H  O  M  B  U  R  G

6-JÄHRIGES MÄDCHEN IM HNO-OP VERGEWALTIGT

KLINIK RÄT MUTTER VON ANZEIGE AB

Der Vorfall vom Juli 2012

 

Am 27. Juli 2012 ereignete sich in der Hals-Nasen-Ohrenklinik des Universitätsklinikums des Saarlandes (UKS) in Homburg ein schwerwiegender Vorfall. Ein sechs Jahre altes Mädchen wurde dort im Nasenrachenraum operiert. Nach dem chirurgischen Eingriff wollte ein Arzt dem Kind noch im Operationssaal ein Schmerzzäpfchen verabreichen.

 

Dabei entdeckte der Arzt eine « blutende Wunde im Genitalbereich sowie einen klaffenden Anus » und kam zu dem Schluss, dass das Mädchen « fraglich vergewaltigt worden sein » könnte. Die Verletzungen deuteten auf eine Vergewaltigung hin. Bei der Einweisung des Kindes hatte die Unterhose noch keine Blutspuren gezeigt, weshalb die Verletzung dem Kind zugefügt worden sein muss, nachdem die Mutter es vor der Operation an das Klinikpersonal übergeben hatte.

 

 

 

Sofortige medizinische Reaktion

 

Der Arzt, der die Verletzungen entdeckte, rief noch aus dem Operationssaal die Kinderschutzgruppe des Uniklinikums an. Diese Gruppe bestand aus drei Ärzten, unter denen sich auch ein Rechtsmediziner befand. Die Experten untersuchten die Verletzung und kamen ebenfalls zu dem Schluss, dass sie « verdächtig auf eine äußere Gewalt » war.

 

Mitarbeiter der Rechtsmedizin und der Kinderschutzgruppe wurden zur Untersuchung hinzugezogen. Die genaue Ursache der Verletzung konnte jedoch nicht geklärt werden.

 

 

 

Informationspolitik

 

Zunächst wurde die Mutter über den Vorfall nicht informiert. « Um Schaden von der Institution abzuwenden », wie die Frankfurter Rundschau den Vorgang beschreibt, schwieg die Klinik gegenüber den Eltern. Als die Eltern des Mädchens später von dem möglichen Missbrauch erfuhren und Anzeige erstatten wollten, riet die Klinik ihnen davon ab.

 

 

 

Anweisung zum Schweigen

 

Der Klinik-Leiter, der später auch in Personalunion das Amt des Ärztlichen Direktors übernahm, soll zwei Jahre später, also 2014, seine Mitarbeiter über den Vorfall informiert und zum Schweigen aufgefordert haben. Als Begründung wurde angegeben, dass sonst Patienten ausbleiben würden.

 

 

 

Aufdeckung

 

Der Fall wurde erst im November 2019 durch einen Bericht der Frankfurter Rundschau öffentlich bekannt. Die Saarbrücker Staatsanwaltschaft ermittelte wegen der mutmaßlichen Vergewaltigung gegen Unbekannt - sowohl wegen einer bereits erfolgten Anzeige als auch von Amts wegen.

 

 

 

Die Klinikleitung

 

Das Universitätsklinikum wies Vertuschungsvorwürfe zurück. Der Ärztliche Direktor Wolfgang Reith erklärte: « Die Mutter des Kindes war seitens der Klinik informiert worden ». Mit der Mutter sei 2019 erneut ein Gespräch geführt und ihr Akteneinsicht ermöglicht worden.

 

 

 

Widersprüchliche Darstellungen

 

Nach Recherchen der Frankfurter Rundschau ergab sich aus den Ermittlungsakten jedoch ein anderes Bild. Die Akten der Staatsanwaltschaft Saarbrücken unter dem Zeichen 83UJs8/19 zeigten, dass die Mutter sich erst im Juni 2019 an die Staatsanwaltschaft wandte. Von Klinikchef Reith erhielt sie weniger Seiten der Patientenakte, als sie selbst seit 2012 aufbewahrt hatte.

 

 

 

Informationströpfeln

 

Die Staatskanzlei des Saarlandes erfuhr erst am 25. Juni 2019 von dem Missbrauchsvorwurf - durch den Anruf der Kindesmutter bei der Rechtsaufsicht. Am 16. August 2019 informierte die Anwältin der Mutter die Staatskanzlei über die gestellte Strafanzeige gegen Unbekannt. Die Mitglieder des UKS-Aufsichtsrates wurden am 23. August schriftlich informiert. Eine Mitteilung der Uniklinik an die Landesregierung blieb offenbar aus.

 

 

 

Razzia & Ermittlungen

 

Im November 2019 führten Staatsanwaltschaft und Polizei eine Razzia am Universitätsklinikum durch und beschlagnahmten Beweismaterial zu drei Verdachtsfällen auf sexuellen Missbrauch. Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken stellte ihre Ermittlungen wegen der Verdachtsfälle des sexuellen Missbrauchs an der HNO-Klinik jedoch im Januar 2021 ein. Es habe in diesem Zusammenhang sieben Verfahren gegeben, doch die Ermittlungen hätten nicht « zu Hinweisen auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Personen » geführt.

 

 

 

Politische Reaktionen

 

Der Fall löste politische Empörung aus. Oskar Lafontaine (Linke) bezeichnete es als beschämend, dass im Zusammenhang mit dem Kindesmissbrauch am Homburger Uniklinikum immer neue Vorwürfe auftauchten. SPD-Landtagsabgeordneter Jürgen Renner erklärte: « Sollten diese Darstellungen zutreffen, verdichtet sich der Verdacht eines systematischen Verschweigens und Vertuschens im Umgang mit weiteren mutmaßlichen Missbrauchsfällen am Universitätsklinikum in Homburg ».

 

 

 

Experten-Meinung

 

Opfer-Anwältin Claudia Willger äußerte den Verdacht: « Ich glaube, dass es gesellschaftlichen Eliten ganz gut gelingt, so etwas zu verstecken und sich gegenseitig zu schützen ». Der Untersuchungsausschuss des saarländischen Landtags, der ursprünglich andere Missbrauchsfälle aufklären sollte, musste sich nun auch mit der HNO-Klinik beschäftigen.