B E R G I S C H   G L A D B A C H

UNBEHELLIGT

V e r g e w a l t i g u n g e n  &  K i n d e s m i s s b r a u c h

Chirurg bleibt trotz 11
Belastungszeuginnen
straffrei 

Ein Chirurg aus dem Raum Bergisch Gladbach bei Köln verlor 2017 seine Approbation nach jahrelangen sexuellen Übergriffen auf Patientinnen und Mitarbeiterinnen. Trotz eindeutiger Zeugenaussagen und dokumentierter Übergriffe, einschließlich Vergewaltigung, versagte das Strafrecht vollständig - alle Verfahren wurden eingestellt. Erst das Verwaltungsrecht konnte den Mediziner stoppen. Der Fall zeigt die Grenzen der Strafverfolgung bei sexueller Gewalt im medizinischen Bereich auf.

Der Fall, der 2017 vor dem Verwaltungsgericht Köln verhandelt wurde, betrifft einen 1953 geborenen Chirurgen, der über Jahre hinweg die Grenzen seiner Patienten und Mitarbeiterinnen überschritten haben soll. Das Gerichtsurteil zeichnet das Bild eines Arztes, der seine Machtposition für sexuelle Übergriffe ausnutzte. Der Fall hat auch in der juristischen Fachwelt für Aufmerksamkeit gesorgt, wie die Analyse von Rechtsanwalt Detlef Burhoff in seinem renommierten Blog zeigt.

 

Am 5. Juli 1991 erhielt der Chirurg seine Approbation vom Regierungspräsidium T. Von 2007 bis 2016 führte er eine eigene Praxis in X. als Chirurg. Diese neun Jahre der Selbstständigkeit sollten sich als verhängnisvoll erweisen, denn in dieser Zeit häuften sich die Vorwürfe gegen ihn.

I

Der erste schwerwiegende Vorwurf stammt aus dem Jahr 2008. Das Ermittlungsverfahren 174 Js 1335/08 der Staatsanwaltschaft Köln beschäftigte sich mit einem Vorfall vom 23. September 2008. Eine 16-jährige Patientin, die wegen einer Sehnenscheidenentzündung behandelt wurde, berichtete, der Chirurg habe sie mit seinem Daumen über den Handrücken gestreichelt, ihre Jacke geöffnet, sie an der Hüfte gefasst und zu sich herangezogen. Bei der Vernehmung gab der Arzt an, « Hände nehmen » sei bei ihm normale Praxis. « Wenn er sehe, dass jemand Angst oder Stress habe, nehme er die Hand oder die Hände, um eine Vertrauensbasis zu schaffen bzw. zu beruhigen ». Diese Rechtfertigung sollte später vom Gericht als inadäquate Berufsauffassung gewertet werden.

 

 

Im selben Ermittlungsverfahren schilderte eine weitere 16-jährige Patientin, der Chirurg habe sie vor einer Operation in der Achselhöhle untersucht und dabei den Träger ihres Büstenhalters über die Schulter heruntergezogen, wodurch ihre Brust teilweise entblößt wurde. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren nach § 153 Abs. 1 StPO ein, da der Arzt bisher strafrechtlich nicht aufgefallen war und eine sexuelle Motivation nicht zweifelsfrei feststellbar sei.

II

Das zweite Ermittlungsverfahren 43 Js 161/09 betraf sexuelle Belästigung einer Auszubildenden. Der Chirurg soll eine bei ihm beschäftigte Arzthelferin über etwa ein Jahr regelmäßig sexuell belästigt haben. Er habe seine Hand in ihre Hose gesteckt, ihr Gesäß umfasst und gesagt: « Klapse gäbe es, wenn sie schlecht sei, und Streicheleinheiten gäbe es, wenn sie etwas gut gemacht habe ». Als die Auszubildende sich einmal wehrte und wegging, soll er gesagt haben, « dass sie das als Auszubildende müsste ». Der Chirurg habe die junge Frau « Mäuschen » genannt und versucht, sie auf den Mund zu küssen. 

 

Eine besonders belastende Schilderung stammt von einer Patientin, die den Arzt wegen eines Hexenschusses aufgesucht hatte. Sie berichtete, dass der Chirurg sie « während eines Gesprächs auffällig häufig angefasst » habe und sie sich « bis auf BH und Slip » habe ausziehen müssen, « wobei der Kläger ihr zugesehen » habe. Später habe er ihr « ohne dass sie damit gerechnet habe oder die Notwendigkeit erkennbar gewesen sei - mit einem Ruck ihren Slip nicht nur etwas herunter, sondern komplett ausgezogen und diesen dann auf einen Tisch gelegt, der außerhalb ihrer Reichweite gestanden » habe. Die Patientin erklärte später, sie habe « diesen Vorfall nur deshalb nicht zur Anzeige gebracht, weil sie ihn letztlich nicht habe beweisen können. Erst nachdem sie gehört habe, dass der Kläger auch ein junges Mädchen belästigt habe, habe sie sich entschieden, einen Strafantrag zu stellen ».

 

Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren nach § 170 StPO ein, obwohl festgehalten wurde, « dass es mit dem überwiegenden ethischen und moralischen Empfinden unvereinbar sei, dass die Handlungen des Klägers nach dem damals geltenden Recht nicht strafbewehrt seien ».

Ein drittes Verfahren 195 Js 127/10 behandelte einen weiteren gravierenden Vorwurf. Der Chirurg soll eine Auszubildende am Tag ihres 17. Geburtstags auf den Mund geküsst und ihr anschließend gesagt haben, sie dürfe mit niemande darüber sprechen. Das Verfahren wurde eingestellt, da es sich nicht um eine strafrechtlich erhebliche sexuelle Handlung gehandelt habe.

III

Das umfangreichste Ermittlungsverfahren 34 Js 175/11 brachte alarmierende Verhaltensmuster ans Licht. Der Chirurg soll bei Patientinnen und Kindern nicht notwendige und allein sexuell motivierte Untersuchungen im Anal- bzw. Genitalbereich durchgeführt haben. Besonders beunruhigend waren die Berichte über « Analuntersuchungen » bei minderjährigen Mädchen, die ohne Vorbereitung oder Aufklärung im Beisein der Mütter und einer Helferin durchgeführt wurden. Eine Patientin musste über mehrere Stunden « Analdehnungen » ohne erkennbaren medizinischen Grund erdulden. Bei einer etwa 18-jährigen Patientin führte er eine sehr ausführliche « Analuntersuchung » durch und legte dabei klassische Musik auf.

 

Besonders verstörend war sein Vorgehen bei einer anderen Patientin, bei der er den Finger einer Arzthelferin für eine « Analweitung » in den After einführte. Als sich die Vorwürfe in einem Gespräch mit seinen Mitarbeiterinnen zuspitzten, gab er zu, « seine Neigungen » zu haben und therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen zu wollen. Zusätzlich machte er mit seinem Handy Fotos von den Körpern der Patientinnen.

IV

Ein weiteres aufschlussreiches Detail kam später im Berufungsverfahren auf den Tisch: « Vier ehemalige Mitarbeiterinnen des Klägers » hatten « übereinstimmend erklärt, dass der Kläger bei Frauen, die er wegen Pilonidalsinus anal untersucht habe, Fotos vom Gesäß gemacht habe, während bei Männern nur ein Verbandswechsel erfolgt sei ». Das Oberverwaltungsgericht stellte fest, dass « nachvollziehbare (medizinische) Gründe hierfür » der Chirurg « nicht dargetan » habe.

 

Das Gericht stellte fest, dass der Chirurg ein manipulatives System aufgebaut hatte. Er habe « Patientinnen, die schlank, blond und sympathisch gewesen seien » als « Patientinnen mit einer besonderen Aufmerksamkeitsbehandlung » bei Rückenbeschwerden in sein Privatzimmer gebeten. Patientinnen, « die dick, adipös gewesen seien », habe er « immer auf die peinlichste Art auf das Gewicht angesprochen und schnellstens abgefertigt ».

V

Sein manipulatives Verhalten erstreckte sich auch auf männliche Patienten. Jungen, die wegen Platt-/Senkfüßen kamen, untersuchte er an den Geschlechtsorganen, um nach Leisten- und Nabelbrüchen zu suchen. Den Beschäftigten sagte er im Nachhinein, er müsse dies tun, « damit wir Operationen bekommen ». Bei festgestellter Vorhautverengung erklärte er den Jungen, « dass eine radikale Zirkumzision viel besser sei, da sie beim späteren Sex mit Frauen viel mehr davon hätten ».

VI

Das schwerwiegendste Verfahren 251 Js 222/14 führte schließlich zur Anklage. Dem Chirurg wurde sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses in zwei Fällen vorgeworfen. Anfang 2013 soll er einer im Oktober 1998 geborenen Patientin bei der Behandlung von Rücken- und Hüftproblemen Kortisonspritzen verabreicht haben. Unter dem Vorwand, den Wirkstoff zu verteilen, massierte er ihr Gesäß, führte seine Hand von hinten an ihre Vagina und berührte sie dort etwa eine Minute lang. Anschließend führte er mindestens einen Finger in ihre Vagina ein, wodurch die Patientin Schmerzen erlitt. Eine medizinische Indikation bestand nicht.

 

Am 20. Mai 2014 soll er die Patientin bei einem erneuten Termin auf den Mund geküsst, ihr 20 Euro gegeben und gefragt haben, ob sie ihn vermisst habe. Bei der Massage spannte die Patientin Beine und Gesäß fest an, um weitere Berührungen an ihrer Vagina zu verhindern. Am 7. Oktober 2015 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage beim Amtsgericht Bergisch Gladbach.

VII

Mit Bescheid vom 18. Dezember 2015 ordnete das beklagte Land das Ruhen der Approbation an. Der Chirurg klagte dagegen und beantragte vorläufigen Rechtsschutz. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen stellte die aufschiebende Wirkung wieder her, da zwar die Anschuldigungen nicht offensichtlich haltlos seien, aber ein besonderes Vollzugsinteresse fehle.

 

Eine dramatische Wendung trat ein, als das Amtsgericht Bergisch Gladbach das Verfahren 251 Js 222/14 am 29. November 2016 einstellte. Die Anklage war aufgrund eines aussagepsychologischen Gutachtens zurückgenommen worden. Die Staatsanwaltschaft sah es als nicht mehr mit der erforderlichen Sicherheit beweisbar an, « dass die Schilderungen der Geschädigten tatsächlich auf Erlebtem beruhen ».

 

Daraufhin hob das beklagte Land den Bescheid vom 18. Dezember 2015 auf und teilte mit, dass die Approbation widerrufen werden solle. Am 20. Dezember 2016 sagte eine ehemalige Mitarbeiterin gegenüber der Bezirksregierung zu den Vorwürfen aus, eine weitere äußerte sich schriftlich.

VIII

Am 16. Januar 2017 widerrief das beklagte Land schließlich die Approbation des Chirurgen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass er unwürdig und unzuverlässig zur Ausübung des ärztlichen Berufs sei. Obwohl er in keinem Verfahren rechtskräftig verurteilt worden sei, zeigten die vielfachen Vorwürfe « ein klares Verhaltensmuster, dass die körperliche Integrität seiner Mitarbeiterinnen und Patienten missachte ».

 

Der Chirurg erhob am 2. Februar 2017 Klage gegen den Widerruf. Er argumentierte, dass von strafbarem Verhalten nicht auszugehen sei, da alle Ermittlungsverfahren eingestellt worden seien. Die Unschuldsvermutung gelte zu seinen Gunsten, und er habe seine Patienten stets entsprechend den Regeln der ärztlichen Heilkunst behandelt.

 

Das Verwaltungsgericht Köln wies die Klage am 30. Mai 2017 ab. Das Gericht stellte fest, dass der Chirurg unwürdig zur Ausübung des ärztlichen Berufs sei. Die Richter betonten, dass der Widerruf nicht voraussetze, dass das berufswidrige Verhalten die Grenze der Strafbarkeit überschreite. Das Gericht sei « davon überzeugt, dass er in einer Vielzahl von Fällen die Intimsphäre von Frauen und Kindern wissentlich und willentlich mit Äußerungen und Handlungen aus sexuellen Motiven verletzt hat ».


Juristische Fachanalyse & Bedeutung des Urteils

A

Der Fall hat in der juristischen Fachwelt erhebliche Beachtung gefunden. Rechtsanwalt Detlef Burhoff, ein renommierter Experte für Strafrecht und ehemaliger Richter am Oberlandesgericht, hat den Fall in seinem vielbeachteten Blog unter dem Titel « Grabscher in Weiß, oder: Widerruf der Approbation » analysiert. Burhoff bezeichnet die Entscheidung als eine « verwaltungsrechtliche Entscheidung mit straf(verfahrens)rechtlichen Berührungspunkten » und hebt die besondere Bedeutung des Urteils hervor.

 

Burhoff betont in seiner Analyse die zentrale Aussage des Gerichts: « Als des Arztberufs unwürdig erweist sich insbesondere, wer die Würde oder die seelische und körperliche Integrität von Menschen missachtet. Ein Arzt soll Leiden lindern – nicht auslösen. Wer Menschen aus sexueller Motivation zu bloßen Objekten herabwürdigt, ist nicht würdig, heilend zu helfen. »

 

Hervorzuheben ist die Klarstellung des Gerichts zur Unschuldsvermutung. Das Verwaltungsgericht stellte unmissverständlich fest, dass « im Verwaltungsverfahren auch nicht der Grundsatz der Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK) anwendbar » sei. Der Approbationswiderruf stelle « keine (repressive) Strafe dar und enthält auch keine individuelle Schuldzuweisung, sondern dient ausschließlich (präventiv) der Abwehr behandlungsspezifischer Gefahren ».

B

Die juristische Fachanalyse hebt hervor, dass Verwaltungsbehörde und -gericht « bei ihrer Entscheidung über den Widerruf nicht auf eine strafgerichtliche Verurteilung angewiesen oder an staatsanwaltliche oder an strafgerichtliche Einstellungsentscheidungen gebunden » sind. Sie « ermitteln eigenständig die relevanten Sachverhalte und bewerten diese nach der einschlägigen Rechtslage ». Dies sei von fundamentaler Bedeutung, da « die gefahrenabwehrrechtliche Beurteilung eines Sachverhalts mit anderen Voraussetzungen und Rechtsfolgen verknüpft » sei als die strafrechtliche.

 

Das Gericht stützte sein Urteil auf « die Vielzahl der in den Ermittlungsakten und Verwaltungsvorgängen befindlichen Zeugenaussagen, die eindrücklich und glaubhaft das menschenverachtende Verhalten des Klägers belegen ». Die Richter kamen zu dem Schluss, dass der Chirurg « über lange Zeiträume Verhaltensweisen an den Tag gelegt » habe, « die ihn als hochgefährlich im Umgang mit Untergebenen im Allgemeinen und mit Patienten im Besonderen zeigen ».

 

Als besonders schwerwiegend bewertete das Gericht die Vorgehensweise: « In seinen Beziehungen zu Mitarbeiterinnen, Patientinnen und Kindern ist er grenztestend und -überschreitend vorgegangen. Dabei war er immer wieder darauf bedacht, persönliche Schwächen bei anderen zu erkennen und auszunutzen sowie Abhängigkeitsverhältnisse zu seinen Gunsten aufzubauen. »

 

Das Gericht erkannte ein manipulatives System: « Innerhalb der Personalstruktur seiner Praxis hat er manipulativ und intrigant eine über die arbeitsrechtliche Weisungsbefugnis weit hinausgehende Machtposition eingenommen und diese mit psychischem Druck und Drohungen behauptet. Die damit einhergehende Gefährdung der Arbeitsfähigkeit seiner Mitarbeiterinnen bedeutet jedenfalls mittelbar auch eine Gesundheitsgefährdung für seine Patienten. »

C

Die Analyse von Burhoff unterstreicht die gesellschaftliche Bedeutung des Urteils. Es zeigt, dass das Verwaltungsrecht in Fällen greifen kann, wo das Strafrecht an seine Grenzen stößt. Während alle strafrechtlichen Ermittlungsverfahren eingestellt wurden, konnte das Verwaltungsgericht aufgrund der niedrigeren Beweisanforderungen eine klare Entscheidung zum Schutz zukünftiger Patienten treffen.

 

Das Gericht kam zu dem eindeutigen Schluss: « Der Kläger hat sich als ein Mensch erwiesen, der Grenzen anderer nicht achtet, wenn ihm dies ungefährlich erscheint. Das Gericht ist davon überzeugt, dass er in einer Vielzahl von Fällen die Intimsphäre von Frauen und Kindern wissentlich und willentlich mit Äußerungen und Handlungen aus sexuellen Motiven verletzt hat. » Dazu führte es weiter aus, dass « Mitarbeiterinnen sowie weibliche und jugendliche Patienten dem Kläger unter keinen Umständen anvertraut werden » könnten, « erst recht nicht für die Tätigkeit eines Chirurgen, dem Patienten auch in Narkosesituationen in besonderem Maße ausgeliefert sind ».


Berufung & finale Rechtskraft

Der Chirurg gab jedoch nicht auf und beantragte beim Oberverwaltungsgericht NRW die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln. In seinem Antrag führte er verschiedene Argumente an, die jedoch alle vom Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen wurden.

 

Zunächst behauptete der Chirurg, er habe « nur unzureichend Gelegenheit gehabt, zu den gegen ihn erhobenen Anschuldigungen » Stellung zu nehmen. Das Oberverwaltungsgericht wies dies zurück, da « die Bezirksregierung dem Kläger vor Erlass des Widerrufsbescheides Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und dabei ausdrücklich auch auf die gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren » hingewiesen hatte. Zudem habe der Chirurg « sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im gerichtlichen Verfahren noch hinreichend Gelegenheit zur Einsichtnahme in die dem Beklagten und dem Gericht vorliegenden Verfahrensakten » gehabt.

 

Speziell und aufschlussreich ist die Reaktion des Chirurgen auf die Vorwürfe. Er versuchte, sein Verhalten kulturell zu rechtfertigen. Das Oberverwaltungsgericht stellte jedoch unmissverständlich klar: « Erfolglos verweist der aus Marokko stammende Kläger auch auf Sitten und Gebräuche seines Heimatlandes. Der Kläger verkennt, dass für ihn nicht etwaige Sitten und Gebräuche seines Heimatlandes maßgeblich sein können, sondern er sich an die im Bundesgebiet geltenden Regeln zu halten hat. »


Das Gericht führte weiter aus: « Abgesehen davon sind Küsse auf den Mund, Klapse auf dem Po, Anfassen und Umarmungen von Mitarbeiterinnen keinesfalls einem freundschaftlich-lockeren Umgang zuzuordnen. Aus der Sicht der betroffenen abhängig beschäftigten Mitarbeiterinnen, die derartige Nähe nicht wünschen und denen der Kläger insoweit auch kein Einverständnis unterstellen kann, stellen sie vielmehr einen völlig inakzeptablen sexuellen Übergriff dar. »

 

Der Chirurg versuchte auch, einzelne Vorwürfe zu relativieren. So behauptete er etwa, « er habe seine Auszubildende unbeabsichtigt auf den Mund geküsst ». Das Oberverwaltungsgericht bewertete dies als « angesichts der detaillierten und nachvollziehbaren Schilderungen seiner damals noch minderjährigen Mitarbeiterin nicht ansatzweise glaubhaft ».

 

Zudem spekulierte der Chirurg, « sämtliche früheren Mitarbeiterinnen hätten beabsichtigt, ihm zu schaden oder sich an ihm zu rächen ». Das Oberverwaltungsgericht wies dies als « eine durch nichts belegte Spekulation » zurück und stellte fest, dass « vom Kläger schon nicht ansatzweise aufgezeigt worden » sei, « weshalb alle Mitarbeiterinnen gleichermaßen hierfür ein Motiv gehabt haben könnten ».


Das Oberverwaltungsgericht bestätigte die Einschätzung des Verwaltungsgerichts vollumfänglich: « Der Senat teilt auch die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass aus den Taten, die Gegenstand der strafrechtlichen Ermittlungen waren, die Unwürdigkeit des Klägers zur Ausübung des ärztlichen Berufs folgt. »

 

Außerordentlich eindringlich formulierte das Oberverwaltungsgericht die Erwartungen an einen Arzt: « Vom Kläger als Arzt darf und muss ungeachtet etwaiger Sitten und Gebräuche im Heimatland erwartet werden, dass er die Intimsphäre und die körperliche Integrität seiner Patienten und seiner Beschäftigten respektiert und achtet. Insbesondere als Arzt muss ihm klar sein, dass sexuelle Übergriffe erhebliche psychische Schäden herbeiführen können und die Opfer hiermit u.U. lange zu kämpfen haben. »

 

Das Gericht verwies auf die anhaltenden Traumata der Betroffenen: « Dass hier ein solcher Schaden tatsächlich bereits eingetreten ist, zeigt sich daran, dass die von der Bezirksregierung Köln angehörte Zeugin nur weinend berichten konnte, obwohl ihre Schilderungen sich auf Ereignisse bezogen, die schon Jahre zurücklagen. »

 

Schließlich kritisierte das Oberverwaltungsgericht die anhaltend uneinsichtige Haltung des Chirurgen: « Zudem spielt der Kläger mit seinen Einlassungen im Zulassungsverfahren sein Verhalten herunter (freundschaftlich-lockerer Umgang, übliche Sitten und Beruhigungsmethoden). Auch dies belegt die dem Kläger bereits vom Verwaltungsgericht attestierte völlig inadäquate Berufsauffassung. »


Am 3. August 2018 lehnte das Oberverwaltungsgericht NRW den Antrag auf Zulassung der Berufung endgültig ab. Mit diesem Beschluss wurde das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln rechtskräftig. Der Chirurg hatte damit alle Rechtsmittel ausgeschöpft und seine Approbation endgültig verloren.

 

Das Urteil veranschaulicht schlussendlich auf tragische Weise, dass der Chirurg über Jahre hinweg ein manipulatives System aufgebaut hatte. Er nutzte die besondere Vertrauensstellung des Arztberufs aus, um seine sexuellen Neigungen auszuleben. Das Gericht erkannte ein klares Verhalten: Er suchte gezielt nach persönlichen Schwächen bei anderen, baute Abhängigkeitsverhältnisse auf und überschritt kontinuierlich Grenzen.

 

Der Fall verdeutlicht auch die Grenzen der Strafverfolgung bei sexuellen Übergriffen im medizinischen Bereich. Trotz der Vielzahl der Vorwürfe und der detaillierten Aussagen der Betroffenen kam es zu keiner strafrechtlichen Verurteilung. Das Verwaltungsrecht erwies sich hier als schärferes Schwert, da die Anforderungen an die Beweisführung geringer sind als im Strafrecht.

 

Die Betroffenen in diesem Fall mussten einen langen Weg gehen. Viele der Übergriffe wurden erst Jahre später öffentlich, als sich mehrere Zeuginnen trauten auszusagen. Das Gericht würdigte ausdrücklich die Glaubwürdigkeit der Aussagen und erkannte das Leid der Betroffenen an.

 

Mit dem endgültigen Approbationswiderruf endete die berufliche Laufbahn des Chirurgen. Das Gericht stellte fest, dass der Widerruf auch verhältnismäßig sei, da er dem Schutz überragender Gemeinschaftsgüter diene, nämlich dem Schutz des Ansehens der Ärzteschaft und dem für jede Heilbehandlung unabdingbaren Vertrauen der Patienten.


Der Fall zeigt, wie wichtig es ist, dass Betroffene von sexuellen Übergriffen im medizinischen Bereich den Mut fassen, ihre Erfahrungen zu melden. Nur durch das Zusammenwirken mehrerer Aussagen konnte das jahrelange Verhalten aufgedeckt und beendet werden. Die juristische Fachanalyse von Burhoff unterstreicht dabei die präventive Funktion des Verwaltungsrechts zum Schutz zukünftiger Patienten, auch wenn das Strafrecht versagt. Die Rechtskraft des Urteils seit August 2018 bedeutet das endgültige Ende der ärztlichen Laufbahn des Chirurgen und ein wichtiges Signal für den Schutz von Patienten und Mitarbeitern im Gesundheitswesen.


QUELLEN

 

 

« Urteil, Verwaltungsgericht Köln, 7 K 1352/17 »

Justiz · NRW, 30.05.2017

 

« „Grabscher" in Weiß, oder: Widerruf der Approbation…. »

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., 29.07.2017

 

« Urteil, Oberverwaltungsgericht NRW, 13 A 1535/17 »

Justiz · NRW, 03.08.2018