Itajaí
Santa Catarina

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Dr. Neandro Schiefler
filmte eigene Übergriffe
auf wehrlose Patientinnen
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Ein schwerwiegender Fall von medical sexual assault ereignete sich im Februar 2019 in der brasilianischen Küstenstadt Itajaí in Santa Catarina. Ein 39-jähriger Allgemeinmediziner wurde festgenommen, nachdem aufgedeckt wurde, dass er Patientinnen missbraucht und diese Verbrechen selbst gefilmt hatte. Der Fall zeigte nicht nur die Perversität eines einzelnen Täters, sondern auch strukturelle Schwächen im Gesundheitssystem auf.

 

 

Aufgeflogen

 

Am Samstag, den 16. Februar 2019, nahm die Zivilpolizei von Itajaí den 39-jährigen Allgemeinmediziner fest. Die Ermittlungen kamen durch eine anonyme Anzeige in Gang, bei der ein Denunziant eine CD mit Videos der Übergriffe an die Polizei übersandte. Diese Aufnahmen wurden vom Arzt selbst gemacht und dokumentierten seine Verbrechen gegen wehrlose Patientinnen. Die Ermittlungen lagen in der Verantwortung der Abteilung für den Schutz von Kindern, Jugendlichen, Frauen und älteren Menschen in Itajaí (DPCAMI). Der zuständige Ermittler Alexandre Carvalho de Oliveira beschrieb die Videoaufnahmen als « sehr schockierend » und erläuterte: « Sie deuten auf Vergewaltigungen von Patientinnen hin, darunter auch bewegungsunfähige und bewusstlose Frauen. »

 

Zwei Tage nach der Festnahme, am 18. Februar 2019, gaben die Ermittler weitere Details bekannt. Die Polizei hatte zunächst 15 Videos erhalten, in denen der Arzt die Opfer betastete, wobei in jedem Video eine andere Patientin zu sehen war. Laut Ermittler Alexandre Carvalho de Oliveira war deutlich zu erkennen, wie der Arzt sein Handy auf die Frauen richtete, um sie zu filmen. « Er hat die Übergriffe selbst gefilmt », erklärte er. Die Verbrechen fanden in verschiedenen Krankenhäusern statt. In den Aufnahmen gab es keine Beweise für Geschlechtsverkehr. Der Arzt betastete die Geschlechtsorgane der Patientinnen. Dennoch konnte er nach brasilianischem Recht wegen Vergewaltigung belangt werden, da das Gesetz auch das Berühren der Intimzonen ohne Einverständnis als Vergewaltigung definiert.

 

Eines der Opfer des Arztes sollte in den kommenden Tagen vernommen werden. Die Frau, die derzeit in Paraná lebt, ist auf dem Filmmaterial zu sehen, das der Polizei zu Beginn der Ermittlungen übergeben wurde. In den Aufnahmen sind mindestens zehn Patienten zu sehen, die alle vom Arzt misshandelt werden. Der Fall gelangte durch einen anonymen Hinweis an die Ermittler. Der Whistleblower übergab mehrere Kopien der Videos, in denen der Missbrauch bestätigt wurde. Die Polizei geht davon aus, dass der Verdächtige selbst den Missbrauch gefilmt hat. Laut Alexandre Carvalho de Oliveira wirken die Frauen auf den Videos bewusstlos, was darauf hindeutet, dass der Arzt die Opfer unter Drogen gesetzt hat.

 

Die Ermittlungen zeigten besonders perfide Fälle auf. In zwei Videos handelte es sich um Vergewaltigung von Schutzbefohlenen, bei denen die Opfer sich nicht wehren konnten. In einem Video war eine Frau bewusstlos mit geschlossenen Augen zu sehen, als ob sie schläft. « Sie könnte mit einer Überdosis ins Krankenhaus gekommen sein », erklärte Oliveira. « Oder sie wurde betäubt, um anschließend missbraucht zu werden. » In einem anderen Video war eine Patientin auf einer Trage immobilisiert, ihr ganzer Körper war gelähmt. « Sie hatte ein Trauma, einen Sturz, und wurde ebenfalls während der Behandlung betastet. Sie konnte nicht reagieren, weil sie sich nicht bewegen konnte », sagte der Ermittler. Diese Fälle zeigten die besondere Verwerflichkeit der Taten, da der Arzt gezielt die Hilflosigkeit seiner Patientinnen ausnutzte.

 

 

Das wahre Gesicht

 

Bei den anderen Opfern handelte es sich um Vergewaltigung durch Betrug. « Wie im Fall João de Deus, der den Opfern sagte, sie sollten seinen Penis berühren, um geheilt zu werden, nutzte der beschuldigte Allgemeinmediziner seine Position aus, um die Brüste und Genitalien der Opfer ohne medizinische Notwendigkeit zu berühren », erklärte der Ermittler. Diese Parallele zu dem berüchtigten Fall des selbsternannten Heilers João de Deus zeigte das Ausnutzen von Vertrauen und Autorität auf. Es bestand zudem der Verdacht, dass einige der Frauen in den Videos minderjährig waren. Sollte sich dies bestätigen, könnte der Arzt auch wegen Besitzes von Bildern mit Kindern oder Jugendlichen belangt werden, was die Schwere der Anschuldigungen weiter erhöhen würde.

 

Eine überraschende Wendung nahm der Fall, als sich herausstellte, dass die Verbrechen nicht nur durch eine anonyme Anzeige, sondern durch die eigene Ehefrau des Arztes aufgedeckt wurden. Sie hatte auf seinem Computer insgesamt 16 Videos von Patientinnen während der Sprechstunden entdeckt und diese der Zivilpolizei übergeben. Während zunächst von 15 Videos die Rede war, stellte sich somit heraus, dass die vollständige Anzahl 16 betrug. Diese Entdeckung führte zur Beantragung der Untersuchungshaft und der Durchsuchungs- und Beschlagnahmebefehle durch den zuständigen Ermittler.

 

Die Verbrechen beschränkten sich nicht nur auf Itajaí. Der Täter war in verschiedenen Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen an der Nordküste von Santa Catarina tätig, darunter Itajaí als Haupttätigkeitsort, Navegantes an der Nordküste, Joinville im Norden des Bundesstaates, sowie Barra Velha und Penha. Die Verbrechen sollen über einen längeren Zeitraum stattgefunden haben und erstreckten sich bis zu seiner Festnahme 2019. Dies deutete auf eine langanhaltende kriminelle Aktivität hin, die in verschiedenen Gesundheitseinrichtungen der Region stattfand.

 

Die Festnahme des Verdächtigen erfolgte im Rahmen der Operation « Jaleco Branco » (Weißer Kittel) - ein symbolischer Name, der die Perversion des eigentlich vertrauensvollen Arzt-Patienten-Verhältnisses verdeutlichte. Der 39-jährige Doktor Neandro Schiefler wurde bei dieser Aktion der Zivilpolizei von Itajaí festgenommen. Die Festnahme erfolgte dramatisch am 16. Februar 2019, als er Dienst bei der UPA im Stadtteil Cordeiros in Itajaí hatte. Der Arzt ist Allgemeinmediziner und behandelte Patienten im öffentlichen Gesundheitswesen von Itajaí. Er hatte auch in Joinville und Navegantes gearbeitet. Nach seiner Festnahme wurde er im Gefängniskomplex Canhanduba in Itajaí festgehalten.

 

 

Erste Konsequenzen

 

Das Gesundheitsministerium von Itajaí reagierte am Sonntag, den 17. Februar 2019, mit einer offiziellen Stellungnahme. Die Behörde bestätigte, dass der festgenommene Arzt im kommunalen Gesundheitsnetz tätig war, und verurteilte « jede Handlung, die die Integrität der Patientinnen verletzt » aufs Schärfste. Die Stadt kündigte an, « keine Anstrengungen zu scheuen, Verhaltensweisen zu identifizieren und zu bestrafen, die gegen die Gesetze und Vorschriften des öffentlichen Gesundheitswesens verstoßen ». Gleichzeitig wurde die Generalstaatsanwaltschaft der Stadt beauftragt, den Fall zu begleiten und alle erforderlichen rechtlichen Maßnahmen zu ergreifen. Der Regionalmedizinrat von Santa Catarina (Cremesc) informierte ebenfalls in einer Stellungnahme, dass er eine Untersuchung zur « gründlichen Prüfung des Falls » eingeleitet hatte.

 

Der Mediziner wurde wegen mehrerer schwerwiegender Straftaten angeklagt. Der Hauptvorwurf bezog sich auf sexuelle Nötigung durch Betrug, da er seine Vertrauensstellung als Arzt ausnutzte, um unter dem Vorwand medizinischer Untersuchungen sexuelle Handlungen an Patientinnen vorzunehmen. Zusätzlich kam der besonders schwere Tatbestand der Vergewaltigung von Schutzbefohlenen zur Anwendung, da die Opfer sich aufgrund ihres Zustands nicht wehren konnten - sei es durch Betäubung, Bewusstlosigkeit oder körperliche Immobilisierung. Der Arzt wurde zunächst für 30 Tage in Untersuchungshaft genommen, mit der Möglichkeit einer Verlängerung um weitere 30 Tage. Diese Maßnahme sollte verhindern, dass der Verdächtige die laufenden Ermittlungen behindern oder weitere Beweise vernichten könnte.

 

Am 28. März 2019 fand eine entscheidende Gerichtsverhandlung statt. Die 1. Strafkammer des Gerichtshofs von Santa Catarina verhandelte über einen Habeas Corpus-Antrag, der zugunsten des inhaftierten Arztes gestellt worden war. Die Verteidigung argumentierte während der 15-minütigen mündlichen Verhandlung, dass die Beweise rechtswidrig erlangt worden seien, da sie die Privatsphäre sowohl des Arztes als auch der Patientinnen verletzten. Der Zugriff der Ehefrau auf den Computer und die Aussonderung der 16 Videos wurde als Verletzung der Privatsphäre dargestellt. Die Gerichtsverhandlung entwickelte sich zu einer hitzigen Debatte zwischen den Richtern, die über eine Stunde dauerte. Einstimmig nahmen die Richter den Habeas Corpus teilweise an, lehnten ihn jedoch mit Mehrheit ab. Das bedeutete, dass der Arzt weiterhin in Untersuchungshaft bleiben musste.

 

Der Fall nahm im September 2019 eine überraschende Wendung. Trotz der schwerwiegenden Vorwürfe und der vorliegenden Videobeweise entschied das Gericht, den Arzt unter Auflagen freizulassen. Diese Entwicklung wirft kritische Fragen über die Rechtsprechung bei medical sexual assault-Fällen in Brasilien auf.

 

 

Überraschende Wende

 

Am 12. September 2019 traf die 1. Strafkammer des Gerichtshofs von Santa Catarina eine einstimmige Entscheidung zur Freilassung von Neandro Schiefler. Der Arzt war seit Februar 2019 inhaftiert gewesen - zunächst etwa zwei Monate in Untersuchungshaft und anschließend fünf Monate in Präventivhaft, beide angeordnet durch das 2. Strafgericht von Itajaí. Die Richter entschieden, die Präventivhaft durch eine elektronische Fußfessel zu ersetzen und verhängten zusätzliche Auflagen. Schiefler musste sich monatlich vor Gericht melden, durfte keinen Kontakt zu den Opfern aufnehmen und war vom Besuch von Bars und Diskotheken ausgeschlossen.

 

Der Verteidiger Claudio Gastão da Rosa Filho argumentierte in seinem Habeas Corpus-Antrag unter Berufung auf die Rechtsprechung des Obersten Bundesgerichtshofs (STF), dass die Präventivhaft als vorsorgliche Maßnahme nicht der vorzeitigen Vollstreckung einer Strafe dienen könne. Die Verteidigung machte geltend, dass zum damaligen Zeitpunkt keine Risiken mehr für die öffentliche Ordnung oder die Verfahrensführung bestünden - Grundlagen, die die Anordnung der Präventivhaft gerechtfertigt hatten.

 

Laut Anklage des Staatsanwalts hatte Schiefler zwischen 2014 und Januar 2019 Übergriffe begangen. Die Vorwürfe umfassten das Betasten der Brüste von drei Patientinnen und das Berühren der Intimzonen einer vierten Patientin. Besonders verwerflich war, dass der Arzt Teile seiner Verbrechen selbst in den Behandlungsräumen der Gesundheitsstationen gefilmt hatte, in denen er tätig war. Die formalen Anklagen lauteten auf « violação sexual mediante fraude » (sexuelle Nötigung durch Betrug) und « estupro de vulnerável » (Vergewaltigung von Schutzbefohlenen). Diese Straftatbestände sind im brasilianischen Strafrecht mit erheblichen Freiheitsstrafen bedroht.

 

Die Freilassung Schieflers wirft fundamentale Fragen über den Umgang des brasilianischen Justizsystems mit Fällen von medical sexual assault auf. Trotz der vorliegenden Videobeweise und der Natur der Vorwürfe entschied das Gericht, dass die Voraussetzungen für eine weitere Präventivhaft nicht mehr gegeben seien. Diese Entscheidung ist besonders problematisch vor dem Hintergrund, dass der Täter seine Vertrauensstellung als Arzt ausgenutzt hatte. Die elektronische Fußfessel und die anderen Auflagen erscheinen als unzureichende Maßnahmen angesichts der Schwere der Vorwürfe und der besonderen Vulnerabilität der Opfer im medizinischen Kontext.

 

 

Was bleibt

 

Die vorläufige Suspendierung von Schieflers Berufszulassung war ein wichtiger Schritt zum Schutz weiterer potentieller Opfer. Jedoch bleibt die Frage offen, wie effektiv solche Maßnahmen in der Praxis durchgesetzt werden und ob sie ausreichen, um das Vertrauen der Patientinnen in das Gesundheitssystem zu bewahren. Die verfügbaren Quellen geben keinen Aufschluss über den endgültigen Ausgang des Strafverfahrens gegen Neandro Schiefler. Es bleibt unklar, ob es zu einer Verurteilung kam, welche Strafen gegebenenfalls verhängt wurden und welche langfristigen Konsequenzen der Fall für die Regulierung des Gesundheitswesens in Santa Catarina hatte.

 

Dieser Fall zeigte die Vulnerabilität von Patientinnen im Gesundheitssystem und die Notwendigkeit besserer Kontrollmechanismen auf. Die Tatsache, dass der Täter über Jahre hinweg in verschiedenen Einrichtungen agieren konnte, ohne entdeckt zu werden, warf Fragen über die Überwachung und Kontrolle medizinischen Personals auf. Die Natur der Verbrechen und ihre Dokumentation durch den Täter selbst zeigten auch die psychopathologischen Aspekte des Falls auf. Der Mediziner nutzte nicht nur seine Vertrauensstellung aus, sondern dokumentierte seine Verbrechen auch noch für seine eigene Befriedigung. Die rechtliche Kontroverse um die Beweismittel warf zudem wichtige Fragen über die Balance zwischen Datenschutz und Strafverfolgung auf.

 

Die Art der Freilassung - trotz eindeutiger Beweise und der besonderen Verwerflichkeit der Taten - wirft zudem Fragen über die Sensibilität des Justizsystems für Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt im medizinischen Kontext auf. Die relativ kurze Haftzeit von sieben Monaten für einen derart schwerwiegenden Fall von Missbrauch wirkt inadäquat. Dieser Fall steht für die Herausforderungen bei der strafrechtlichen Verfolgung von medical sexual assault und die Notwendigkeit, sowohl die rechtlichen Rahmenbedingungen als auch die praktische Umsetzung des Opferschutzes zu überdenken. Der Fall von Itajaí zeigt die Notwendigkeit auf, Patientinnen besser zu schützen und das Vertrauen in das Gesundheitssystem zu bewahren.

 

F I N A L