklagte eine „Verhaltensneurologische Befundung der am 04.01.2000 (…) angefertigten MRT-Bilder des Hirnschädels“ verlesen. Auf den MRT-Bildern seien insgesamt 30 Flecken erkennbar, von denen einige in verhaltensneurologisch wichtigen Hirnregionen lägen. Der Befund sei das typische Bild eines keinesfalls ersten Schubs einer Multiplen Sklerose. Die Vielzahl der Herde lasse mit hoher Wahrscheinlichkeit den Schluss auf ein hirnorganisches Psychosyndrom vom Typ einer zentral-exekutiven Dysfunktion zu. Zu erwarten seien Störungen von Konzentration und Aufmerksamkeit, insbesondere Zeitgitterstörungen und unspezifische kognitive Einbußen. Es seien weiterhin Schlafstörungen und Störungen der Sexualfunktionen zu erwarten. Auszugehen sei auch von Störungen aller Gedächtniseinprägungs- und -abrufvorgänge, so dass insgesamt für die Dauer des akuten Schubes der Multiplen Sklerose von einer deutlich eingeschränkten Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin auszugehen sei.
Diese Einlassung ist, soweit sie bezüglich des äußeren Geschehensablaufs den getroffenen Feststellungen widerspricht, widerlegt durch die Aussage der Nebenklägerin W. Diese hat den äußeren Geschehensablauf, ihre Gefühle während der Untersuchung sowie ihre Gespräche mit Dritten über das Geschehen so wie unter B. II. 3. festgestellt bekundet.
Die Zeugin W. ist uneingeschränkt aussagetüchtig. Im Hinblick auf die Einlassung des Angeklagten hat die Kammer den Sachverständigen Prof. Dr. K. zur Frage der Aussagetüchtigkeit gehört.
Der Sachverständige Prof. Dr. K. besitzt die erforderliche Sachkunde. Insoweit kann grundsätzlich auf die Ausführungen zum Fall R. (C. IV. 2.) verwiesen werden. Dies gilt im Übrigen auch, soweit bei der Nebenklägerin V. neurologische Fragestellungen von Bedeutung sind. Denn der Sachverständige Prof. Dr. K. ist Nervenarzt, was eine fachärztliche Ausbildung auf dem Gebiet der Neurologie einschließt. Er ist auch, mehrere Jahre in einer neurologischen Klinik praktisch tätig gewesen.
Sein Gutachten betreffend die Nebenklägerin W. hat er auf Grundlage ihrer Vernehmungen in der Hauptverhandlung und seiner eigenen Exploration, die am 26.04.2001 in Berlin stattfand, erstattet. Ihm waren weiterhin die polizeiliche Vernehmung der Nebenklägerin, die Exploration durch den Sachverständigen Prof. Dr. S. und die von diesem in Auftrag gegebene leistungspsychologische Befunderhebung bekannt. Ihm standen zudem die vollständige Krankenakte der Nebenklägerin aus der neurologischen Universitätsklinik K., die Polikliniksmappe, die Ergebnisse der bei der Nebenklägerin durchgeführten Kern-Spin-Tomographie und die ärztlichen Unterlagen der sachverständigen Zeugin die seit dem Aufenthalt in der Uni-Klinik die behandelnde Neurologin der Nebenklägerin ist, zur Verfügung. Er war bei den Vernehmungen der behandelnden Ärzte, der sachverständigen Zeugen O. Prof. Dr. H. Dr. … und sowie des Ehemanns der Nebenklägerin, des Zeugen M. anwesend oder wurde über diese Vernehmungen informiert.
Auf dieser Grundlage ist der Sachverständige Prof. Dr. K. zu dem Ergebnis gelangt, dass in der neurologischen Universitätsklinik in K. zurecht eine Multiple Sklerose diagnostiziert worden sei. Auch die Ansicht des Angeklagten, dass es sich mindestens um den zweiten Schub handele, sei unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Kern-Spin-Tomographie und des Liquorbefundes nachvollziehbar. Zum Zeitpunkt ihres Aufenthalts in der neurologischen Universitätsklinik habe die Nebenklägern W. an einem akuten Schub gelitten, der sich in einer starken Gesichtsfeldeinengung des linken Auges geäußert habe. Diese Symptomatik sei nach Beginn der Kortisonbehandlung am 04.01.2003 schnell abgeklungen. Über diese Symptomatik hinaus habe die Nebenklägerin W. weder am 03.01.2003, dem Zeitpunkt der Untersuchung durch den Angeklagten, noch zu den Zeitpunkten ihrer polizeilichen Vernehmung, ihrer Exploration durch ihn selbst und den Sachverständigen Prof. Dr. S. und ihrer Vernehmungen in der Hauptverhandlung an hirnorganischen Störungen aufgrund ihrer Erkrankung gelitten, die ihre Zeugentüchtigkeit beeinträchtigen könnten. Irgendwie geartete Sensibilitäts-Störungen – abgesehen von Taubheitsgefühlen in Füßen und Fingern vor dem Klinikaufenthalt – seien weder in den Krankenunterlagen dokumentiert noch sonst wie bekannt geworden.
Die Nebenklägerin habe auch nicht an psychischen Störungen gelitten. Sie sei zwar aufgrund der Verdachtsdiagnose – laienhaft gesprochen – geschockt und fertig mit den Nerven gewesen, allein diese normalpsychologische Reaktion könne die Wahrnehmung aber nicht relevant beeinträchtigt haben. In den Krankenunterlagen finde sich auch kein Hinweis auf psychopathologische Ausfallerscheinungen, insbesondere was die Gedächtnisleistungen der Nebenklägerin angehe. Hätte es solche Ausfallerscheinungen gegeben, hätten diese aber auch dokumentiert werden müssen, weil es selbstverständlich auch für den weiterbehandelnden Arzt von Bedeutung sei, wenn die Patientin unter psychischen Störungen leide. Dies gelte umso mehr, wenn es sich um schwerwiegende kognitive Einbußen handele. Auch die sachverständige Zeugin H. habe keine relevanten psychischen Beeinträchtigungen festgestellt. Es sei im Übrigen auch nicht zwingend, dass jeder in einem frühen Stadium an Multipler Sklerose Erkrankte unter erheblichen psychischen Beeinträchtigungen leide, wobei das Risiko hierfür allerdings mit jedem Schub steige. Entscheidend sei aber, dass es keine konkreten Anhaltspunkte für solche Beeinträchtigungen beider Nebenklägerin W. gebe.
Was das Vorliegen einer Gedächtnisstörung bei der Nebenklägerin angeht, hat der Sachverständige Prof. Dr. K. weiter ausgeführt, dass vorliegend eine Gedächtnisstörung im Sinne eines Nichterinnerns ausscheide. Die Nebenklägerin erinnere sich ja gerade detailliert an die Untersuchung. Es gebe aber auch keinen Hinweis auf eine Fehlerinnerung bzw. das Auffüllen einer Gedächtnislücke im Sinne einer sogenannten Konfabulation. In einem solchen Fall werde die Erinnerungslücke regelmäßig mit bekannten Schemata aufgefüllt, während es hier um ein außergewöhnliches Ereignis gehe. Auch das Vorliegen eines sogenannten Korsakow-Syndroms sei daher auszuschließen. Gegen erhebliche Gedächtnisstörungen spreche zudem, dass die Nebenklägerin nach ihrer Entlassung aus der Uni-Klinik weiter mit Erfolg in ihrem Beruf als Fonds-Managerin einer großen Versicherung gearbeitet und diese Arbeit lediglich wegen der Geburt ihres ersten Kindes unterbrochen habe. Auch die im Zusammenhang mit der Exploration in Berlin durchgeführte neuropsychologische Testung sei unauffällig gewesen und habe, wenn überhaupt, eher überdurchschnittliche Ergebnisse erbracht. Keine Anhaltspunkte gebe es weiterhin dafür, dass die Nebenklägerin die Testung des Analreflexes uminterpretiert habe, etwa aufgrund einer Sensibilitätsstörung oder einer sogenannten haptischen Fantasie. Während die Prüfung des Analreflexes mittels eines kurzen Reizes, meist durch einen Piekser ausgelöst, erfolge, habe die Nebenklägerin eine länger andauernde Untersuchung mit der Stimmgabel beschrieben. Es sei zudem so, dass sexuelle Fantasien auch deswegen wenig wahrscheinlich seien, weil die Libido bei Patienten mit Multipler Sklerose typischerweise eher abnehme. Dass haptische Fantasien bei MS-Patienten besonders häufig seien, sei jedenfalls unrichtig.
Nicht nachvollziehbar sei weiterhin, wie der Angeklagte in seinem Anamnesegespräch mit Schwerpunkt auf den neurologischen Fragen einen so weitgehenden psychischen Befund erhöben haben wolle. Das vom Angeklagten sogenannte organische Kombinationssyndrom gebe es nicht. Dass die daraus resultierenden Beeinträchtigungen, der übergeordneten Hirnleistungen eingetreten sein sollen, ohne dass es zu basalen Ausfällen gekommen wäre, die auch andere außer dem Angeklagten erkannt hätten, sei auch nicht denkbar.
Bei der Nebenklägerin W. sei auch keine erhöhte Suggestibilität festzustellen. Sie sei nicht leicht zu verunsichern. Wie ihre Vernehmungen gezeigt hätten, könne sie ihre Position auch unter Druck gut behaupten und die Dinge kritisch würdigen. Auch ihre berufliche Position sei mit einer erhöhten Suggestibilität nicht vereinbar.
Schließlich hat der Sachverständige ausgeschlossen, dass die bei der Nebenklägerin W. am 04.01.2003 begonnene hochdosierte Cortisonbehandlung sich auf ihre Erinnerung an Erlebnisse vor Behandlungsbeginn ausgewirkt haben könnte. Es gebe weder wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber, dass Cortison dazu führen könne, dass Patienten Erlebnisse vor Behandlungsbeginn vergessen würden, noch darüber, dass Cortison zu Gedächtnisveränderungen führen könne.
Insgesamt, so der Sachverständige zusammenfassend, gebe es bei der Nebenklägerin W nicht den Hauch einer Anknüpfungstatsache für eine Beeinträchtigung der Aussagetüchtigkeit“.
Diesen nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen, des Sachverständigen Prof. Dr. K. folgt die Kammer ohne Einschränkung. Sein Gutachten ist schlüssig und enthält keine Widersprüche. Es geht – wie auch die Gutachten betreffend die Nebenklägerinnen N. und P. von derselben zutreffenden Methodik aus, wie das zur Nebenklägerin R. erstattete Gutachten. Der Sachverständige ist von zutreffenden Anknüpfungstatsachen ausgegangen. Den Inhalt der Vernehmungen der Nebenklägerin W. in der Hauptverhandlung und der medizinischen Unterlagen hat er – soweit für die Gutachtenerstattung erforderlich – wiedergegeben. Mit der Einlassung des Angeklagten hat er sich ausführlich auseinandergesetzt. Insbesondere entspricht sein Gutachten auch den Erkenntnissen der weiteren behandelnden Ärzte der Nebenklägern. So konnte sich die sachverständige. Zeugin Dr. N. die die Nebenklägerin W. vor ihrer stationären Auf nähme in der neurologischen Poliklinik untersucht hat, an diese nicht einmal auf Vorhält des von ihr verfassten Berichts erinnern, in dem auch keinerlei psychische Auffälligkeiten vermerkt sind. Hätte die Nebenklägerin aber Unter derart schwerwiegenden Ausfallerscheinungen gelitten, wie der Angeklagte sie behauptet, wäre eher zu erwarten, dass die – auch nach Angaben des Angeklagten – trotz ihrer Stellung als Ärztin im Praktikum klinisch schon erfahrene Zeugin diese bemerkt hätte und sich an einen solchen Fall auch erinnern würde. Auch der sachverständige Zeuge Dr. N., der die Nebenklägerin stationär aufgenommen hat und sie als Assistenzarzt betreut hat, konnte sich an keinerlei Besonderheiten bezüglich der psychischen Verfassung der Zeugin erinnern. Der sachverständige Zeuge Prof. Dr. H. der für ihre Behandlung als Privatpatientin letztendlich zuständig war, hat zwar – getrieben von seinem Bemühen, den Angeklagten zu schützen – zunächst angegeben, es habe sich um eine auffällige Patientin mit ausgeprägten Läsionen gehandelt,- konnte aber als konkrete Beeinträchtigung der Zeugin dann nur nennen, dass ihre Kritikfähigkeit vermindert gewesen sei, so dass sie nicht in der Lage gewesen sei, die Diagnose zu akzeptieren. Auf die Frage, ob es sich – wie die Verteidigung im Ermittlungs- und Zwischenverfahren vorgetragen hatte – um eine subkortikale Demenz gehandelt habe, musste er einräumen, dass dies keineswegs der Fall gewesen sei. Es handele sich bei. der Nebenklägerin W. auch nur um einen leichten Fall der Multiplen Sklerose.
Keinerlei Hinweise für das Vorliegen von für die Zeugentüchtigkeit relevanten hirnorganischen oder psychischen Störungen bei der Nebenklägerin W. hat auch die sachverständige Zeugin H. gefunden. Diese behandelt die Nebenklägerin durchgehend seit ihrer Entlassung aus der Uni-Klinik. Die sachverständige Zeugin, die in ihrer Praxis schwerpunktmäßig MS-Patienten behandelt, hat glaubhaft bekundet, sie untersuche gerade bei MS-Patienten immer, ob ein hirnorganisches Psychosyndrom vorliege. Dies habe sie auch bei der Nebenklägerin W. getan, diese leide weder unter einem hirnorganischen Psychosyndrom noch unter sonstigen kognitiven Beeinträchtigung gen. Die Nebenklägerin sei zwar am Anfang der Behandlung sehr besorgt über ihre Zukunft gewesen – sie, die sachverständige Zeugin H. habe insoweit in ihren Unterlagen „subdepressiv“ vermerkt –, dies sei aber nach der erstmaligen Diagnose einer Multiplen Sklerose völlig normal und habe keine relevanten Auswirkungen auf kognitive Fähigkeiten. Auch dem Ehemann der Nebenklägerin, dem Zeugensind bei seiner Frau nie Gedächtnisprobleme aufgefallen.
Das Ergebnis des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. entspricht schließlich auch dem eigenen Eindruck, den die Kammer von der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung gewonnen hat, Sie hat keinerlei Auffälligkeiten im Aussageverhalten gezeigt und den Eindruck einer sachlichen, intelligenten, mitten im Leben stehenden Frau gemacht. Irgendwelche Anhaltspunkte für aktuelle oder früher bestehende. Probleme bei der Alltagsbewältigung, wie sie bei schweren kognitiven Beeinträchtigungen zu erwarten wären, gab es nicht.
Die „Verhaltensneurologische Befundung“ des Angeklagten im Rahmen seines letzten Worts schließlich gab keine Veranlassung, die Beweisaufnahme wieder zu eröffnen. Die Ergebnisse der zugrundeliegende liegenden MRT-Untersuchung waren dem Sachverständigen Prof. Dr. … bekannt. In seinem Gutachten hat er sie ausgewertet. Die vom Angeklagten aus den MRT-Bildern gezogenen Schlüsse, für die Aussagetüchtigkeit hat er abgelehnt.
Die Aussage der Nebenklägerin W. ist auch glaubhaft Bezüglich des äußeren Ablaufs der Untersuchung stimmt die Aussage der Nebenklägerin fast vollständig mit der Einlassung des Angeklagten überein. Der Angeklagte bestreitet allerdings, die Nebenklägerin mit der Stimmgabel an den Genitalien berührt zu haben. Sie habe auch weder Übungen vollständig nackt machen noch Übungen wiederholen müssen. Dass sie sich in Knie-Ellenbogen-Lage begeben habe, beruhe auf einem Missverständnis der Nebenklägerin.
Soweit die Angaben der Nebenklägerin mit denen, des Angeklagten übereinstimmen, hat die Kammer keine Veranlassung, an deren Richtigkeit zu zweifeln. Aber auch bezüglich der Wiederholung der Übungen im vollständig entkleideten Zustand, der Bitte des Angeklagten, sich in Knie-Ellenbogen-Lage zu begeben und der Berührung der Genitalien mit der Stimmgabel durch den Angeklagten ist die Aussage der Nebenklägerin glaubhaft. Auch diese Aussage weist zahlreiche Realkennzeichen auf:
Für die Wiedergabe eines tatsächlichen Erlebnisses spricht die spontane, lebensnahe, plastische und von zahlreichen Details geprägt Schilderung des Geschehens. So hat die Zeugin im. einzelnen beschrieben, wie sie aus der Bauchlage in die Knie-Ellehbogen-Lage geraten ist, nämlich indem der Angeklagte sie mehrfach bat, das Gesäß noch ein bisschen zu heben und die Beine zu spreizen („Er sagte; Noch ein Stückchen weiter, spreizen Sie die Beine mal. Das ging peu a peu.“). Ebenso plastisch war die Schilderung der Zeugin, dass sie gefühlt habe, wie der Angeklagte ihre Schamlippen gespreizt habe, und gleichzeitig auch das Vibrieren der Stimmgabel ah den äußeren und inneren Schamlippen und in der Scheide bis hin zum Scheideneingang gespürt habe. Hierbei habe er immer wieder gefragt: „Merken Sie das? Merken Sie das?“ Sie habe immer sagen sollen, wie lange sie es noch spüre. Die fließende Bewegung, mit der der Angeklagte sie am Oberkörper abgestrichen habe, hat sie in der Hauptverhandlung vorgeführt.
Originell hat die Zeugin auch ihre Gefühle und Reaktionen während der Untersuchung geschildert, so dass sie irgendwann nur noch gesagt habe: „Ich merke nichts mehr.“ Sie habe gehofft, der Angeklagte würde hierauf die Untersuchung beenden. In diesem Zusammenhang zu nennen sind auch die Gedanken, die die Nebenklägerin geschildert hat, als sie während der Untersuchung auf Toilette gegangen sei. Sie habe sich zwar einerseits über die Untersuchung gewundert, sich aber andererseits damit beruhigt, dass sie in der Uni-Klinik sei („Ich dachte noch: „Die sind hier vielleicht besonders gründlich.“) Im Nachhinein habe sie sich „so flapsig“ überlegt, dass nebenan ja die Psychiatrie sei „Vielleicht färbt das ja ab;“ Realkennzeichencharakter hat auch die häufige Verwendung von wörtlicher Rede durch die Nebenklägerin.
Ebenfalls Realkennzeichencharakter haben die Komplikationen, die die Schilderung der Untersuchung durch die Nebenklägerin enthält. Zu nennen ist hier insbesondere die Unterbrechung der Untersuchung durch den Gang auf Toilette im vollständig unbekleideten Zustand sowie die Wiederholung der neurologischen Übungen nach Rückkehr von der Toilette. Solche Elemente sind bei einer erfundenen Geschichte nicht zu erwarten, weil sie die Gefahr bergen, dass der Erzählende Dinge durcheinander bringt oder sich in Widersprüche verwickelt, insbesondere wenn er damit rechnen muss, seine Aussage mehrfach wiederholen zu müssen. Bei einer Falschaussage ist daher eher eine geglättete, komplikationslose Geschichte zu erwarten.
Die Nebenklägern W. ist auch glaubwürdig. Ihre Aussage war frei von überschießenden Belastungstendenzen. Im Gegenteil, was die Belastung des Angeklagten anging, war sie eher zurückhaltend und vorsichtig. So hat sie den Angeklagten als souverän, kompetent und solide wirkend beschrieben und verneint, an ihm Anzeichen sexueller Erregung bemerkt zu haben. Auch als er ihr wegen des Zitterns die Hand auf das Knie gelegt habe, sei das ganz sachlich gewesen. Auch hier spricht es eher für und nicht gegen die Glaubwürdigkeit der N eben auf Anstoß von außen, dem Anschreiben der Polizei, Dritten von dem Erlebnis berichtet hat. Für ihre Glaubwürdigkeit spricht auch die seither erlebte Einschränkung im Sexualleben, die auch ihr Mann glaubhaft bestätigt hat. Die Kammer schließt aus, dass die Zeugin und ihr Mann gerade diese Einschränkung erfunden haben; wollten sie den Angeklagten zu Unrecht belasten, wäre zu erwarten, dass sie sich wesentlich schwerwiegendere psychische Auswirkungen ausdenken würden, als dass die Nebenklägerin sich für Vaginalverkehr von hinten nicht mehr öffnen könne.
198Für eine bewusste Falschaussage ist auch kein Motiv ersichtlich. Dass die Zeugin sich durch eine sehr gründliche, für sie ungewohnte neurologische Untersuchung belastet gefühlt hat, der Angeklagte ihr und ihrem Ehemann unhöflich vorkam und beide auch sonst einiges ah den Verhältnissen und der Atmosphäre in der Uni-Klinik auszusetzen hatten, ist keine Erklärung für eine derart schwerwiegende Belastung des Angeklagten. Die Nebenklägerin W. hat auch ersichtlich keine finanziellen Interessen; sie hat im Laufe des Strafverfahrens nicht einmal einen Adhäsionsantrag gestellt.
199Für die Richtigkeit der Aussage der Zeugin spricht weiterhin die Entstehungsgeschichte. Wie der Zeuge M. glaubhaft bestätigt hat, hat sie bereits nach der Untersuchung geäußert, diese sei sehr merkwürdig gewesen. Dass sie keinen Vaginalverkehr mehr von. hinten durchführen wolle, hat sie damit begründet, dass sie sich aufgrund der Untersuchung durch den Angeklagten nicht mehr öffnen könne. Auch dies haben die Nebenklägerin und ihr Mann übereinstimmend so bekundet.
200Im Wesentlichen übereinstimmend mit ihren Angaben in der Hauptverhandlung hat die Nebenklägerin die Untersuchung dann erstmals bei ihrer polizeilichen Vernehmung geschildert. Zum Inhalt dieser Vernehmung hat die Kammer den Zeugen K. vernommen, der in Übereinstimmung mit den Angaben der Nebenklägerin hierzu bekundet und einzelne Umstände von sich aus geschildert hat. Ihm wurde die Tonbandaufzeichnung der Vernehmung vorgehalten. Er hat bestätigt, dass diese den Ablauf der Vernehmung wiedergibt. Auch die Nebenklägerin hat zu dieser Vernehmung übereinstimmend bekundet.
201Bei der polizeilichen Vernehmung hat die Nebenklägerin W. allein die Durchführung der neurologischen Übungen im noch mit der Unterhose bekleideten Zustand und die Unterbrechung der Untersuchung durch den Gang zur Toilette nicht erwähnt. Daraus kann indessen nicht gefolgert werden, dass diese Elemente des Geschehens sich so nicht ereignet hätten. Hiergegen spricht deren detaillierte Schilderung bei der Exploration durch den Sachverständigen Prof. Dr. S. und in der Hauptverhandlung. Was die Übungen im teilweise bekleideten Zustand eingangs der Untersuchung angeht, stimmt dies ja auch mit der Einlassung des Angeklagten überein. Diese Auslassung bei der polizeilichen Vernehmung erklärt; sich auch zwanglos durch die Anspannung aufgrund der ungewohnten Vernehmungssituation und die nachvollziehbaren Hemmungen der Nebenklägerin, Dinge aus dem Bereich des Sexuellen zwanglos zu schildern, die auch darin deutlich werden, dass die Zeugin erst auf Aufforderung die eigentliche Untersuchung beschreibt. Wie auch bei der Exploration durch den Sachverständigen Prof. Dr. S. fiel es ihr aus diesem Grund auch bei der Polizei schwer, exakt anzugeben, wie weit der Angeklagte mit der Stimmgabel in ihre Scheide eingedrungen sei.
202Ebenso wenig lässt es Rückschlüsse auf die Aussage insgesamt zu, dass die Nebenklägerin bei der Polizei irrtümlich bekundet hat, die Untersuchung habe nachmittags stattgefunden. Bei der Exploration durch den Sachverständigen Prof. Dr. S. hat sie diesen normalpsychologisch zu erklärenden Irrtum sofort eingeräumt.
203Im Rahmen ihrer Exploration durch den Sachverständigen Prof. Dr. S. hat die Nebenklägerin die Untersuchung durch den Angeklagten dann vollständig in Übereinstimmung mit ihren Angaben in der Hauptverhandlung geschildert. Die Kammer hat zum Inhalt der Exploration den Sachverständigen selbst als Zeugen vernommen und seinen Tonbandmitschnitt in Augenschein genommen; der Sachverständige hat hierzu bekundet. Er hat unter anderem glaubhaft bestätigt, dass die Vernehmung abgelaufen ist, wie sie aufgezeichnet worden ist. Die Übereinstimmung geht hier bis in die Details, wenn es etwa um die Schilderung der Gefühle bei der Untersuchung geht. Zudem treten bei der Exploration weitere Realkennzeichen hinzu. So hat die Zeugin hier auf die Frage, ob der Angeklagte mit der Stimmgabel auch die äußeren Schamlippen berührt habe, erstmals beschrieben, wie der Angeklagte die äußeren Schamlippen mit der einen Hand auseinandergezogen und mit der anderen die Stimmgabel angesetzt habe. Hierbei handelt es sich um eine sogenannte Überschussantwort, weil die Antwort durch die präzisierende Beschreibung des Auseinanderziehens der Schamlippen weit über die eigentliche Frage hinausgeht – diese hätte auch mit „Ja.“ beantwortet werden können –, ohne dass hierbei eine überschießende Belastungstendenz erkennbar geworden wäre.
204Die Nebenklägerin w. hat also bei ihrer polizeilichen Vernehmung (10 Monate nach der Untersuchung), bei ihrer Exploration durch den Sachverständigen Steiler (1 Jahr und 3 Monate nach der Untersuchung) und in der Hauptverhandlung (fast 3 Jahre nach der Untersuchung) die Untersuchung durch den Angeklagten – abgesehen von den eben dargestellten Abweichungen – übereinstimmend so wie unter B. II. 3. festgestellt geschildert. Diese Aussagekonstanz spricht dafür, dass die Zeugin ein tatsächliches Erlebnis geschildert hat.
205Die Kammer schließt auch aus, dass die Aussage der Nebenklägerin W. zu den von der Einlassung des Angeklagten abweichenden Punkten durch fremdsuggestive Einflüsse entstanden ist. Zu der Zeugin M. deren Einfluss auf die Geschädigten Seitens der Verteidigung und des Angeklagten in den anderen Fällen immer wieder hervorgehoben worden ist, hatte die Nebenklägerin keinen Kontakt, da sie nicht auf Station 1 lag. Auch die Verteidigung behauptet keine Beeinflussung der Nebenklägerin durch die Zeugin M. Ein suggestiver Einfluss ihres Mannes kommt nicht in Betracht, weil sie diesem zunächst gar keine Einzelheiten und nach Erhalt des Schreibens der Polizei in Köln nur den groben Ablauf der Untersuchung geschildert hat. An dieser glaubhaften Angabe der Nebenklägerin und ihres Mannes bestehen keine Zweifel. Als einziger denkbarer fremdsuggestiver Einfluss kommen daher das Telefonat mit dem Zeugen KHK B. und die Art und Weise der Befragung in der polizeilichen Vernehmung in Betracht. Bei dieser hat die Nebenklägerin die wesentlichen Elemente der Untersuchung jedoch ohne eine konkrete“ Nachfrage im Zusammenhang geschildert, so dass auch hier eine Suggestion ausscheidet. Dass aber der suggestive Einfluss des Zeugen KHK bei dem Telefonat mit der Nebenklägerin, zu dem über den Inhalt des Vermerks hinaus keine Feststellungen getroffen werden konnten, weil weder die Nebenklägerin noch der Zeuge KHK B. sich an Einzelheiten erinnern konnten, so hoch gewesen sein könnte, dass hierdurch eine Aussage von der Qualität wie die der Nebenklägerin W. ermöglicht worden wäre, ist ausgeschlossen; Dies gilt auch, wenn der Zeuge KHK B. die Frage der Verwendung der Stimmgabel von sich aus angesprochen haben sollte.
206Die Nebenklägerin hat bei allen Vernehmungen auch einen hohen Suggestionswiderstand gezeigt. Sowohl offene als auch konkrete Fragen . nach weiteren sexuellen Handlungen, z. B. nach einer Berührung der Klitoris, hat sie immer wieder verneint. Ihre Aussäge weist auch keine Merkmale auf, die auf eine Suggestion hindeuten. So hat sich ihre Aussage nicht von diffusen zu immer konkreteren Angäben entwickelt; die wesentlichen Details des Kerngeschehens hat sie seit ihrer ersten Vernehmung immer wieder übereinstimmend bekundet. Die Nebenklägerin hat ihre Aussage auch nicht um immer neue Elemente, Personen oder Sachverhalte erweitert. Was die Bedeutung des Umstands angeht, dass die Nebenklägerin in der polizeilichen Vernehmung das Element der Wiederholung von neurologischen Übungen ausgelassen hat, kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.
207Auch für eine autosuggestive Aussageentstehung gibt es keine Anhaltspunkte. Die Nebenklägerin hat keine vergleichbaren Vorerfahrungen. Eine Uminterpretation etwa einer Prüfung des Analreflexes durch den Angeklagten ist ausgeschlossen. Wie schon der Sachverständige Prof. Dr. K. ausgeführt hat, wird diese nicht mit der Stimmgabel sondern mit einem Piekser oder einem ähnlichen Instrument durchgeführt. Eine derart weitgehende Uminterpretation aufgrund der Nervosität anlässlich der Untersuchungssituation und des „Schocks“ aufgrund der Verdachtsdiagnose anzunehmen, ist lebensfremd.
208Die Aussage der Nebenklägerin K. der Hauptverhandlung wies auch keine Irrtümer oder Unsicherheiten auf, die Anlass zu Zweifeln an ihren Bekundungen geben müssten. Was die seitens der Verteidigung immer wieder angesprochene Frage des Schildes mit der – sinngemäßen – Aufschrift „Bitte nicht stören!“ angeht, das der Angeklagte an der Tür befestigt hat, hat die Zeugin hierzu weder bei der Polizei noch in der Exploration durch den Sachverständigen Prof. Dr. S. oder in der Hauptverhandlung etwas als eigene Wahrnehmung bekundet. Dass der Angeklagte das Schild tatsächlich aufgehängt hat, steht im Übrigen fest aufgrund der Aussage des Zeugen. Dieser hat glaubhaft bekundet, er habe an der Tür ein etwa DIN A4 großes Schild mit der genannten Aufschrift gesehen. Dieses habe noch nicht an der Tür gehangen, als er das Zimmer vor der Ankunft des Angeklagten betreten habe. Ein Grund, warum der Zeuge M. sich ein solches Schild ausgedacht haben sollte/ist nicht ersichtlich. Es gibt auch keine Anhaltspunkte für eine suggestiv entstandene Aussage. Dass der Zeuge sich an Einzelheiten des Schilds (Schriftart und -größe, Anordnung der Worte, genauer Wortlaut) nicht erinnern konnte, ist unerheblich. Das Schild war für den Zeugen zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht wichtig, so dass nachvollziehbar ist, dass er weder genauer auf das Schild geachtet noch Einzelheiten in Erinnerung behalten hat. Ohne Bedeutung ist auch die Einlassung des Angeklagten, ein entsprechendes offizielles Schild habe zu dieser Zeit noch gar nicht existiert. Unabhängig von der Frage, ob diese Angabe überhaupt richtig ist, hat der Angeklagte selbst eingeräumt, Schilder speziell für Therapiesitzungen mit dem PC angefertigt und auch benutzt zu haben. Ebenso gut ist daher denkbar, dass der Angeklagte auch Schilder für ärztliche Untersuchungen angefertigt und benutzt hat.
209Im Ergebnis ohne Bedeutung ist auch die Frage, ob der Angeklagte die bei der Untersuchung der Nebenklägerin benutzte Stimmgabel in der Brusttasche seines Arztkittels – so die Nebenklägerin -oder in einer der Seitentaschen – so der Angeklagte – getragen hat. Selbst wenn die Nebenklägerin und ihr Mann insoweit irren sollten, lässt dies keine Zweifel an der Richtigkeit der Aussage der Nebenklägerin aufkommen. Es handelt sich um ein nebensächliches Detail. Dass die Nebenklägerin bekundet hat, sie habe sich mit ihrem Ehemann darauf „geeinigt“, dass die Stimmgabel sich in der Brusttasche befunden habe, spricht im Übrigen auch nicht für eine erhöhte Suggestibilität der Nebenklägerin, zumal sie ihre eigene Unsicherheit insoweit selbst erkannt hat. Ebenso ohne Bedeutung ist der Umstand, dass die Nebenklägerin sich über den Zeitpunkt geirrt hat, zu dem der Zeuge Prof. Dr. H. sie erstmals aufgesucht hat, Sie hat bekundet, es sei bereits am Tag nach der Untersuchung durch den Angeklagten gewesen, tatsächlich war es erst am 06,01.2000. Es geht insoweit indessen um die Frage der korrekten zeitlichen Einordnung eines Ereignisses, während es bei der Untersuchung durch den Angeklagten um die Erinnerung an das Ereignis selbst geht. Soweit die Zeugin sich nur ah wenige Details des Klinikaufenthalts nach der Untersuchung durch den Angeklagten erinnern konnte, erklärt sieh dies zwanglos damit, dass die Untersuchung eben ein außerordentliches Ereignis war, während der Rest des Klinikaufenthalts weitgehend ohne kritische Besonderheiten ablief.
210Nicht gegen die Richtigkeit der Aussage der Nebenklägerin W. spricht weiterhin, dass die Zeugin H. bekundet hat, die Nebenklägerin habe ihr gegenüber nur von einer Stimmgabeluntersuchung am After gesprochen, eine vaginale Untersuchung habe sie nicht erwähnt. Die Kammer ist davon überzeugt, dass insoweit ein Irrtum der Zeugin H. vorliegt. Diese hat eingeräumt, es handele sich nicht um die Worte der Nebenklägerin, sie wisse nicht mehr, was diese genau gesagt habe. Sie habe irgendwie „von hinten“ gesagt, ob sie den After ausdrücklich erwähnt habe, wisse sie nicht mehr. Die Zeugin W. hat bekundet, das Gespräch, in dem sie der Zeugin H. von der Untersuchung durch den Angeklagten berichtet habe, habe ah einem Termin, an dem sie eine Infusion bekommen habe, stattgefunden. Es sei ein kurzes Gespräch gewesen, die Zeugin sei wie immer hektisch und im Stress gewesen. Sie habe lediglich gesagt, dass sie nackt mit der Stimmgabel untersucht worden sei und sich dabei habe hinknien müssen. Diese – auch angesichts des Eindrucks der Kammer von der Zeugin H. glaubhafte Aussage hat die Nebenklägerin auch aufrechterhalten, als seitens der Verteidigung erheblicher Druck auf sie ausgeübt wurde.
211Gestützt wird dieses Ergebnis, nämlich dass die Aussage der Nebenklägerin W. glaubhaft und die Nebenklägerin selbst glaubwürdig ist, durch das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. S. Der Sachverständige – der eine ausgewiesene Koryphäe auf dem Gebiet der Aussagepsychologie ist – hat die Aussage der Nebenklägerin W. aussagepsychologisch begutachtet. Er hat sich dabei auf die polizeiliche Vernehmung, seine eigene Exploration und die Vernehmung der Zeugin in der Hauptverhandlung gestützt. Bei den Vernehmungen der Zeugen M. und H. war er entweder anwesend oder wurde über sie informiert.
212Der Sachverständige hat in seinem Gutachten die Aussage der Nebenklägerin, soweit sie von der Einlassung des Angeklagten abweicht, einer Qualitätsanalyse unterzogen und ist unter Herausarbeitung der genannten Real-Kennzeichen zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich um eine Aussage von hoher Qualität handelt. Die Entstehung der Aussäge aufgrund von Suggestion oder durch Ausbildung einer Fehl- bzw. Pseudoerinnerung sei auszuschließen, da die denkbaren Anstöße hierfür nicht ausgereicht hätten, um eine Aussage dieser Qualität hervorzubringen. Mit den bereits genannten Irrtümern und Unsicherheiten der Nebenklägerin hat der Sachverständige sich mit demselben Ergebnis wie die Kammer auseinandergesetzt.
213Auch die Einlassung des Angeklagten zum Fall der Nebenklägerin W. wirkt dagegen konstruiert. Insbesondere hat der Angeklagte nicht zu erklären vermocht, warum die schwerwiegenden Ausfallerscheinungen bis hin zur Beeinträchtigung höherer Hirnleistungen, die er bei der Nebenklägerin festgestellt haben will, nirgendwo in der Krankenakte oder dem Arztbrief dokumentiert worden sind. Er kann dies nicht auf die angebliche Unerfahrenheit, Unfähigkeit oder Faulheit seiner ärztlichen Mitarbeiter schieben. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass er seine Befunde mit seinen ärztlichen Mitarbeitern besprochen haben will. Diese konnten sich indessen an schwerwiegende Ausfallerscheinungen gerade nicht erinnern. Ebenso wenig verfängt die Erklärung, es gehe bei der ärztlichen Befunddokumentation schließlich nicht um die Vorbereitung der Verteidigung in einem Strafverfahren. Derart schwerwiegende Ausfallerscheinungen wie die vom Angeklagten angegebenen wären selbstverständlich für jeden Nachbehandler wichtig, auch wenn sie nur vorübergehender Natur gewesen wären.
214Selbst auf der Grundlage der Einlassung des Angeklagten ist zudem nicht nachvollziehbar, aufgrund welchen Krankheitsbildes es dazu gekommen sein sollte, dass die Nebenklägerin W. die Fehlvorstellung entwickelt hätte, sie habe Übungen zweimal absolvieren müssen, einmal im fast unbekleideten und sodann im vollständig unbekleideten Zustand; insbesondere ist nicht erkennbar, wie Berührungsfantasien zu einer derartigen Fehlvorstellung führen sollen.
215Die Kammer ist schließlich davon überzeugt, dass der Angeklagte auch die zweifache Stimmgabelprüfung im Genitalbereich bei der Nebenklägerin W. nur vorgenommen hat, um sich sexuell zu erregen. Eine medizinische Indikation ist auch in diesem Fall nicht gegeben,, wie der Sachverständige Prof. Dr. K. erläutert hat. Der Angeklagte hat auch keine Indikation vorgetragen. Anhaltspunkte dafür, dass er bei der Nebenklägerin zu Unrecht vom Vorliegen einer medizinischen Indikation ausgegangen ist, gibt es nicht. Die einzige weitere praktisch denkbare Motivation für das Verhalten des Angeklagten bleibt daher auch im Fall der Nebenklägern w. eine sexuelle. Hierfür spricht zudem die medizinisch sinnlose Wiederholung von Übungen im vollständig Unbekleideten Zustand.
2164. Zum Fall … hat der Angeklagte folgende Einlassung verlesen:
„Bei Frau … bestand zum Zeitpunkt ihres stationären Aufenthalts in der Klinik für Neurologie der Universität zu K. im Januar 2000 nach meiner diagnostischen Einschätzung ein komplexes Krankheitsbild, bei dem sich zwei hirnorganische und ein psychosomatisches Syndrom überlagerten. Organische Hauptdiagnose war eine Bourneville-Pringle-Krankheit, auch Tuberöse Sklerose genannt. Diese seltene Erbkrankheit führt aufgrund eines Gendefektes in fallweise wechselndem Ausmaß zu bestimmten körperlichen Missbildungen, vor allem aber zur Entwicklung von Tumoren in charakteristischen Schwerpunktorganen. So kommt es am häufigsten im Hirn zur Ausbildung von drei Tumorarten, von denen eine bösartig wuchert, eine belanglos ist und die dritte angeborene Form, die sogenannten Tubera in der Hirnrinde, zu einer Epilepsie oder – wegen des Fehlens funktionstüchtiger Nervenzellen in den Tubera und ihrer Umgebung – zu Störungen der Wahrnehmung, des Gedächtnisses oder anderer Hirnleistungen führen kann – je nach Anzahl und Sitz der Tumoren. Nächsthäufig ist die Haut von krankheitstypischen Tumoren betroffen, die allesamt gutartig sind, und schließlich die inneren Organe Niere, Lunge und Herz, in denen sich zumeist sehr bösartige Tumoren bilden können. Viele Betroffene überleben wegen dieser bösartigen Tumoren das Kindesalter nicht, weshalb Erwachsene mit dieser Krankheit besonders selten sind und nur wenige Ärzte sich gut damit auskennen. Ich selbst habe mich klinisch und wissenschaftlich seit den Siebzigerjahren eingehend mit dieser Krankheit befasst. Bei einer weiteren organischen Krankheitsdiagnose der Patientin, nämlich einer eventuellen Einengung der linken Halsschlagader, handelte es sich wahrscheinlich um eine klinisch kaum belangvolle Missbildungsvariante im Rahmen der Bourneville-Pringle-Krankheit.
Frau N zweite hirnorganische Krankheit ist eine Hirnentwicklungs- und Persönlichkeitsreifungsstörung infolge einer Längzeitmedikation etwa zwischen dem 6. und dem 15. Lebensjahr, also in genau der Phase, in der die meisten Umbau- und Reifungsvorgänge am Hirn ablaufen und Kinder am leichtesten komplexe Zusammenhänge und Verhaltensweisen lernen, mit Primidon, einem anfallshemmenden Schlafmittel, das in Standarddosis die Hirnfunktion um ein Drittel senkt.
Entscheidend dafür, dass Frau N. wiederholt Ärzte aufgesucht hat, war jedoch ihre psychosomatische Störung, eine nach DSM IV und ICD-10, den Standardwerken zur Klassifikation psychischer Störungen, als „akute Schmerzstörung in Verbindung mit psychischen Faktoren“ bzw. als „anhaltende somatoforme Schmerzstörung“ zu bezeichnende Art von Kopfschmerzen, unter denen die Patientin seit September 1999 litt. Hinter einer solchen scheinbar banalen Diagnose verbirgt sich nach gängiger psychosomatischer Auffassung als Folge einer charakteristischen Reihe psychosozialer Faktoren in der Vorgeschichte seit der Kindheit eine tiefgreifende neurotische Entwicklungsstörung des emotionalen Erlebens und der Fähigkeit, Gefühle auszudrücken, eine so genannte Alexithymie, die Betroffene seelische Konflikte und Nöte ausschließlich als körperliches Leid erleben lässt. Dabei besteht die Vorstellung, dass die mangelnde Ausdrucksmöglichkeit der vor allem negativen Emotionen mit einer gesteigerten physiologischen Erregung insbesondere des Stirnhirns einhergeht, die sich klinisch in einem Verhaltensmuster des krankhaften Angespannt-Seins und einer besonderen Stressanfälligkeit mit gesteigertem Risiko der Entstehung einer Gedächtnisblockade unter seelischer Belastung äußert.
Seit dem Auftreten ihrer anhaltenden Kopfschmerzen hatte die Patientin nicht nur den hier als Zeugen geladenen niedergelassenen Arzt für Neurologie und Psychiatrie Herrn Dr. H. sondern auch die Neurologische Klinik M2 aufgesucht. Sie hatte also einen erheblichen und über Monate anhaltenden Leidensdruck, ohne dass sie in der Lage gewesen wäre, auch nur mögliche Ursachen für ihr Leiden selbst zu erkennen. Weder der langjährig berufserfahrene Oberarzt Dr. B. in der Klinik M2 hoch der ebenfalls sehr erfahrene Dr. H. konnte eine sichere Diagnose stellen. Daher versuchten sie mit geringem Erfolg eine nur auf das Symptom Kopfschmerz gerichtete Behandlung mit einem gängigen Schmerzmittel und dann – wohl weil die Patientin auch psychisch auffällig erschien – mit einem so genannten Tranquilizer, also einem Medikament gegen „Überspanntheit“. Auch veranlassten sie die Anfertigung eines Kernspintomogramms des Kopfes zur Klärung eventueller organischer Kopfschmerzursachen. Darin fanden sich im Hirn gelegene Veränderungen, die die Patientin selbst als „Schatten“ bezeichnete und die weder der Radiologe noch Herr Dr. … sicher deuten konnte. Wegen dieses unklaren Bildbefundes bei fortbestehenden Kopfschmerzen überwies Herr Dr. H. die Patientin in unsere Poliklinik, wo sie von Frau Dr. N. untersucht wurde, einer Ärztin im Praktikum, die zuvor bei mir gearbeitet hatte und daher basales theoretisches Wissen über die Bourneville-Pringle-Krankheit besaß. Obwohl poliklinische Untersuchungen aus Zeitgründen nur orientierend durchgeführt werden können und vorrangig der Entscheidungsfindung dienen, ob ein Patient stationär aufgenommen werden muss, bemerkte diese Ärztin im Praktikum die auffällige Krankheitsbelastung in der Familie der Patientin sowie die eigentümlichen, kaum erkennbaren Hautveränderungen an Frau Wangen und veranlasste Ihre Aufnahme auf meiner Station, weil sie den Verdacht auf Bourneville-Pringle-Krankheit hatte und glaubte, die Kopfschmerzen könnten von einer Beeinträchtigung der Zirkulation des Nervenwassers durch Bourneville-Pringle-Tumoren herrühren.
Die Aufnahmeuntersuchung am 17.01.2000 auf Station 1 wurde durchgeführt von Frau Dr. M. einer jungen Ärztin im Praktikum mit gerade erst fünf Tagen klinisch-neurologischer Erfahrung. Nachdem ich mir zuvor Frau Dr. M. Bericht angehört und Frau N. mitgebrachte kernspintomografische Aufnahmen angesehen hatte, führte ich am Nachmittag des Aufnahmetags in Gegenwart von Frau Dr. M. Herrn Dr. H. der hier als Zeugin geladenen psychiatrischen Rotationsassistentin Frau Dr. T. und der hier ebenfalls als Zeugin geladenen Studentin im Praktischen Jahr O. eine orientierende Abnahmeuntersuchung bei Frau N durch, die ich aus Termingründen kurz fassen und auf das Nötigste beschränken musste. Dabei verblieben noch so viele offene Fragen sowohl zum Ausmaß der Bourneville-Pringle-Krankheit und der erforderlichen technischen Zusatzdiagnostik als auch zur Ursache des Kopfschmerzsyndroms, dass ich der Patientin erklärte, ich Würde sie bei nächster Gelegenheit weiter untersuchen – nicht zuletzt, weil Frau Dr. … ohnehin noch in derselben Woche zwei Tage abwesend Sein, dann die Station wechseln sollte und keiner meiner sonstigen ärztlichen Mitarbeiter die geringste Erfahrung in der erforderlichen umfassenden Diagnostik dieser potenziell lebensbedrohlichen, mehrere Organsysteme betreffenden Krankheit besaß. Gelegenheit zu dieser Nachuntersuchung hatte ich erst am Vormittag des übernächsten Tages, dem 19.1.2000, im Anschluss an die Chefarztvisite von Herrn Prof. Dr. H. Noch während der Visite bat ich Frau N. in ihrem Zimmer zu bleiben, weil ich bei ihr gleich die Ergänzungsuntersuchung durchführen wolle. Im Gegensatz zu Frau N. Angabe werden solche klinisch-ärztlichen Untersuchungen – anders als terminkritische technische Zusatzuntersuchungen – üblicherweise nicht lange im Voraus angekündigt. Da meine anwesenden ärztlichen Mitarbeiter, der Stationsarzt Dr. T. Frau Dr. T. und die Studentin O. im Anschluss an die Chefarztvisite und unsere Besprechung im Stationsarztzimmer alle mit Aufgaben ausgelastet waren, die noch vor der mittäglichen Röntgenkonferenz dringend erledigt werden mussten, begab ich mich gegen 10:20 Uhr ohne Begleitung zu Frau N. um meine Nachuntersuchung vorzunehmen, die dann knapp 70 Minuten dauerte. Ab etwa 11.30 Uhr informierte ich im Stationsarztzimmer Frau Dr. T. und Herrn Dr. T. über das Ergebnis meiner Nachuntersuchung und legte mit ihnen die Medikation sowie die hoch durchzuführenden technischen Zusatzuntersuchungen fest. Von meiner Nachuntersuchung der Patientin entfielen etwa 50 Minuten auf das Explorationsgespräch, jeweils etwa 4-5 Minuten auf die körperliche Untersuchung der Rück- und der Bauchseite, etwa 1-2 Minuten auf die Untersuchung in Knie-Ellenbogen-Lage, etwa 7 Minuten auf die Nachbesprechung.
Zwar war die Ergänzung der körperlichen Befunde im Hinblick auf den spätestens an diesem Tag zu bestimmenden Umfang und die Art der technischen Bourneville-Pringle-Diagnostik das Hauptanliegen meiner Nachuntersuchung, allerdings wollte ich mir auch noch Klarheit über das Kopfschmerz Syndrom und dessen eventuellen Zusammenhang mit der Bourneville-Pringle-Krankheit verschaffen, so dass ich zunächst mit Frau N. ein längeres Gespräch nicht nur über ihre Köpfschmerzbeschwerden führte, sondern auch über ihre psychosoziale Entwicklung seit der Kindheit. Zum Schutz ihrer Privatsphäre bat ich daher ihre Bettnachbarin, draußen zu warten, als diese das Zimmer betrat. Da die Nachuntersuchung wegen der zu planenden technischen Zusatzdiagnostik keinen Aufschub mehr duldete, bat ich ebenfalls die hier als Zeugin geladene Krankenschwester M. die meiner Meinung nach unwichtige und jederzeit ohne Anmeldefrist in der eigenen Klinik nachholbare Doppler-Untersuchung der Hirnarterien, zu der sie zwischenzeitlich die Patientin abholen wollte, zu verschieben. In dem Gespräch mit Frau N. ergab sich für mich das typische Bild einer neurotischen Entwicklungsstörung zur Alexithymie, also der Unfähigkeit zu angemessenem emotionalen Erleben und zürn Ausdruck von Gefühlen, als Grundlage einer somatoformen Schmerzstörung: in der Kindheit emotional nicht erreichbare Eltern, Gefühlskälte und strenge Erziehung in einem kinderreichen Arbeiterhaushalt mit Stiefvater, unter anderem zwei hirnkranken Halbgeschwistern und einer hirnkranken Mutter, Angabe einer subjektiven Traumatisierung durch eine exhibitionistische Erfahrung auf meine Frage nach, kindlichem sexuellen Missbrauch, starke Leistungsorientierung bei selbstunsicher ängstlicher Persönlichkeitsstruktur, später eheliches Misshandlungs- und Einengungserleben sowie unreife Fähigkeit zu selbstständiger, „erwachsener“ Konfliktbewältigung, z. B, der eigenen Scheidung. Während des gesamten Gesprächs lag Frau N. in kindlicher Rückzugsposition im Bett, obwohl sie aktuell keine nennenswerten Kopfschmerzen oder sonstigen Beschwerden zu beklagen hatte. Zwar beantwortete sie meine Fragen prompt und offen, aber mir fiel eine durchgehende krankhafte Gespanntheit und Vorwurfshaltung auf. Entgegen ihrer späteren Aussage habe ich sie weder nach ihren Masturbationsgewohnheiten befragt, noch hat sie spontan darüber berichtet. Gefragt habe ich sie vielmehr, wie sie mit ihrem Freund, dem hier als Zeuge geladenen Herrn G. zurecht käme, ob es Spannungen zwischen ihnen gäbe, ob sie sich durch ihn eingeengt fühle oder die ständige Nähe in der gemeinsamen Wohnung als bedrückend empfände; auch, ob sie einen Zusammenhang zwischen ihren Kopfschmerzen und dem Zusammenzug mit ihrem Freund sähe, was sie alles verneinte.
Der Zweck meiner körperlichen Ergänzungsuntersuchung bestand zum einen darin zu überprüfen, ob bei der Patientin außer einer Minderentwicklung des Unterkiefers im Rahmen ihrer Missbildungskrankheit, den auf Tubera verdächtigen Hirnveränderungen in der mitgebrachten Kernspintomografie. sowie Pringle-Hautveränderungen im Wangenbereich noch weitere Veränderungen z. B. am Zahnfleisch oder an der Haut des übrigen Körpers gab. Diese gutartigen Hauttumoren können verschiedene Form haben und sind oft so schwach ausgebildet, dass man sie bei nicht ganz konzentrierter Suche sehr leicht übersieht. Auch wollte ich durch Abtasten der Wirbelsäule und eine orientierende neuroproktologische Untersuchung feststellen, ob bei der Patientin eine bei das Nervensystem und die Haut zugleich betreffenden Missbildungskrankheiten gehäuft vorkommende, oberflächlich oft nicht zu erkennende Missbildung von Rückenmarkskanal, unteren Rückenmarksabschnitten oder davon abgehenden Nervenwurzeln, eine so genannte Spina bifida occulta, vorlag. Diese Veränderungen nachzuweisen ist deshalb so wichtig, weil sich das Risiko eines bösartigen Tumors der Niere, des Herzens oder der Lunge im Rahmen der Bourneville-Pringle-Krankheit nach deren Anzahl und Ausprägung bemisst. Anhand der so abgeschätzten Risikohöhe lässt sich dann festlegen, wie genau, d. h. mit weicher räumlichen Auflösung, die technischen Verfahren arbeiten müssen, mit denen diese inneren Organe zu untersuchen sind. Leider sind die harmloseren Verfahren, z. B. die bei der Patientin schon am 18.01:2000 durchgeführte Sonografie, die schlechteren, während die besseren, z. B. die Computertomografie, des Brust und Bauchraums, die bei der Patientin wegen meines Nachuntersuchungsergebnisses entfallen „ist mit einer erheblichen Strahlenbelastung verbunden sind, die bei einer Frau im gebärfähigen Alter möglichst vermieden werden muss – zumal wegen der Hirnsymptomatik ohnehin schon einige strahlenbelastende Untersuchungen erforderlich waren/Dies zu beachten, gehörte zu meinen Aufgaben nicht zuletzt als Strahlenschutzbeauftragter.
Weiterhin musste ich überprüfen, ob bei der Patientin eventuell abklärungs- und ggf. behandlungsbedürftige Bindegewebs- und Knochenveränderungen bestanden, wie sie oft nach einer Langzeittherapie mit dem Medikament auftreten, das die Patientin in der Kindheit jahrelang eingenommen hat. Zum anderen wollte ich feststellen, ob bei der Patientin im Rahmen ihrer somatoformen Schmerzstörung eine womöglich körperregionale Oberempfindlichkeit für sensible Reize bestand, um danach die geeignetste Therapie auszuwählen. Eine solche Überempfindlichkeit wird seit einigen Jahren in der funktionellen Neurologie als Hinweis auf eine eventuell genetisch bedingte Überaktivität eines bestimmten, nämlich des cholinergen, Erregungsübertragungssystems im zentralen Nervensystem zur Erklärung sowohl des abnormen Schmerzerlebens bei somatoformen Schmerzstörungen als auch des Ansprechens dieser Beschwerden auf eine diesen neurochemischen Übertragungsweg hemmende Medikation diskutiert, weshalb mit dieser einfachen Untersuchung sowohl eine Unterscheidung zwischen ursächlich verschiedenen Arten somatoformer Schmerzstörungen als auch eine Vorhersage der zu erwartenden Wirksamkeit anticholinerger Medikamente möglich erscheint.
Im Rahmen der ergänzenden körperlichen Untersuchung nahm ich zunächst eine gleichzeitige Inspektion und Sensibilitätsprüfung der Kopf- und Gesichtshaut durch oberflächlichstes Bestreichen mit den Mittelfingerkuppen vor. Dann inspizierte ich die Mundschleimhaut und das Zahnfleisch unter Zuhilfenahme eines Holzspatels und einer Taschenlampe. Nachdem ich die Patientin gebeten hatte, sich zu entkleiden und auf den Bauch zu legen, folgte eine gleichzeitige Hautinspektion und Sensibilitätsprüfung an Armen, Rücken und Beinen durch oberflächlichstes Bestreichen mit der Mittelfingerkuppe erst in einem zu einem bestimmten Rückenmarksabschnitt gehörigen Hautareal auf der einen Körperseite, dann in dem entsprechenden Areal auf der anderen Seite. Um die Untersuchung zeitlich nicht zu sehr auszudehnen, und da die mitgebrachte Kernspintomografie eine sichere Ortshypothese bezüglich einer Störung nicht zuließ, verzichtete ich bald darauf, die Patientin jeweils zu befragen, wo sie die Berührung spüre. Es schloss sich eine halbquantitative Prüfung des Vibrationsempfindens, also zugleich der Oberflächen- und Tiefensensibilität, mittels neurologischer 64-Hz-Stimmgabel an. Dazu wird die Stimmgabel angeschlagen, wodurch die in Achtel eingeteilten Skalen in den Dämpfungsgewichten am oberen Stimmgabelende ein V bilden. Mit Nachlassen der Stimmgabelschwingung wird aus diesem V ein X. Die Stimmgabel wird mit der Kontaktplatte Region für Region erst auf der einen Körperseite über größeren Muskeln oder Knochen aufgesetzt, bis der Patient unter regelmäßigem Befragen angibt, kein „Brummen“ mehr zu spüren. Der Skalenwert ab dem sich zu diesem Zeitpunkt das X kreuzt, ist das regionale Vibrationsempfinden in Achteln; dann folgt dieselbe Prozedur an der entsprechenden Stelle der Gegenseite bis alle Regionen meanderförmig abgefahren sind. Im Anschluss tastete ich die Lendenwirbelsäule nach Bogenschlussanomalien ab, danach die Fußsohlen nach bindegewebig verdickten oder geschrumpften Sehnenplatten. Nachdem die Patientin sich in Rückenlage begeben hatte, folgte die gleichzeitige Hautinspektion und Sensibilitätsprüfung an Armen, Rumpf und Beinen wie zuvor am Rücken. Danach inspizierte ich die Handinnenflächen und tastete auch dort nach Bindegewebsveränderungen. Für die abschließende orientierende neuroproktologische Untersuchung zum Ausschluss von Funktionsstörungen, die auf eine Schädigung der untersten Rückenmarksabschnitte bei Spina bifida occulta hätten schließen lassen, bat ich die Patientin, sich auf ihrem Bett in Knie-Ellenbogen-Lage zu begeben. Dann nahm ich bei gleichzeitiger Hautinspektion eine, Sensibilitätsprüfung im Reithosenbereich durch oberflächlichstes Bestreichen mit den Daumenkuppen in den hufeisenförmig vom Kreuzbein zur Oberschenkelrück- und -innenseite ziehenden, aus den untersten Rückenmarksabschnitten mit Nerven versorgten Hautarealen vor, danach, eine halbquantitative Prüfung des Vibrationsempfindens am Sitzbeinhöcker und im großen Gesäßmuskel mittels neurologischer 64-Hz-Stimmgabel. Darauf folgte eine seitengetrennte Prüfung der Tiefensensibilität durch mäßigen Druck auf das Sitzbein, dann eine visuelle Oberprüfung der Geschwindigkeit und Effektivität der willkürlichen Anspannung und Entspannung des Analsphinkters und der Beckenbodenmuskulatur auf Aufforderung.
Weder habe ich bei dieser Untersuchung die Brustwarzen oder das äußere Genitale der Patientin berührt, noch einen oder mehrere Finger oder gar die Stimmgabel in ihre Scheide eingeführt. Während der gesamten Untersuchung, die ständige – wenn auch nur stereotype – Mitarbeit der Patientin erforderte, war sie voll kooperativ. Zu keiner Zeit hat Frau N. mit Worten oder Gesten Ihren Unmut oder ihre Ablehnung in irgendeiner Welse ausgedrückt. Nachdem sich die Patientin wieder angezogen hatte, erklärte ich ihr zunächst im Hinblick auf ihre Bourneville-Pringle-Krankheit die bisherigen Befunde und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die weitere Diagnostik; auch, dass kein Zusammenhang zwischen dieser Krankheit und ihren Kopfschmerzen bestünde, dass diese Beschwerden vielmehr auf seelische Konflikte zurückzuführen seien. Schließlich wies ich sie darauf hin, dass es einfache Techniken gäbe, mit denen man solche Kopfschmerzen ohne Medikamente selbst behandeln könne; falls sie daran interessiert sei, könne sie mich rufen lassen, wenn ihre Kopfschmerzen während des Klinikaufenthalts wieder auftreten sollten. Bemerkenswert an dieser Nachbesprechung war, dass Frau N. nicht mehr angespannt wirkte wie während des Explorationsgesprächs, dass sie sich zugewandt meine Erläuterungen anhörte, aber keinen Kommentar abgab und keine Fragen stellte. Ein solches Verhalten kann viele Gründe haben und erschien mir daher zunächst nicht interpretierbar. Wir verabschiedeten uns, wobei die Patientin freundlich lächelte.
Der organische Befund erbrachte – außer den schon bekannten Pringle-Hautzeichen im Gesicht – keine weiteren Hauttumoren oder Bindegewebsveränderungen; auch das knöcherne Skelett war unauffällig. Für eine Spina bifida gab es weder äußerlich noch funktionell einen Anhalt. Stark auffällig und gut vereinbar mit einer somatoformen Schmerzstörung bei erheblicher sensibler Übererregbarkeit war hingegen die am ganzen Körper maximal herabgesetzte Empfindungsschwelle für oberflächlichste Berührung selbst feinster Körperhaare und für 64-Hz-Vibration, die sogar in großen Muskeln noch lange über das Reizende hinaus wahrgenommen wurde, obwohl zu diesem Zeitpunkt als einziger Stimulus das schwache 10-Hz-Zittern meiner Hand, hervorgerufen durch die anstrengende gebeugte Körperhaltung, vorhanden war.
In psychischer Hinsicht fand sich vorrangig eine kindlich-unreife, selbstunsichere Persönlichkeit bei ausgeprägter Leistungsorientierung und eine deutliche Unfähigkeit, über ihre Stimmung und ihr Gefühl zum aktuellen oder zu einem früheren Zeitpunkt zu berichten, sowie eine starke Neigung zu zwanghafter Schilderung nebensächlicher Einzelheiten, solange, nicht über ihre Kindheit und ihr Elternhaus gesprochen wurde. Ihre ängstliche Anspannung nahm sie selbst nicht wahr, entsprach aber dem Bild einer verdeckten Depression. Aus ihrer weitgehenden Kopfschmerzfreiheit allein durch den Umstand der Hospitalisierung konnte sie keine Schlüsse auf mögliche Ursachen ziehen.
Am späten Nachmittag des 19.1.2000 rief mich Frau Dr. T. in meinem Arbeitszimmer an und berichtete mir zu meiner Überraschung, dass Frau N. sich über meine Nachuntersuchung aufgeregt habe. Sie selbst sei von der Studentin im Praktischen Jahr O. nach offiziellem Dienstschluss telefonisch herbeigerufen worden, habe mit der Patientin gesprochen, ihr auch angeboten, mit ihr progressiv Muskelentspannung nach Jacobson zu üben, das habe die Patientin aber abgelehnt. Auf meine Frage, ob ich auf Station kommen solle, um mit der Patientin zu sprechen, erklärte sie mir, dies sei nicht mehr erforderlich, die Patientin habe sich schon wieder beruhigt. Am nächsten Morgen erkundigte ich mich bei Frau O. worüber Frau N. sich am Vortag aufgeregt habe, und erfuhr, dass die Patientin offenbar glaubte, von mir gynäkologisch untersucht worden zu sein. Daraufhin erklärte ich Frau C. die am Vortag während meines Berichts über die soeben bei Frau N. erhobenen Befunde nicht im Stationsarztzimmer gewesen war, aus welchen Gründen ich welche Art von Untersuchung tatsächlich bei der Patientin durchgeführt habe. Auch erläuterte ich ihr, dass die nachträgliche Einschätzung meiner Untersuchung durch Frau N. offenbar auf deren alexithyme Erlebens- und Reaktionsweise zurückzuführen sei. Als weitere medizinische Begründung fand ich dann später in den PET-Bildern der Hirnfunktion der Patientin nicht nur ein ausgesprochen kindliches Aktivitätsmuster mit altersuntypischer Stoffwechselsteigerung im Stirnhirn als Zeichen einer hohen Bereitschaft zur Entwicklung einer Gedächtnisblockade unter Stress, sondern zusätzlich auch noch einen Funktionsausfall unter anderem in der Hirnregion, die für die Verarbeitung von Berührungsreizen in, der Genital-, Becken- und Rumpfregion zuständig ist, was eine Störung der örtlichen Zuordnung einer Berührung an anderer Stelle im Sinne einer Fehlprojektion nahelegt. Frau M. gegenüber sprach ich bei meiner nächsten Visite mein Bedauern aus, dass sie meine Nachuntersuchung als leidvoll in Erinnerung habe; diese Untersuchung, sei aber auch nur einmal erforderlich gewesen. Eine sachliche Richtigstellung wäre von der alexithymen Patientin gemäß ihrem Reaktionsschema als erneute Verletzung und Zurückweisung empfunden worden. Daher verzichtete ich darauf, um nicht ihre Bereitschaft zu gefährden, die zum Ausschluss folgenreicher Komplikationen erforderlichen, ambulant nicht nachholbaren technischen Zusatzuntersuchungen durchführen zu lassen. Erfreulicherweise blieb Frau N. dann auch bis zum regulären Abschluss der Klinikbehandlung.“
217Auf Befragen hat der Angeklagte ausdrücklich bestritten, gegenüber der Zeugin O. eine gynäkologische Untersuchung oder eine vaginale Untersuchung mit der Stimmgabel erklärt zu haben. Er hat sich weiter dahin eingelassen, dass es bei der Nebenklägerin N. grundsätzlich eine Indikation für eine vaginale, neurosexologische Untersuchung gegeben hätte. Für ihn hatten aber andere Aspekte im Vordergrund gestanden, weshalb er eine solche Untersuchung nicht durchgeführt habe.
218Weiterhin hat der Angeklagte bezüglich der Nebenklägerin N. als Stellungnahme zum Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. S. eine „Wissenschaftlich begründete verhaltensneurologisch-nuklearmedizinische Befundung struktureller und funktioneller Hirnbilder“ erstellt und in der Hauptverhandlung verlesen. Auf Grundlage der PET- und MRT-Bilder der Nebenklägerin hat er in dieser Stellungnahme einen Gesamthirn-Stoffwechsel auf dem unreif-erhöhten Niveau einer 15-jährigen konstatiert, die auf die Primidon-Einnahme in der Kindheit zurückzuführen sei. Es liege auch eine nicht altersentsprechende Steigerung der Stirnhirnfunktion vor, die auf eine nicht situationsadäquate ängstliche Anspannung hindeute. Diese „Hyperfrontalität“ führe bei gesteigertem Leistungsdruck zu einer Gedächtnisblockade vor allem im Bereich des autobiographischen Gedächtnisses, die die Einprägung und den Abruf von Erinnerungen betreffe.
219Bei der Nebenklägerin N. so der Angeklagte weiter, könnten im Hirn insgesamt sechs Tubera nachgewiesen werden, was in der Regel zu einer geistigen Behinderung führe. Die meisten solcher Patienten wiesen autistische Züge auf. Einer der Tubera liege zudem in dem für die räumliche Zuordnung von Berührungsreizen in der Genital-Bein-Becken-Rumpfregion zuständigen Hirnrindenareal. Da dieses Areal aufgrund des Tubers nicht funktionsfähig sei, sei die entsprechende Hirnfunktion wahrscheinlich in ein anderes Areal in der Sekundärhirnrinde ausgelagert worden. Die Fähigkeit zu einer hohen Ortsauflösung, die z. B. zur Unterscheidung einer Berührung am Anus oder an der Vagina erforderlich sei, besitze nur die bei der Nebenklägerin insoweit nicht funktionsfähige Primärhirnrinde. Ein weiteres großes Tuber bei der Nebenklägerin N. liege im linken oberen Scheitellappen, was zu einer Körperbildstörung im Sinne einer Unfähigkeit, sich am eigenen Körper zu orientieren, führe. Weitere Tubera bei Frau N beeinträchtigten unter i anderem wahrscheinlich die Langzeitgedächtniseinspeicherung von Gesehenem sowie das autobiographisch-episodische Gedächtnis. All diese Ausfälle seien klinisch aber nur schwer fassbar. Die bei Frau N. durchgeführten Standardtestungen reichten dafür nicht aus.
220Insgesamt sei die Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin N. hinsichtlich berührter Stellen im Genital-Bein-Becken-Rumpf-Bereich wahrscheinlich hochgradig eingeschränkt. Unter Stress, wie er durch eine Exploration verdrängter belastender Erinnerungen ausgelöst werden könne, sei weiterhin eine Gedächtnisblockade zu erwarten, die in der Stressphase – die nur einige Minuten dauere – zu einer Aufhebung der Aussagetüchtigkeit führe. Hinsichtlich des visuellen Langzeitgedächtnisses sowie hinsichtlich des Ablaufes ungewohnter Vorgänge und des Emotionsgedächtnisses sei die Aussagetüchtigkeit darüber hinaus leicht bis mittelgradig eingeschränkt.
221Nachdem der Sachverständige Prof. Dr. S. zu dieser „Befundung“ des Angeklagten Stellung genommen hat, hat der Angeklagte eine weitere „Wissenschaftlich begründete verhaltensneurologisch-nuklearmedizinische Nachbefundung struktureller und funktioneller Hirnbilder“ erstellt und in der Hauptverhandlung verlesen. Auf der Grundlage einer erneuten Auswertung der PET- und MRT-Bilder der Nebenklägerin N. hat er eingeräumt, den in seiner ersten Stellungnahme dem für die räumliche Zuordnung von Berührungsreizen in der Genital-Bein-Becken-Rumpfregion zuständigen Hirnrindenareal zugeordneten Tuber falsch lokalisiert zu haben. Vielmehr befinde sich diese Läsion in der für die Erkennung körperlicher Berührungsreize zuständigen Hirnregion. Die Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin hinsichtlich berührter Stellen im Genital-Bein-Becken-Rumpf-Bereich sei daher wahrscheinlich eingeschränkt und nicht, wie es noch in der „Befundung“ heißt, hochgradig eingeschränkt.
222Diese Einlassung ist, soweit sie bezüglich des äußeren Geschehensablaufs den getroffenen Feststellungen widerspricht, widerlegt durch die Aussage der Nebenklägerin N. in der Hauptverhandlung. Diese hat den äußeren Geschehensablauf, ihre Gefühle während der Untersuchung sowie ihre Gespräche mit Dritten über das Geschehen so wie unter B. It. 4. festgestellt bekundet.
223Die Zeugin N. ist uneingeschränkt aussagetüchtig. Im Hinblick auf die Einlassung des Angeklagten hat die Kammer den Sachverständigen Prof. Dr. K. zur Frage der Aussagetüchtigkeit der Zeugin gehört. Nachdem dieser angegeben hat, für die Beurteilung der PET-und MRT-Bilder, die die neurologische Universitätsklinik der Kammer zur Verfügung gestellt hatte, nicht kompetent zu sein, hat die Kammer den Sachverständigen Prof. Dr. S. mit der ergänzenden Begutachtung dieser Bilder im Hinblick auf die Frage der Zeugentüchtigkeit der Nebenklägerin beauftragt.
224Hinsichtlich der grundsätzlichen Sachkunde des Sachverständigen Prof. Dr. K. kann auf die obigen Ausführungen zu den Fällen R. (C. IV. 2.) und V. (C. IV. 3.) verwiesen werden. Der Sachverständige hat gerade auch Erfahrung mit der Krankheit der Nebenklägerin N. einer tuberösen Sklerose, weil er während seiner Tätigkeit in den v. … Anstalten, B1, fünf Jahre lang mit solchen Patienten gearbeitet hat. Auch der Sachverständige Prof. Dr. S. besitzt die erforderliche Sachkunde. Er ist Universitätsprofessor für Neurologie und leitender Oberarzt der Neurologischen Klinik der Universität D. und hat langjährige klinische und wissenschaftliche Erfahrung insbesondere auch mit der Beurteilung von MRT- und PET-Bildern.
225Dem Sachverständigen Prof. Dr. S. an den für die Erstattung seines Gutachtens neben der Anklageschrift insbesondere die in der neurologischen Universitätsklinik in K. angefertigten PET- und MRT-Aufnahmen zur Verfügung, von denen teilweise Ausdrucke: vorlägen, die aber auch insgesamt auf CD-ROM gespeichert waren. Dem Sachverständigen lagen weiterhin die .vorläufigen schriftlichen Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. K. und Prof. Dr. S. die Stellungnahmen der Verteidigerin des Angeklagten im Zwischenverfahren zu diesen Gutachten, die verlesene Einlassung des Angeklagten, die Krankenakten und Polikliniksmappen der neurologischen Universitätsklinik sowie die Krankenmappe des behandelnden Neurologen der Nebenklägerin B. des sachverständigen Zeugen Dr. H. zur Verfügung.
226Er hat zunächst ausführlich die Grundlagen der bildgebenden Verfahren MRT (Magnetresonanztomographie) und PET (Positronenemissionstomographie) – insoweit vom Angeklagten nicht angegriffen – erläutert: Während es sich bei MRT-Bildern um strukturelle Bildgebung handelt, werden mittels PET die Hirnfunktionen gemessen. Bei beiden Verfahren werden Schnittbilder des Hirns angefertigt, die in elektronischer Form gespeichert werden und sowohl auf dem Monitor als auch im Ausdruck betrachtet werden können. Die Bilder verschiedener Untersuchungsmethoden können auch in einer sogenannten – 3D-Koregistrierung gegenübergestellt werden, – wodurch- z. B. überprüft werden kann, ob Stoffwechselveränderungen auf den Bereich struktureller Läsionen beschränkt bleiben. Bei PET-Untersuchungen gibt es verschiedene Formen, mit denen unterschiedliche Stoffwechselfunktionen gemessen werden. Bei der Nebenklägerin N. der Sachverständige, sei der Glukosestoffwechsel in Ruhe (FDG-PET) und die Dichte von bestimmten Rezeptoren, die die Kommunikation zwischen den Nervenzellen gewährleisten (Flumazenil-PET), gemessen worden. Außerdem seien MRT-Bilder angefertigt worden.
227Der Sachverständige hat ausgeführt, es sei grundsätzlich nicht möglich, aus PET- Und MRT-Bildern sichere Schlüsse auf den klinischen Zustand eines Patienten, insbesondere auf das Vorliegen psychopathologischer Ausfallerscheinungen, zu ziehen. Vielmehr müsse man. gerade andersherum vorgehen: Wenn sich in klinischen Untersuchungen – etwa den üblichen neurologischen Untersuchungen oder neuropsychologischen Testungen – Störungen manifestierten, könne man mithilfe der bildgebenden (Zusatz-l)Diagnostik die Ursache ermitteln. Bei der Nebenklägerin N. sei in der neurologischen Universitätsklinik auch so vorgegangen worden; zunächst habe die klinische Untersuchung stattgefunden, danach seien technische Zusatzuntersuchungen, u. a. die Anfertigung von PET- und MRT Bildern angeordnet worden. Es sei natürlich, so dass es zu weiteren klinischen Untersuchungen Anlass gebe, wenn sich in PET-, und MRT-Bildern erhebliche Läsionen oder sonstige schwere Störungen zeigten, die sich in den bisherigen Untersuchungen klinisch nicht manifestiert hätten. Es komme aber am Ende immer auf das Ergebnis der klinischen Untersuchungen an. Vorliegend sei es so gewesen, dass die Ergebnisse der PET- und MRT-Untersuchungen eben mit denen der vorangegangenen klinischen Untersuchungen übereingestimmt hätten, so dass keine weiteren Untersuchungen durchgeführt worden seien.
228Der Sachverständige Prof. Dr. S. auf dieser Grundlage zu dem Ergebnis gekommen, dass die seitens des Angeklagten und der neurologischen Universitätsklinik gestellten Diagnose einer Minimalvariante einer tuberösen Sklerose bzw. eines Bourneville-Pringle-Syndroms zutreffend Sei. Die auf den PET- und MRT-Bildern erkennbaren Läsionen im Hirn der Nebenklägerin, sogenannte Tubera, von denen insgesamt sechs zu erkennen seien, hätten aber keine Auswirkungen auf für die Zeugentüchtigkeit relevante Hirnfunktionen. Es handele sich um genau begrenzte Läsionen, die mit einer Größe von deutlich unter 3 cm relativ klein seien. Auch aus der Lage der Tubera im Hirn könne nicht auf relevante Störungen geschlossen werden, insbesondere seien weder die gedächtnistragenden noch die für die Körperwahrnehmung zuständigen Hirnregionen betroffen. Außerhalb der Tubera sei der Hirnstoffwechsel im Normbereich.
229Dies entspreche auch den Ergebnissen der Krankenunterlagen der Nebenklägerin. Dort seien keine für die Aussagetüchtigkeit relevanten Störungen dokumentiert worden. Der neurologische Befund sei unauffällig. Die neupsychologische Testung habe keine klinisch relevanten kognitiven Defizite ergeben.
230Der Sachverständige Prof. Dr. S. hat sich auch mit der „Befundung“ des Angeklagten unter Auswertung umfangreicher wissenschaftlicher Literatur, die er zitiert hat, eingehend auseinandergesetzt. Er hat ausgeführt, dass die Größenangaben des Angeklagten bezüglich der Tubera – ca. 3 cm – deutlich übertrieben seien und noch einmal betont, dass die Tubera bei der Nebenklägern N scharf umgrenzt seien. Die auf den PET-Bildern erkennbaren Stoffwechselveränderungen gingen nicht über die auf den MRT-Bildern erkennbaren strukturellen Läsionen hinaus. Zu berücksichtigen sei auch immer die Fähigkeit des Gehirns zur Reorganisation, d. h. Funktionen, die üblicherweise von einem bestimmten Hirnareal wahrgenommen würden, würden im Falle einer Schädigung dieses Areals häufig von anderen Hirnarealen übernommen. Dies sei beispielsweise häufig bei Schlaganfall-Patienten der Fall: Obwohl in der Bildgebung Läsionen im Hirn zu erkennen seien, komme es zü einer – bisweilen gar vollständigen – Erholung, So dass klinische Auffälligkeiten nicht mehr festgestellt werden könnten. Was die Lokalisation des Berührungs- und Vibrationsempfindens in der Körpermitte – also auch im Rumpf-, Becken- und Genitalbereich – im Hirn angehe, sei zudem zu berücksichtigen, dass diese Funktionen bilateral repräsentiert seien. Eine Beeinträchtigung der Funktion in einer Hirnhälfte führe daher nicht zu einem Totalausfall. Weiterhin falle in der „Befundung“ auf, dass die zitierte Literatur in vielen Fällen gar nicht die seitens des Angeklagten gezogenen Schlüsse stütze. Ausgehend hiervon sei zu den einzelnen Befunden folgendes zu sagen:
231Die Gesamthirn-Stoffwechselrate sei keineswegs unreif erhöht, sondern liege im – wenn auch oberen – Normbereich. Die Einnahme des Medikaments Primidon in der Kindheit habe bei der Nebenklägerin N. keine Folgen gehabt. Aus einer etwaigen Steigerung der Stirnhirnfunktion, wie der Angeklagte sie diagnostiziere, könne auch keineswegs auf das Eintreten einer Gedächtnisblockade unter Stress geschlossen werden. Vielmehr gehe ein solches mnestisches Blockadesyndrom regelmäßig mit einer Verminderung des Stoffwechsels einher.
232Dass ein Tuber in dem für die räumliche Zuordnung von Berührungsreizen in der Genital-Bein-Becken-Rumpfregion zuständigen Hirnrindenareal liege, sei unrichtig. Hierbei handele es sich um den sogenannte Gyrus postcentralis, die vom Angeklagten bezeichnete Läsion liege aber im sogenannte Praecurieus, der an den Gyrus postcentralis angrenze und außerhalb des somato-sensiblen Kortex liege. Das vom Angeklagten im Hauptverhandlungstermin vom 17.3.2003 vorgelegte PET-Bild mit gegenübergestelltem Körperschema sei irreführend.
233Auf dieser Abbildung befindet sich auf der linken Seite ein schematisches Schnittbild eines menschlichen Gehirns; den einzelnen Hirnregionen sind bildlich und durch englische Bezeichnung Körperregionen zugeordnet. Gegenüber diesem Schema befindet sich ein Ausschnitt aus einem PET-Bild, auf dem eine Läsion an etwa der Stelle markiert ist, der auf dem Schema die Regionen „Trunk“, „Hip“, „Leg“, „Foot“, „Toes“ und „Genitals“ zugeordnet sind. Die Bildunterschrift lautet: „N. FDG-PET – Modifizierter Koronarschnitt durch den Gyrus postcentralis“. Wegen der Einzelheiten der Abbildung wird auf Anlage I zum Protokoll vom 17.03.2003 Bezug genommen.
234Anhand des auf der Abbildung erkennbaren Ausschnitts des PET-Bildes sei es nicht möglich, die dort erkennbare Läsion zu lokalisieren; hierzu müsse man weitere PET-Bilder hinzunehmen, die das ganze Hirn zeigen. Läge die Läsion, wie die Bildunterschrift suggeriere, tatsächlich im Gyrus postcentralis, ließe sie tatsächlich die vom Angeklagten angegebenen Sensibilitätsstörungen erwarten, wobei es im Ergebnis auch insoweit auf die klinischen Untersuchungen ankäme. Dies, die Lokalisation im Gyrus postcentralis, sei aber definitiv nicht der Fall, wie man an weiteren PET-Bildern, die Schnitte des gesamten Hirns zeigten, erkennen könne. Schließlich sei es auch so, dass eine entsprechende Läsion im Gyrus postcentralis, wenn sie denn vorläge, nicht nur zu isolierten Störungen der Fähigkeit zur Berührungszuordnung in der Genital-Bein-Becken-Rumpfregion führen könne, sondern daneben mit erheblichen Problemen mit der Kontinenz und der Enddarmkontrolle einhergehen müsse.
235Das Vorliegen der vom Angeklagten angegebenen Körperbildstörung, einer sogenannten Autotopagnosie, hat der Sachverständige Prof. Dr. S. ausgeschlossen. Eine solche sei als isolierte Störung fragwürdig. Sie trete, wenn überhaupt, nur im Zusammenhang mit weiteren schweren neuropsychologischen Einbußen auf. Der in der vom Angeklagten zitierten Literaturstelle besprochene Fall betreffe zudem eine Läsion von wesentlich größeren Ausmaßen als die Tubera der Nebenklägerin N. Dies gelte selbst dann, wenn man mit dem Angeklagten von einer Größe von 3 cm ausgehe.
236Schließlich lägen in den für die Langzeitgedächtniseinspeicherung von Gesehenem und für das autobiographisch-episodische Gedächtnis zuständigen Hirnstrukturen keine Tubera.
237Es besteht kein Anlass, an der Sachkunde des Sachverständigen Prof. Dr. S. zu zweifeln. Er hat im Termin die Grundlagen der bildgebenden Verfahren PET und MRT verständlich dargestellt. Er hat sein Gutachten anhand der Ausdrucke der PET- und MRT-Bilder erläutert und die einzelnen Läsionen auf diesen Bildern gezeigt. Zu den in der Einlassung und der „Befundung“ des Angeklagten angesprochenen Punkten hat er Stellung genommen und zur vollen Überzeugung der Kammer widerlegt, dass die Nebenklägerin N. an hirnorganischen Beeinträchtigungen leidet, die ihre Aussagetüchtigkeit beeinträchtigen. So hat er die in dem Aufsatz von W. u. a., Nature Neuroscience 1998, 529 ff., den der Angeklagte als Beleg für die bei der Nebenklägerin diagnostizierte Autotopagnosie angegeben hat, abgebildeten MRT-Bilder vorgelegt, die in Augenschein genommen wurden. Auf dieser Abbildung, wegen deren Einzelheiten auf .BL 80 rechts unten des Sonderhefts „1) PET-Gutachten, 2) Von Prof. Dr. S. der HV vom 18.03.2003 „überreichte Unterlagen“ Bezug genommen wird, sind zwei MRT-Bilder zu sehen, ein horizontaler und ein vertikaler Schnitt durch das Gehirn eines Patienten. Auf diesen MRT-Bildern ist eine auch dem Laien unmittelbar ins Auge springende strukturelle Läsion erkennbar, die mit den Läsionen der Nebenklägerin NBBP die der Sachverständige auf den zur Erläuterung verwendeten Bildern jeweils besonders hervorheben musste, nicht zu vergleichen ist.
238Soweit er in seinem Gutachten an Krankenunterlagen angeknüpft hat/hat der Sachverständige Prof. Dr. S. deren Inhalt wiedergegeben. Seine Ausführungen zum Verhältnis der bildgebenden Diagnostik zu den klinischen Untersuchungen stimmen auch mit den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. K. überein. Selbst der Angeklagte hat auf Befragen am zweiten Verhandlungstag nach Verlesung der Einlassungen bezüglich der Nebenklägerinnen G., R. N., W. und P. die Bedeutung der klinischen Untersuchungen in der Neurologie gegenüber den „technischen Zusatzuntersuchungen“ hervorgehoben und die Technikgläubigkeit von Patienten und jungen Ärzten kritisiert.
239Der Sachverständige Prof. Dr. K. hat sich dem Ergebnis des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. S. bei dessen Erstattung in der Hauptverhandlung er anwesend war, angeschlossen. Ihm standen – bis auf die auf CD-ROM gespeicherten PET- und MRT-Bilder – die gleichen Unterlagen wie dem Sachverständigen Prof. Dr. S. zur Verfügung. Er hat die Nebenklägerin N. zudem am 26.4.2001 in Berlin exploriert und war bei ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung anwesend. Bei den Vernehmungen der behandelnden Ärzte der Nebenklägerin, der sachverständigen Zeugen Dr. M., Dr. T., Dr. T. und Dr. H., des Neuropsychologen der neurologischen Universitätsklinik, des“ sachverständigen Zeugen Prof. Dr. K, der die neuropsychologischen Tests der Nebenklägerin ausgewertet hat, sowie der Zeugen G., B. E. und W. aus dem persönlichen Umfeld der Zeugin war der Sachverständige entweder anwesend oder wurde über deren Inhalte informiert. Von Zeugen überreichte Unterlagen wurden ihm zur Verfügung gestellt.
240Der Sachverständige Prof. Dr. K. hat auf dieser Grundlage ausgeführt, dass auch er die Diagnose einer Minimalvariante einer tuberöse Sklerose für richtig halte. Die Folgen der krankheitsbedingten Hirnläsionen bzw. tubera seien abhängig von deren Zahl, Lage und Ausdehnung. Bei der Nebenklägerin N. eine in der Kindheit epileptische Anfälle aufgetreten, die im Zusammenhang mit diesen Missbildungen stünden. Sie seien erfolgreich mit einem Antiepileptikum behandelt worden; seit dessen Absetzen seien keine neuen Anfälle aufgetreten. Für die Frage der Zeugentüchtigkeit relevante Folgen der Erkrankung seien bei der Nebenklägerin nicht feststellbar. Auch ansonsten gebe es keinen Hinweis auf wesentliche Erkrankungen. Die in der Uni-Klinik festgestellte Arterienverstopfung – im Arztbrief als ACI-Stenose bezeichnet- sei ohne Bedeutung für die kognitiven Funktionen.
241Auch aus der Lebensgeschichte der Nebenklägerin ergäben sich keine Anhaltspunkte für psychische Störungen. Die Nebenklägerin habe zwar bisweilen Schwierigkeiten in der Meisterung ihres Lebens gehabt, die von schulischen Problemen über Prüfungsangst mit der Folge des Abbruchs der Lehre bis hin zu schwerwiegenden Beziehungsproblemen, die unter anderem zu einem Suizidversuch im Jahre 1994 mit Tabletten und einer Scheidung geführt hätten. Sie sei aber in jedem Fall in der Lage gewesen, diese Schwierigkeiten zu überwinden. Es handele sich nicht um pathologische Dauerprobleme. Die Nebenklägerin gehe heute auch einer geregelten Tätigkeit als Sachbearbeiterin in einer Versicherung nach. Eine Alexithymie, wie der Angeklagte sie diagnostiziert habe, liege bei der Nebenklägerin sicherlich nicht vor. Bei dieser psychischen Störung könnten die Betroffenen nur ihre körperlichen, nicht aber ihre psychischen Befindlichkeiten benennen. Dies sei bei der Nebenklägerin nicht der Fall. Es sei zwar so, dass sie aus einer Arbeiterfamilie stamme, in der es nicht so üblich gewesen sei, seine Gefühle zu äußern. Dies liege aber am sozialen Umfeld und sei keine Störung. Die Nebenklägerin weise im Übrigen auch keinerlei autistische Züge auf. Sie bleibe nicht kindlich zurückgezogen und sei durchaus in der Lage, die üblichen Zeichen zwischenmenschlicher Interaktion zu lesen.
242Es gebe auch sonst keine Hinweise auf psychopathologische Funktionsbeeinträchtigungen des Gedächtnisses oder der Wahrnehmung. Bei der Exploration sei die Nebenklägerin unauffällig gewesen. Sowohl die neuropsychologischen Befunde der Neurologischen Universitätsklinik in K. als auch die anlässlich der Exploration in Berlin erhobenen lägen im Normbereich. Mit solchen Tests werde zwar – wie die Verteidigung grundsätzlich einwende – nicht das autobiographisch-episodische Gedächtnis geprüft, eine Störung desselben würde indessen im Regelfall dazu führen, dass der Betroffene sich gar nicht mehr an bestimmte Ereignisse erinnere. In den Fällen, in denen Gedächtnislücken durch Konfabulation aufgefüllt würden, verwendeten die Betroffenen zum einen bekannte Schemata, zum anderen erzählten sie im Regelfall keine konsistente Geschichte sondern immer etwas anderes. Dies sei bei der Nebenklägerin N. nicht der Fall. Es gebe keine Hinweise auf Fehlerinnerungen oder Wahrnehmungsverzerrungen. Insbesondere könne der Umstand, dass die Nebenklägerin in der Kindheit eine exhibitionistische Erfahrung gehabt habe, nicht dazu führen, dass sie nicht in der Lage sei, eine Berührung am Anus von einer Berührung der Scheide zu unterscheiden.
243Schließlich hat der Sachverständige Prof. Dr. K. auch im Fall der Nebenklägerin N. erhebliche Zweifel daran geäußert, dass der Angeklagte anhand einer einzigen Nachuntersuchung der Nebenklägerin in der Lage gewesen sein wolle, derart umfassende psychiatrische Diagnosen zu stellen, wie er es getan habe. Eine stabile Neurosendiagnostik erfordere ausführliche Explorationen, die in dem Zeitrahmen, der dem Angeklagten nach eigenen Angaben zur Verfügung gestanden habe, nicht möglich gewesen seien. Es komme hinzu, dass nach der Darstellung des Angeklagten die Nebenklägerin N. eine hochgradig neurotische Persönlichkeit sei, was in der Krankenakte keinen Niederschlag finde.
244Im Ergebnis gebe es bei der Nebenklägerin N. keine Anhaltspunkte für eine Einschränkung der Aussagetüchtigkeit zum Zeitpunkt der Untersuchung durch den Angeklagten oder bei ihrer polizeilichen Vernehmung, den Explorationen bei den Sachverständigen in Berlin und ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung.
245Die Kammer folgt den überzeugenden, nachvollziehbaren und widerspruchsfreien Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. S. und Prof. Dr. K.: Auch der Sachverständige Prof. Dr. K. ist von zutreffenden Anknüpfungstatsachen ausgegangen. Er hat die Vernehmungen und Explorationen sowie den Inhalt der medizinischen Unterlagen – soweit sie für sein Gutachten erforderlich waren – richtig wiedergegeben. Mit der Einlassung des Angeklagten hat er sich ausführlich auseinandergesetzt.
246Die Ergebnisse beider Gutachten, nämlich dass eine Einschränkung der Zeugentüchtigkeit nicht gegeben ist, werden auch durch die Bekundungen der behandelnden Ärzte der Nebenklägerin, der sachverständigen Zeugen Dr. M., Dr. T., Dr. T. und Dr. H. bestätigt. Insbesondere letzterer, der die Nebenklägerin seit November 1999 als niedergelassener Neurologe behandelt und Facharzt für Neurologie und Psychiatrie ist, hat bei ihr keine Auffälligkeiten feststellen können, die die Aussagetüchtigkeit beeinträchtigen könnten. Sie habe weder derzeit Erinnerungsschwierigkeiten noch Schwierigkeiten bei der Zuordnung von Berührungen; sie habe auch noch nie solche Schwierigkeiten gehabt, seitdem er sie behandele. Die sachverständige Zeugin Dr. T. die für die Nebenklägerin als Assistenzärztin zuständig war, hat bekundet, diese habe einen geordneten, stabilen Eindruck gemacht, sie habe mitten im Leben gestanden. Der sachverständige Zeuge Dr. T hat bekundet, die Nebenklägerin habe wenig von sich aus erzählt, psychische Auffälligkeiten habe es aber nicht gegeben. Die Zeugin Dr. M. die die Nebenklägerin seinerzeit als Ärztin im Praktikum auf Station 1 aufgenommen hat, hat zwar bekundet, diese sei eher kindlich gewesen, ohne dies jedoch konkretisieren zu können. Sie hat dies auf Nachfrage auch dahin eingeschränkt, dass dies nur minimal und nicht pathologisch gewesen sei. Die Zeugin habe nicht unter Gedächtnisstörungen gelitten. Selbst zu sagen, sie sei verlangsamt gewesen, sei übertrieben. Von einer – wenn auch nur leichten – Retardierung könne keinesfalls die Rede sein.
247Auch die Zeugen G. seinerzeit Lebensgefährte der Nebenklägerin B. – ihre beste Freundin – und B. – ihre Schwester- haben übereinstimmend und glaubhaft bekundet, bei der Nebenklägerin niemals Auffälligkeiten wie Gedächtnisstörungen, Fehlerinnerungen oder falsche örtliche Zuordnung von Berührungen wahrgenommen zu haben. Auch die Zeugin W. die eine Zimmernachbarin der Nebenklägerin N. in der Uni-Klinik war, hat nichts bekundet, was auf eine Einschränkung der Zeugentüchtigkeit der Nebenklägerin schließen lässt. Hierauf hat sich die Kammer indessen nicht gestützt, weil ansonsten möglicherweise eine Exploration der Zeugin geboten gewesen wäre.
248Auch der Kammer sind bei der Vernehmung in der Hauptverhandlung keine Besonderheiten, im Aussageverhalten der Nebenklägerin H. aufgefallen. Weder wirkte die Zeugin in irgendeiner Weise kindlich, zurückgeblieben oder autistisch, noch war sie außer Stande ihre Gefühle zu äußern. Dies war besonders eindrucksvoll, wenn sie sich über ihren früheren Lebensgefährten, den Zeugen G. ausließ, wobei sie seine Art, sich selber in den Mittelpunkt zu rücken, so anschaulich beschrieb, dass der Kammer der Zeuge, den sie 11 Hauptverhandlungstage zuvor vernommen hätte, sogleich wieder lebhaft vor Augen stand. Ein weiteres Zeichen dafür, dass die Zeugin durchaus in der Lage ist, ihre Gefühle situationsadäquat zu vermitteln war, dass sie während der Schilderung der Untersuchung und ihrer Zweifel an deren Richtigkeit („Ich habe gedacht „Das wird schon so richtig sein. Der wird dir hier ja nichts antun.“) anfing zu weinen.
249Für das Vorliegen von Einschränkungen der Aussagetüchtigkeit sprechen schließlich auch nicht die auf den 18.01.2000 datierten handschriftlichen Notizen des Angeklagten, die sich in der Krankenakte der neurologischen Universitätsklinik finden. In diesen sind diejenigen Daten aus der Lebens- und Krankengeschichte der Nebenklägerin festgehalten, die nach der Einlassung des Angeklagten für eine psychische Störung sprechen sollen. Zudem sind die unauffälligen Befunde bezüglich Hautmanifestationen des Bourneville-Pringle-Syndroms und einer Spina bifida aufgeführt: Der Angeklagte hat angegeben, bei dem Datum habe er sich vertan, die Notizen stammten vom 19.1.2000. Beiden Sachverständigen waren diese Notizen bekannt, negative Schlüsse hinsichtlich der Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin haben sie nicht daraus gezogen. Die dort festgehaltenen Daten zur Lebens- und Krankengeschichte entsprechen auch denen, die die Nebenklägerin in der Hauptverhandlung angegeben hat und die durch die sonstige Beweisaufnahme bekannt geworden sind. Die neurologischen Befunde entsprechen den im Arztbrief festgehaltenen.
250Die „Nachbefundung“ des Angeklagten gab keine Veranlassung, auch hierzu noch einmal den Sachverständigen Prof. Dr. Spröder einen anderen Sachverständigen zu hören. Der Sachverständige Prof. Dr. S. hat sich mit der in der „Nachbefundung“ angesprochenen Läsion eingehend auseinandergesetzt und diese weder im Gyrus postcentralis – so die ursprüngliche „Befundung“ – noch im Lobulus paräcentralis – so die „Nachbefundung“ – sondern, wie oben erläutert, im Praecuneus lokalisiert. Hierzu hat er die selben PET-Bilder vollständig ausgewertet, die auch dem Angeklagten sowohl für seine „Befundung“ als auch für seine „Nachbefundung“ zur Verfügung standen. Da mithin keine neuen Erkenntnismöglichkeiten zur Verfügung gestanden hätten, war nicht zu erwarten, dass der Sachverständige nur aufgrund des Umstandes, dass der Angeklagte sein ursprüngliches Ergebnis korrigiert hat, zu einem von seinem Gutachten abweichenden Ergebnis gekommen wäre.
251Die Aussage der Nebenklägerin N. ist auch glaubhaft. Bezüglich des äußeren Ablaufs der Untersuchung stimmt die Aussage der Nebenklägerin fast vollständig mit der Einlassung des Angeklagten überein. Der Angeklagte bestreitet allerdings, die Brustwarzen oder die Genitalien der Nebenklägerin berührt zu haben. Er habe auch nicht einen oder mehrere Finger oder gar die Stimmgabel in ihre Scheide eingeführt. Vielmehr habe er eine Sensibilitätstestung im Reithosenbereich durchgeführt und die Funktion des Analsphinkters visuell kontrolliert. Auch nach ihrem Masturbationsverhalten habe er sie nicht gefragt.
252Soweit die Angaben der Nebenklägerin mit denen des Angeklagten übereinstimmen, hat die Kammer keine Veranlassung, an deren Richtigkeit zu zweifeln. Die Kammer ist aber davon überzeugt, dass der Angeklagte die Stimmgabel an den Brustwarzen, der Klitoris und in der Vagina der Nebenklägerin angesetzt und einen oder zwei Finger in ihre Vagina eingeführt hat und dass er sie auch nach ihrem Masturbationsverhalten gefragt hat.
253Dies hat die Nebenklägerin N. der Hauptverhandlung glaubhaft bekundet. Ihre Aussage weist zahlreiche Realkennzeichen auf:
254Die Schilderung des Geschehens war spontan, nachvollziehbar, lebensnah und frei von Widersprüchen: Sie enthält Details zum Kerngeschehen, so zum Beispiel die Beschreibung, wie der Angeklagte mit dem ganzen Finger in die Vagina eingedrungen sei, diesen nach links und rechts bewegt und immer wieder gefragt habe, ob die Nebenklägerin dies spüre und ob sie links oder rechts mehr spüre. Ebenso anschaulich ist die Beschreibung des Beginns der Sensibilitätsprüfung: „Er ist mit der Hand ganz dicht, über meinen Körper gefahren, von Kopf bis Fuß. Seine Hand hat dabei gezittert, ich habe mir nichts dabei gedacht. (Auf Nachfrage:) Es war ganz sacht.“ Aber auch zu eher am Rande liegenden äußeren Umständen hat die Nebenklägerin originelle Details bekundet, so, dass sie sich am zweiten Tag ihres Klinikaufenthaltes beschwert habe, weil ihr alles nicht schnell genug gegangen sei, und dass ihr Freund, als sie ihm von der Untersuchung erzählt habe, gleich „in die Luft gegangen“ sei. Die Nebenklägerin hat den gesamten festgestellten Sachverhalt zunächst auch flüssig in einem ausführlichen Bericht bekundet.
255Auch die bereits erwähnte, eindrucksvolle Schilderung von Gefühlen durch die Nebenklägerin spricht für die Wiedergabe eines tatsächlichen Erlebnisses. Hierbei hat die Zeugin auch wörtliche Rede gebraucht, was sie auch an anderen Stellen der Aussage immer wieder getan hat. So habe ihr Freund, als sie mit ihm nach dem Krankenhausaufenthalt noch einmal habe reden wollen, gesagt: „Mensch, hast du das immer noch nicht vergessen?“
256Die Nebenklägerin N. ist auch glaubwürdig. Sie hat ihre Aussäge ohne überschießende Belastungstendenzen gemacht und Unsicherheiten freimütig eingeräumt. Auf Befragen der Staatsanwaltschaft, was nach dem Löschen des Lichts durch den Angeklagten geschehen sei, hat sie beispielsweise spontan geäußert, der Angeklagte habe dies im Laufe der Befragung ganz beiläufig getan, als es draußen heller geworden sei. Auf Befragen hat sie auch angegeben, bei der Exploration durch den Sachverständigen Prof. Dr. S. sei Thema gewesen, ob der Angeklagte einen oder zwei Finger vaginal eingeführt habe. Sie habe deswegen sogar hoch einmal bei dem Sachverständigen angerufen, um sich zu korrigieren. Sie wisse aber nicht mehr, ob sie sich bei der Exploration an einen oder zwei Finger erinnert habe. Heute sei sie bezüglich der Zahl der Finger nicht mehr sicher. Ebenso hat sie auf Befragen zunächst angegeben, sie wisse nicht mehr, ob der Angeklagte die Stimmgabel an den Schamlippen angesetzt habe, konkret sei ihr nur noch das Ansetzen am Schambein erinnerlich.
257Nicht gegen die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin spricht auch in diesem Fall, dass sie sich erst nach Erhalt des Ansohrreibens an die Polizei gewandt hat. Auch wenn die Nebenklägerin sich von Anfang an zahlreichen Personen anvertraut, hat, ist nachvollziehbar, dass sie – wie Sie bekundet hat – zürn einen Angst hatte, man würde ihr bei der Polizei nicht glauben, und sich zum anderen gescheut hat, das Geschehen öffentlich zu machen. Für die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin sprechen zudem die unter B. II. 4. beschriebenen Folgen der Tat, unter denen sie, wie sie bekundet hat, bis heute leidet. Es ist lebensfremd anzunehmen, dass die Nebenklägerin gerade diese Folgen, die angesichts der Tat stimmig sind, erfunden hat, um den Angeklagten zu belasten. Zu diesem Zweck hätte es näher gelegen, wesentlich schlimmere psychische Folgen anzugeben. Zudem hat auch ihre Schwester, die Zeugin E. bestätigt, dass die Nebenklägerin ihr von diesen Problemen berichtet habe.
258Die Nebenklägerin hat auch kein Motiv für eine Falschaussage. Die Kammer schließt insbesondere eine finanzielle Motivation aus. Der Vertreter der Nebenklägerin, Herr Rechtsanwalt H. hat sich zwar bereits im Ermittlungsverfahren mit Schreiben vom 12.07.2001 an den Zeugen Prof. Dr. H. gewandt. Mit diesem Schreiben, zu dem der Zeuge Prof. Dr. H. bekundet hat, hat der Nebenklagevertreter von der Uni-Klinik Schmerzensgeld für die Nebenklägerin gefordert. Er hat versucht, diese unter Hinweis auf die Medienwirksamkeit des Verfahrens sowie den drohenden Imageverlust für die Uni-Klinik und den Zeugen Prof. Dr. H. persönlich unter Druck zu setzen. Der Zeuge Prof. Dr. … hat bekundet, sich über dieses Schreiben sehr aufgeregt zu haben, was ihm in der Hauptverhandlung auch deutlich anzumerken war. Die Nebenklägerin hat auch mit Schriftsatz ihres Vertreters vom 16.1.2003 einen Adhäsionsantrag gestellt. Gegen eine finanzielle Motivation der Nebenklägerin für ihre Aussage spricht indessen, dass sie zu dem Zeit- punkt des Schriftsatzes vom 12.07.2001 bereits polizeilich vernommen worden war und die wesentlichen Elemente der Untersuchung bereits bekundet hatte. Ihre Angaben hatte sie auch im Wesentlichen übereinstimmend in der Exploration bei dem Sachverständigen Prof. Dr. S. wiederholt. In beiden Fällen hat sie von etwaigen finanziellen Forderungen nichts erwähnt Bei dem Sachverständigen Prof. Dr. S. hatte sie am 26.04.2001 auch noch angegeben, anwaltlich nicht vertreten zu sein. Herr Rechtsanwalt H. hat sich dann auch erst mit Schriftsatz vom 02.05.2001 für die Nebenklägerin bestellt. Zudem ist es grundsätzlich legitim, finanzielle Forderungen zu stellen.
259Die Kammer ist aufgrund der Aussage der Nebenklägerin bei der Polizei auch davon überzeugt, dass der Angeklagte die Stimmgabel nicht nur am Schambein sondern auch an der Klitoris und in der Vagina angesetzt hat; Der Vernehmungsbeamte, der „Zeuge KHK B. hat in seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung allerdings lediglich bekundet, sich daran erinnern zu können, dass die Nebenklägerin berichtet habe, sie sei im Rahmen einer Untersuchung durch den Angeklagten mit dem Finger im Vaginalbereich ohne Handschuhe untersucht worden. Der Angeklagte habe sie auch mit der Stimmgabel untersucht und diese wohl auch eingeführt, Sie habe sich für die Untersuchung, die der Angeklagte alleine durchgeführt habe, vollständig entkleiden müssen. Nachdem die Nebenklägerin sich in der Hauptverhandlung zunächst – wie bereits erwähnt – lediglich daran erinnern konnte, dass der Angeklagte die Stimmgabel am Schambein, angesetzt habe, ist folgender Teil des Vernehmungsprotokolls der polizeilichen Vernehmung nach § 253 Abs. 2 StPO verlesen worden:
„Dann hat er eine Stimmgabel genommen, ein Untersuchungsgerät.
Er hat sie angestoßen und im Brustbereich angesetzt, er über den Brüsten an den Rippen, dann auch am Busen, direkt auf den Brustwarzen.
Dann ging er mit der Stimmgabel weiter nach unten. Erst am Schamhaarbereich, dann an der Klitoris und in der Vagina.
Er fragte dabei immer wieder, ob ich das spüre."
260Auf die Verlesung hin hat die Nebenklägerin bekundet, sie erinnere sich jetzt auch daran, dass es seinerzeit bei der Untersuchung so abgelaufen sei. Bei ihrer polizeilichen Vernehmung seien ihr diese Dinge eben noch frischer im Gedächtnis gewesen. Damals habe sie die Untersuchung auch ausführlich geschildert.
261Die Kammer hat keine Zweifel daran, dass diese Bekundungen, die die Nebenklägerin bei ihrer ersten Vernehmung im Rahmen ihres ausführlichen Berichts über die Untersuchung durch den Angeklagten gemacht hat, zutreffend sind. Die Ereignisse lagen seinerzeit noch keine 8 Monate zurück und waren der Nebenklägerin, wie sie selber angegeben hat, noch frisch im Gedächtnis. Die Aussage der Nebenklägerin wurde seinerzeit auch nicht von Fragen unterbrochen oder gar geleitet, wie sie selbst und der Zeuge KHK B. bekundet haben. Keine Zweifel an der Richtigkeit ihrer Aussage ergeben sich aus den Angaben der Nebenklägerin in der Exploration durch den Sachverständigen Prof. Dr. S. Zum Inhalt der Exploration hat die Kammer den Sachverständigen als Zeugen vernommen und seinen Tonbandmitschnitt in Augenschein genommen. Er hat glaubhaft bestätigt, dass die Vernehmung abgelaufen ist wie sie aufgezeichnet worden ist, und Einzelheiten hierzu bekundet. In der Exploration hat die Nebenklägerin zunächst bekundet, der Angeklagte habe die Stimmgabel eingesetzt, als sie sich in Rückenlage befunden habe. Er habe sie am ganzen Körper angesetzt, auch an den Brustwarzen und im Genitalbereich. Auf Nachfrage hat sie angegeben, der Angeklagte habe die Stimmgabel an der Klitoris angesetzt und vaginal eingeführt („reingesteckt“), und zwar zwei bis drei cm des unteren Endes der Stimmgabel („dieser Pfropf da unten drauf). Nach einigen weiteren Nachfragen hat die Nebenklägerin auf erneute Frage zu der Position, in der die Stimmgabel eingeführt worden sei, angegeben, dies sei in Knie-Ellenbogen-Lage geschehen, nicht im Liegen. Es fällt bereits auf, dass die Nebenklägerin in ihrem freien Bericht über die Untersuchung selbst und auf die ersten, offenen .Nachfragen hoch mit ihrer Aussage bei der Polizei übereinstimmende Angaben macht. Die Abweichung bezüglich der Position, in der die Stimmgabel eingeführt worden ist, tritt erst auf, nachdem der Sachverständige die Nebenklägerin eingehend zum Aussehen der Stimmgabel und zur Dauer des Einführens befragt hat. Auf die sich hieran unvermittelt anschließende Frage, ob der Angeklagte die Stimmgabel auch in Knie-Ellenbogen-Lage eingeführt habe, antwortet sie: „Ja. Ja. Da, bei dieser Position, nicht im Liegen.“ Zu der Abweichung von den ursprünglichen Angaben kommt es mithin erst auf eine geschlossene Frage, die die Antwort bereits enthält und die zudem ohne erkennbaren Anlass nach einer längeren Befragung zu anderen Themen die eigentlich hinlänglich geklärte Frage der Körperposition beim Einführen der Stimmgabel wieder aufgreift. Dass die Nebenklägerin in dieser Situation verwirrt ist und die in der Frage enthaltene Antwort aufgreift, verwundert nicht.
262Zu einer ähnlichen Verwirrung der Zeugin ist es auch an anderer Stelle im Rahmen der Exploration, nämlich bei der Frage, wie viele Finger der Angeklagte vaginal eingeführt hat, gekommen. Insoweit hatte die Zeugin zunächst bekundet, der Angeklagte habe sie vaginal mit den Fingern abgetastet, nachdem sie sich in Knie-Ellenbogen-Lage begeben habe. Auf eine Nachfrage zum Abtasten blieb unklar, ob es um einen oder mehrere Finger ging. Zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt der Exploration, als es darum ging, was die Nebenklägerin der Zeugin Dr. T. erzählt habe, fragte der Sachverständige Prof. Dr. … unvermittelt „Sie. haben ja eigentlich zwei Finger sogar gesagt?“ Hierauf antwortete die Nebenklägerin mit „Ja.“ Gegen Ende der Exploration befragte der Sachverständige die Nebenklägerin erneut ausführlich zur Anzahl der eingeführten Finger und hielt ihr vor, im polizeilichen Vernehmungsprotokoll sei nur von einem Finger die Rede. Die Nebenklägerin blieb nunmehr dabei, dass der Angeklagte zwei Finger eingeführt habe. Durch diese Befragung, deren Intensität sich angesichts der nicht entscheidenden Bedeutung der Frage, ob ein oder zwei Finger eingeführt wurden, nicht recht erschließt, wurde die Nebenklägerin so verwirrt, dass sie einige Tage später bei dem Sachverständigen, der dies aufgrund einer Telefonnotiz seiner Sekretärin in der Hauptverhandlung so bekundet hat, anrief und mitteilte, die Sache habe ihr keine Ruhe gelassen. Sie habe sich in der Exploration geirrt. Richtig sei, dass nur ein Finger eingeführt worden sei. Angesichts dessen ist nachvollziehbar, dass die Nebenklägerin in der Haupt Verhandlung weder zu sagen wusste, ob sie bei dem Sachverständigen ein oder zwei Finger gesagt habe, noch sicher war, wie viele Finger der Angeklagte denn nun tatsächlich eingeführt habe, so dass diese Frage in der Hauptverhandlung nicht abschließend geklärt werden konnte.
263Ebenso wenig wie die genannten Unsicherheiten Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der Aussage der Nebenklägerin in den betreffenden Punkten oder insgesamt bieten, können Rückschlüsse aus dem Umstand gezogen werden, dass sie in der Exploration durch den Sachverständigen Prof. Dr. S. zunächst angegeben hat, der Angeklagte habe sie zunächst in Rücken-, dann in Bauchlage und zuletzt in Knie-Ellenbogen-Lage untersucht. Sie hat diese Angabe im Laufe der Exploration in Übereinstimmung mit ihren Angaben in der Hauptverhandlung korrigiert. Die Reihenfolge Bauchlage – Rückenlage – Knie – Ellenbogen-Lage entspricht auch den Angaben des Angeklagten. Dass die Nebenklägerin in diesem Nebenpunkt einmal durcheinander gekommen ist, hat keine durchgreifende Bedeutung für die Bewertung ihrer Aussage.
264Dass die Zeugin N. in beiden Punkten über den langen Zeitraum seit der Untersuchung unsicher geworden ist, erklärt sich zudem mit dem Umstand, dass sie in der Hauptverhandlung und in der Exploration bekundet hat, als besonders schlimm habe sie neben dem vaginalen Einführen des bzw. der Finger(s) an sich den Umstand empfunden, dass der Angeklagte hierbei keine Handschuhe getragen habe. Das Einführen der Stimmgabel und die Zahl der eingeführten Finger waren für sie demnach von nur untergeordneter Bedeutung.
265Den Sachverhalt „Einführen der Stimmgabel in die Vagina“ hat die Nebenklägerin auch bereits in der Klinik der Zeugin B. gegenüber geschildert. Diese hat bekundet, die Nebenklägerin habe ihr die Untersuchung ausführlich geschildert; Sie habe sich nackt ausziehen und auf das Bett legen müssen. Der Angeklagte habe sie von oben bis unten abgetastet. Sie habe sich dann hinhocken müssen, der Angeklagte sei mit dem Finger vaginal in sie eingedrungen. Dabei habe er keine Handschuhe getragen. Der Angeklagte sei auch mit der Stimmgabel in sie eingedrungen. Der Zeugin E. berichtete die Nebenklägerin ebenfalls noch während ihres stationären Aufenthalts, die Untersuchung durch den Angeklagten sei komisch gewesen. Sie habe sich nackt ausziehen müssen. Er habe sie unter anderem mit der Stimmgabel unten herum untersucht und dabei gefragt, ob sie etwas spüre. Dies hat die Zeugin E. in der Hauptverhandlung bestätigt.
266Die Kammer ist auch davon überzeugt, dass die Nebenklägerin N. die Untersuchung mit der Stimmgabel im Intimbereich und die vaginale Untersuchung mit einem oder mehreren Fingern bereits am Nachmittag des Tattages auch der Zeugin O. gegenüber berichtete, an die sie sich gewandt hatte, um zu fragen, ob die Untersuchung in Ordnung gewesen sei. Die Zeugin O. hat in der Hauptverhandlung allerdings lediglich bekundet, die Nebenklägerin, die ganz aufgelöst gewesen sei, habe sie angesprochen und ihr berichtet, sie habe sich ganz ausziehen müssen und sei vom Angeklagten mit der Stimmgabel untersucht worden. Sie, die Zeugin O. meine auch, dass die Nebenklägerin auch Berührungen im Genitalbereich erwähnt habe, sie sei sich aber nicht mehr sicher. Es seien jedenfalls die Sensibilität und das Vibrationsempfinden untersucht worden, sie könne aber nicht mehr sagen, ob der Angeklagte auch in die Nebenklägerin eingedrungen sei. Dafür, dass die Nebenklägerin jedenfalls auch eine vaginale Untersuchung erwähnt hat, spricht bereits die Einlassung des Angeklagten, die Zeugin O. habe ihm am nächsten Tag berichtet, die Nebenklägerin glaube, von ihm gynäkologisch untersucht worden zu sein. Unter einer gynäkologischen Untersuchung versteht man gemeinhin insbesondere eine Untersuchung in und an der Vagina. Ebenso hat die Zeugin O. bekundet, den Angeklagten auf die Vorwürfe der Nebenklägerin angesprochen und ihn gefragt zu haben, warum sei sie nicht zum Gynäkologen geschickt habe, was nur Sinn ergibt, wenn die Nebenklägerin ihr auch von einer gynäkologischen Untersuchung berichtet hat. Auch der Zeuge Dr. T. hat bekundet, in dem Gespräch, in dem der Angeklagte die Untersuchung der Nebenklägerin erklärt habe, sei es um den Vorwurf einer gynäkologischen Untersuchung gegangen.
267Insbesondere steht aber fest, dass der Angeklagte gegenüber der Zeugin Dr. T. die ihn am Abend des Tattages wegen der Aufregung um die Nebenklägerinanrief, erklärt hat, er habe eine Untersuchung mit einer Stimmgabel im. Intimbereich durchgeführt, um etwaige Vibrationsmissempfindungen feststellen zu können, was nur Sinn ergibt, wenn die Nebenklägerin auch einen entsprechenden Vorwurf erhoben hat. Dies hat die Zeugin Dr. T. in ihrer polizeilichen Vernehmung, die insoweit nach § 253 Abs. 2 StPO verlesen worden ist, im Rahmen eines freien Berichts so bekundet. In der Hauptverhandlung hat sie zunächst angegeben, der Vorwurf, dass die Nebenklägerin N. mit der Stimmgabel im Intimbereich untersucht worden sei, sei erst später aufgetaucht. Auf Vorhalt des polizeilichen Vernehmungsprotokolls hat sie allerdings erklärt, es könne sein, dass sie es so gesagt habe. Sie sei sich aber nicht hundertprozentig sicher. Das Problem sei, dass die Stimmgabel inzwischen auch durch die Presse gegeistert sei. Auch nach der Verlesung des entsprechenden Teils des Protokolls ist sie hierbei geblieben. Auch insoweit ist die Kammer überzeugt, dass die Erstbekundung der Zeugin bei ihrer polizeilichen Vernehmung, zu der auch der Vernehmungsbeamte, der Zeuge KHK B. bekundet hat, zutreffend ist. Es ist nachvollziehbar, dass die Zeugin zum Zeitpunkt ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung durch die Presseberichterstattung nicht mehr sicher zu sagen wusste, von wem sie wann welches: Detail erfahren habe. Dies spricht aber nicht dagegen, dass ihre Bekundungen bei der polizeilichen Vernehmung, 8 Monate nach dem Vorfall, zutreffend waren. Hierfür spricht zudem, dass auch der Zeuge Dr. … in der Hauptverhandlung bekundet hat, der Angeklagte habe in dem Gespräch mit ihm, der Zeugin O. und der Zeugin Dr. T. nachvollziehbar erläutert, warum er eine Sensibilitätsuntersuchung im Genitalbereich durchgeführt habe, wenn der Zeuge sich auch nicht mehr sicher war, ob es auch um den Einsatz der Stimmgabel gegangen sei.
268Die Nebenklägerin N. hat darüber hinaus auch weiteren Personen von der Untersuchung, berichtet. Bereits unmittelbar nach der Untersuchung hat sie der Zeugin M. gegenüber angegeben, sie habe sich ausziehen müssen, der Angeklagte habe eine Sensibilitätsuntersuchung am ganzen Körper durchgeführt, sie sei auch „unten herum“ untersucht worden. Dies hat die Zeugin M., wegen deren Glaubwürdigkeit auf die Ausführungen unter C. verwiesen wird, in ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung in Übereinstimmung mit den Angaben der Nebenklägerin glaubhaft bestätigt. Die Zeugin hat auf Vorhalt ihrer polizeilichen Vernehmung auch bekundet, die Nebenklägerin habe ihr konkret, von einer vaginalen Untersuchung ohne Handschuhe berichtet, konnte sich aber nicht erinnern, ob dies bei diesem oder einem späteren Gespräch gewesen sei.
269Nur kurz darauf, nämlich am selben Nachmittag vor dem Gespräch mit der Zeugin O., hat die Nebenklägerin auch dem Zeugen G. von dem Vorfall erzählt. Dieser hat in der Hauptverhandlung glaubhaft bekundet, sie sei sehr aufgeregt gewesen und habe geweiht. Sie habe erzählt, dass sie sieh für die Untersuchung habe ausziehen müssen. Sie habe sich dann auf das Bett hocken müssen, worauf ihr der Angeklagte einen oder zwei Finger vaginal von hinten eingeführt habe.
270Zwei weiteren Freundinnen, den Zeuginnen H. und F. erzählte die Nebenklägerin nach der Entlassung aus der Klinik, sie sei gynäkologisch bzw. im Genitalbereich ohne Handschuhe untersucht worden. Dies haben die genannten Zeuginnen glaubhaft bekundet. Auch ihre Zimmernachbarin, die Zeugin W. hat nichts bekundet, was gegen die Aussäge der Nebenklägerin N. spricht. Hierauf stützt sich die Kammer indessen aus den bereits genannten Gründen nicht. Eine weitere Zimmernachbärin, die Zeugin B. konnte sich aufgrund ihrer eigenen Erkrankung gar nicht mehr an konkrete Einzelheiten aus der Zeit des Klinikaufenthalts mit der Nebenklägerin erinnern.
271Festzuhalten bleibt, dass die Nebenklägerin N. die konkreten Tathandlungen bereits am Tattage bekundet hat, nämlich gegenüber dem Zeugen G. das vaginale Eindringen mit dem Finger von hinten in Knie-Ellenbogen-Lage und gegenüber der Zeugin G. die Untersuchung mit der Stimmgabel im Intimbereich, Sie hat diese Elemente in weiteren Gesprächen mit Zeugen aus ihrem persönlichen Umfeld immer wieder angegeben. Ausführlich und bis auf die genannten Unsicherheiten und Abweichungen übereinstimmend hat sie die Untersuchung wie unter B. II. 4. festgestellt bei der Polizei (7 Monate nach der Untersuchung), dem Sachverständigen Prof. Dr. … (1 Jahr und 3 Monate nach der Untersuchung) und in der Hauptverhandlung (fast 3 Jahre nach der Untersuchung) geschildert. Diese Aussagekonstanz spricht dafür, dass die Zeugin ein tatsächliches Erlebnis geschildert hat.
272Die Kammer schließt auch aus, dass die Aussäge der Nebenklägerin N. durch fremdsuggestive Einflüsse entstanden ist. Da die Nebenklägerin die wesentlichen Elemente, nämlich das Einführen des Fingers und die Untersuchung mit der Stimmgabel im Intimbereich, bereits am ersten Tag den Zeugen G. und O. geschildert hat, musste eine etwaige Beeinflussung vorher stattgefunden haben. Anhaltspunkte für eine bewusste oder unbewusste suggestive Beeinflussung: durch diese Zeugen bestehen nicht. Aber auch eine Entstehung der Aussage durch von der Zeugin N. ausgehende suggestive Einflüsse scheidet aus. Soweit der Angeklagte und die Verteidigung der Zeugin M. unterstellt haben, sie habe die Nebenklägerin N. wie auch andere Nebenklägerinnen – bewusst beeinflusst, um sich an dem Angeklagten zu rächen, wird auf die Ausführungen unter C. III. verwiesen. Dass die Nebenklägerin N. allein durch die erschrockene Reaktion der Zeugin M. („Was hat er mit Ihnen gemacht?“) und den – nicht gänzlich auszuschließenden – Umstand, dass die Zeugin aufgrund der Vorgänge um die. Nebenklägerin G. eine gewisse Voreinstellung und Erwartungshaltung in dem Gespräch erkennen ließ, eine medizinisch indizierte, wenn auch unangenehme Untersuchung, wie der Angeklagte sie beschreibt, in einen schwerwiegenden sexuellen Übergriff uminterpretiert haben könnte, ist ausgeschlossen.
273In der Vernehmung in der Hauptverhandlung hat die Nebenklägerin sich auch nicht als besonders anfällig für Suggestionen erwiesen, wie die zur Frage etwaiger Belastungstendenzen aufgeführten Beispiele zeigen. Ihre Aussage weist auch keine der typischen Merkmale für eine suggestive Entstehung auf. Alle wesentlichen Elemente des Geschehens hat sie von Anfang an bekundet. Dass die Schilderung insbesondere ab der Exploration durch den Sachverständigen Prof. Dr. S. konkreter wird, ist allein darauf zurückzuführen, dass erst ab diesem Zeitpunkt eine gezielte Befragung der Nebenklägerin erfolgt ist.
274Auszuschließen ist zuletzt auch, dass die Aussage der Nebenklägerin N. auf Autosuggestion, Wahrnehmungsverzerrung, Fehlerinnerungen oder Uminterpretationen beruht. Insbesondere kann der Umstand, dass die Nebenklägerin in ihrer Kindheit eine exhibitionistische Erfahrung gemacht hat, keine derart weitgehende Wirkung gehabt haben und zu einer Aussage von der hohen Qualität derjenigen der Nebenklägerin, geführt haben.
275Gestützt wird das Ergebnis, dass die Aussage der Nebenklägerin N. glaubhaft und die Nebenklägerin selbst glaubwürdig ist, durch das aussagepsychologische Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. S. Dieser hat sich in seinem Gutachten auf die polizeiliche. Vernehmung, soweit hierzu in der Hauptverhandlung Feststellungen getroffen werden konnten, seine eigene Exploration und die Vernehmung der Zeugin in der Hauptverhandlung gestützt. Bei den war er entweder anwesend oder wurde über sie informiert.
276Der Sachverständige hat die bereits aufgezeigten Realkennzeichen der Aussage herausgearbeitet und insbesondere auf die hohe Aussagekonstanz und die umfassende, zusammenhängende Schilderung des Geschehens hingewiesen! Er hat sodann anhand der beiden, wesentlichen Unstimmigkeiten in den Aussagen der Nebenklägerin, der Frage der Anzahl der eingeführten Finger und des Einführens der Stimmgabel, schwerpunktmäßig geprüft, ob sich Hinweise auf eine suggestive Aussageentstehung finden lassen. Dies hat er im Ergebnis ausgeschlossen. Er hat auf den hohen Suggestionswiderstand der Nebenklägerin hingewiesen und darauf, dass eine Suggestion schon ganz zu Beginn der Aussageentstehung erfolgt sein müsse, wofür es keine Anhaltspunkte gebe. Die genannten Unsicherheiten seien auf normalpsychologische Vergessens- und Verdrängungsprozesse zurückzuführen. Er hat auch erläutert, dass man nichts Negatives aus Unsicherheiten der Nebenklägerin bezüglich der Bewertung der Untersuchungen schließen könne. Im Gegenteil, es handele sich um Gefühle und Bewertungen des Sachverhalts, die sogar Realkennzeichencharakter hätten.
277Es gebe auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Nebenklägerin nicht zwischen Anal- und Vaginalregion differenzieren könne. Aus dem Umstand, dass sie in der Exploration angegeben habe, dazwischen lägen 10 cm, könne man dies sicherlich nicht schließen. Die Nebenklägerin habe auch nachvollziehbar erklärt, warum sie sich sicher sei, differenzieren zu können, ob in die eine oder die andere Körperöffnung eingedrungen werde – sei es mit dem Finger oder etwas anderem.
278Die Kammer ist schließlich davon überzeugt, dass der Angeklagte auch bei der Nebenklägerin M. die Stimmgabel lediglich deswegen an der Klitoris und in der Vagina angesetzt und einen oder mehrere Finger in die Vagina eingeführt hat, weil er sich sexuell erregen wollte. Wie der Sachverständige Prof. Dr. K. unter Beachtung der EFNS-Richtlinie, der damaligen Praxis in der Uni-Klinik in K. und unter Auswertung der handschriftlichen Notizen. des Angeklagten in der Krankenakte – erläutert hat, gab es hierfür keine medizinische Indikation. Zwar hat sich der Angeklagte dahin eingelassen, bei der Nebenklägerin wäre eine Sensibilitätstestung im Genitalbereich grundsätzlich indiziert gewesen, ohne dies indessen näher zu erläutern. Auch die sachverständigen Zeugen Dr. T. und Dr. T. bestätigt, dass sie aufgrund der damaligen Erklärung des Angeklagten eine solche Untersuchung für gerechtfertigt gehalten hätten, ohne dies jedoch aufgrund einer eigenen Untersuchung überprüft zu haben. An die Einzelheiten der Erklärung betreffend das Krankheitsbild der Frau T. vermochten sie sich nicht mehr zu erinnern. Ihre Angaben sind daher nicht geeignet, die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. K. in Frage zu stellen.
279Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung zudem angegeben, dass er die aus seiner Sicht an sich gegebene Indikation nicht zum Anlass für eine Untersuchung unter neurosexologischen Aspekten genommen habe. Die Kammer hat bedacht, ob der Angeklagte damals möglicherweise irrtümlich eine Indikation für eine genitale Untersuchung mit Stimmgabel und Finger angenommen hat und eine entsprechende Untersuchung durchgeführt und dies nur deshalb nicht eingeräumt hat, weil er fürchtete, das Gericht werde bei Einräumen der objektiven Umstände einer durch einen Neurologen vorgenommenen genitalen Untersuchung zu Unrecht auf eine sexuelle Motivation schließen. .Ein Irrtum des Angeklagten über die Frage einer Indikation liegt jedoch zur Überzeugung der Kammer nicht vor. Aufgrund der allseits bestätigten besonderen Qualifikation des Angeklagten spricht nichts dafür, dass er gerade hinsichtlich der Nebenklägerin N. einer Fehleinschätzung erlegen wäre. Dem steht nicht entgegen, dass der Angeklagte versucht hat, den Zeugen Dr. T. und Dr. T. Grund für eine genitale Untersuchung zu vermitteln. Er hat sich – mit Erfolg – darauf verlassen, dass diese sich nicht näher mit dem Fäll beschäftigen und aufgrund seiner anerkannten Stellung auf die Richtigkeit seiner Erklärungen vertrauen würden. Der Angeklagte schätzte damals ferner zutreffend ein, dass ein schlichtes Bestreiten, es habe keine „gynäkologische Untersuchung“ stattgefunden, eher zu Schwierigkeiten beim Vertuschungsversuch führen würde, weil Frau N. – anders etwa als später Frau O. eben keine Verhaltensauffälligkeiten aufwies, die als Anknüpfungspunkt für die Behauptung hätten dienen können, Frau N. habe sich das alles nur eingebildet: Für eine rein sexuelle Motivation spricht neben der dem Angeklagten bewussten fehlenden Indikation einer genitalen Untersuchung mittels Stimmgabefund Finger, die letztlich entscheidend für die Annahme einer sexuellen Handlung ist, zudem der Umstand, dass er – wie auch bei den Nebenklägerinnen R. und … bei der vaginalen Untersuchung keine Handschuhe getragen hat, was sich vorliegend nicht mit einer hygienischen Gleichgültigkeit erklären lässt, sondern auf das Bestreben eines sexuell gefärbten Körperkontaktes hinweist.
2805. Zum Fall P. (B.II.5.) hat der Angeklagte folgende Einlassung verlesen:
„Bei Frau P. bestand zum Zeitpunkt ihres stationären Aufenthalts in der Klinik für Neurologie der Universität zu K. im April 2000 nach meiner diagnostischen Einschätzung ein komplexes Krankheitsbild mit eingeschränkter Prognose bezüglich der Lebensqualität und Lebenserwartung, bei dem sich drei hirnorganische Krankheiten mit der jugendlich unreifen Persönlichkeit der Patientin überlagerten. Hauptdiagnose war ein nicht sehr bösartiger hirneigener Tumor, ein so genanntes Oligodendrogliom, an der Spitze ihres linken Schläfenlappens. Ein solcher Tumor ist sowohl bei Menschen unter 20 Jahren als auch im Schläfenlappen eine ausgesprochene Rarität.
281Weiterhin bestand bei Frau P. eine Hirnmissbildung, die rieben einer relativen Minderentwicklung der linksseitigen Großhirnrinde mit einer Verplumpung, Nervenzellverarmung und Funktionsstörung des linken Hippokampus einherging, welche schon vor der Operation des linken Schläfenlappens am 44.8.2000 zusätzlich zu den eher geringen tumorbedingten Veränderungen nachweisbar war; Der Hippokampus ist eine strategisch besonders wichtige Struktur im Gedächtnisschaltkreis, und speziell der linke trägt bei Frau P. wie in der Neurologischen Universitätsklinik E. vor ihrer Operation bewiesen wurde, die entscheidenden Gedächtnisfunktionen. Ob eine solche Hippokampusveränderung zu klinisch bedeutsamen Gedächtnisstörungen führt, hängt ab vom Schweregrad der aktuellen zusätzlichen Beeinträchtigung seiner Funktion durch verschiedene Mechanismen.
282Eine Hippokampusstörung beliebiger Ursache kann nicht nur zu einer Minderung der Gedächtnisleistung führen, sie ist auch die häufigste Ursache einer Epilepsie jenseits des Kindesalters, wie sie bei Frau P. durch den angrenzenden Hirntumor ausgelöst oder verschlimmert worden war. Außerdem gab es bei der Patientin im linken Hippokampus – unabhängig von ihrem Tumor – noch einen zweiten Anfallsherd, der sowohl mittels PET als auch während der Hirnoperation durch direkte Ableitung der Hirnströme von der Oberfläche des Hippokampus bestätigt würde. Da jeder von einem Anfallsherd ausgehende epileptische Anfall zu einem Vorübergehenden, üblicherweise Stunden bis Tage anhaltenden Funktionsverlust sowohl im Herd selbst, als auch in denjenigen Hirnarealen, bis zu denen sich die epileptische Entlassungswelle während des Anfalls ausgebreitet hat, führt, ist bei der Patientin angesichts der großen Regelmäßigkeit ihrer Anfälle bis zu ihrer Hirnoperation von ebenso regelmäßigen Phasen eines anfallsbedingten Ausfalls nicht nur ihrer linksseitigen Hippokampusfunktion auszugehen. Solche Funktionsstörungen in herdfernen Hirnstrukturen wurden auch mit unterschiedlichen Methoden wiederholt bei Frau P. nachgewiesen.
283Die Patientin wurde erstmals am Abend des 12.04:2000 nach einem epileptischen Anfall mit Bewusstseinsverlust von Herrn Dr. T. dem Stationsarzt der unter meiner Aufsicht stehenden Station 1, notfallmäßig in der Klinik für Neurologie der Universität zu K. aufgenommen. Auf der schon am nächsten Morgen vorliegenden, einige Zeit zuvor ambulant angefertigten Kernspintomografie des Kopfes sah ich an der Spitze des linken Schläfenlappens einen kaum raumfordernden Tumor ohne Zeichen der Bösartigkeit. Um was für eine Art von Tumor es sich handelte, war aufgrund der Kernspintomografie nicht zu entscheiden; in erster Linie kam ein Missbildungstumor, ein vom Nervenstützgewebe abstammender Tumor oder ein Gefäßtumor infrage. Einem Bericht des Oberarztes der B.er Universitätsklinik für Epileptologie Priv.-Doz. Dr. Bfg vom 14.02.2000 war allerdings zu entnehmen, dass Kollegen der B.er Radiologischen Universitätsklinik eindeutig im rechten Schläfenlappen auf Aufnahmen aus dem Jahr 1999 etwäs Auffälliges beschrieben hätten. Dies konnte ich nicht als schlichte Seitenverwechslung abtun, denn so etwas hätte in der Medizin katastrophale Folgen.
284Schon bei meiner orientierenden Abnahmeuntersuchung am 13.04.2000 ist mir klar geworden, dass diese Patientin bald würde operiert werden müssen, wenn nicht ihr ganzes Leben durch die Epilepsie mit bisher über 100 Anfällen in rascher Folge zerstört werden sollte. Ebenso wusste ich, dass die Patientin mit höher Wahrscheinlichkeit ein zumindest vorübergehend erhebliches Sprach- und Gedächtnisdefizit von dieser Operation davontragen würde, was sie angesichts ihrer Persönlichkeitsunreife, ihrer völligen Bagatellisierung der bisherigen Anfälle und des noch geringen Leidensdrucks durch ihre Epilepsie nur schwer Würde ertragen können. Dieses Dilemma und gleichzeitig der Kontrast zwischen der in jedem Fall heiklen Prognose einerseits und der erst an der Schwelle zu einem selbstbestimmten Leben stehenden, ehrgeizigen und hoffnungsvollen Heranwachsenden andererseits berührten mich sehr und weckten in mir den Entschluss, alles daran zu setzen, dass für diese Töchter einer OP-Krankenschwester aus einer Nachbarklinik alle Weichen richtig gestellt wurden. Erschwerend, kam hinzu, dass die Patientin schon in unserem ersten kurzen Gespräch anlässlich meiner Abnahmeuntersuchung unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hatte, sie wolle auf keinen Fall nach Ostern die Abschlussklausuren zur Versetzung in die Abiturklasse versäumen. Damit war auch klar, dass eine komplette Epilepsieabklärung zur Vorbereitung einer Operation während dieses Aufenthalts nicht durchführbar sein würde und dass die Patientin erneut zur stationären Diagnostik würde kommen müssen. Von den beiden ärztlichen Mitarbeitern Dr. T. und der hier ebenfalls als Zeugin geladenen psychiatrischen Rotationsassistentin Frau Dr. M., die mir zu dieser Zeit auf Station zur Verfügung standen, wäre nur Herr Dr. T. qualifiziert gewesen, die Betreuung dieser Patientin zu übernehmen; der würde allerdings zu Beginn der Sommerschulferien, dem nächstmöglichen Wiederaufnahmetermin, für längere Zeit in Kanada arbeiten. Aus diesen Gründen, und weil ich mich seit 20 Jahren klinisch und wissenschaftlich schwerpunktmäßig mit Epilepsien befasse, entschloss ich mich, die Behandlung der Patientin weitgehend selbst in die Hand zu nehmen.
285Also habe ich an 12 Tagen (13. und 14. sowie 17.-26.04.2000) ausführliche Gespräche mit der Patientin geführt über ihre Epilepsie und die sich daraus für ihre Lebensperspektive ergebenden Konsequenzen, über Verhaltensvorschriften im Zusammenhang mit dieser Krankheit, über diagnostische Untersuchungsmethoden und aktuelle Befunde sowie über die verschiedenen Therapiemöglichkeiten einschließlich einer Hirnoperation und deren möglicher Folgen. Dabei musste ich auch einige Tatsachen zu ihrer entwicklungsbiologisch-gynäkologischen Vorgeschichte erfragen, da epileptische Anfälle – auch wenn sie direkt von der Patientin nicht als solche bemerkt werden – über eine Funktionsstörung der Hirnanhangdrüse, welche ihrerseits die Hormonausschüttung in den Eierstöcken steuert, zu einer Verspätung der ersten Monatsblutung im Leben und zu Zyklusunregelmäßigkeiten führen können. Dies ist dann ein Indiz für die Dauer des Bestehens der Epilepsie. Falls ein Hirntumor Ursache der Epilepsie ist, lässt sich so dessen Alter Und damit seine Gut- oder Bösartigkeit abschätzen. Entgegen ihrer Aussage habe ich dieser streng katholisch erzogenen, spätpubertären Schülerin mit Religion als Lieblingsschulfach Fragen zu ihrem Masturbations- oder sonstigen Sexualverhalten selbstverständlich nicht gestellt.
286Meine einzige körperliche Nachuntersuchung der Patientin fand am 18.04.2000 gegen 14.30 Uhr statt und dauerte etwa sechs Minuten. Wegen Unklarheiten über die Seite des Tumorsitzes, des Anfallsursprungs und der Seitendominanz für Sprache im Gehirn war die so genannte Körperlateralität, also die Äugigkeit, Händigkeit und Füßigkeit, zu klären; ebenso, ob von dem letzten Anfall vor knapp zwei Tagen noch einseitige Restfunktionsdefizite nachzuweisen waren. Ferner war nach Hautzeichen zu suchen, die eventuell einen Hinweis auf die Art des infrage kommenden Schläfenlappentumors hätten geben können, weil sich danach die Wahl der bei sehr knappen PET-Terminen anzustrebenden PET-Methoden bestimmte. Vor dieser Nachuntersuchung habe ich der Patientin den Sinn und Umfang der Untersuchung erklärt und um ihre Kooperation gebeten, damit es möglichst zügig ginge. Zunächst führte ich an der bekleideten Patientin eine Stand- und Gangprüfung sowie eine Testung der Feinmotorik und Körperlateralität durch. Bei bis auf BH und Unterhose entkleideter Patientin bestand die weitere Untersuchung dann aus einer Überprüfung ihrer Muskeleigenreflexe und eventueller Primitivreflexe sowie mittels neurologischer 64-Hz-Stimmgabel ihres Vibrationsempfindens, anschließend bei entkleideter Patientin einer Hautinspektion von Kopf bis Fuß erst in Bauch-, dann in Rückenlage. Weder ihre Brustwarzen noch ihr äußeres Genitale oder gar ihre Vagina habe ich mit Händen oder Stimmgabel berührt. Im Übrigen habe ich, entgegen ihrer Angabe, bei der Patientin niemals eine Untersuchung in Knie-Ellenbogen-Lage durchgeführt – auch nicht in Gegenwart von „Dr. S. und eine(r) Kranken Schwester“. Herr S. kam erst am 23.05.2000 auf Station 1 – also etwa einen Monat nach der ersten Klinikentlassung von Frau P. Bei der Untersuchung war die Patientin voll kooperativ, sachlich und wirkte nicht angespannt. Sie bevorzugte das linke Auge, hielt sich selbst für eine Rechtshänderin, zeigte aber wiederholt eine nahezu Gleichwertigkeit der linken Hand und bevorzugte das rechte Bein. Diese Befunde legten eine chronische Funktionsschwäche des visuellen Systems in der linken Großhirnhälfte als Hinweis auf eine schön lange bestehende. Schädigung der hinteren bis mittleren Hirnanteile nahe. Als wesentliche weitere Auffälligkeiten fand ich bei seitengleichen Muskeleigenreflexen eine durchgehende leichte Minderung des Vibrationsempfindens mit verzögerter Reaktion an der rechten Rumpfseite und am rechten Bein mit Schwerpunkt an der Hüfte als Hinweis auf eine Funktionsschwäche nur noch des sensiblen, jedoch nicht des motorischen Systems in der linken Großhirnhälfte infolge eines dort abgelaufenen Anfalls. Ferner stellte ich etwa 100 sehr kleine, nicht oder nur schwach pigmentierte Missbildungstumoren der Haut mit schwerpunktmäßiger Anordnung im rechten oberen Körperquadranten fest, die meine Annahme stützten, dass es sich auch im Hirn eher um einen Missbildungs- als um einen Gefäßtumor handelte und auf PET-Untersuchungen zum Nachweis eines Gefäßtumors zunächst verzichtet werden könnte. Allerdings riet ich Frau P. entsprechend den Leitlinien der amerikanischen dermatologischen Gesellschaft, von weiteren Besuchen der Sonnenbank ab. Die erhobenen Befunde erläuterte ich der Patientin schon während der Untersuchung und berichtete sie anschließend meinen ärztlichen Mitarbeitern.
287Frau P. war in hohem Maße auf persönliche Autonomie und Selbstbestimmung bedacht, weshalb sie mir auch untersagt hatte, z. B. in ihrer Abwesenheit mit Familienangehörigen über sie zu sprechen. Um diesem intensiven Streben nach Selbstverantwortung entgegenzukommen Und ihr eine Methode an die Hand zu geben, selbst Einfluss auf ihre Anfälle zu nehmen, habe ich ab dem 14.04.2000 mit ihr eine ritualisierte Ylang-Ylang-Aromatherapie eingeübt. Dabei handelt es sich keineswegs um ein esoterisches Verfahren. Vielmehr ist es eine von der Universitäts-Epilepsieklinik B3 in England entwickelte, seit 1995 wissenschaftlich gesicherte und international akzeptierte Zusatztherapie für solche vom Schläfenlappen ausgehenden epileptischen Anfälle, die von subjektiv bemerkbaren Vorbotensymptomen eingeleitet werden und dem Patienten noch planvolle Handlungen erlauben. Nach der Originalbeschreibung sollte sie mit einem Selbsthypnoseverfahren wie dem Autogenen Training gekoppelt werden. Der Grund für die anfallshemmende Wirksamkeit dieser nebenwirkungsfreien Selbstbehandlung, die bei immerhin etwa einem Drittel der Patienten zu einer wesentlichen Abnahme der Anfälle Und in einigen Fällen sogar zur Anfallsfreiheit und Unabhängigkeit von Medikamenten führt, liegt in einer gezielten Stimulation des an den anfallsauslösenden Hippokampus angrenzenden Riechhirns mit der Folge eines Weckeffektes und einer Unterbrechung der epileptischen Nervenzellentladungen im Hippokampus. Dass diese stets bei Anfallsbeginn schematisch vorzunehmende Übung mit Inhalation des sehr intensiven Duftstoffes über das linke, also anfallsherdseitige Nasenloch der Patientin keinen Nutzen bringen Würde, hatte von vornherein eine Zweidrittel-Wahrscheinlichkeit. Das Verfahren war es aber zumindest wert, ausprobiert zu werden – nicht anders als bei medikamentösen antiepileptischen Therapien.
288Obwohl Frau P. ihre Anfälle ohne Bewusstseinsverlust nicht als epileptische Anfälle wahrhaben wollte, War sie doch durch den damit verbundenen körperlichen Steuerungsverlust und insbesondere durch die großen Anfälle mit Bewusstseinsverlust sehr in ihrem Selbstverständnis und in der Kontrollautonomie über ihren Körper verunsichert. Zur Kombination mit der Ylang-Ylang-Aromatherapie und zur Stärkung ihres Selbstbewusstseins Vor allem im Hinblick auf die schon bald auf sie zukommende, lebensnotwendige OP-Entscheidung bot ich ihr daher Autogenes Training an, was sie auch ausprobieren wollte. Im Gegensatz zu ihrer Aussäge habe ich gegenüber der Patientin den Begriff „Traumreise“ nie benutzt. Am 17. und 18.04.2000 hielt ich mit Frau P. je eine stark suggestiv geführte Übung ab, bei der sie bis zum Hals zugedeckt unter der Bettdecke entkleidet im Bett lag und meine Hand in Nabelhöhe auf ihrem Bauch ruhte, um mir eine Rückmeldung über Atmung, Puls, Hautfeuchtigkeit, Hauttemperatur und Muskelspannung zur Bestimmung des Trainingstempos und der Suggestionsintensität zu geben. Die dabei gesprochenen Suggestionsformeln forderten zum Spüren und Loslassen also Entspannen einzelner Körperteile auf, die muskulär entspannbar waren, z. B. der einzelnen Finger, dann der ganzen Hand, dann des Unterarms, des Oberarms, der Schulter, des Nackens usw. Selbstverständlich nicht angesprochen wurden nicht willkürlich entspannbare Körperteile wie die Ohrmuscheln, die Nase, Brustwarzen oder Schamlippen. Dabei ist es völlig normal, dass Patienten anfänglich, wie Frau P. ein Schwindel- oder Hitzegefühl, eine sanfte Brise, eine Bewegung oder ein Streicheln am ganzen Körper empfinden oder glauben, ihre Gliedmaßen seien aufgeblasen. Nur am ersten Tag des Autogenen Trainings hatte ich ein provisorisch gefertigtes Schild an der Tür des Krankenzimmers angebracht, um bei noch unklarer Suggestibilität den Trainingseffekt nicht durch Störungen von außen gefährden zu lassen. Da die Patientin sich jedoch als höchst suggestibel erwies, verzichtete ich zukünftig auf dieses Schild. Tatsächlich betrat am 18.04.2000 der jüngere Bruder der Patientin das Zimmer während des Autogenen Trainings, guckte erstaunt und Verließ das Zimmer wieder, als ich ihn entgegen Frau P. Aussage wortlos und nicht „mit leisem aber energischen Ton“ mit einer langsamen Geste der linken Hand dazu aufforderte. Auch währenddessen verblieb die Patientin in ihrem Hypnoid, einem tranceartigen Zustand mit verlagerter Aufmerksamkeit bei hellem Bewusstsein. Vom 20.-26.04.2000 fanden täglich Trainingssitzungen statt, zunächst noch mit leichter, dann ohne jede Führung, jedoch alle bei vollständig bekleideter Patientin, Wobei wir uns ohne Berührung auf Stühlen gegenübersaßen. Jedesmal erreichte sie dabei ein so tiefes Hypnoid, dass der einmal dazukommende Dr. T. anschließend meinte, man hätte die Patientin auf einer Hand forttragen können.
289Ein besonderes Problem bei Frau P. war nicht nur ihr angeschlagenes Selbstbewusstsein und ihre Persönlichkeitsunreife mit spätpubertärem Verhalten, unter dem insbesondere ihre Mutter zu leiden hatte, sondern im Hinblick auf die zu erwartenden Folgen ihrer sehr wahrscheinlich notwendigen Hirnoperation auch ihre deutlich spürbare Autoritätsgläubigkeit, die sie leichtfertig in eine Operation hätte einwilligen lassen, ohne dass sie für nachteilige Konsequenzen hinterher selbst die Verantwortung hätte tragen können. Damit die Patientin befähigt wurde, diese: absehbar sehr schwierige Lebensphase im Anschluss an die Operation mit all ihren Wahrnehmungs- und Gedächtnisbeeinträchtigungen, schulischen und sozialen Problemen selbstverantwortlich zu meistern, musste es mir gelingen, ihr in einem schnellen Lernprozess zu vermitteln, dass nur sie selbst Herrin der Lage ist und entscheidet, was mit ihr geschieht, dass sie also voll hinter der erst im Sommer zu treffenden Entscheidung stehen musste und sich diese nicht von Ärzten oder Eltern abnehmen lassen durfte. Mit Worten gelingt eine solche Befähigung bei einer wohlerzogenen Heranwachsenden niemals nachhaltig, vielmehr muss dieses Prinzip eigenverantwortlicher Zustimmung und Ablehnung von ihr aktiv erlebt werden. Daher griff ich zu kurzen verhaltenstherapeutischen Übungen mit einer negativen Verstärkungstechnik, bei denen die Patientin nicht wusste, worum es ging. Das Wirkprinzip dabei ist ähnlich wie bei einem Witz, der auch nicht mehr greift, wenn man ihn vorher erklärt. Die erste derartige Übung fand mit Ende des Autogenen Trainings am 18.04.2000 statt und bestand lediglich aus einer kurzen gezielten Provokation, indem ich meine bislang stets bewegungslos ruhende rechte Hand auf dem Bauch der Patientin leicht bewegte. Ich spürte sofort Frau … Anspannung, musste sie aber erst dazu auffordern zu sagen, was sie empfände und bis sie sich dazu durchringen konnte auszusprechen, dass ihr das nicht gefalle, woraufhin ich sofort die Bewegung beendete und sie fragte, ob ich die Hand so liegen lassen dürfe, was sie bejahte. Bei einer späteren Übung gab ich vor, wir sollten uns, auf Stühlen gegenüber sitzend, an den Schultern fassen. Dabei übte ich einen unangemessen großen Druck auf ihre Schultern aus, bis sie Unbehagen darüber äußerte. In einer weiteren Übung gab ich vor, wir sollten uns stehend Rücken an Rücken lehnen, wobei ich mich solange hintenüber lehnte, so dass die Patientin mein Gewicht ertragen musste, bis sie äußerte, das sei ihr zu schwer. Auf diese Weise lernte sie nicht durch Worte, sondern durch die Erfahrung negativer Verstärkung, dass sie mir vertrauen konnte, dass ihre Entscheidung zählte und respektiert wurde. Die Schambehaarung der Patientin habe ich zu keiner Zeit auch nur ansatzweise berührt, denn es gab dafür keine medizinische Notwendigkeit.
290Offenbar hatte die Patientin emotional begriffen und nicht nur vordergründig verstanden, dass ihre Krankheit aktiv angehbar war, mir an ihrem Wohl sehr gelegen war, ich mich mit allen ärztlichen Mitteln um sie bemüht hätte und weiterhin bemühen wollte. Da ich wusste, dass sie art ihrem verstorbenen Großvater sehr gehangen hatte und ihn vermisste, wunderte ich mich deshalb auch nicht darüber, dass sie sich nach unserem letzten gemeinsamen Autogenen. Training am 26 04.2000 bedankte und mich dabei umarmte. So etwas kommt zwar nicht sehr oft, aber immer mal wieder vor – meist allerdings von älteren Patientinnen. Am 27.04.2000, dem Tag ihrer Entlassung, wünschte Frau P. darin noch ein Abschlussgespräch in Gegenwart ihrer Mutter, das nachmittags in meinem Arbeitszimmer im …-Institut für neurologische Forschung stattfand. Im Verlauf dieses Gesprächs gab ich ihr meine Telefonnummern für eventuelle Notfälle. Gegen Ende des Gesprächs forderte die Patientin ihre Mutter auf, vor der Tür auf sie zu warten. Dann umarmte sie mich nochmals kurz, bedankte sich erneut und versprach, mich bei irgendwelchen Anfalls- oder Medikamentenproblemen bis zu ihrer Wiederaufnahme anzurufen, Probleme mit weiteren Anfällen und Medikamentennebenwirkungen gab es dann in den folgenden Wochen tatsächlich, doch da ich nach einem längeren Urlaub erst ab dem 13.06.2000 wieder durchgehend in der Klinik war, rief die Patientin nicht mich unter meiner Handynummer, sondern die Ärzte auf Station 1 an – jedoch ohne mit ihnen ihre Probleme zu besprechen. Davon berichtete mir Frau Dr. M. nach meiner Rückkehr, weshalb ich bei Frau P. zu Hause anrief und ihr anbot, sie könne mich aufsuchen, um die Probleme zu klären. Dies geschah dann auch in vertrauensvoller Atmosphäre. Wegen weiterhin häufiger Anfälle entschieden wir uns gemäß den aktuellen Standardprinzipien der medikamentösen Epilepsiebehandlung für eine weitere Dosissteigerung ihres anfallshemmenden Medikaments Oxcarbazepin auf 2 x 1050 mg. Bis zu ihrer Wiederaufnahme in unserer Klinik am 29.06.2000 rief mich die Patientin noch mehrmals an, Um mir Laborwerte durchzusagen, die ihre Hausärztin Frau Dr. 4Hf nach meinen Vorgaben bestimmt hatte. Wenige Tage vor dieser Wiederaufnahme berichtete mir Frau P. telefonisch dann typische, akute Vergiftungserscheinungen, die regelmäßig nach Medikamenteneinnahme aufträten, und ich riet ihr, die Oxcarbazepindosis wieder auf das vorher vertragene Maß von 2 x 900.mg zu senken. Da mir eine Medikamentenpause zum Abbau des hohen Wirkstoffspiegels wegen der großen Anfallsbereitschaft der Patientin zu riskant erschien, bildete sich ihre Vergiftung samt der damit verbundenen umfassenden kognitiven Beeinträchtigung unter dieser Dosisanpassung ohne Medikamentenpause nur allmählich zurück, so dass sogar am 05.07.2000 in einer PET-Untersuchung der Hirnfunktion unter emotionaler Spontansprache, die zu den stärksten Hirnaktivierungsmethoden zählt, noch eine erhebliche globale Minderung und ein fast völliger Funktionsverlust in dem für die Gedächtnisleistung entscheidenden Hippokampus beidseits im Vergleich zu einer gleichartigen Untersuchung vom 26.04.2000 festzustellen war.
291Bei ihrer Wiederaufnahme am 29.06.2000 wurde Frau P. dann in das Krankenzimmer von Frau O. Station 1 gelegt, und es dauerte nicht lange, bis auch Frau P. sinngemäß äußerte, von mir genital untersucht worden zu sein. Nach meinem Wechsel auf Station V am 03.07.2000 habe nicht ich die Verlegung der Patientin noch am selben Tag von Station 1 auf Station V veranlasst. Vielmehr habe ich, als ich von Priv.-Doz. Dr. G. dem einzigen auf Station 1 verbliebenen Oberarzt, auf Frau P. angesprochen wurde, vorgeschlagen, es der Patientin zu überlassen, ob sie von ihm oder von mir weiter betreut werden wolle. Trotz etlicher Widrigkeiten konnte auf Station V Frau P. technisches Untersuchungsprogramm noch abgeschlossen werden, bis ihr am 11.07.2000 der Vorschlag einer operativen Hirntumorentfernung unter epilepsiechirurgischen Bedingungen unter Erläuterung aller relevanten Befunde zur Entscheidung unterbreitet wurde.
292Leider bewahrheiteten sich meine Befürchtungen bezüglich der Schwere und Dauer der durch die Operation bei Frau P. entstandenen Beeinträchtigungen ihrer Hirnfunktion: Wegen Störungen höherer Hirnleistungen und insbesondere des Gedächtnisses musste die Patientin den ganzen September 2000 stationär im Neurologischen Rehabilitationszentrum G2 behandelt werden und erhielt auch anschließend noch Sprachtherapie. Welche Einbußen während der Rehabilitationsbehandlung zeitnah zu ihrer informatorischen Befragung und staatsanwaltschaftlichen Vernehmung bei Frau P. dokumentiert wurden, ist mir nicht bekannt und wurde offenbar auch von dem Gutachter, nicht, eruiert. Allerdings wurde, wie von Herrn Prof. Dr. K. auf den Seiten 15 und 16 seines psychiatrischen Gutachtens zur Frage der Zeugentüchtigkeit von Frau …zitiert, in der Neurologischen Universitätsklinik E. anlässlich einer stationären Kontrolluntersuchung der Patientin vom 02.-06. April 2001, also achteinhalb Monate nach ihrer Operation und gut fünf Monate nach ihrer Vernehmung, noch immer eine signifikante Verschlechterung des Gedächtnisses für sprachgebundene Inhalte sowie eine deutliche Verschlechterung vorbestehender Wortfindungsstörungen festgestellt“.
293Auch bezüglich der Nebenklägerin hat der Angeklagte als, Stellungnahme zum Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. S. eine Wissenschaftlich begründete verhaltensneurologisch-nuklearmedizinische Befundung struktureller und funktioneller Hirnbilder“ erstellt und in der Hauptverhandlung verlesen. Auf Grundlage der PET- und MRT-Bilder der Nebenklägerin habe er eine leichte Missbildung der linken Großhirnhälfte festgestellt. Im linken Schläfenlappen sei auf den Bildern die vor der Operation in E. gefertigt wurden – der Tumor erkennbar. Weiterhin sei die; Gesamthirn-Stoffwechselgröße in Ruhe auf den Anfang Juli 2000 gefertigten Aufnahmen deutlich erniedrigt, die alterstypische Überaktivität des Stirnhirns fehle. Die Verschlechterung gegenüber den im April gefertigten Bildern sei auf die überhöhte Einnahme der antiepileptischen Medikamente zurückzuführen, was zu einer Stoffwechsel-bedingten Encephalopatnie geführt habe. Die verminderte Stoffwechselgröße trete typischerweise als zentral-exekutive, Dysfunktion in Erscheinung mit Beeinträchtigung der Konzentration und; Aufmerksamkeit, allgemeiner Verlangsamung, Ablenkbarkeit und Erschöpfbarkeit sowie kognitiven Defiziten, unter anderem Beeinträchtigung des Gedächtnisabrufs, insbesondere des Zeitgitters, und Kritikminderung gegenüber suggestiven Einflüssen. Auch sei die Aktivität des Kleinhirns stark herabgesetzt, was ebenfalls zu einer erhöhten Fehleranfälligkeit bei der kognitiven Verarbeitung führe. Es handele sich aber insgesamt um Störungen, die nur bei gezielter Prüfung sicher zu erfassen seien und dem klinischen Nachweis daher häufig entgingen.
294Bei der Nebenklägerin P. so der Angeklagte weiter, habe zwischen den beiden Aufenthalten in der Uni-Klinik K. auch die Fähigkeit des Hirns, auf kognitive Leistungsanforderungen zu reagieren, deutlich abgenommen, was ebenfalls auf die gesteigerte Medikamentendosis zurückzuführen sei. Dies zeige sich in den FDG-PET-Bildern unter emotionaler Sprachaktivierung. Weiterhin gebe es zahlreiche begrenztere Hirnfunktionsminderungen. So . finde sich im Bereich des Tumors ein fast vollständiger Funktionsverlust des betroffenen Hirnareals, was typischerweise zu einer retrog radenautobiographisch-episodischen Amnesie führe, also zu einer Störung der Erinnerungsfähigkeit an vor der Schädigung des Hirnareals Erlebtes. Stark geschädigt seien bei der Nebenklägerin auch der linke Hippokampus und der Mandelkern sowie – in geringerem Ausmaß – auch die entsprechenden Formationen auf der rechten Seite, was typischerweise zu Einbußen der Gedächtniseinprägung und der emotionalen Verknüpfung von Gedächtnisinhalten führe. Die Ausfallerscheinungen im Hippokampus aufgrund epileptischer Anfälle in Form von Gedächtnisstörungen und Depressionen könnten bis zu zwei Wochen andauern. Von Hippokampus und Mandelkern ausgehende Epilepsien führten auch generell häufig zu depressiven Verstimmungen und gestörtem Sozialverhalten. Bei der Nebenklägerin sei mit einem Höhepunkt der Ausprägung der vorgenannten Störungen Ende Juni 2000 zu rechnen.
295Zuletzt sei auch eine deutliche Funktionsminderung der vorderen, mittleren und oberen Kerngruppen im linken Thalamus und der die Augenhöhlen überdeckenden Hirnrindenabschnitte und der mittelliniennahen Anteile der oberen Stirnwindung im Stirnhirn beidseitig erkennbar. Daraus könne auf Kritikschwäche, verminderte Denkfähigkeit, Antriebsminderung und Stimmungslabilität geschlossen werden. Die Kombination der verschiedenen Störungen lasse bei der Nebenklägerin desweiteren komplexe Gedächtnisstörungen, fehlende Krankheitseinsicht und Konfabulationsneigung erwarten.
296Diese Einlassung ist, soweit sie bezüglich des äußeren Geschehensablaufs den getroffenen Feststellungen widerspricht, widerlegt durch die Aussage der Nebenklägerin P. der Hauptverhandlung. Diese hat den äußeren Geschehensablauf, ihre Gefühle während der Untersuchung sowie ihre Gespräche mit Dritten über das Geschehen so wie unter B; II. 5. festgestellt bekundet.
297Die Zeugin P. ist uneingeschränkt aussagetüchtig. Im Hinblick auf die Einlassung des Angeklagten hat die Kammer den Sachverständigen Prof. Dr. K. zur Frage der Aussagetüchtigkeit der Zeugin gehört. Nachdem dieser angegeben hat, für die Beurteilung der PET- und MRT-Bilder, die die neurologische Universitätsklinik der Kammer zur Verfügung gestellt hatte, nicht kompetent zu sein, hat die Kammer den Sachverständigen Prof. Dr. S. mit der ergänzenden Begutachtung dieser Bilder im Hinblick auf die Frage der Zeugentüchtigkeit der Nebenklägerin beauftragt. Hinsichtlich der Sachkunde beider Sachverständiger kann auf die obigen Ausführungen zu C. IV. 2. bis 4. verwiesen werden.
298Dem Sachverständigen Prof. Dr. S. standen für die Erstattung seines Gutachtens auch in diesem Fall neben der Anklageschrift insbesondere die in der neurologischen Universitätsklinik in K. angefertigten PET- und MRT-Aufnahmen zur Verfügung, von denen teilweise Ausdrucke vorlagen, die aber auch insgesamt auf CD-ROM gespeichert waren. Dem Sachverständigen lagen weiterhin vor: das vorläufige schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. K. die Stellungnahme der Verteidigerin des Angeklagten im Zwischenverfahren zu diesem Gutachten, die verlesene Einlassung des Angeklagten, die Krankenakten und Polikliniksmappen der Neurologischen Universitätsklinik K. sowie drei Arztbriefe des Zeugen Prof. Dr. S. aus der Neurologischen Universitätsklinik in E.
299Auf Basis der vorgenannten tatsächlichen Grundlage und der bereits unter C. IV. 4. zum Fall N. dargelegten grundsätzlichen Erwägungen, ist der Sachverständige Prof. Dr. S. zu dem Ergebnis gekommen, dass sich aus den PET- und MRT-Bildern der Nebenklägerin keine Hinweise auf eine Einschränkung der Aussagetüchtigkeit ergäben. Bei der Nebenklägerin PflV seien PET- und MRT-Bilder bei beiden Aufenthalten in der Uni-Klinik angefertigt worden. Es seien der Glukosestoffwechsel in Ruhe und unter emotionaler Sprachaktivierung (FDG-PET), die Dichte von bestimmten Rezeptoren, die die Kommunikation zwischen den Nervenzellen gewährleisten (Flumaze-nil-PET), sowie die Aktivität des Hirntumors (Methionin-PET) gemessen worden. Außerdem seien MRT-Bilder angefertigt worden.
300Auf den MRT- wie auf den PET-Bildern sei ein Tumor in der vorderen linken Temporalregion zu erkennen. Der Tumor sei genau umschrieben, es gebe keine durch den Tumor verursachten, relevanten Stoffwechselveränderungen, die über den Bereich der durch ihn verursachten strukturellen Läsion hinausgingen. Daneben sei eine Asymmetrie im Bereich des linken Hippokampus erkennbar. In dem für das verbale Gedächtnis zuständigen Bereich sei der Stoffwechsel vermindert. Diese Asymmetrie sei die Ursache für die in den neuropsychologischen Testungen in E. festgestellten Wortfindungsstörungen der Nebenklägerin. Es handele sich um einen Fall, in dem die Schädigung des betroffenen Hirnareals nicht vollständig sei, was man daran erkennen könne, dass – wie die neuropsychologische Testung zeige – das verbale Gedächtnis leicht eingeschränkt, nicht aber verschwunden sei.
301Außerhalb dieses Bereichs bewege sich der Hirnstoffwechsel im Normbereich. Es gebe keine Anhaltspunkte für weitere relevante Störungen der kognitiven Fähigkeiten, insbesondere was das Gedächtnis angehe. Soweit sich aus den MRT-Bildern ergebe, dass die Inselrinde unter Umständen nicht überall hundertprozentig gleich dicht sei, handele es sich hierbei noch nicht um eine krankhafte Asymmetrie, zumal die inneren Strukturen und die äußere Hirnoberfläche symmetrisch seien. Ein Zusammenhang mit dem Tumor sei nicht erkennbar.
302Dieses Ergebnis stehe auch im Einklang mit den Krankenunterlagen, in denen – abgesehen von den Wortfindungsstörungen – weder bei den neurologischen Untersuchungen noch bei den neuropsychologischen Testungen relevante Einbußen der kognitiven Fähigkeiten festgestellt worden seien.
303Der Sachverständige Prof. Dr. S hat sich auch im Fall der Nebenklägerin P. mit der „Befundung“ des Angeklagten unter Auswertung umfangreicher wissenschaftlicher Literatur eingehend auseinandergesetzt. Auch bezüglich dieser „Befundung“ hat er darauf hingewiesen, dass die zitierte Literatur in vielen Fällen nicht die seitens des Angeklagten gezogenen Schlüsse stütze. Er hat auch erneut betont, dass es nicht möglich sei, aus PET- und MRT-Bildern sichere Schlüsse auf den klinischen Zustand eines Patienten zu ziehen. Im Einzelnen hat er Folgendes ausgeführt:
304Es sei richtig, dass die FDG-PET-Bilder aus Juli 2000 im Vergleich zu denen aus April 2000 sowohl in Ruhe als auch unter emotionaler Sprachaktivierung eine geringere globale Stoffwechselgröße zeigten. Die geringere Stoffwechselgröße im Juli, die sich insbesondere unter emotionaler Sprachaktivierung zeige, sei aber auf Habituation zurückzuführen. Es sei ganz einfach so, dass bei Patienten, bei denen erstmalig eine PET-Untersuchung durchgeführt werde, das Aufmerksamkeitsniveau erhöht sei. Bei wiederholten Untersuchungen trete eine Gewöhnung ein, die sich in einer geringeren Gesamtstoffwechselgröße manifestiere. Dies sei auch bei der Nebenklägerin P. der Fall. Weder sei die Verminderung des Stoffwechsels im Juli im Vergleich zum April krankhaft noch lägen die Werte an sich außerhalb des -: Normbereichs. Der vom Angeklagten angegebene Wert für die Gesamthirnstoffwechselgröße in Ruhe bei der Nebenklägerin P am 03.07.2000 von etwa 27 µmol/100g/min sei zwar tatsächlich unterhalb des Normbereichs. Der Angeklagte gebe hier indessen einen falschen Wert an. Tatsächlich habe der Wert bei 28,7 µmol/100g/min gelegen und damit noch im Normbereich.
305Es sei weiterhin zwar richtig, dass antiepileptische Medikamente Stoffwechselminderungen verursachen könnten. Nach einem Herabsetzen der Dosis steige der Stoffwechsel aber auch wieder an. Eine stoffwechsel-bedingte Encephalopathie könne er bei der Nebenklägerin P. ausschließen. Eine solche hätte evidente neurologische und psychopathologische Störungen verursachen müssen. Hierfür gebe es keine Anhaltspunkte. Allein aus den PET-und MRT-Bildern könne man keine stoffwechsel-bedingte Encephalopathie ableiten.
306Im Normbereich lägen auch die im Juli gemessenen Stoffwechselraten im Hippokampus und im Mandelkern. Soweit die Werte asymmetrisch seien, sei dies technisch bedingt. Was die Auswirkungen von epileptischen Anfällen auf die Hippokampusfunktionen angehe, sei regelmäßig mit einer vollständigen Erholung binnen 48 Stunden zu rechnen.
307Der Sachverständige Prof. Dr. K. hat sich dem Ergebnis des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. S. bei dessen Erstattung in der Hauptverhandlung er anwesend war, angeschlossen. Ihm standen – bis auf die auf CD-ROM gespeicherten PET- und MRT-Bilder – die gleichen Unterlagen wie dem Sachverständigen Prof. Dr. S. zur Verfügung. Er war bei der Vernehmung der Nebenklägerin P. in der Hauptverhandlung anwesend. Zu einer Exploration durch den Sachverständigen war diese nicht bereit. Es zieht sich insofern wie ein roter Faden durch das Verfahren, dass die Nebenklägerin nur zögerlich bereit war, aktiv an dem Verfahren teilzunehmen. Ihre Weigerung ist auch nicht zuletzt im Hinblick darauf verständlich, dass sie das Gefühl gewonnen hat, man wolle ihre Zurechnungsfähigkeit anzweifeln. Anhaltspunkte dafür, dass die Nebenklägerin Sorge gehabt hätte, dass irgendwelche die Zeugentüchtigkeit beeinträchtigenden Krankheiten ans Licht kommen könnten, gibt es nicht. Bei den Vernehmungen der behandelnden Ärzte der Nebenklägerin, der sachverständigen Zeugen Prof. Dr. S. Dr. T., Dr. R., Dr. S. und Dr. S., des Neuropsychologen der neurologischen Universitätsklinik, des sachverständigen Zeugen Prof. Dr. K. der die neuropsychologischen Tests der Nebenklägerin ausgewertet hat, sowie der Eltern der Nebenklägerin, der Zeugen A. und T., P., ihrer Schwester, der Zeugin C. P. und ihrer besten Freundin, der Zeugin B. I., war der Sachverständige entweder anwesend oder wurde über deren Inhalte informiert. Von Zeugen überreichte Unterlagen würden ihm zur Verfügung gestellt.
308Der Sachverständige Prof. Dr. K. hat auf dieser Grundlage – auch unter Berücksichtigung der in der Krankenakte dokumentierten Schlafstörungen und Alpträume der Nebenklägerin – ausgeführt, dass bei der Nebenklägerin globale Beeinträchtigungen ihrer kognitiven Fähigkeiten auszuschließen seien. Dies zeige sich bereits daran, dass sie vor und nach ihren Klinikaufenthalten und der Operation in Erlangen das Gymnasium besucht und inzwischen das Abitur erworben habe. Es gebe allerdings aufgrund des bei ihr festgestellten Tumors, der inzwischen erfolgreich operiert worden sei, spezifische Beeinträchtigungen, wie sie aufgrund der Lage des Tumors im Hirn auch zu erwarten seien. Es handele sich hierbei um Wortfindungsschwierigkeiten, die ihren Höhepunkt kurz nach der Operation in Erlangen gehabt hätten, aber auch schon vorher vorhanden gewesen seien. Inzwischen seien sie rückläufig. Es sei Ausdruck dieser Störung, wenn die Nebenklägerin P|H gegenüber dem Zeugen Dr. S. die Stimmgabel zunächst als „Glöckchen“ bezeichnet habe. Für darüber hinausgehende Störungen gebe es bei der Nebenklägerin keine Hinweise. Insbesondere ihr situatives oder autobiographisches Gedächtnis seien nicht beeinträchtigt.
309Insoweit falle bei ihr – ebenso wie bei den anderen Nebenklägerinnen – auf, dass auch nach der Einlassung des Angeklagten ihre Erinnerungen weitgehend zutreffend seien. So stimmten die Angaben zu der Therapiesitzung vom 18.04.2000 bis hin zur Bewegung der auf dem Bauch der Nebenklägerin ruhenden Hand des Angeklagten vollständig überein, nur dass die Nebenklägerin bekundet habe, diese Bewegung der Hand sei bis zu den Schamhaaren gegangen, die der Angeklagte gekrault habe. Ihm, dem Sachverständigen, sei keine hirnorganische oder psychische Störung bekannt, die zu einer derart punktuell verschobenen Wahrnehmung oder Erinnerung führen könne, wie sie nach der Einlassung des Angeklagten vorliegen müsse. Eine derartige Wahrnehmungs- oder Erinnerungsstörung müsse in ein umfangreiches Störungsbild eingebettet sein und könne auch nicht auf ein einmaliges Ereignis beschränkt auftreten.
310Insgesamt gebe es auch bei der Nebenklägerin P. keine Hinweise auf relevante kognitive Beeinträchtigungen zum Zeitpunkt ihrer Untersuchung durch den Angeklagten oder bei ihrer Vernehmung bei der Staatsanwaltschaft und ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung.
311Auf Befragen hat der Sachverständige weiter ausgeführt, dass es nicht Bestandteil einer anerkannten Form des autogenen Trainings sei, dass die Patientin sich hierbei nackt unter die Bettdecke lege und der Therapeut die Hand auf ihren Bauch lege. Auch sonst gebe es keine derartigen Therapieformen. Das Argument, dass man die Hand auf den nackten Bauch lege, um die physischen Reaktionen zu prüfen, sei nicht tragfähig. Ein erfahrener Therapeut sei hierzu auch ohne körperliche Berührung in der Lage. Gänzlich unhaltbar sei die These, dass die Bewegung der Hand auf dem Bauch eine „negative Verstärkungstechnik“ sei, durch die eine Patientin lernen solle, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen und sich abzugrenzen.
312Die Kammer folgt den überzeugenden, nachvollziehbaren und widerspruchsfreien Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. S. und Prof. Dr. K.
313Der Sachverständige Prof. Dr. S. hat auch dieses Gutachten anhand der Ausdrucke der PET- und MRT-Bilder erläutert. Den Inhalt der Krankenunterlagen hat er, soweit erforderlich, zutreffend wiedergegeben. Zu den in der Einlassung und der „Befundung“ des Angeklagten angesprochenen Punkten hat er Stellung genommen und zur vollen Überzeugung der Kammer widerlegt, dass die Nebenklägerin P. an hirnorganischen Beeinträchtigungen leidet, die ihre Aussagetüchtigkeit beeinträchtigen. So hat er, nicht zuletzt unter Hinweis auf die Angäben in dem – auch vom Angeklagten unterschriebenen – Arztbrief vom 13.07.2000 nachgewiesen, dass der Angeklagte in seiner „Befundung“ einfach einen falschen Wert angegeben hat, um zu einer Stoffwechselrate Unterhalb des Normwertes zu gelangen. Bezeichnend ist insoweit, dass der Angeklagte auf Vorhalt hierzu angegeben hat; „die“ – gemeint waren seine Assistenten – hätten „so getan“, als ob die Werte im Normbereich gelegen hätten und dies so in den Arztbrief eingetragen. Auf den weiteren Vorhalt, dass er den Arztbrief selbst unterzeichnet habe, hat der Angeklagte nicht geantwortet.
314Von zutreffenden Anknüpfungstatsachen ausgegangen ist auch der Sachverständige Prof. Dr. … Er hat die Vernehmungen und Explorationen sowie den Inhalt der medizinischen Unterlagen – soweit sie für sein Gutachten erforderlich waren – richtig wiedergegeben. Mit der Einlassung des Angeklagten hat er sich ausführlich auseinandergesetzt.
315Die Ergebnisse beider Gutachten, nämlich dass eine Einschränkung der Zeugentüchtigkeit nicht gegeben ist, werden auch durch die Bekundungen der sachverständigen Zeugen Prof. Dr. S., Dr. R. und Dr. S. bestätigt. Insbesondere der Zeuge Prof. Dr. S. der die Operation der Nebenklägerin in E. durchgeführt und den sie seitdem zu regelmäßigen Kontrolluntersuchungen aufgesucht hat, hat bekundet, es habe bis auf die Wortfindungsstörungen keine Hinweise auf Gedächtnisstörungen oder sonstige Ausfallerscheinungen gegeben. Es sei auch so, dass man den für das Gedächtnis so bedeutsamen Hippokampus bei der Operation verschont habe; man habe um ihn herum operiert. Auch die sachverständige Zeugin Dr. …, die für die Nebenklägerin als Assistenzärztin nach ihrer Verlegung auf Station 5 der neurologischen Universitätsklinik Anfang Juli 2000 zuständig war, und ihr niedergelassener Neurologe, der Zeuge Dr. S. der sie seit der Operation in Erlangen behandelt, haben bei der Nebenklägerin keine kognitiven Beeinträchtigungen im Sinne von Gedächtnis- oder Sensibilitätsstörungen feststellen können. Der sachverständige Zeuge Dr. … der im April 2000 Assistenzarzt auf Station 1 war, hat zwar gemeint, die Nebenklägerin habe Störungen des Kurzzeitgedächtnisses gehabt. Er war sich indessen nicht sicher; im Hinblick auf den Zeitablauf und den Umstand, dass es ansonsten keinerlei Hinweise auf Störungen des Kurzzeitgedächtnisses der Nebenklägerin gibt, ist die Kammer davon überzeugt, dass der Zeuge Dr. T. sich geirrt hat, zumal er zu einer Konkretisierung der angeglichen Störung nicht in der Lage war. Auch der Angeklagte hat eine solche Störung nicht behauptet.
316Gedächtnisstörungen jeglicher Art bei der Nebenklägerin außer den Wortfindungsstörungen haben auch die Eltern der Nebenklägerin, die Zeugen P. ihre Schwester, die Zeugin C. P., sowie ihre beste Freundin, die Zeugin I. verneint.
317Das Ergebnis der Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. S. und Prof. Dr. K. entspricht schließlich auch dem eigenen Eindruck, den die Kammer von der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung gewonnen hat. Sie hat keinerlei Auffälligkeiten im Aussageverhalten gezeigt, die auf eine. Beeinträchtigung der Aussagetüchtigkeit hindeuten würden. Sie hat den Eindruck einer völlig normalen, intelligenten jungen Frau gemacht, die zwar aufgrund der hier in Rede stehenden Vorfälle emotional zutiefst zerrissen, ist, ansonsten aber ihr Leben trotz der zurückliegenden schweren Hirnoperation ohne größere Probleme meistert.
318Die Aussage der Nebenklägerin P. ist auch glaubhaft. Bezüglich des äußeren Ablaufs der Untersuchung und der Therapiesitzung vom 18.04.2000 stimmt die Aussage der Nebenklägerin fast vollständig mit der Einlassung des Angeklagten überein. Der Angeklagte bestreitet allerdings, im. Rahmen der Therapiesitzung die Schambehaarung der Nebenklägerin berührt und gekrault zu haben. Ebenso bestreitet er, im Rahmen der Untersuchung die Stimmgabel an Brustwarzen, Schamlippen und in der Scheide der Nebenklägerin angesetzt zu haben.
319Soweit die Angaben der Nebenklägerin mit denen des Angeklagten übereinstimmen, hat die Kammer keine Veranlassung, an deren Richtigkeit zu zweifeln. Aber auch bezüglich des Kraulens der Schambehaarung sowie des Ansetzens der Stimmgabel an Brustwarzen, Schamlippen und in der Scheide sind die Bekundungen der Nebenklägerin glaubhaft. Glaubhaft bekundet hat sie auch, dass der Angeklagte ihr am 29.06.2000 gesagt habe, sie sei etwas „ganz Besonderes“, was der Angeklagte im Übrigen nicht bestritten hat. Auch diese Aussage weist zahlreiche Realkennzeichen auf:
320Die Nebenklägerin hat die Handlungen des Angeklagten spontan, lebensnah und widerspruchsfrei geschildert. Auffällig war der ausführliche, nicht von Fragen des Gerichts geleitete Bericht zu Beginn der Vernehmung, der bereits alle wesentlichen Elemente der Tathandlungen enthielt. Diese hat die Nebenklägerin auch anschaulich und detailliert beschrieben. So hat sie die Berührung der Schambehaarung durch den Angeklagten dahin konkretisiert, dieser habe dort „gekratzt“ bzw. „gekrault“. Ebenfalls sehr plastisch hat sie mit einer Hand die Bewegung gezeigt, mit der der Angeklagte ihre Schamlippen auseinandergezogen hat, bevor er die Stimmgabel in der Scheide angesetzt hat. Den Zustand des Angeklagten bei dieser Untersuchung hat die Zeugin als „sehr verschwitzt, nervös und zappelig“ beschrieben.
321Originell und lebensnah hat die Zeugin aber auch das Randgeschehen geschildert, so zum Beispiel den Beratungstermin im Büro des Angeklagten zwischen den beiden Klinikaufenthalten („Das war so ‚ne Laberstunde.“) oder die Art und Weise, wie der Angeklagte ihre Umarmung nach dem Abschlussgespräch am 27.4.2000 erwidert habe („Von seiner Seite aus war; es eher eine Oberkörperumarmung. Er hat sich da sehr mit seinem Oberkörper an mich dran geklebt“).
322Für die Schilderung eines tatsächlichen Erlebnisses spricht auch die Bekundung von Gefühlen bezüglich der Therapiesitzungen mit dem Angeklagten. Hierzu hat die Nebenklägerin unter anderem bekundet, es sei schon komisch gewesen, sich mit einem Professor zu duzen und diesen abzutasten. Sie habe sich gewundert, dass der Angeklagte sogar am Wochenende gekommen sei, um mit ihr Therapiesitzungen durchzuführen. Sie selber habe die Therapiesitzungen eklig gefunden und sei vorher immer sehr nervös gewesen. Ihrer Hilflosigkeit angesichts der Gesamtsituation hat die Zeugin mit den Worten „Aber was sollte ich machen. Er war ja Professor.“ Ausdruck verliehen. Eindrucksvoll hat die Nebenklägerin, die während der Vernehmung in der Hauptverhandlung immer wieder anfing zu weinen, auch ihrer emotionalen Zerrissenheit im Verhältnis zum Angeklagten Ausdruck verliehen. Sie sei ihm so dankbar gewesen, sie sei vorher bei 1000 Ärzten gewesen, .keiner, habe ihr helfen können. Schließlich platzte unter Tränen aus ihr heraus, sie habe sich von ihm „so verarscht gefühlt“.
323Die Nebenklägerin P. ist auch glaubwürdig. Ihre Aussage war frei von überschießenden Belastungstendenzen, im Gegenteil, sie hat immer wieder betont, dass der Angeklagte der erste Arzt gewesen sei, der ihr geholfen habe, und dass sie ihm immer noch dankbar sei. Auch bei der Schilderung belastender Umstände war sie stets vorsichtig und. zurückhaltend. So hat sie bereits in ihrem Bericht zu Beginn der Vernehmung in der Hauptverhandlung bekundet, der Angeklagte habe sich immer umgedreht, wenn sie sich ausgezogen habe. Die Nebenklägerin war anfangs auch nur sehr zögerlich bereit, den Angeklagten zu belasten. So wollte sie in der neurologischen Universitätsklinik zunächst gär nicht mit einem Arzt sprechen. Nach dem Gespräch mit dem Zeugen Dr. S. war sie wiederum erst bereit, mit den Zeugen Prof. Dr. G. Prof. Dr. S., Prof. Dr. H. zu sprechen, als diese insistierten. Zu einer Aussage bei der Polizei kam es nur, weil die Zeugin S. auf ein „informelles“ Gespräch drängte. Es erscheint insoweit auch nachvollziehbar und spricht für ihre Glaubwürdigkeit, dass die sexuell noch unerfahrene Nebenklägerin gerade angesichts ihrer eigenen Zerrissenheit und der schweren Operation Fremden nicht ausführlich über die für sie demütigenden Ereignisse berichten wollte.
324Für eine bewusste Falschaussage der Nebenklägerin P. zulasten des Angeklagten gibt es auch kein Motiv. Die Kammer schließt insbesondere aus, dass die Aussage der Nebenklägerin von finanziellen Interessen geleitet war. Die Nebenklägerin hat zwar über ihren Rechtsanwalt einen Adhäsionsantrag gestellt, dies geschah indessen erst am letzten Verhandlungstag im Rahmen des Plädoyers des Nebenklagevertreters.
325Auch die Entstehungsgeschichte der Aussage der Nebenklägerin P. spricht für die Richtigkeit ihrer Bekundungen. Schon während des stationären Aufenthalts im April 2000 äußerte sie gegenüber ihren Eltern und ihrer Schwester, der Angeklagte sei nicht so gut wie sie dächten, wie die Zeugen A. T. und C. P. in Übereinstimmung mit den Angaben der Nebenklägerin selbst glaubhaft bestätigt haben.
326Ebenfalls bereits während dieses Aufenthalts in der Uni-Klinik berichtete die Nebenklägerin der Zeugin I. die wesentlichen Einzelheiten der Handlungen des Angeklagten, nämlich zürn einen, dass der Angeklagte mit ihr Therapien, sogenannte „Traumreisen“, durchführe, bei denen sie nackt unter der Bettdecke liege, wobei er auch einmal ihre Schamhaare gekrault habe, zum anderen, dass sie sich bei einer Untersuchung durch den Angeklagten habe nackt ausziehen müssen, woraufhin der Angeklagte sie am ganzen Körper mit der Stimmgabel berührt habe. Er habe die Stimmgabel auch im Schambereich angesetzt. Dies hat die Zeugin I. in Übereinstimmung mit den Angaben der Nebenklägerin P. bekundet. Die Zeugin hat angegeben, die Nebenklägerin im April 2000 häufig besucht zu haben. Die Nebenklägerin habe ihr zunächst nur grob davon erzählt, im Laufe der Zeit habe sie sich immer mehr geöffnet und mehr Details erzählt. Die vorgenannten Einzelheiten habe sie aber jedenfalls schon im April 2000 erzählt. Während des zweiten Aufenthalts der Nebenklägerin in der Uni-Klinik habe sie diese auch nur einmal besucht, weil sie selbst, die Zeugin l. im Urlaub gewesen sei. Diese Bekundungen der Zeugin … sind – auch bezüglich der zeitlichen Einordnung der Gespräche mit der Nebenklägerin – glaubhaft. Es ist nachvollziehbar, dass die Zeugin die Erstbekundung der genannten Einzelheiten durch die Nebenklägerin jedenfalls dem Klinik-Aufenthalt im April 2000 zuordnen kann, weil sie die Nebenklägerin bei deren zweiten Klinik-Aufenthalt kaum besucht hat. Für die Richtigkeit dieser zeitlichen Zuordnung spricht auch, dass die Zeugin bei anderen Details, die sie von der Nebenklägerin erfahren hat, ebenfalls angeben konnte, wann sie ihr berichtet worden seien. So hat sie auf Befragen bekundet, die Nebenklägerin habe ihr erzählt, der Angeklagte habe ihre Schamlippen auseinandergezogen und mit der Stimmgabel den Scheideneingang berührt. Dies habe die Nebenklägerin ihr aber erst in den letzten Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung berichtet.
327Während ihres zweiten Aufenthalts in der neurologischen Universitätsklinik in K. im Juni/Juli 2000 erzählte die Nebenklägerin O. der Nebenklägerin P. Untersuchungen, die der Angeklagten bei ihr durchgeführt habe, worauf die Nebenklägerin P. berichtete, mit ihr habe der Angeklagte das gleiche gemacht. Die Nebenklägerin P. hat bekundet, dass es in dem Gespräch sowohl um die Untersuchung mit der Stimmgabel im Vaginalbereich als auch um die „Welt- bzw. Traumreise“ genannte Therapie, bei der sie nackt unter der Bettdecke gelegen hätten, gegangen sei. Dies hat auch die Nebenklägerin O. bestätigt, worauf die Kammer sich indessen nicht stützt, weil sie die Frage der Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin bricht abschließend geprüft hat. Noch am selben Abend berichtete die Nebenklägerin P. dem Zeugen Dr. S. von der Stimmgabeluntersuchung im Vaginalbereich sowie den Therapiesitzungen, bei denen sie nackt unter der Bettdecke gelegen habe. Dies hat der Zeuge Dr. S. in Übereinstimmung mit der Nebenklägerin und seinen persönlichen Aufzeichnungen in seinem Gedächtnisprotokoll, das im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist, bestätigt.
328Auch den Zeugen Prof. Dr. G. und Prof. Dr. … sowie Prof. Dr. H. und Prof. Dr. S. gegenüber berichtete die Nebenklägerin ein weiteres Mal, dass der Angeklagte sie vaginal mit einer Stimmgabel untersucht habe. Sie berichtete auch von Therapiesitzungen, bei denen sie nackt unter der Bettdecke liegen musste, wobei der Angeklagte, der immer die Hand auf ihrem Bauch gehabt habe, einmal ihre Scham haare berührt habe. Dies haben die genannten Zeugen bis auf den Zeugen Prof. Dr. H. in Übereinstimmung mit den Angaben der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung bestätigt. Der Zeuge Prof. Dr. G. hat den Inhalt des ihn betreffenden Gesprächs auch so in seinem Gedächtnisprotokoll festgehalten. Soweit der Zeuge Prof. Dr. H. bekundet hat, die Nebenklägerin habe keinerlei Einzelheiten über die Untersuchung und die Therapiesitzungen berichten wollen, kann dahinstehen, ob es sich insoweit um eine weitere Lüge des Zeugen handelt, oder ob lediglich seine Erinnerung unzutreffend ist. Für die Angaben der Nebenklägerin und der Zeugin Prof. Dr. S. spricht, dass die Nebenklägerin die Einzelheiten ja bereits in den Gesprächen mit dem Zeugen Dr. S. und den Zeugen Prof. Dr. G. und Prof. Dr. S. berichtet hätte. Dass sie nun gerade im Gespräch mit dem Zeugen Prof. Dr. H. hierzu nicht mehr bereit gewesen sein soll, ist nicht anzunehmen.
329Bei ihrer staatsanwaltschaftlichen Vernehmung am 16.10 2000 berichtete die Nebenklägerin sodann erneut von der Untersuchung und den Therapiesitzungen, die der Angeklagte mit ihr durchgeführt habe Sie bekundete, dass der Angeklagte im Rahmen von Therapiesitzungen die Hand auf ihrem Bauch bewegt habe und dabei auch einmal ihre Schambehaarung berührt habe. Im Rahmen einer Untersuchung habe er die Stimmgabel an den Brustwarzen und im Genitalbereich angesetzt. Hierbei habe er ihr die Schamlippen auseinandergezogen, sei aber nicht vaginal eingedrungen. Handschuhe habe er bei der Untersuchung nicht getragen. Zu dieser Vernehmung hat die Kammer die Vernehmungsbeamtin, die Zeugin Staatsanwältin R. vernommen, die glaubhaft und in Übereinstimmung mit den Bekundungen der Nebenklägerin, die ebenfalls zu dieser Vernehmung beträgt worden ist, bekundet hat, dass diese die vorgenannten Angaben gemacht hat. Genauere Einzelheiten zu den Angaben der Nebenklägerin in der staatsanwaltschaftlichen Vernehmung waren nicht aufzuklären, weil die Zeugin Staatsanwältin R. sich nicht erinnerte. Es gibt indessen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Angaben der Nebenklägerin in dieser Vernehmung im Widerspruch zu den unter B. II. 5. getroffenen Feststellungen gestanden hätten:
330Nicht zulasten des Angeklagten hat die Kammer die Angaben der Nebenklägerin R. ihrer Vernehmung durch die Zeugin KK’in S. am 14.09.2000 verwertet. Die Kammer sieht sich hieran durch §§ 136 a Abs. 1, 163 a Abs. 5 StPO gehindert, weil die Nebenklägerin diese Angaben nur aufgrund der Täuschung über den Umstand, dass sie als Zeugin vernommen werden sollte, gemacht hat. Die Nebenklägerin hatte der Zeugin KK’in S. nämlich ausdrücklich erklärt, sie wolle nicht als Zeugin vernommen werden. Da die Zeugin KK’in S. aber unbedingt zeugenschaftliche Angaben der Nebenklägerin erlangen wollte, erklärte sie, sie wolle lediglich ein informelles Gespräch führen. Ein solches informelles Gespräch mit einer Auskunftsperson sieht die StPO indessen nicht vor; vorgesehen ist lediglich die Zeugenvernehmung. Auf die Bezeichnung kommt es insoweit nicht an. Dafür, dass die Nebenklägerin in dieser Vernehmung Angaben gemacht hätte, die im Widerspruch zu den unter B. II. 5. getroffenen Feststellungen gestanden oder für die Einlassung des Angeklagten gesprochen hätten, gibt es keine Anhaltspunkte, nachdem die Kammer die Zeugin KK’in S. und die Nebenklägerin hierzu gehört hat. Dies gilt insbesondere für den Umstand, dass die Nebenklägerin bei dieser Vernehmung bekundet hat, dass der Angeklagte sie in Gegenwart des Zeugen Dr. S. anal untersucht habe. Dies steht nicht im Widerspruch zu der Einlassung des Angeklagten/der Zeuge Dr. S. sei während des ersten Klinikaufenthalts der Nebenklägerin noch gar nicht in der Neurologischen Universitätsklinik tätig gewesen. Denn nach den Bekundungen der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung soll diese Untersuchung – die der Angeklagte nach den Bekundungen seiner als Zeugen vernommenen medizinischen Mitarbeiter regelmäßig vornahm – zu Beginn des zweiten Aufenthalts der Nebenklägerin in der Uni-Klinik durchgeführt worden sein.
331Festzuhalten bleibt, dass die Nebenklägerin P. die Tathandlungen, wie sie unter B.II.5. festgestellt worden sind, bereits im April 2000, also kurz nach den Taten, gegenüber der Zeugin I. bekundet hat. Im Kern übereinstimmende Angaben – wenn auch unterschiedlich detailliert – hat sie gegenüber den Zeugen Dr. S., Prof. Dr. G., Prof. Dr. S. und Prof. Dr. H. keine drei Monate nach den Taten), Staatsanwältin R. (sechs Monate nach den Taten) sowie in der Hauptverhandlung (zwei Jahre und acht Monate nach den Taten) gemacht. Diese Aussagekonstanz spricht dafür, dass die Zeugin ein tatsächliches Erlebnis geschildert hat.
332Die Kammer schließt auch aus, dass die Aussage der Nebenklägerin P. zu den von der Einlassung des Angeklagten abweichenden Punkten durch fremdsuggestive Einflüsse entstanden ist; Die erste ausführliche Bekundung der Tatvorwürfe erfolgte bereits gegenüber der Zeugin l. im April 2000. Ein suggestiver Einfluss auf den Inhalt der Aussage der Nebenklägerin nach diesem Zeitpunkt – etwa durch die Zeugin M. scheidet daher aus. Für eine bewusste Beeinflussung der Nebenklägerin durch die Zeugin … gibt es keine Anhaltspunkte. Ebenso wenig gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die Zeugin unbewusst durch ihre Reaktionen und Fragen Einfluss auf die Angaben der Nebenklägerin gehabt hätte. Allein der Umstand, dass die Zeugin … empört war und versucht hat, der Nebenklägerin zu vermitteln, dass sie als Freundin für sie da sei, wie sie in der Hauptverhandlung glaubhaft bekundet hat, kann nicht dazu geführt haben, dass in der Vorstellung der Nebenklägerin aus unangenehmen Untersuchungen und Therapiemethoden schwerwiegende sexuelle. Übergriffe geworden sind.
333Hinzu kommt, dass die Nebenklägerin PRPI in der Hauptverhandlung gezeigt hat, dass sie nicht leicht zu beeinflussen ist. So hat die Zeugin bekundet, sie habe am 1. oder 2, Mai mit dem Angeklagten telefoniert. Hiervon ist sie auch auf mehrfache Nachfrage und auf den Vorhalt der Verteidigung, der Angeklagte sei an diesem Tag in Urlaub gewesen, nicht abgerückt. Tatsächlich schließt ein Urlaub des Angeklagten zu diesem Zeitpunkt ein Telefonat mit der Nebenklägerin auch gar nicht aus: Die Nebenklägerin hat nämlich in Übereinstimmung mit der Einlassung des Angeklagten bekundet, dieser habe ihr für Notfälle auch seine Handynummer gegeben. Durch diese Aussage der Nebenklägerin ist die insoweit abweichende Einlassung des Angeklagten widerlegt. Eindrucksvoll war auch die Reaktion der Zeugin auf den Vorhalt den Verteidigung, ein Schild mit der Aufschrift .Bitte nicht stören!“ habe es auf Station 1 der neurologischen Universitätsklinik nicht gegeben (die Zeugin hat insoweit bekundet, ein solches Schild habe in ihrem Krankenzimmer an einem Haken hinter der Tür gehangen): „Ich sage: Es gab so eins!“ Auch insoweit ist die abweichende Einlassung des Angeklagten durch die Aussage der Nebenklägerin widerlegt.
334Die Aussage der Zeugin … weist auch nicht die in der aussagepsychologischen Forschung herausgearbeiteten Merkmale auf, die auf eine Suggestion hindeuten. So hat sich ihre Aussage nicht von diffusen zu immer konkreteren Angaben entwickelt, die Wesentlichen Details des Kerngeschehens hat sie von Anfang an gleichbleibend bekundet. Die Nebenklägerin zeigt auch keine Tendenz, ihre Aussage um immer neue Elemente, Personen oder Sachverhalte zu erweitern.
335Auszuschließen ist weiterhin eine autosuggestive Entstehung der Aussage der Nebenklägerin R. Anhaltspunkte hierfür, etwa vergleichbare Missbrauchserfahrungen in der Kindheit oder Jugend, gibt es nicht.
336Die Aussage der Nebenklägerin P. weist schließlich keine Unsicherheiten oder Unstimmigkeiten auf, aus denen negative Rückschlüsse auf die Richtigkeit der Aussage insgesamt gezogen werden könnten. Ohne Bedeutung ist insbesondere, dass die Nebenklägerin in der Hauptverhandlung nicht mehr sicher zu sagen vermochte, ob der Angeklagte sie auch nach ihrem Masturbationsverhalten gefragt habe. Abgesehen davon, dass weder die Zeugin Staatsanwältin R. noch die Nebenklägerin selbst als sicher bestätigt haben, dass die Nebenklägerin dies bei ihrer Vernehmung bei der Staatsanwaltschaft bekundet habe, handelt es sich um einen Umstand, der für die Nebenklägerin verglichen mit den Übrigen Vorfällen in den Hintergrund getreten ist.
337Ist die Aussage der Nebenklägerin P. mithin in vollem Umfang glaubhaft und die Nebenklägerin selbst glaubwürdig, wirkt dagegen die Einlassung des Angeklagten auch zu diesem Fall konstruiert. Dies gilt insbesondere für die angebliche Zielsetzung seiner „verhaltenstherapeutischen Übungen mit einer negativen Verstärkungstechnik“, mit denen er unter anderem versucht, die Bewegung seiner Hand in Richtung der Schambehaarung der Nebenklägerin zu erklären. Es ist bereits nicht nachvollziehbar, warum die Nebenklägerin – oder sonst irgendeine Patientin – bei den Therapiesitzungen nackt unter der Bettdecke liegen müsste. Selbst wenn die Angabe des Angeklagten zutreffend wäre, er wolle über die Berührung des Bauches eine Rückmeldung über die vegetativen Funktionen der Patientinnen bekommen, erklärt dies nicht die vollständige Nacktheit. Die Berührung des Bauches ist auch bei einer mit Unterwäsche oder sogar mit T-Shirt bekleideten Patientin ohne Hindernisse möglich, indem man etwa die Hand unter das T-Shirt schiebt. Nicht nachvollziehbar ist auch die Behauptung, die Bewegung der Hand auf dem Bauch der Patientin sei eine „gezielte Provokation“ gewesen und habe dazu gedient, die Patientin zu einer selbstbestimmten Entscheidung über eine Hirnoperation zu befähigen. Unrichtig ist im Übrigen die Angabe des Angeklagten im Rahmen seiner Einlassung zu seiner Nachuntersuchung am 18.04.2000, der letzte epileptische Anfall der Nebenklägerin habe zwei Tage zurückgelegen. Tatsächlich waren es sechs Tage, denn der letzte epileptische Anfall der Nebenklägerin vor dem 18.04.2000 war auch nach den sonstigen Angaben des Angeklagten – derjenige, der zu ihrer stationären Aufnahme geführt hatte, also der Anfall vom 12.04.2000. Unrichtig ist es auch, wenn der Angeklagte behauptet, der Zeuge Prof. Dr. G. habe ihm vorgeschlagen, es der Nebenklägerin P. zu überlassen, von wem sie weiter betreut werden wolle. Tatsächlich war es so, dass der Angeklagte dem Zeugen Prof. Dr. G. vorschlug, ihm, dem Angeklagten, die Betreuung der Nebenklägerin zu überlassen. Dies hat der Zeuge Prof. Dr. G. m der Hauptverhandlung; bekundet. Er hat dies auch zeitnah in seinem in der Hauptverhandlung verlesenen Gedächtnisprotokoll festgehalten, in dem es unter dem 03.07. heißt:
„P (Anm.: P. ist nun Oberarzt der Station 5. Er bittet mich die Patientin Frau P., sofern diese dies wünsche, auf seine Station zu verlegen, da er sich intensiv in das komplexe Krankheitsbild eingearbeitet habe. Die Patientin wird verlegt.“
338Die Kammer schließt aus, dass der Zeuge Prof. Dr. G. der in seiner ersten Vernehmung die Existenz eben dieses Gedächtnisprotokolls zugunsten des Angeklagten verschwiegen hat, insoweit absichtlich etwas Falsches eingetragen hat. Aus Sicht des Angeklagten war die „Mitnahme“ der Nebenklägerin zudem in zweierlei Hinsicht von Vorteil: Zum einen war er, wie er selber angibt, persönlich sehr an der medizinischen Behandlung der Nebenklägerin interessiert und war mit deren Krankheitsbild vertraut: Zum anderen musste er aber auch befürchten, dass geschehen könnte, Was letztlich auch tatsächlich eintrat: nämlich, dass die Nebenklägerin P. ihrer Bettnachbarin, der Nebenklägerin … die ja bereits viel Unruhe gestiftet hatte, von den sexuellen Übergriffen zu ihrem Nachteil berichten würde und auf diesem Wege seine Taten aufgedeckt würden.
339Die Kammer ist schließlich davon überzeugt, dass der Angeklagte die in Rede stehenden Handlungen (Kraulen der Schamhaare, Ansetzen der Stimmgabel an den Brustwarzen, Schamlippen und in der Vagina der Nebenklägerin) nur vorgenommen hat, um sich sexuell zu erregen. Eine medizinische Indikation gab es nach den Ausführungen des Sachverständigen K., denen die Kammer folgt, nicht. Der Angeklagte hat für das Ansetzen der Stimmgabel an den Brustwarzen, Schamlippen und in der Vagina der Nebenklägerin auch keine medizinische Indikation angegeben. Die angegebene medizinische Indikation für die eingeräumte Bewegung der Hand in Richtung der Schambehaarung der Nebenklägerin ist – wie bereits ausgeführt wurde -nicht tragfähig. Der Angeklagte kann sich insoweit – ebenso wenig wie bei den anderen Nebenklägerinnen -nicht darauf berufen, er habe seine Therapiefreiheit in Anspruch genommen. Eine derart abstruse therapeutische Vorgehensweise ist hiervon nicht gedeckt. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte zu Unrecht vom Vorliegen einer medizinischen Indikation ausgegangen ist und die Untersuchung und Therapie aus diesem Grund so durchgeführt hat, wie er es getan hat. Ausgeschlossen ist insbesondere, dass ein erfahrener Arzt wie der Angeklagte das Kraulen der Schambehaarung ernsthaft als therapeutisches Mittel ansehen und einsetzen würde. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Angeklagte sich umgedrehte, als die Nebenklägerin sich entkleidete, bleibt bei lebensnaher Betrachtung die einzige in Betracht kommende Motivation eine sexuelle.
340Zum Fall O (B.II.6.) hat der Angeklagte folgende Einlassung verlesen:
„Bei Frau O. bestand zum Zeitpunkt ihres stationären Aufenthalts in der Klinik für Neurologie der Universität zu K., im Juni 2000 nach meiner diagnostischen Einschätzung ein sehr seltenes und komplexes Krankheitsbild mit eingeschränkter Prognose bezüglich der Lebensqualität und Lebenserwartung, bei dem sich ältere Defekte der linken Großhirnhälfte, die sich schubförmig seit Mai 1999 entwickelt hatten, mit frischeren sowohl in der linken Großhirnhälfte als auch im Hirnstamm kombinierten, um zusammen ein gemischtes verhaltensneurologisches Defizitbild mit nur geringen körperlichen und schweren neuropsychologischen Ausfällen hervorzurufen. Überlagert wurde diese hirnorganische Symptomatik durch eine psychosomatische Gefühlsstörung.
Eine Besonderheit dieses Falles liegt darin, dass weder bei dem ersten Klinikaufenthalt der Patientin vom 09.05. bis 02.06.1999 noch bei ihrem zweiten vom 20.06. bis 06.07.2000 die abschließende Krankheitsdiagnose gestellt werden konnte. Erschwerend kam hinzu, dass es erst Tage nach meinem Fortgang von Station 1 möglich war, die alte Krankenakte und die CT-Hirnbilder aus dem Vorjahr zu beschaffen, so dass ich um des Wohls der Patientin willen ihr zu diesem Zeitpunkt bedrohliches und völlig unklares Krankheitsbild ganz neu diagnostisch aufarbeiten musste. Wie ernst zu nehmen das Krankheitsbild war, habe ich meinen fachlich völlig überforderten ärztlichen Mitarbeitern, der hier als Zeugin geladenen psychiatrischen Rotationsassistentin Frau Dr. M. mit 65 Tagen klinisch-neurologischer Erfahrung (davon 36 Tage Verhaltensneurologie), Herrn S. mit 93 Tagen klinisch-neurologischer Erfahrung (davon 9 Tage Verhaltensneurologie) und dem Studenten im Praktischen Jahr D./K. nicht vermitteln können.
Die organische Hauptdiagnose, die sich ergibt aus der erst von mir gezielt erhobenen Anamnese (bis zur Erkrankung der Patientin im Frühjahr 1999 ist diese plausibel und glaubhaft), den Befunden aus der Zeit des ersten und zweiten Klinikaufenthalts, der Zwischenanamnese, meinem Explorations- und Nachuntersuchungsbefund vom 21.06.2000 sowie – ganz wesentlich der Tatsache, dass Frau O. im Mai 2001 ohne relevante Therapie noch nicht in offensichtlicher Weise körperlich schwerst krank war, lautet „isolierter Neuro-Behcet“. Dies ist eine extrem seltene (Vorkommen in der Bevölkerung: weniger als ein Fall auf 100 Millionen Einwohner), auf das Hirn beschränkte Variante der ohnehin in unseren Breiten schon seltenen tumorös-entzündlichen Gefäßerkrankung namens Behcet-Krankheit, einer so genannten Vaskulitis, die zu spontanen Schwankungen der klinischen Symptome mit unvorhersehbarem Spontanverlauf neigt und einhergeht mit oberflächlichen Geschwüren der sichtbaren Schleimhäute (so genannten Aphthen) in der Mundhöhle sowie genital, am Damm und um den After herum, verschiedenen schwer zu entdeckenden Hautveränderungen, Augenveränderungen, Gelenkentzündungen, Thrombosen (Gerinnselbildungen in Blutgefäßen) und Schlaganfällen. Unter anderem gerade mit dieser Krankheitsgruppe seltener entzündlicher und tumoröser Hirngefäßerkrankungen sowie mit den ebenfalls seltenen Störungen des Gedächtnisses durch organische Schädigung funktionell-anatomischer Regelkreise aus spezialisierten Nervenzellen und Leitungsbahnen, die der Gedächtniseinspeicherung Und dem Gedächtnisabruf dienen, befasse ich mich klinisch und wissenschaftlich seit Anfang der 80er Jahre. Die zum Zeitpunkt des Klinikaufenthalts 200 – ursächlich infrage kommenden sonstigen Krankheiten waren allesamt bösartiger Natur und konnten trotz: sehr großen Aufwands nicht sicher ausgeschlossen werden, hätten es aber der Patientin kaum erlaubt, noch im Mai 2001 zu einer Begutachtung zu gehen.
Der Neuro-Behcet hat im Frühjahr 1999 bei Frau O. zu einer Thrombose in einer Hirnarterie geführt und dadurch das Krankheitsbild eines Schlaganfalls ausgelöst. Mit verursacht war diese Thrombose wahrscheinlich dadurch, dass die Patientin – wie sie erst mir im Rahmen meiner gezielten Nachbefragung eröffnete – nur in dem einen Monat vor ihrem' Schlaganfall zusätzlich die „Pille“ eingenommen hatte, wodurch ihr Schlaganfallrisiko zusätzlich gesteigert wurde, Als ich mich wunderte, warum sie ein Schwangerschaftsverhütungsmittel gebraucht habe, wo doch zu dieser Zeit ihr damaliger Partner und späterer zweiter Ehemann schon in Haft gewesen sei, antwortete sie mir: „Als Enthaarungsmittel für das Gesicht!“ Das für die Symptomatik verantwortliche Blutgerinnsel konnte medikamentös aufgelöst werden, wodurch sich die Lähmung des rechten Arms als wichtigstes körperliches Symptom sowie die zunächst schwere Sprachstörung gut besserten. Gefühlsstörungen, auf deren Vorliegen selbstverständlich immer geprüft wird, hatten von Anfang bis Ende des stationären Aufenthalts 1999 nicht bestanden. Eine am 25.05.1999, also zweieinhalb Wochen nach dem Schlaganfall, durchgeführte neuropsychologische Testung erbrachte außer einer leichten Sprechstörung im Sinne einer verwaschenen Sprache ähnlich wie bei einem Betrunkenen und einer leichten Einschränkung des Lesesinns und der Wortproduktion keine wesentlichen Auffälligkeiten. Dies war die einzige formelle neuropsychologische Testung, die bei der Patientin in der Klinik für Neurologie der Universität zu K. jemals durchgeführt worden ist. Gerade während ihres zweiten Klinikaufenthalts im Sommer 2000, wo es besonders aufschlussreich gewesen wäre, wurde sie außer von mir nicht getestet wie es für die Behcet-Krankheit typisch ist, müssen bei der Patientin nach ihrer Klinikentlassung 1999 wiederholt Krankheitsschübe aufgetreten sein, die von der Patientin wohl gar nicht als solche wahrgenommen worden sind. Jedenfalls war sie seither arbeitslos, musste das zuvor von ihr geführte Bistro aufgeben, auch ihre eigene Wohnung, und musste trotz der ihr vorbekannten und daher wieder absehbaren Konflikte wegen unterschiedlicher Lebensauffassungen zu ihren Eltern ziehen. Ihr neuropsychologischer Zustand zum Zeitpunkt der Entlassung Anfang Juni 1999 liefert dafür ebenso wenig eine Begründung wie ihre geringe krankheitsbedingte körperliche Einschränkung. Da ihre Angaben bezüglich des Zeitraums zwischen den Klinikaufenthalten bei meiner Nachexploration am 21.06.2000 sehr vage und widersprüchlich waren, muss man annehmen, dass noch im Sommer und Herbst 1999 womöglich schubförmig eine wesentliche Verschlechterung ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit eingetreten ist sowie eine recht ungewöhnliche und auf direkter organischer Basis nicht erklärbare Gefühlsstörung des rechten Arms mit nahezu aufgehobenem Wärmeempfinden. Zwar gibt es bei bestimmten Rückenmarkserkrankungen eine Empfindungsstörung, bei der eventuell nur das Temperaturempfinden gestört ist, jedoch ist dann das Wärme- und Kälteempfinden zugleich betroffen. Deshalb war die Symptomangabe der Patientin unmittelbar verdächtig auf eine psychosomatische Störung.
Zusätzlich waren angeblich seit Frühjahr 2000 von Zeit zu Zeit krampfartige Verspannungen der rechten, vormals gelähmten Hand aufgetreten. Dies hat der Student im Praktischen Jahr Krause bei seiner Aufnahmeuntersuchung am 20.06.2000 als Grund dafür angesehen, dass bei ihr am 18.05.2000 ambulant eine Kernspintomografie des Gehirns angefertigt worden ist, auf der dann auch im Hirnstamm eine krankhafte Veränderung gefunden würde, die der Radiologe fälschlich für einen Infarkt gehalten hat und die für die muskulären Verspannungen ursächlich nicht in Betracht kommt. Mir hat die Patientin jedoch bei meiner Nachexploration angegeben, dass etwas Anderes der Grund für die Kernspintomografie gewesen sei. Sie habe nämlich den türkischstämmigen Arzt, den hier als Zeuge geladenen Psychiater Dr. V der im Frühjahr 2000 bei ihrem Vater anhand einer Kernspintomografie einen Hirntumor gefunden habe, welcher mittlerweile operiert sei, auch um so eine Untersuchung gebeten, weil sie Angst vor einem ähnlichen Tumor gehabt habe. Ich hielt diese Darstellung für eine Konfabulation bei gestörtem episodischen Gedächtnis. Mit dem Begriff „Konfabulation“ ist hier nicht etwa frei ausgestaltendes, bewusstes Lügen gemeint, sondern ein spezifisches verhaltensneurologisches Symptom, bei dem es infolge einer umschriebenen Schädigung des Hauptgedächtnisschaltkreises im vorderen und oberen Thalamus der führenden Hirnhälfte mit Unterbrechung der Verbindung zum Mamillarkörper unbewusst zur spontanen Auffüllung von Gedächtnislücken mit scheinbar sinnvollen, aber nicht der Realität entsprechenden Inhalten kommt.
Tatsächlich zeigten mir die während ihres Klinikaufenthalts 2000 angefertigten. Hirnbilder der Patientin, und hier insbesondere wieder die PET-Bilder, zusätzlich zu den schon 1999 dokumentierten Hirngewebeuntergängen infolge einer Thrombose des Hauptstamms der linken mittleren Hirnarterie vier weitere regionale Hirnschädigungen, die alle außerhalb der Reichweite der mittleren Hirnarterie liegen und daher mit der Thrombose vom Mai 1999 nichts zu tun haben. Zwei davon sind als Infarkte durch Thrombose der vorderen Hirnarterie entstanden und betreffen unter anderem in der linken Großhirnhälfte eine für das Gedächtnis mit entscheidende Struktur, das Cingulum. Bei der mitten im Hirnstamm gelegenen handelt, es sich um eine frischere entzündlich-tumoröse Veränderung, wie sie für einen Neuro-Behcet charakteristisch ist, und eine besteht aus einem langsamen Schrumpfen und chronischen Nervenzeliuntergang infolge Durchblutungsmangels des linken Thalamus mit Funktionsauslöschung der vorderen, und oberen Abschnitte, die als Teil des Hauptgedächtnisschaltkreises für das episodische Gedächtnis ganz wesentlich sind. Diese verhaltensneurologisch sehr bedeutsamen Läsionen gehen typischerweise mit einem situationsabhängigen Verlust des episodischen Gedächtnisses und Konfabulationen einher. Sie sind in den zumeist von Anfängern erstellten klinischen Routinebefunden entweder gar nicht oder nicht adäquat beschrieben.
Auch die alten, auf dem Schlaganfall vom Mai 1999 beruhenden Schäden liegen zum Teil an strategischen Stellen, die für verhaltensneurologische/neuropsychologische Funktionen sehr wichtig sind und nicht nur den Grund für die seinerzeit gut rückbildungsfähige Sprachstörung darstellen. In Kombination mit der wesentlich später aufgetretenen Hirnstammläsion bewirkten sie eine Entkopplung von Stirnhirn und regelnden Strukturen, welche sich klinisch als Verlust der Affektsteuerung mit erratischer Antriebssteigerung sowie erheblicher Auffassungs- und Kritikminderung äußerte und das Verhalten der Patientin hektisch und kindlich-quengelig erscheinen ließ – zumal ihre Willensfähigkeit nicht beeinträchtigt war. Tatsächlich war die Patientin in den Tagen vor ihrer stationären Aufnahme wiederholt persönlich auf Station vorbeigekommen, um ihrem Aufnahmebegehren aufgeregt Nachdruck zu verschaffen. Dieses enthemmte Stirnhirnsyndrom hatte seinerseits unmittelbare Auswirkungen auf die Restfunktionstüchtigkeit des Hauptgedächtnisschaltkreises, der nur noch auf der unbeschädigten, aber viel weniger leistungsfähigen rechten Hirnseite funktionierte: Je aufgeregter oder stärker abgelenkt die Patientin war, desto geringer war ihr ohnehin schlechtes Konzentrationsvermögen, was zur Folge hatte, dass der rechte Schaltkreis sowohl für den Gedächtnisabruf als auch für das mittelfristige Behalten mit anschließender dauerhafter Einprägung neuer Gedächtnisinhalte versagte, Dieses situationsabhängige Versagen von Ersatz- oder Reservemechanismen ist als allgemeines psychophysiologisches Prinzip ein unumstrittener Eckpfeiler des heutigen Netzwerkkonzepts neuropsychologischer Funktionen. '
Am 20.06.2000 habe ich mir zunächst von dem hier als Zeuge geladenen Studenten im Praktischen Jahr K. und von Herrn S. der ebenfalls geladen ist, die aktuellen Beschwerden und die Vorgeschichte von Frau O. berichten lassen, soweit sie anhand der Kopie des Entlassungsberichtes aus 1999 und ihrer Befragung der Patientin zu rekonstruieren war. Dann sah, ich mir Frau ambulant angefertigte kernspintomografische Bilder an, die unter anderem eine relativ frische tumoröse Veränderung zeigten, von der ich aufgrund ihres Erscheinungsbildes zunächst nur sagen konnte, dass es sich nicht um einen Infarkt handelte, wie der vorbefundende Radiologe gemeint hatte, sondern um etwas Anderes mit erweiterten Blutgefäßen, und durchlässigen Gefäßwänden. Anschließend führte ich bei Frau … im Beisein von Herrn S. und Herrn … meine Abnahmeuntersuchung durch … bei der nur zeitweise auch Frau Dr. M und bis zu zwei Krankenschwestern zugegen waren. Dabei fielen mir sofort die hektische Fahrigkeit der Patientin auf. Dennoch gelang es mir nicht, aus ihr herauszufragen, warum sie so sehr unter Zeitdruck zu stehen schien und auf ihre Aufnahme gedrängt: hatte. Ein solches Verhalten zeigen üblicherweise Patienten mit pseudoneurologischen psychogenen Störungen oder solche mit sozialmedizinischen Begehrlichkeiten, während schwer organisch Kranke eher zurückhaltend sind. Auch konnte ich die Eigenschaften ihres offensichtlichen Psychosyndroms in dem kurzen Gespräch nicht hinreichend erfassen, und mir war die Ursache ihres Schlaganfalls vor einem Jahr noch immer unklar.
Bei der körperlichen Untersuchung bemerkte ich nicht nur zwei vergrößerte Lymphknoten in der rechten Leiste, sondern auch mehrere, zum Teil dunkle, umschriebene Hautveränderungen. Diese verdienten deshalb große Beachtung, weil von den als Ursache des Hirnstammprozesses infrage kommenden Krankheiten die meisten auch zu Hautveränderungen führen können nur hatte ich keinen Glasspatel (aus Glas gefertigtes Untersuchüngsinstrument, das nach Form und Größe einem Zungenspatel ähnelt) dabei, mit dem ich die verschiedenen Arten von Hautveränderungen hätte unterscheiden können; ebenso keinen Zungenspatel zur gründlichen Untersuchung der Mundschleimhaut auf Behcet-typische Geschwüre. Als Überraschungsbefund stellte ich eine isolierte Wärmeempfindungsstörung am rechten Arm fest ein zweifellos psychogenes Symptom. Um diese Auffälligkeit vor dem eindeutig organischen Krankheitshintergrund genauer abzusichern, und um meinen ärztlichen Mitarbeitern wenigstens einen Teil der in solchen Fällen erforderlichen detaillierten Sensibilitätsprüfung zu demonstrieren, nahm ich eine Prüfung einiger sensibler Qualitäten vor einschließlich einer Untersuchung der Fähigkeit, auf die Haut geschriebene Zahlen zu erkennen, der so genannten Graphästhesie. Dazu benutzte ich ein kleines Kunststoffstäbchen, das ich in Ziffernform an den Armen, Beinen und im vorderen oberen äußeren Brustkorbquadranten (der Körperstelle mit der üblicherweise größten räumlichen Auflösung bei dieser Testung) der nur mit ihrer Unterhose bekleidet im Bett liegenden Patientin unter leichtem Druck über die Haut führte. Natürlich wurde dabei auch der Brustansatz berührt, aber im Gegensatz zu Frau Dr. M Aussage schrieb ich die Zahlen keineswegs auf Frau … Brüste, weil dort die Graphästhesie typischerweise sehr schlecht ist. Auch führte ich die Prüfung des Temperaturempfindens gründlicher durch als üblich, so dass sich der Metallzylinder des dafür benutzten Instruments zu sehr erwärmte und unter kaltem Wasser wieder abgekühlt werden musste, Während Herr … diese Abkühlung in der Nasszelle des Patientenzimmers vornahm, bat ich die Patientin, sich ihre Unterhose herunterzuziehen und sich in Knie-Ellenbogen-Lage zu begeben, um die Analregion auf Behcet-typische Geschwüre zu untersuchen, was nur Sekunden dauerte. Dann setzte ich die Temperaturprüfung kurz fort, musste aber wegen sichtlicher Ungeduld meiner ärztlichen Mitarbeiter die Untersuchung beenden. Mit den Worten, ich wolle mich bei nächster Gelegenheit noch ausführlicher mit ihr unterhalten und auch die Untersuchung noch vervollständigen, verabschiedete ich mich von der Patientin.
Meine Nachuntersuchungen besonders problematischer Patienten mit unklaren Diagnosen aus womöglich mehreren medizinischen Fachgebieten dienten stets dem Zweck, in Fällen, bei denen alleiniges Coaching meiner unerfahrenen ärztlichen Mitarbeiter zur Lösung der Aufgabe nicht ausreichte, möglichst frühzeitig die entscheidenden diagnostischen und gegebenenfalls therapeutischen Weichen zu stellen. Bei Frau O. hatte meine Abnahmeuntersuchung der Patientin am Tag ihrer Aufnahme mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet: Das Psychosyndrom war ebenso unklar wie der soziale Hintergrund und die Hautveränderungen; auch wollte ich wissen, ob es sich bei der isolierten Wärmeempfindungsstörung des rechten Arms um die körpersymbolische Ausdrucksform eines konkreten seelischen Konflikts handelte. Deshalb nahm ich am frühen Nachmittag des 21.06.2000 eine etwa 45-minütige Nachuntersuchung vor. Zu dieser Zeit waren von den ärztlichen Mitarbeitern nur die mit anderen Arbeiten ausgelasteten Herren S. und KJK auf Station. Frau Dr. M. hatte sich vormittags krank gemeldet. Als ich das Zimmer von Frau … betrat, War ihre Bettnachbarin nicht anwesend und auch noch nicht zurückgekehrt, als ich das Zimmer wieder verließ. Von meiner Nachuntersuchung der Patientin entfielen etwa 30 Minuten auf die Nachexploration, etwa 7 Minuten auf die körperliche Untersuchung. Zunächst inspizierte ich mithilfe eines Holzspatels gründlich die Mundhöhle. Dann bat ich die Patientin, sich zu entkleiden Und nahm bei ihr in Bauch- und Rückenlage die Hautinspektion vor. Dafür benutzte ich an Stellen mit kleinen dunklen tumorösen Veränderungen einen Glasspatel. Dieser wird auf die Veränderung leicht aufgedrückt, und man beobachtet dabei durch das Glas hindurch, ob die Veränderung abblasst. Ist dies der Fall, handelt es sich bei den beschriebenen dunklen tumorösen Veränderungen. Um“ Gefäßtumoren, da sich aus diesen das Blut ausdrücken lässt. Die Feststellung mehrerer solcher Gefäßtumoren der Haut hätte die Wahl der Technik des Hirndurchblutungsmessverfahrens zum Ausschluss eines gleichartigen Gefäßtumors als Ursache des kernspintomografisch dokumentierten Herdes im Hirnstamm beeinflusst. Da ich gynäkologische Untersuchungen nicht selbst durchzuführen pflege, bat ich die Patientin schließlich, ihre Schamlippen auseinanderzuhalten, und inspizierte kurz die sichtbaren Schleimhäute auf Behcet-typische Aphthen, ohne dabei ihr Genitale zu berühren. Nachdem die Patientin sich die Unterwäsche wieder angezogen hatte, nahm ich eine Überprüfung des Vibrationsempfindens mittels neurologischer 64-Hz-Stimmgabel an Händen, Armen, Schultern, Brustkorb, Becken, Beinen und Füßen vor. (Anmerkung: Wenn meine Verteidigerin in ihrer Schutzschrift vom 31.05.2002 auf Seite 2 ausgeführt hat, für die körperliche Untersuchung hätte ich keine Stimmgabel verwandt, so handelt es sich um einen Schreibfehler. Selbstverständlich habe ich – wie sonst auch immer – das Vibrationsempfinden mittels Stimmgabel geprüft.) Es folgte dann die Nachbesprechung von etwa 7 Minuten Dauer, an der sich die Patientin lebhaft beteiligte. Brustwarzen oder Genitale der Patientin habe ich bei meinen Untersuchungen zu keiner Zeit berührt – geschweige denn, einen Finger in ihre Vagina eingeführt. Leicht verschwitzt, wie von Frau ^angegeben, war ich während der Untersuchung und Nachbesprechung vermutlich, weil es an diesem Tag recht warm und die konzentrierte Untersuchung der unkonzentrierten Patientin in gebeugter Haltung anstrengend war – insbesondere bei meinem damaligen Übergewicht.
Wesentliches Ergebnis des körperlichen Teils meiner Nachuntersuchung war der Ausschluss von gehäuften Gefäßtumoren der Haut, Behcet-typischen – Veränderungen oder auf eine bösartige Grunderkrankung hinweisenden Zeichen. Außerdem bestand nur auf der rechten Körperseite an Arm, Rumpf und Bein ein abnorm gesteigertes Vibrationsempfinden mit Betonung des Arms, was einerseits nach analytisch-psychologischer Körpersymbolik auf ein Problem der rationalen im Gegensatz zur emotionalen Konfliktverarbeitung hinwies und andererseits die gesteigerte Aufmerksamkeit der Patientin für diese Körperregion als Projektionsfläche eines seelischen Konflikts belegte.
Zur Nachexploration hatte ich mich auf einen Stuhl neben die im Bett sitzende Patientin gesetzt, trotz gezielter Fragen von mir war sie nur schwer im Gespräch zu führen. Zwar beantwortete sie meine Fragen ohne vorbeizureden, konsistent und plausibel waren ihre Angaben jedoch nur zu ihrer Biografie und zu Ereignissen, die vor Mai 1999 lagen. Ereignisse ab Sommer 1999 erschienen demgegenüber zeitlich und inhaltlich vage und ungeordnet., Immer wieder brachte sie zwischendurch vor, dass sie ihren Mann liebe und alles dafür tun wolle, dass er nach Verbüßen der halben Strafe im August 2000 mit Entlassung, aus der Haft (ich glaubte ihr damals noch, das sei bei guter Führung so üblich) nicht, in die Türkei abgeschoben würde. Dies sei dadurch zu erreichen, dass sie eine feste Arbeitsstelle nachweise, und eine solche könne sie ab Juli als Stationshilfe im F-Hospital bekommen. Dafür müsse sie aber in der kommenden Woche entlassen sein, um mit dem dortigen Verwaltungsleiter ihre Anstellung zu besprechen. Dieses Anliegen brachte sie im Verlauf unseres Gesprächs, mehrmals vor und ergriff dabei wiederholt mit beiden Händen meine Hand wie ein Kind, das seinem Vater etwas abringen will. Ihre Stimmung schwankte Während des Gesprächs schnell und stark zwischen Freude und Stolz, auf eine Frage eine Antwort zu haben, und Jammern mit kurzem Weinen, wenn wieder ihre gesundheitlichen Probleme zur Sprache kamen. Depressiv erschien sie jeweils nur kurz, wenn sie ihre erste Ehe, in der sie regelmäßig körperlich; bis zum. Unterkieferbruch misshandelt worden sei, die drohende Abschiebung oder ihre häuslichen Lebensumstände ansprach. Unmittelbar darauf strahlte sie wieder, wenn sie berichten konnte, dass sie z. B. mit einer Freundin am L. See zum Nacktbaden ginge, obwohl ihre Eltern ihr „sowas“ verboten hätten.
Ein ähnlich sprunghaftes Verhalten zeige sie auch während der beschriebenen Nachuntersuchung: Nachdem ich der Patientin den Gang der Untersuchung erklärt hatte, war sie während der körperlichen Nachuntersuchung nur kurz neugierig, was ich denn da wohl mit dem Glasspatel machte, interessierte sich aber bald nicht mehr dafür und, redete immer wieder spontan über irgendwelche früheren Erlebnisse. Bei der Prüfung des Vibrationsempfindens mittels neurologischer 64-Hz-Stimmgäbei war ihre Aufmerksamkeit nur durch regelmäßiges Nachfragen, ob sie das „Brummen“ noch spüre, zu fixieren und ihr Rededrang zu unterbrechen. Zwischendurch klagte Sie auch immer wieder darüber, dass sie so klein gewachsen, ihre Oberschenkel so dick und das Becken so breit: sei und dass ihr rechter Arm ihr solchen Kummer mache, worauf meine Einschätzung ihres negativen Körpergefühls beruhte.
Als ich ihr bei der Nachbesprechung das Ergebnis meiner Untersuchung erläutern wollte, stellte ich fest, dass sie nicht mehr wusste, was gerade untersucht worden war. Daher blieb mir nur, ihr zu sagen, dass wir noch weitere Untersuchungen zur Abklärung des Hirnstammherdes brauchten und sie wegen ihrer früheren Hodgkin-Krankheit, einer grundsätzlich bösartigen, aber behandelbaren Lymphdrüsen-Krebserkrankung (die Patientin war mit dem Begriff „Morbus Hodgkin“ seit ihrer Chemo- und Strahlentherapie vor 10 bzw. 8 Jahren vertraut) auch nochmal den Onkologen vorstellen müssten, weil sie seit acht Jahren nicht mehr zur Nachsorgeuntersuchung gegangen sei. Darauf reagierte die Patientin traurig und besorgt, jedoch nur zum Teil wegen ihrer Gesundheit – vor allem weil sie Sorge hatte, nun vielleicht den Termin bei dem Verwaltungsleiter im F.-Hospital nicht einhalten zu können. Deshalb ergriff sie wieder meinen Arm, lehnte sich wie ein Kind mit Kopf und Schulter daran und fragte, ob das denn alles gut würde, worauf ich ihr antwortete, dass wir alles daransetzen würden, ihr gesundheitlich zu helfen und es ihr gleichzeitig zu ermöglichen, die wichtige Festanstellung zu bekommen. Auf ihre Frage, ob wir nicht an ihrem rechten Arm etwas machen könnten, damit die Verkrampfung und die Gefühlsstörung weg ginge, bot ich ihr Autogenes Training an.
Zusammenfassend bestand bei Frau … zum Zeitpunkt meiner Nachuntersuchung am 21.06.2000 auf dem Boden ihres Neuro-Behget eine stark situationsabhängige, hochgradige Demenz mit kindlich anmutender hirnorganischer Wesensänderung bei enthemmtem Stirnhirnsyndrom und weitgehender Aufhebung der episodischen Gedächtnisbildung. Psychosomatisch lag nach DSM IV eine Konversionsstörung mit armbetonten rechtsseitigen sensiblen Ausfällen bzw. nach ICD-10 eine dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörung vor, und es gab Hinweise auf histrionische Persönlichkeitszüge.
Am Morgen des ersten Werktags nach Fronleichnam, am Freitag, dem 23.06.2000, erfuhr ich durch Herrn S, Frau Dr. M. hatte einen Urlaubstag – von dem Emotionsdurcheinander am Vortag wegen einer angeblich von mir vorgenommenen gynäkologischen Untersuchung, ohne dass mir konkrete Beschuldigungen mitgeteilt worden wären. Als ich den Studenten im Praktischen Jahr fragte, warum er die ihm von mir am Aufnahmetag aufgetragene gründliche Nachuntersuchung des Temperaturempfindens mit einem speziellen elektronischen Prüfgerät der Patientin noch nicht vorgenommen habe, berichtete Herr S. dass sich die Patientin angeblich nicht mehr von einem männlichen Arzt untersuchen lassen wolle. Deshalb wollte ich in Gegenwart von Krankenschwestern mit der Patientin sprechen und bat die beiden einzigen zu dieser Zeit Dienst habenden Schwestern L. und A. mich zu der Patientin zu begleiten. Angeblich waren sie beide jedoch so beschäftigt, dass sie mich über eine halbe Stunde im Arztzimmer warten ließen. Als ich zwischendurch auf den Stationsflur schaute, um nach den Krankenschwestern zu sehen, kam Frau … vorbei, grüßte mich ganz freundlich, und ich bat sie, wieder auf ihr Zimmer zu gehen, da ich gleich nochmal mit ihr sprechen wolle. Mehr besprachen wir nicht miteinander. Schließlich kam Schwester … und begleitete mich zu der Patientin, später kam auch Schwester A. dazu. Ich fragte die freundlich in ihrem Bett sitzende Patientin, was denn los gewesen sei, und erfuhr von ihr, meine vorgestrige Untersuchung sei so schlimm gewesen. Da ich ja wusste, dass sich die Patientin an die Untersuchung schon unmittelbar danach nicht mehr erinnern konnte, erklärte ich ihr nochmal den Grund und Ablauf der Untersuchung, auch, dass ich verstanden hätte, was ihr wichtig sei, nämlich ihre Festanstellung, um die Abschiebung zu verhindern, und dass wir ihr auch das nach Kräften ermöglichen wollten. Daraufhin wurde die Patientin wieder traurig, fing an zu weinen, zog mich an meiner Hand zu ihrem Bett herunter, umarmte mich und sagte immer noch in Gegenwart der beiden Krankenschwestern: „Entschuldigung, Doktor! Danke, Professor!“ Anschließend strahlte sie wieder über das ganze Gesicht, ich verließ mit den Krankenschwestern das Zimmer und bat Schwester L., Herrn S. und Herrn K. zu berichten, was sie soeben erlebt hatte.
Am Montag, dem 26.06.2000, teilte ich der Patientin bei meiner Visite mit, dass ich am Nachmittag wegen ihres rechten Arms bei ihr mit dem Autogenen Training beginnen wolle. Dies geschah dann auch in der üblichen, hoch suggestiven Weise. Auf das Anbringen eines Diskretion erbittenden Türschildes verzichtete ich, da die zu Besuch gekommene Mutter der Patientin auf einem Stuhl unmittelbar vor der Tür des Krankenzimmers Wache hielt. Da es sich beim Autogenen Training um eine suggestiv-übende Therapieform handelt, die der Patient nach wenigen Sitzungen allein praktizieren soll, und sich wohl die wenigsten Menschen selbst siezen, gehört dazu, dass die Suggestionsformeln in Duzform gegeben werden. Darauf wies ich auch Frau zuvor hin Und erklärte ihr, dass dieses Duzen nur auf den unmittelbaren Zeitraum der Therapie beschränkt sei. Angesichts ihrer psychoorganischen Störungen nicht ganz überraschend hat Frau … diese Anredeweise dann wegen ihrer erheblichen Zeitgitterstörung in der Erinnerung später auf die Untersuchung bezogen. Autogenes Training habe ich mit der Patientin nur an diesem einen Tag durchgeführt; dabei erwies sie sich als hoch suggestibel. Am folgenden Tag erklärte sie mir zum Zeitpunkt der vereinbarten Trainingssitzung, sie habe das jetzt geübt und könne es nun allein.
Erstmals am Nachmittag des 27.06.2000, nach ihrer Ablehnung einer weiteren Therapiesitzung, sprach mich die Patientin darauf an, dass sie von uns eine Bescheinigung des Inhalts wünsche, sie könne in der Türkei nicht ordentlich medizinisch versorgt werden und dürfe deshalb nicht abgeschoben werden. Ich antwortete ihr, dass es für eine solche ärztliche Feststellung noch zu früh sei. Wir brauchten erst noch weitere technische Untersuchungen, um überhaupt die medizinische Sachlage vernünftig einschätzen zu können, Lügen würden wir in einer solchen Bescheinigung auf keinen Fall. Diese Äußerungen müssen die Patientin wohl sehr enttäuscht haben, denn kurze Zeit darauf begann sie, jeden ihr bekannten oder unbekannten Dienstarzt auf dem Flur, anzusprechen und sich über meine Untersuchung vom 21.06.2000 zu beklagen.“
341Soweit es die Nachuntersuchung der Nebenklägerin O und die mit dieser durchgeführte Therapiesitzung betrifft, hat die Kammer keine Feststellungen getroffen, die zu dieser Einlassung sowie zu den weiteren Ausführungen, die der Angeklagte zum Fall C in der Hauptverhandlungen gemacht hat, im Widerspruch stehen. Die Einstellung des Verfahrens betreffend die Nebenklägerin … ist erfolgt, weil die Kammer aufgrund ihres Aussageverhaltens eine Einschränkung ihrer Zeugentüchtigkeit nicht hätte ausschließen können und so gezwungen gewesen wäre, die Nebenklägerin auch noch aussagepsychologisch begutachten zu lassen. Zudem wäre die Vernehmung zahlreicher weiterer Zeugen aus dem persönlichen Umfeld der Nebenklägerin erforderlich gewesen. Dies wollte die Kammer der Nebenklägerin ersparen.
342Die Feststellungen zu den Ereignissen am Fronleichnamstag 2000, insbesondere zu den Gesprächen der Nebenklägerin G. mit den Zeuginnen M. und Dr. M. beruhen auf den Angaben dieser drei Zeuginnen in der Hauptverhandlung sowie denjenigen der Zeugin … Die Zeugin Dr. l. hat das Gespräch mit der Nebenklägerin O auch in ihrem Gedächtnisprotokoll festgehalten. Das Gedächtnisprotokoll ist der Zeugin Dr. M. in der Hauptverhandlung auszugsweise vorgehalten worden und sie hat hierzu Erklärungen abgegeben.
343Die Feststellungen zu dem Gespräch am 23.06.2003, in dem der Zeuge Dr. H. den Angeklagten erstmals mit den Vorwürfen der Nebenklägerin O. konfrontierte, beruhen – soweit sie der Einlassung des Angeklagten widersprechen – auf den glaubhaften Angaben der Zeugen Dr. S., K. und prof. Dr. G. Dass er den Eindruck gehabt habe, der Angeklagte reagiere „wie ein angeschossenes Reh“, hat der Zeuge Dr. S. in der Hauptverhandlung so bekundet. Dass der Angeklagte ausweichend reagiert habe, hat im Übrigen auch der Zeuge K. bekundet. Die Zeugen Dr. S. und Prof. Dr. G. haben weiterhin bekundet, dass der Angeklagte zunächst vorgehabt habe, alleine mit der Nebenklägerin O. zu sprechen. Dies stimmt auch mit den Eintragungen in ihren Gedächtnisprotokollen überein.“
344Die Feststellungen zu dem Gespräch am 26.06.2000, in dem der Angeklagte unter anderem erklärte, die Vorwürfe beruhten darauf, dass die Nebenklägerin seine tiefgehende Exploration uminterpretiert habe, weil er Fronleichnam nicht dagewesen sei, beruhen auf den glaubhaften Angaben der Zeugen Dr. S. und Dr. M. in der Hauptverhandlung, die auch mit den Eintragungen in ihren Gedächtnisprotokollen übereinstimmen. Auch den Gebrauch der Formulierung, er sei „als der Papi“ nicht für die Nebenklägerin dagewesen haben beide Zeugen bestätigt und in ihren Gedächtnisprotokollen festgehalten. Auch der Zeuge K. der bei dem Gespräch zugegen war, konnte sich an eine entsprechende Erklärung des Angeklagten, wenn auch nicht dem Wortlaut nach, erinnern.
V.
345Die Feststellungen zu den Ereignissen und Gesprächen in der Uni-Klinik nach dem 27.06.2000, soweit sie nicht bereits Gegenstand der bisherigen Ausführungen waren, beruhen auf der weiteren Einlassung des Angeklagten und den Aussagen der Nebenklägerin P. sowie der Zeugen Dr. M., Dr. S., Dr. H., Prof. Dr. R., Prof. Dr. H., Prof. Dr. G., P., M., H., Prof. Dr. S., S., T. Dr. L. T. P., Dr. R., Dr. R., Dr. G und T. in der Hauptverhandlung. Näher einzugehen ist insoweit noch auf folgende Punkte:
346Obwohl sowohl der Angeklagte als auch der Zeuge Prof. Dr. H. zum Inhalt ihres – angeblich – ersten Gespräch über die Vorwürfe am 28.06.2000 angegeben haben, der Angeklagte habe die Vorwürfe bestritten, konnte sich die Kammer diesbezüglich keine Überzeugung bilden. Sowohl der Angeklagte als auch der Zeuge Prof. Dr. … sind in vorliegendem Verfahren einer solchen Vielzahl von Unwahrheiten überführt worden, dass es nicht möglich war, die Überzeugungsbildung allein auf ihre Angaben zu stützen.
347Bezüglich des Gesprächs des Angeklagten mit den Zeugen Dr. M. und Dr. S. am 28.6.2000 hat der Angeklagte sich dahin eingelassen, dass er die Zeugin Dr. M. „angefleht“ habe, ob sie die psychische Problematik bei der Nebenklägerin O. „denn nicht sehe“. „Sie als Frau“ solle doch „im Gesicht von Frau O. lesen“. Bedroht habe er die Zeugin sicherlich nicht, vielleicht habe sie seine flehentlichen Gesten missdeutet. Dass der Angeklagte die Zeugin keineswegs nur angefleht, sondern sie vielmehr aggressiv und laut gemaßregelt hat, steht indessen fest aufgrund der Aussagen der Zeugen Dr. M. und Dr. S. die dies übereinstimmend so bekundet haben. Der Zeuge Dr. S. hat angegeben, der Angeklagte habe die Zeugin zwar nicht gerade angebrüllt, die Lautstärke sei aber kurz unterhalb dieser Schwelle gewesen. Die Zeugin Dr. M. hat darüber hinaus auf Vorhalt der Einlassung bekundet die Gestik des Angeklagten sei nicht flehentlich sondern aggressiv gewesen. Sie habe sich allerdings nicht vorstellen können, dass der Angeklagte tatsächlich gewalttätig werden würde. Auch der Angeklagte hat im Übrigen eingeräumt, dass er bei dem Gespräch laut geworden sei.
348Die Feststellungen zu dem Anfang Juli geführten Gespräch, das die Zeugen Prof. Dr. G. und Prof. Dr. S. mit der Zeugin M. führten und in dem die Zeugin Prof. Dr. S. der Zeugin M. vorwarf, sie sei eine Unruhestifterin, beruhen auf den glaubhaften Angäben der Zeugen Prof. Dr. G. M. und T. Die Zeugin Prof. D. S. hat bestritten; dass es ein solches Gespräch gegeben habe. Die Kammer ist indessen davon überzeugt, dass diese Angabe unrichtig ist. Die Zeugin M. hat den Inhalt des Gesprächs in der Hauptverhandlung wie festgestellt bekundet. Sie hat unmittelbar nach dem Gespräch den Zeugen T. aufgesucht und ihm, wie dieser in der Hauptverhandlung bekundet hat, ganz aufgelöst den festgestellten Inhalt des Gesprächs, insbesondere auch die Bezeichnung als Unruhestifterin, berichtet. Auch der Zeuge Prof. Dr. G. hat in seiner zweiten Vernehmung bekundet, dass das Gespräch stattgefunden habe. Es sei bei diesem Gespräch „etwas heftiger“ zugegangen. Die Zeugin Prof. Dr. S. habe ihren Unmut darüber geäußert, was die Zeugin M. so alles erzähle. Es ist ausgeschlossen, dass alle drei Zeugen, insbesondere der Zeuge Prof. Dr. G. der auch bei seiner zweiten Vernehmung immer zurückhaltend war, wenn es um die Belastung seiner Arztkollegen ging, sich dieses Gespräch oder seinen Inhalt ausgedacht haben. Nachvollziehbar ist aber, dass die Zeugin Prof. Dr. S. sich nur ungern an dieses Gespräch erinnert, ist doch die Annahme nicht fernliegend, dass es ihr Ziel war, in Zusammenspiel mit ihrem Chef, dem Zeugen Prof. Dr. H., den Mantel des Schweigens über die ganze Angelegenheit zu breiten, um die Klinik und nicht zuletzt den Angeklagten zu schützen. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass die Zeugin Prof. Dr. S. auf die Frage, ob sie sich seinerzeit ein Gedächtnisprotokoll angefertigt habe, geantwortet hat, dass dies der Fall sei, sie habe das Gedächtnisprotokoll aber vor einiger Zeit weggeworfen. Es habe sie nie jemand danach gefragt, daher sei sie davon ausgegangen, es sei für die Ermittlungsbehörden nicht von Interesse. Diese Erklärung, die für sich selbst spricht, erstaunt um so mehr, als nach den Angäben der Zeugin im Rahmen der Durchsuchung am 07.09.2000 Polizeibeamte bei ihr gewesen sind und sie gebeten haben, ihnen eine neurologische Stimmgabel zur Verfügung zu stellen. Hätte die Zeugin ein ernsthaftes Interesse an der Aufklärung der Vorwürfe gegen den Angeklagten gehabt, hätte sie zu diesem Zeitpunkt ihr Gedächtnisprotokoll ohne Nachfrage übergeben.
349Die Feststellungen zur Einleitung des Ermittlungsverfahren und zu dessen Ablauf, insbesondere der Durchsuchungsmaßnahme, beruhen auf den Aussagen der Zeugen StA’in R., KHK B, KK’in S. und KK F. Der Zeuge KHK B. hat auf Vorhalt auch zum Inhalt der an die Nebenklägerinnen W. N. und P. versandten Schreiben bekundet. Die Feststellungen zu der Presseberichterstattung über das Verfahren beruhen auf den teils verlesenen, teils im Selbstleseverfahren eingeführten Presseartikeln.
VI.
350Zusammenfassend ist die Kammer aus den vorstehend ausgeführten Gründen davon überzeugt, dass sich die Ereignisse, so zugetragen haben, insbesondere die sexuellen Übergriffe des Angeklagten zum Nachteil der Nebenklägerinnen R. W., N. und P. so stattgefunden haben, wie unter B. festgestellt. Gegen die Einlassung des Angeklagten sprechen – außer den bereits erörterten Umständen – zahlreiche weitere Unstimmigkeiten, Widersprüche und schlichte Unwahrheiten:
351Der Angeklagte hat sich zu Anfang der Hauptverhandlung, anlässlich seiner Befragung am 25.09.2002, wiederholt dahin eingelassen, dass Falschbeschuldigungen sexueller Natur in der Neurologie etwas völlig normales seien: Diese richteten sich allerdings meistens gegen das Pflegepersonal oder Mitpatienten: Dem widerspricht es, dass der Angeklagte am 14.03.2003 im Rahmen einer weiteren Befragung behauptet hat, der Vorwurf sexueller Handlungen bei einer körperlichen Untersuchung sei höchst ungewöhnlich. Dass Beschuldigungen normal seien und, wie der Angeklagte weiter angegeben hat, üblicherweise im Team geklärt würden – insoweit gebe es eine direkte Dienstanweisung von ihm – konnte auch keiner der hierzu befragten ärztlichen Mitarbeiter bestätigen.
352Der Angeklagte hat auch versucht, die Kammer darüber zu täuschen, dass in der Neurologie nur eine bestimmte Art von Stimmgabeln verwendet werde; nämlich diejenige, die in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen worden ist, die auch der Abbildung auf Bl. 479 d. A., die ebenfalls in Augenschein genommen worden ist, entspricht. Die Kammer kann nur vermuten, dass der Angeklagte und die Verteidigung so Wahrnehmungs- oder Erinnerungsprobleme der Nebenklägerinnen nachweisen wollten; denn diese haben durchaus unterschiedliche Beschreibungen der vom Angeklagten verwendeten Stimmgabel gegeben und diese zum Teil in der Hauptverhandlung auch zeichnerisch dargestellt. Dass die Darstellung des Angeklagten unrichtig ist, beruht auf der Aussage des Zeugen Prof. Dr. H. Gerade dieser Zeuge, der- immer darum bemüht war, den Angeklagten zu schützen“ hat auf Vorlage einiger Abbildungen von Stimmgabeln aus dem Internet diverse Typen gezeigt, die in der Neurologie, auch in K., gebräuchlich seien. Da der Angeklagte daher verschiedene Stimmgabeln verwendet haben kann, ohne dass diese Dritten als ungewöhnlich aufgefallen wären, kann aus den unterschiedlichen Beschreibungen und Zeichnungen der Nebenklägerinnen nichts geschlossen werden.
353Dass der Angeklagte im Zusammenhang mit den Vorwürfen, die Gegenstand dieses Verfahrens sind, nicht gerade zur Wahrheit neigt, belegt auch, sein Vortrag in dem von ihm gegen die Deutsche Ärzte Verlag GmbH und eine Redakteurin vor dem Landgericht Köln geführten einstweiligen Verfügungsverfahren (28 O 71/03). In diesem Verfahren wandte sich der Angeklagte gegen einen im Deutschen Ärzteblatt erschienenen Artikel mit der Überschrift „Grenzverletzung in der Psychotherapie – Tabuisierung fördert die Täter“, in dem auch der Fall des „Psychiaters und Neurologen G. P., Oberarzt der K. Universitätsklinik,“ angesprochen wurde. In der in der Hauptverhandlung verlesenen Antragsschrift vom 06.02.2003 hat der Angeklagte seine Rechtsanwälte unter anderem vortragen lassen:
„(…) Der Antragsteller ist Neurologe. Er ist in den ihm zur Last gelegten Fällen nicht psychotherapeutisch tätig geworden, die angeblichen Opfer standen nicht unter seiner psychotherapeutischen Obhut. Der strafrechtliche Vorwurf betrifft Handlungen des Antragstellers im Rahmen neurologischer Untersuchungen. (…)“
354Der Angeklagte hat auf Befragen eingeräumt, dass dieser Vortrag von ihm selbst veranlasst worden sei. Dass dieser Vortrag unwahr ist, ergibt sich aus der Einlassung des Angeklagten selbst zu den Fällen G., P. und O. In allen drei Fällen hat sich der Angeklagte dahin eingelassen, Psychotherapie in Form des autogenen Trainings, bei Frau P. auch in Form der – angeblichen – Verhaltenstherapie, durchgeführt zu haben. Im Fall der Nebenklägerin P. ist diese „Psychotherapie“ auch Gegenstand des strafrechtlichen Vorwurfs, soweit der Angeklagte die Schamhaare der Nebenklägerin bei einer solchen Therapiesitzung gekrault hat. Die Einlassung des Angeklagten hierzu, die Psychotherapie sei nicht der Schwerpunkt der Behandlung und des strafrechtlichen Vorwurfs gewesen, verfängt nicht. Denn in der zitierten Passage der Antragsschrift ist nicht von einem „Schwerpunkt“ der Behandlung .oder des strafrechtlichen Vorwurfs die Rede, sondern es wird schlicht, wahrheitswidrig bestritten, dass der Angeklagte Psychotherapien durchgeführt habe und dass Psychotherapien Gegenstand des strafrechtlichen Vorwurfs seien. Das wahrheitswidrige Bestreiten macht Sinn: Hierdurch sollte verdeutlicht werden, dass nicht der geringste Anlass bestanden hätte den Angeklagten als Beispiel für eine sexuelle Grenzverletzung in der Psychotherapie aufzuführen.
355Gelogen hat der Angeklagte, der die Kammer ja bereits über sein persönliches Verhältnis zu dem Zeugen Prof. Dr. H. hatte täuschen wollen, schließlich bezüglich seines Verhältnisses zu dem Zeugen Prof. Dr. F. Diesen hatte die Verteidigung als PET-Sachverständigen vorgeschlagen. Der Angeklagte hat auf Befragen eine nähere persönliche Bekanntschaft ausdrücklich verneint. Im Rahmen der Durchsuchung der Wohnräume und des Büros des Angeklagten wurden auf seinem Computer durch die Kammer dann E-Mails aufgefunden, die belegen, dass die Bekanntschaft zwischen beiden über die reine berufliche Zusammenarbeit in früheren Jahren – der Zeuge Prof. Dr. F. war Assistenzarzt und wissenschaftlicher Mitarbeiter bei dem Angeklagten – hinausgeht. Diese E-Mails sind in der Hauptverhandlung verlesen worden.
356Eine E-Mail des Zeugen Prof. Dr. P. vom 23.04:2001 lautet:
„Von: „PD Dr. G. F…de>
An: …
Betreff: (Kein Betreff).
Datum: Montag, 23. April 2001 08:59
da sind ja so einige emails im elektronischen Briefkasten, aber über Ihr „Daran-Gedacht“ habe ich mich besonders gefreut, wenn ich auch die, Grusskarte erstmal ohne Audio-Clip geöffnet habe, ich bin erst am Nachmittag in J. (und der PC hier kann es nicht).
Ja, es gibt viel zu erzählen und ich geh jetzt mal lieber auf die Station Visite machen, als eine lange email zu schreiben. Aber im Kurzformat:
Der Wechsel nach A. hat gut geklappt. Ich bin jetzt 4 Monate hier und sehr zufrieden. Professor N. ist ein sehr sehr angenehmer Chef und ich glaube ich habe einen Glücksgriff getan. Hoffentlich bleibt das alles so.
Wissenschaftlich komm ich gut voran (glaub ich sagen zu dürfen, ohne angeben zu wollen), und so langsam krieg ich auch wieder Boden unter die Füße, d. h. die Arbeitsgruppe in J. ist aufgebaut, klein aber fein! Die Publikationen kommen jetzt wieder gut in Fahrt – 2001 war bis jetzt ein gutes Jahr. Wenn das neue Lebensjahr dann so weiter geht, dann kann ich nicht klagen.
Familiär läuft sowieso alles phantastisch. Der Umzug (ja, leider, wegen des OA-Hintergrunddienstes notwendig – ist mir sehr schwer gefallen). ist verkraftet, das neue (Reihen-)Haus ein schönes Heim geworden. Vielleicht kann ich Sie (gerne auch mit Lebensgefährtin, der wie ich hoffe es ebenfalls gut geht?) mal zu einem schönen Abendessen zu uns einladen? Meine Frau und ich, wir würden uns sehr freuen. Denken Sie mal drüber nach – J. ist ja nicht so weit … ich ruf Sie an,
Erstmal Ihnen einen herzlichen Gruss,
Ihre G. F.
357Der Text-einer weiteren E-Mail des Zeugen vom 22.12.2001 – in die die vorhergegangene E-Mail des Angeklagten eingerückt ist, es handelt sich um die Zeilen, denen ein „>“ vorangestellt ist – hat folgenden Wortlaut:
„Lieber Herr P.
vielen Dank für Ihre aufmunternden Zeilen. Tatsächlich waren die letzten
>eineinhalb Jahre durch den Wahnsinn, den man mir angedichtet hat, der
>reinste Höllentrip. Nicht ganz von ungefähr hat es mir jetzt im
>wortwörtlichen Sinne das Rückgrat gebrochen: Ich habe eine pathologische
>LWS-Serienfraktur akquiriert, die mich noch für einige Wochen ans Bett
>fesseln wird. Dies ist auch der Grund, warum ich Ihnen erst jetzt (in
>Bauchlage per Laptop) antworten und danken kann.
>
Oh je, sie Ärmster! Gute Besserung – insbesondere auch, damit Ihr Rückgrat für das was hoch kommt wieder stark wird!!!
>Bei Ihnen läuft beruflich und privat hoffentlich alles weiter auf
>Erfolgskurs. Das zumindest wünsche ich Ihnen und Ihrer Familie von Herzen,
>weil Sie es verdient haben.
>
Danke. Ja, ich kann nicht klagen. Die DFG hat eine klinische Forschergruppe bewilligt – die von mir initiiert ist und meine Position in A. natürlich nicht schwächt. J. ist eines der BMBF-Kompetenzzentren für die neurofunktionelle Bildgebung geworden, auch das hat meine Position nicht schwächer gemacht, da ich beide Anträge zu verantworten hatte. Es läuft also eher zu gut – und es wird nicht leicht sein, das alles nun auch erfolgreich auf den Weg zu bringen. Denn Kohle heranschaffen ist das eine, der Neid der Kollegen und das Umsetzen der Projekte sowie das Finden guter Mitarbeiter das andere … Aber, ich kann mich nun wirklich nicht beklagen.
Ich wünsche Ihnen also eine gute Besserung und hoffe, dass Sie bald wieder fit sind: Ich wünsche Ihnen und den Ihren ein gesegnetes und friedvolles Fest der Weihnacht und ein gutes, beruflich und privat erfolgreiches und hoffentlich wieder glückliches neues Jahr!
Herzlicher Gruss,
Ihr G. F.
358Am 23.04.2002 heißt es in einer E-Mail des Zeugen Prof. Dr. F an den Angeklagten:
„Lieber Herr P.
vielen Dank!
Wie geht es Ihnen? Was macht der Rücken – ist er wieder belastbar? Sind Sie wieder bei der Arbeit oder arbeiten Sie immer noch vom Krankenbett aus?
Herzliche Grüße,
Ihr G. F.
G. P. schrieb:
>Lieber Herr F.
>zu Ihrem Festtag die herzlichsten Grüße und anbei ein kleines
> (virengeprüftes) Cartoon
>von
>Ihrem
>G. P.
(…)“
359Noch am gleichen Tag beantwortete der Zeuge die Antwort des Angeklagten auf die vorzitierte E-Mail wie folgt:
„Von: „G…de<
An: „G. …de
Betreff: Re: Rückenkrüppel
Datum: Dienstag, 23. April 2002 16:46
Lieber Herr P.
>peu á peu bekrabbelt sich mein Rücken wieder. Tatsächlich Ist heute mein
>zweiter Tag im „Arbeitsversuch“ – nach mehrmonatiger weitestgehender
>Bettruhe nur mit Isometrie, intensiver Osteoporosebehandlung und 5-wöchiger
>Reha. Auch jetzt wird mich die ambulante Reha noch eine ganze Weile
>begleiten, und ich bewege mich noch ein wenig wie auf Eiern. Eine
>5-Wirbelkörperfraktur bei stressinduzierter Osteoporose ist eben keine
>Kleinigkeit! Sie würden kaum glauben, welchen enormen Einfluss eine solche
>Gefügestörung auf die Tiefensensibilität und das Gleichgewicht hat. Immerhin
>habe ich unter dem intensiven Mobilisierungs-Training etwas von meinem Fett
>in Muskeln umsetzen können.
Da kann ich nur sagen – weiter so! Ich hoffe, sehr, dass nun keine weiteren Rück(en)schläge mehr erfolgen.
>Wie ich soeben von Herrn B erfuhr, machen Sie weiterhin gute
>wissenschaftliche Fortschritte.
Wissenschaftlich ja. Wobei mich der Erfolg schon überholt hat und ich in administrativen Funktionen und Management untergehe.
>Ich wünsche Ihnen jedenfalls allen Erfolg
>und bin gespannt auf Ihre weitere Karriere.
Ach ja, dafür dauert auch das alles viel länger als mir lieb ist. Selbst ich muss lernen Geduld zu üben… aber Sie wissen ja, wie schwer mir das 'fällt. .
>Vielleicht kommt ja auch bei mir
>mal wieder der Tag, an dem ich mich sinnvolleren Aufgaben widmen kann, als
>Juristen über Verhaltensneurologie, Psychosomatik und die kognitiven
>Fähigkeiten gezielt beeinflusster, schwer hirnorganisch beeinträchtigter
>Patienten aufzuklären.
Das wünsche ich Ihnen von Herzen, dass auch Sie sich mal wieder sinnvolleren Dingen widmen können. Ich drück die Daumen. Sollte ich irgendwie mal helfen können, dann lassen Sie es mich wissen.
Herzlicher Gruss,
Ihr G. F.
360Dass diese von Inhalt und Tonfall her sehr persönlich gehaltenen E-Mails lediglich auf einem – zu dem Zeitpunkt, zu dem sie verfasst wurden, längst beendeten – beruflichen Verhältnis zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen beruhen, schließt die Kammer aus. Vielmehr besteht zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen ein engeres persönliches Verhältnis, nicht unbedingt im Sinne einer Freundschaft, aber jedenfalls einer näheren Bekanntschaft, die sicherlich von der beruflichen Beziehung geprägt, aber nicht auf diese allein beschränkt ist. Es handelt sich erkennbar nicht um einen reinen „Geburtstags-E-Mail-Verkehr“, wie der Angeklagte es bezeichnet hat. Insbesondere die Einladung des Angeklagten nebst Lebensgefährtin und das kurz vor Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrehs gegebene Angebot, dem Angeklagten zu helfen, lassen sich auch nicht mit – so der Angeklagte – „angelsächsischen Höflichkeitsfloskeln, die in keinem Fall ernst zu nehmen sind“, erklären. Der Angeklagte kann sich auch nicht auf die – ebenfalls von ihm aufgestellte – Behauptung zurückziehen, es handele sich um ein Kommunikationsproblem: Er habe unter näherer persönlicher Bekanntschaft Kontakt Auge zu Auge verstanden, nicht E-Mail-Verkehr. Zum einen war auch für den Angeklagten klar erkennbar, dass die Frage nach einer persönlichen Beziehung zu dem Zeugen im Hinblick auf dessen Benennung als Sachverständigen weit zu verstehen war. Zum anderen hat der Zeuge Prof. Dr. F. bekundet, es habe über die E-Mails hinaus auch einige Telefonate im gleichen Zeitraum gegeben. Zudem habe man sich auf wissenschaftlichen Veranstaltungen gesehen.
361Ohne dass es hierauf noch entscheidend ankäme, vermag die Einlassung des Angeklagten auch nicht zu erklären, dass vier Frauen – die Nebenklägerinnen R., W., N. und P. – von weitgehend übereinstimmenden sexuellen Übergriffen im Rahmen von Untersuchungen und Therapien berichten. Denn in allen Fällen berichten die Nebenklägerinnen von vaginalen Untersuchungen mit dem Finger oder der Stimmgabel im Rahmen einer Sensibilitätsprüfung, die der Angeklagte anlässlich einer Nachuntersuchung vorgenommen hat. Es ist auszuschließen, dass vier Frauen mit unterschiedlichen Erkrankungen aufgrund krankheitsbedingter Wahrnehmungs- und/oder Erinnerungsstörungen derart gleichartige Geschichten erfinden. Für ein bewusstes Zusammenwirken zum Nachteil des Angeklagten, also ein großes Komplott, gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Die Nebenklägerinnen kennen sich – abgesehen von den Nebenklägerinnen O und P. – untereinander nicht, allen gemein ist lediglich, dass sie vom Angeklagten unter- sucht worden sind. Dass auch eine groß angelegte Beeinflussung durch Dritte, insbesondere die Zeugin M. als „Spinne im Netz“, ausscheidet, ist bereits ausgeführt worden.
D. Rechtliche Würdigung
362Nach den getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte gemäß §§ 174 Abs. 2, 53 StGB wegen sexuellen Missbrauchs von Kranken in Einrichtungen in vier Fällen strafbar gemacht.
363Bei dem strafrechtlich relevanten Verhalten des Angeklagten, nämlich dem Berühren von Brustwarzen sowie äußeren und inneren Genitalen mit der Stimmgabel (alle Fälle), dem vaginalen Eindringen mit einem oder zwei Fingern (Fall N. sowie des Kraulens der Schambehaarung (Fall P., handelt es sich jeweils um sexuelle Handlungen im Sinne von § 184 c Abs. 1 Nr. 1 StGB.
364Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Urteil vom 06.02.2002 – 1 StR 506/01 –, NStZ 2002, 431 f. m. w. Nw.) liegt eine sexuelle Handlungen vor, wenn sie objektiv, nach ihrem äußeren Erscheinungsbild, einen Sexualbezug aufweist. Bei sogenannten ambivalenten Tätigkeiten, die für sich betrachtet nicht ohne weiteres einen sexuellen Bezug aufweisen, kommt es auf das Urteil eines objektiven Betrachters an, der alle Umstände des Einzelfalls kennt.
365Die Berührung der entblößten weiblichen Brust, der Schambehaarung und der Genitalien – ob mit einem Gegenstand oder der bloßen Hand – können grundsätzlich einen sexuellen Bezug haben. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sie vorliegend im Rahmen einer ärztlichen Untersuchung bzw. einer Therapiesitzung im Krankenzimmer vorgenommen wurden, ergibt sich der Sexualbezug – aus der Perspektive eines objektiven Beobachters – aus den sonstigen Umständen des jeweiligen Einzelfalls. Denn für entsprechende Untersuchungen bzw. – im Fall des Kraulens der Schambehaarung der Nebenklägerin P. – therapeutische Maßnahmen gab es, wie festgestellt, in keinem Fall eine medizinische Indikation. Hinzu treten jeweils weitere Umstände, insbesondere, dass die Nebenklägerinnen – bis auf die Nebenklägerin R. sich während eines längeren Teils der Untersuchung vollständig entkleiden mussten, obwohl es jeweils völlig ausreichend gewesen wäre, die Unterhose für die entsprechenden Untersuchungshandlungen im Genitalbereich kurz herunterzuziehen. Der Angeklagte hat die Untersuchung auch nicht vorher mit den Nebenklägerinnen besprochen, wenn er sie der Nebenklägerin P. auch immerhin angekündigt hat. Ein weiterer objektiver Umstand, der für einen Sexualbezug spricht, ist, dass der Angeklagte in keinem Fall während der Untersuchung im Genitalbereich Handschuhe trug. Bei der Nebenklägerin W. kommt die medizinisch gänzlich sinnlose Wiederholung der neurologischen Übungen im vollständig entkleideten Zustand hinzu, bei der Nebenklägerin P. der Umstand, dass sie bei der Therapie nackt unter der Bettdecke liegen musste, wofür es ebenfalls keine medizinische Begründung gibt.
366Schließlich handelte der Angeklagte, wie festgestellt, in jedem Fall ausschließlich aus einer sexuellen Motivation heraus; auch die Motivation des Handelnden gehört zu den bei der Frage des Sexualbezugs zu berücksichtigenden Umständen. Wollte man dies anders sehen, die Motivation für eine Handlung also gänzlich außer Betracht lassen, wäre das Ergebnis gerade im Bereich des § 174 Abs. 2 StGB widersinnig: Angesichts der Vielgestaltigkeit möglicher medizinischer Untersuchungshandlungen und Therapieformen könnte ein entsprechend veranlagter Arzt fast jegliche Art von sexuellen Handlungen – vom Geschlechtsverkehr einmal abgesehen – an stationär aufgenommenen Patienten und Patientinnen vornehmen, ohne eine strafrechtliche Verfolgung fürchten zu müssen. An der Berücksichtigung einer sexuellen Motivation für die Beurteilung der Frage, ob eine sexuelle Handlung vorliegt, sieht die Kammer sich auch nicht durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehindert. Soweit dieser in den Urteilen vom 09.11.1982 – 1 StR 672/82 – (NStZ 1983, 167) und 24.09.1980 – 3 StR 255/80 – (BGHSt 29, 336 ff.) ausgeführt hat, die Motive des Handelnden seien ohne Bedeutung, ging es jeweils um den umgekehrten Fall. Es lagen nämlich objektiv sexualbezogene Handlungen vor, bei denen dem Handelnden indessen die sexuelle Motivation fehlte bzw. er die Sexualbezogenheit nicht erkannte.
367Was die weiteren Handlungen des Angeklagten angeht, bei denen sich die Frage nach dem Sexualbezug stellt, etwa, dass er die Nebenklägerin W. Übungen im unbekleideten Zustand wiederholen ließ oder der Nebenklägerin P. mehrfach die Hand auf den Bauch legte, als diese auf seine Anweisung nackt unter der Bettdecke lag, scheidet eine Strafbarkeit jedenfalls wegen der fehlenden Erheblichkeit im Sinne von §184 c Abs. 1 Nr. 1 StGB aus.
368In den Fällen zum Nachteil der Nebenklägerinnen W N und P ist der Tatbestand des § 174 a Abs. 2 StGB erfüllt. Alle drei Nebenklägerinnen wären zur jeweiligen Tatzeit in der neurologischen Universitätsklinik K. stationär aufgenommen worden. Der Angeklagte nahm die jeweiligen sexuellen Handlungen an ihnen unter Ausnutzung ihrer Krankheiten vor, indem er ihnen vorspiegelte, die Handlungen seien Teil der medizinisch indizierten Untersuchungen oder Therapien.
369Nicht erfüllt ist der Tatbestand des § 174 a Abs. 2 StGB in dem Fall betreffend die Nebenklägerin R. Denn diese war nicht stationär aufgenommen, sondern hatte sich zu einer privat vereinbarten, ambulanten Untersuchung begeben.
370Dass der Angeklagte im Rahmen dieser Untersuchung sexuelle Handlungen an der Nebenklägerin R. vorgenommen hat, ist auch nicht nach § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbar Es kann dahinstehen, ob sich die Nebenklägerin aufgrund der örtlichen Situation des Zimmers des Angeklagten und der unterlegenen Position auf der Couch objektiv in einer schutzlosen Lage im Sinne dieser Vorschrift befand. Denn es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Angeklagte eine solche schutzlose Lage erkannt und damit vorsätzlich ausgenutzt hätte. Dies zeigt sich bereits daran, dass der Angeklagte, als die Nebenklägerin R. steif wurde und er erkannte, dass dieser die sexuelle Natur seiner Handlungen bewusst geworden war, die Untersuchung sofort beendete. Der Angeklagte wollte – und dies gilt für sämtliche hier in Rede stehenden Fälle – nicht mit physischer oder psychischer Gewalt oder dem gleichkommenden Mitteln den Willen der Nebenklägerinnen brechen. Vielmehr war er darauf aus, diese über die wahre Natur seiner Handlungen zu täuschen. Deutlich erkennbar ist dies auch bei der ersten Tat zum Nachteil der Nebenklägerin P. bei der der Angeklagte sein Verhalten, das Kraulen der Schamhaare, einstellte, als die Nebenklägerin ihn darum bat. Die Anwendung des § 177 Abs, 1 Nr. 3 StGB kam daher auch in keinem der Übungen Fälle in Betracht.
371Nach alledem sind die sexuellen Handlungen, die der Angeklagte an der Nebenklägerin R. vorgenommen hat, nicht strafbar. Der Angeklagte war daher insoweit freizusprechen. Die Entscheidung des Gesetzgebers, sexuellen Missbrauch durch einen Arzt im Rahmen einer ambulanten Behandlung einer erwachsenen Person straflos zu lassen, soweit nicht die Voraussetzungen der §§ 177, 179, 174c StGB gegeben sind, ist hinzunehmen.
E. Strafzumessung
372Bei der Strafzumessung hat sich die Kammer insbesondere von folgenden Erwägungen leiten lassen:
373Zur Ahndung der- einzelnen Taten stand der Kammer der -Strafrahmen des § 174 c Abs. 1 StGB zur Verfügung, der Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von einem Monat bis zu fünf Jahren vorsieht.
374In allen Fällen war zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass er nicht vorbestraft ist. Strafmildernd wirkte sich auch aus, dass die Taten für den Angeklagten auch neben dem von der Kammer ausgesprochenen Berufsverbot berufs- bzw. standesrechtliche Folgen haben werden und dass er seinen Beruf, der seinen ganzen Lebensinhalt darstellt, voraussichtlich nicht mehr wird ausüben können. Strafmildernd hat die Kammer weiterhin berücksichtigt, dass der Angeklagte als Erstverbüßer und älterer Mensch besonders haftempfindlich ist.
375Strafschärfend war das Eindringen in die Vagina der Geschädigten mit der Stimmgabel oder dem Finger – soweit es in den einzelnen Fällen hierzu gekommen ist – zu berücksichtigen. Das Gesetz nennt das Eindringen in den Körper im Rahmen der §§ 176 a Abs. 1, 177 Abs. 2 und 179 Abs. 4 StGB als Qualifikationsmerkmal bzw. als Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall. Es kann daher auch im Rahmen des § 174 c Abs. 1 StGB, der keine Qualifikationen oder Regelbeispiele kennt, strafschärfend berücksichtigt werden.
376Nicht strafschärfend war dagegen das Verteidigungsverhalten des Angeklagten zu berücksichtigen. Dass der Angeklagte im Rahmen seiner Verteidigung den Geschädigten zum Teil unterstellt hat, bewusst zu lügen, und dass er ihnen neurologische Ausfälle, psychische Störungen und andere Erkrankungen angedichtet hat, die in Wirklichkeit nicht vorlagen, geht über den Rahmen eines zulässigen Verteidigungsverhaltens noch nicht hinaus. Ehrenrührige Tatsachen hat der Angeklagte über die Nebenklägerinnen nicht behauptet.
377Bei der Tat zum Nachteil der Nebenklägerin hat die Kammer weiterhin strafschärfend berücksichtigt, dass sich die Tat über einen längeren Zeitraum hinzog, während dessen die Geschädigte zunächst die Berührung mit der Stimmgabel im Genitalbereich erdulden, dann vor dem Angeklagten nackt neurologische Übungen machen und zuletzt in Knie-Ellenbogen-Lage das vaginale Einführen der Stimmgabel dulden musste. Die Tat hatte für die Geschädigte auch psychische Folgen, die bis heute andauern und in ihrem geänderten Sexualverhalten zum Ausdruck kommen, wobei andererseits zu berücksichtigen ist, dass es sich bei diesen Folgen nicht um sehr schwerwiegende handelt. Insgesamt hält die Kammer daher für diese Tat, bei der die Verhängung von Geldstrafe aufgrund ihrer Schwere nicht in Betracht kam, eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten für tat- und schuldangemessen.
378Bei der Tat zum Nachteil der Nebenklägerin W. wirkte sich strafschärfend der Umstand aus, dass der Angeklagte die Geschädigte gleich drei Mal tatbestandsmäßig berührt hat: erst mit der Stimmgabel an den Brustwarzen, dann- mit der Stimmgabel an den Schamlippen und der Klitoris und zuletzt, als sich die Nebenklägerin in Knie-Ellenbogen-Lage befand, mit einem oder zwei Fingern in der Vagina wobei er die Vagina längere Zeit von innen abtastete. Auch diese Geschädigte leidet bis heute unter den Folgen der Tat. Sie hat Probleme mit männlichen Ärzten und sonstigem medizinischem Personal. Ihr Grundvertrauen in Ärzte ist nachhaltig erschüttert. Ihre emotionale Belastung war ihr auch bei ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung deut. lieh anzumerken, während der sie mehrfach anfing zu weinen. Insgesamt hält die Kammer für diese Tat, bei der die Verhängung von Geldstrafe aufgrund ihrer Schwere ebenfalls nicht in Betracht kam, daher eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten für tat- und schuldangemessen.
379Bei den beiden Taten zum Nachteil der Nebenklägerin P. war strafschärfend zu berücksichtigen, dass der Angeklagte durch die Beschwerde der Nebenklägerin N. und die Konfrontation mit seinem Verhalten durch die Zeugen … Dr. … und Dr. T. hätte gewarnt sein müssen.
380Die Tat traf hier auch eine gerade an der Schwelle des Erwachsenenalters stehende, schwerkranke junge Frau, die ein besonders labiles Opfer war. Der Nebenklägerin war ihre Zerrissenheit aufgrund des Verhaltens des Angeklagten in der Hauptverhandlung auch noch deutlich anzumerken. Mehrfach brach sie während ihrer Vernehmung in Tränen aus. Andererseits war strafmildernd zu berücksichtigen, dass der Angeklagte sich sehr stark und mit Erfolg für die richtige Behandlung der Nebenklägerin eingesetzt hat. Zudem war die Tathandlung bei der ersten Tat (Griff in die Schambeharung) zwar von einiger Erheblichkeit, aber weniger gravierend als in den übrigen Fällen. Bei der zweiten Tat hingegen war wiederum strafschärfend zu berücksichtigen, dass es zu mehreren tatbestandsmäßigen Berührungen mit der Stimmgabel kam, nämlich an den Brustwarzen, den Schamlippen und in der Vagina. Für die erste Tat zum Nachteil der Nebenklägerin P. hält die Kammer daher eine Freiheitsstrafe von 8 Monaten, für die zweite Tat eine solche von 1 Jahr und 6 Monaten für tat- und schuldangemessen. Auch bei der ersten Tat würde eine Geldstrafe dem verschuldeten Unrecht der Tat und den spezialpräventiven Erfordernissen im Rahmen des Schuldangemessenen nicht mehr gerecht werden.
381Aus diesen Einzelstrafen war gemäß § 53 StGB eine Gesamtstrafe zu bilden. Hierbei hat die Kammer nochmals alle für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände abgewogen. Hierbei ist die Kammer von der mittleren Gesamtstrafe um einige Monate nach unten abgewichen und hält die Verhängung einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren für ausreichend, aber auch erforderlich.
F. Berufsverbot
382Gemäß § 70 StGB hat die Kammer gegen den Angeklagten ein Berufsverbot verhängt. Da der Angeklagte als Angestellter kein öffentliches Amt im Sinne des § 45 StGB bekleidet hat, kann diese Regelung nicht als lex specialis im Verhältnis zu § 70 StGB Anwendung finden. Der Angeklagte hat die vier Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kranken in Einrichtungen unter Missbrauch seines Berufes und unter grober Verletzung der mit seinem Beruf verbundenen Pflichten begangen. Er hat die Möglichkeiten, die sich ihm als Arzt durch Untersuchungen und Behandlungen im Intimbereich seiner Patientinnen boten, planvoll ausgenutzt und sein überlegenes Wissen als Arzt eingesetzt, um seine wahren Absichten durch bewusste Täuschung der medizinisch ahnungslosen Patientinnen zu verschleiern. Eine Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und der Tat lässt die Gefahr erkennen, dass er bei fortgesetzter Ausübung seines Berufes weitere erhebliche rechtswidrige Taten der bezeichneten Art begehen wird. Der Angeklagte, der in der Hauptverhandlung deutlich gemacht hat, dass der Beruf sein wichtigster Lebensinhalt ist, kann im Rahmen seiner klinischen Tätigkeit unkontrolliert mit Patientinnen nach seinem Belieben verfahren und hat bereits unter Beweis gestellt, mit welchem Geschick er ahnungslose Patientinnen zu täuschen vermag. Er hat sich auch durch die naheliegende Gefahr einer Tataufdeckung im Falle der Nebenklägerin N. nicht von weiteren Taten abhalten lassen. Die Kammer ist der Überzeugung, dass der Gefahr, die insoweit .von dem Angeklagten ausgeht, nur mit einem Berufsverbot von 3 Jahren begegnet werden kann, zumal insofern auch die Haft angesichts der Möglichkeit des offenen Vollzuges bzw. der bedingten Reststrafenaussetzung für sich genommen die Gefahr, die von dem Angeklagten ausgeht, nicht zu beseitigen vermag. Da nur Übergriffe gegenüber Patientinnen vorliegen, war das Berufsverbot entsprechend zu beschränken.
G. Adhäsionsantrag
383Die Nebenklägerin N. hat mit Schriftsatz ihres Nebenklagevertreters vom 16.01.2003, zugestellt am 23.01.2003, beantragt,
den Angeklagten zu verurteilen, an sie ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 5.200 € zzgl. 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, zu zahlen.
384Der Angeklagte hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
385Dieser Antrag ist nach §§ 403, 404 StPO zulässig und hat in der Sache überwiegend Erfolg. Die Nebenklägerin N. hat gegen den Angeklagten einen Anspruch auf Zählung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 5.000 € aus § 847 Abs. 2 BGB a. F. Denn der Angeklagte hat gegen sie ein Vergehen wider die Sittlichkeit begangen. Im Hinblick auf die erhebliche Bedeutung der Tat für die Nebenklägerin und die bis heute für sie andauernden Folgen hält, die Kammer auch unter Berücksichtigung der finanziellen Leistungsfähigkeit des Angeklagten eine Betrag von 5.000 € für angemessen. Die gleichzeitige strafrechtliche Verurteilung des Angeklagten führt nicht zu einer Herabsetzung des zivilrechtlichen Genugtuungsinteresses.
386Die Zinsentscheidung ergibt sich aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.
387Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 406 Abs. 2 StPO.
H. Prozessuale Nebenentscheidungen
388Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 465 Abs. 1, 467 Abs. 1 und 4, 472 Abs. 1, 472 a Abs. 1 StPO. Die Kammer hat hinsichtlich der Adhäsionsanträge, soweit diese keinen Erfolg hatten, das ihr in § 472 a Abs. 1 StPO eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, dass der Angeklagte und die Nebenklägerinnen die ihnen entstanden notwendigen Auslagen jeweils selbst zu tragen haben.
Zitiervorschlag:
LG Köln Urt. v. 4.4.2003 – 114-18/01, BeckRS 2012, 18999