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Logopäde missbraucht Jungen
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Lange Haftstrafe, lebenslanges Berufsverbot

 

 

 

 


Er war Logopäde, arbeitete mit den Jüngsten – und machte seine Praxis sowie zwei evangelische Kitas in Würzburg zu Tatorten. Zwischen 2012 und März 2019 missbrauchte der Sprachtherapeut Oliver H. sieben Jungen im Alter von zwei bis sechs Jahren, viele von ihnen mit schweren körperlichen und/oder geistigen Beeinträchtigungen. Er dokumentierte die Taten, speicherte und verbreitete die Aufnahmen im Darknet. Am 20.03.2019 durchsuchten Ermittler Wohnung und Praxisräume; sie stellten mehr als 22.000 kinderpornografische Bild- und Videodateien sicher. Oliver H. wurde am 21.03.2019 in Untersuchungshaft genommen; später legte er ein weitgehendes Geständnis ab. Die Spur war im Netz begonnen: Spezialisten der bayerischen Cybercrime-Ermittler stießen in einschlägigen Foren auf Material, das zu einem Logopäden in Würzburg führte. Dort hatte H. als Therapeut ungestörten Zugang zu sehr jungen, häufig nicht sprechfähigen Kindern – eine Nähe, die er ausnutzte. Viele Übergriffe fanden während oder direkt nach angeblichen Einzelsitzungen statt, während Erzieherinnen und Erzieher mit anderen Kindern im Morgenkreis beschäftigt waren.

 

Die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg – Zentralstelle Cybercrime Bayern – erhob am 20.11.2019 Anklage: 66 Einzeltaten des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern; hinzu kamen die Herstellung, der Besitz und das Verbreiten kinderpornografischer Inhalte. Öffentlich gemacht wurde die Anklage am 06.12.2019. Zuständig war die Jugendschutzkammer des Landgerichts Würzburg. Der Prozess startete am 04.03.2020; wegen des Schutzes der kindlichen Zeugen war die Öffentlichkeit über weite Strecken ausgeschlossen. Der Angeklagte, damals 38, gestand «ohne Wenn und Aber»; zugleich vermerkte das Gericht am Ende fehlende echte Schuldeinsicht.

 

Am 25.05.2020 verkündete das Landgericht das Urteil: 11 Jahre und 4 Monate Freiheitsstrafe. Zusätzlich verhängte die Kammer ein lebenslanges Berufs- und Tätigkeitsverbot im Umgang mit männlichen Minderjährigen. Die Anklage hatte 13 Jahre und 9 Monate gefordert; Teile der Nebenklage hatten überdies Sicherungsverwahrung angeregt. Eine Sicherungsverwahrung ordnete das Gericht nicht an. Ende August 2020 wurde das Urteil rechtskräftig, nachdem die Verteidigung ihre Revision zurückgenommen hatte.

 

Die Ermittlungen reichten über Würzburg hinaus: Aus der Auswertung des Datenmaterials ergaben sich europaweit Dutzende Spuren; Behörden meldeten später mehr als 50 weitere Verdächtige. Der Fall zeigt, wie Täter therapeutische Alleinsituationen mit Kindern missbrauchen – und wie akribische Cyberermittlungen Tatserien aufdecken können. Was bleibt, sind betroffene Familien und Kinder mit besonderem Schutzbedarf – und die Notwendigkeit, Therapie-Settings verlässlich abzusichern: klare Vier-Augen-Prinzipien, transparente Zeit- und Raumplanung, engmaschige Aufsicht der Träger, niedrigschwellige Meldewege und konsequente Schulung aller Beteiligten. Der Gerichtssaal hat ein Zeichen gesetzt. Prävention muss im Alltag folgen.

 

 

Übersicht

  • Verfahrensorganisation: Das Landgericht Würzburg regelte das Verfahren als Jugendschutzsache mit strikten Zugangs- und Akkreditierungsauflagen für Medien. In der Akkreditierungsverfügung wurden die Sitzungstermine ab Anfang März 2020, die begrenzten Presseplätze und das weitgehende Öffentlichkeitsausschluss-Regime festgelegt.
  • Prozessbeginn und Ausschluss der Öffentlichkeit: Der Auftakt am 04.03.2020 wurde bestätigt; der Ehemann des Angeklagten machte von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Aus Opferschutzgründen war die Öffentlichkeit für große Teile der Beweisaufnahme ausgeschlossen.
  • Umfang des Materials: Sichergestellt wurden mehr als 22.000 Dateien mit kinderpornografischen Inhalten; darunter auch vom Angeklagten eigenproduzierte Missbrauchsaufnahmen der ihm anvertrauten Kinder.
  • Urteilspunkte im Detail: Neben der Freiheitsstrafe verhängte das Gericht ein lebenslanges Berufs- bzw. Tätigkeitsverbot im Hinblick auf die Behandlung/den Umgang mit männlichen Minderjährigen; IT-Träger und Datenträger wurden eingezogen. Das Gericht stellte eine fehlende echte Einsicht fest, trotz eines umfassenden Geständnisses.
  • Rechtskraft: Am 31.08.2020 wurde die Strafe rechtskräftig, nachdem die Revision zurückgenommen wurde.
  • Folgeermittlungen: Bis November 2021 führten die Auswertungen der sichergestellten Daten zu mehr als 50 weiteren Verdächtigen bundes- und europaweit. Die ZCB Bayern koordinierte Hinweise an in- und ausländische Behörden; mehrere Kinder konnten identifiziert und geschützt werden.
  • Tatorte und Träger: Missbrauchstaten fanden in den Praxisräumen des Logopäden und in zwei evangelischen Kindertagesstätten in Würzburg statt. Der kirchliche Bereich reagierte mit Beratungs- und Hilfsangeboten und verwies auf Präventionsstandards; epd/dpa berichteten über die innerkirchlichen Konsequenzen und die Begleitung der betroffenen Familien.

 


Zeitleiste

  • 20.03.2019: Durchsuchungen von Wohnung und Praxis, Sicherstellung umfangreicher Datenträger
  • 21.03.2019: Untersuchungshaft
  • 20.11.2019: Anklageschrift (ZCB Bayern); 06.12.2019 öffentliche Mitteilung [Quellenliste, ZCB]
  • 04.03.2020: Prozessauftakt vor der Jugendschutzkammer, Öffentlichkeit weitgehend ausgeschlossen
  • 25.05.2020: Urteil: 11 Jahre 4 Monate, lebenslanges Berufs-/Tätigkeitsverbot, Einziehung der Datenträger
  • 31.08.2020: Rechtskraft nach Rücknahme der Revision
  • 11/2021: Meldung über «über 50 Verdächtige» aus den Auswertungen

 

 

Einordnung und Prävention

  • Strukturelle Hebel in Therapie- und Kita-Settings:
    Vier-Augen-Prinzip für Einzelsitzungen, einsehbare Räume (Fenster),
    verbindliche Dokumentation von Zeiten/Räumen/Teilnehmern,
    unangekündigte interne Kontrollen durch Träger, klare Meldewege
    und Whistleblowing-Schutz für Mitarbeitende.
  • Digitale Spuren konsequent nutzen:
    Der Fall belegt die Bedeutung spezialisierter Cybercrime-Einheiten
    und internationaler Referal-Ketten; gesicherte Metadaten und
    Wiedererkennungsmerkmale der Räume waren zentral für die Identifizierung.
  • Opferbegleitung: Frühe, niedrigschwellige Trauma- und Rechtsberatung
    für Familien; kirchliche und öffentliche Träger haben ergänzende Angebote
    bereitgestellt, die fortgeführt und sichtbarer gemacht werden sollten.

 

 

 

Quellen

 

«Kinderporno-Fund in Würzburg: Missbrauchs-Verdacht» Süddeutsche Zeitung︱23.03.2019
https://www.sueddeutsche.de/bayern/wuerzburg-kinderporno-haft-logopaede-sporttrainer-1.4378879

«Kindesmissbrauch: Anklage gegen Würzburger Logopäde» Süddeutsche Zeitung︱30.09.2019
https://www.sueddeutsche.de/bayern/wuerzburg-missbrauch-logopaede-ermittlungen-1.4621832

«Logopäde wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern angeklagt» DER SPIEGEL︱05.12.2019
https://www.spiegel.de/panorama/justiz/wuerzburg-logopaede-wegen-sexuellen-missbrauchs-von-kindern-angeklagt-a-1300059.html

«Anklage gegen Würzburger Logopäden wegen mehrfachen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern erhoben» Generalstaatsanwaltschaft Bamberg (Zentralstelle Cybercrime Bayern)︱06.12.2019
https://www.justiz.bayern.de/gerichte-und-behoerden/generalstaatsanwaltschaft/bamberg/presse/2019/26.php

«Würzburg: Missbrauchsprozess gegen Logopäden hat begonnen» Main-Post︱04.03.2020
https://www.mainpost.de/regional/wuerzburg/wuerzburg-missbrauchsprozess-gegen-logopaeden-hat-begonnen-art-10417176

«Ehemann des Logopäden verweigert Aussage – Öffentlichkeit im Prozess weitgehend ausgeschlossen» Sonntagsblatt (epd)︱06.03.2020
https://www.sonntagsblatt.de/artikel/bayern/ehemann-des-logopaeden-verweigert-aussage-oeffentlichkeit-im-wuerzburger-kinderporno

«Würzburg: Logopäde wegen Kindesmissbrauchs zu langer Haft verurteilt» DER SPIEGEL︱24.05.2020
https://www.spiegel.de/panorama/justiz/wuerzburg-logopaede-wegen-kindesmissbrauchs-zu-langer-haft-verurteilt-a-370907d7-9492-4b49-8865-26482c0d6359

«Würzburg: Logopäde missbraucht behinderte Kinder – Haft und Berufsverbot» Süddeutsche Zeitung︱25.05.2020
https://www.sueddeutsche.de/bayern/wuerzburg-logopaede-sexueller-missbrauch-urteil-1.4917091

«Missbrauchs-Prozess: Logopäde muss mehr als elf Jahre in Haft» Evangelisches Medienhaus (epd)︱24.05.2020
https://www.evangelisch.de/inhalte/170561/25-05-2020/missbrauchs-prozess-logopaede-muss-mehr-als-elf-jahre-haft

«Missbrauchs-Prozess: Haftstrafe gegen Logopäden rechtskräftig» Evangelisches Medienhaus (epd)︱31.08.2020
https://www.evangelisch.de/inhalte/174295/31-08-2020/missbrauchs-prozess-haftstrafe-gegen-logopaeden-rechtskraeftig

«Über 50 Verdächtige nach Missbrauchsskandal in Würzburg» BR24︱15.11.2021
https://www.br.de/nachrichten/bayern/missbrauchsskandal-in-wuerzburg-ueber-50-verdaechtige,SouLyIf

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