Gütersloh
Narkose-Arzt vergewaltigte Patientinnen nach Operationen
Zudem fand man Datenträger mit Kinderpornographie
Im Dezember 2020 wurde der 43-jährige Anästhesist Nils Nigel T. verhaftet, weil er mehrere Patientinnen im Sankt Elisabeth Hospital in Gütersloh vergewaltigt hatte. Seine Taten zeigen, wie ein Arzt seine Machtposition gezielt gegen Frauen einsetzte, die ihm hilflos ausgeliefert waren.
Der Täter
Nils Nigel T., geboren 1977, wohnhaft in Oelde, war ein auf den ersten Blick unauffälliger Mediziner. Bekannte beschrieben ihn als «immer netten und unauffälligen Menschen und fähigen Mediziner». Seine berufliche Laufbahn begann er als Rettungssanitäter im Kreis Soest. Ab 2013 studierte er Medizin in Münster und startete Ende 2019 als Assistenzarzt in der Anästhesie im Sankt Elisabeth Hospital in Gütersloh.
Die Taten
Von September bis Dezember 2020 nutzte der Arzt seine Position gezielt aus, um sich an wehrlosen Frauen zu vergehen. Seine Vorgehensweise war dabei besonders heimtückisch: Wenn Patientinnen nach Operationen über Schmerzen klagten, spritzte er ihnen nicht die angeforderten Schmerzmittel, sondern ein Betäubungsmittel, das sie in einen benommenen Zustand versetzte. In diesem Zustand der Hilflosigkeit vergewaltigte er die Frauen oral.
Das Gericht stellte fest, dass das verabreichte Medikament besonders gefährlich war - es hätte zu Schäden am Herzen oder den Atmungsorganen führen oder sogar den Tod der Patientinnen verursachen können. Dies wertete das Gericht als gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit den sexuellen Übergriffen.
Die Aufdeckung
Am 15. Dezember 2020 meldete sich eine Patientin (36) und berichtete, dass sie kurz nach ihrer Operation von dem Arzt vergewaltigt worden sei. Sie hatte trotz der Sedierung den Übergriff wahrgenommen. Der Arzt hatte offenbar geglaubt, dass sie noch narkotisiert sei und nichts wahrnehmen würde. Nils Nigel T. wurde noch am selben Tag im Krankenhaus festgenommen.
Bei den Ermittlungen meldeten sich weitere Betroffene. DNA-Spuren belasteten den Täter schwer: In seiner Unterhose wurden Speichelspuren einer der Frauen gefunden, was exakt zu den Aussagen der Patientinnen passte. Bei einer Hausdurchsuchung wurden zudem kinderpornografische Dateien auf seinem Computer und USB-Stick sowie eine Cannabis-Plantage entdeckt.
Der Prozess
Am 2. Juni 2021 begann der Prozess am Landgericht Bielefeld unter Vorsitz von Richter Carsten Wahlmann. Bereits zu Prozessbeginn legte der Richter dem Angeklagten nahe, ein Geständnis abzulegen, und stellte eine zweistellige Freiheitsstrafe in Aussicht. Der Angeklagte bestritt jedoch alle Vorwürfe.
Während des Prozesses versuchte Nils Nigel T., die Aussagen der Betroffenen zu diskreditieren. Er unterstellte den Frauen «falsche Aussagen und sexuelle Träume nach der Narkose». Zudem verwies er auf vermeintliche Widersprüche in den Täterbeschreibungen: «Das Opfer hat mich nicht erkannt. Ich wurde als nicht dick, mit kurzen Haaren beschrieben. Ich habe aber lange Haare und seit über zehn Jahren einen Bart.» Für einen Teil der Vorwürfe behauptete er, ein Alibi zu haben, da er zu den angegebenen Zeiten im Operationssaal gewesen sei.
Bezüglich der kinderpornografischen Dateien behauptete er, diese seien beim Herunterladen anderer Dateien «als Beiwerk mit dabei gewesen», und stritt ab, pädophil zu sein.
Seine ebenfalls angeklagte Ehefrau (43) gestand hingegen den Anbau von Cannabis ein, behauptete jedoch, die Pflanzen seien zur Schmerzlinderung für ein krebskrankes Familienmitglied gedacht gewesen.
Das Urteil
Ende September 2021 verurteilte das Landgericht Bielefeld den Täter zu elf Jahren Freiheitsstrafe wegen schwerer Vergewaltigung in zwei Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen eines schweren sexuellen Übergriffs. Zusätzlich erhielt er ein lebenslanges Berufsverbot für eine Tätigkeit als Krankenhausarzt und darf keine Frauen mehr behandeln. Er wurde außerdem verurteilt, an zwei der Frauen Schmerzensgeld in Höhe von 35.000 Euro und 10.000 Euro zu zahlen und für weitere mögliche Schäden aufzukommen.
In der Urteilsbegründung machte Richter Wahlmann deutlich, wie eindeutig die Beweislage war: «Die Beweismittel sind so eindeutig, richtig eindeutig. Da können Sie sich nicht mehr rausreden.» Er lobte die Zeugenaussagen der Betroffenen als «absolut glaubhaft, klar und abgewogen» und hob ihre «anerkennenswerte Leistung» hervor, nach der psychischen Belastung vor Gericht auszusagen.
Das Gericht erwog sogar eine höhere Strafe von bis zu 14 Jahren, berücksichtigte jedoch, dass der Mediziner ein Ersttäter war. Das lebenslange Berufsverbot begründete der Richter mit den Worten: «Das waren schlimme Taten. Dieses Risiko wollen wir der Gesellschaft nicht aussetzen. Der Opferschutz steht weit vorne. Das darf nicht wieder passieren.»
Seine Ehefrau wurde wegen des Anbaus von Cannabis zu einer Freiheitsstrafe von anderthalb Jahren auf Bewährung verurteilt.
Die Revision
Am 18. Oktober 2021 wurde bekannt, dass Nils Nigel T. das Urteil nicht akzeptierte und Revision einlegte. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe musste daraufhin die Entscheidung des Landgerichts auf Rechtsfehler überprüfen. Noch im September 2022 lief das Verfahren, wobei der Angeklagte weiterhin alle Vorwürfe bestritt.
Parallelen zu anderen Fällen
Der Fall Nils Nigel T. erinnert an einen ähnlichen Fall in Bielefeld, der sich kurz zuvor ereignet hatte: Ein Neurologe (32) hatte vermutlich über 100 Frauen, meist Patientinnen der Klinik, in der er arbeitete, sediert und vergewaltigt. Auf seinem Computer wurden Videos der Taten gefunden. Dieser Arzt beging jedoch nach drei Tagen in U-Haft Selbstmord.
Fazit
Der Fall des Narkosearztes Nils Nigel T. zeigt auf drastische Weise, wie ein Mediziner seine Position ausnutzen kann, um schwere Straftaten zu begehen. Besonders verwerflich war dabei seine Vorgehensweise, Patientinnen gezielt zu betäuben, um sie dann in ihrer Hilflosigkeit zu vergewaltigen. Das harte Urteil und insbesondere das lebenslange Berufsverbot verdeutlichen die Schwere der Taten und den Schutzanspruch künftiger potenzieller Betroffener.
Trotz erdrückender Beweise - darunter DNA-Spuren und glaubhafte Zeugenaussagen - leugnete der Täter bis zuletzt seine Schuld und versuchte, die Betroffenen zu diskreditieren. Der abschließende Rat des Richters an den Verurteilten, «Wenn Sie früher rauswollen, arbeiten Sie die Tat auf», unterstreicht die Notwendigkeit einer Einsicht und Aufarbeitung für eine mögliche Resozialisierung.
Dieser Fall verdeutlicht auch die Dringlichkeit wirksamer Schutzmaßnahmen für Patientinnen und Patienten im Krankenhaus, insbesondere in Situationen, in denen sie sich in einem wehrlosen Zustand befinden.
QUELLEN
· «Anästhesist soll weitere Patientin vergewaltigt haben», Markus Brekenkamp, BILD, 28.12.2020 ·
· «Narkose-Arzt soll Frauen im Krankenhaus vergewaltigt haben», Markus Brekenkamp, BILD, 15.04.2021 ·
· «Vorwurf der Vergewaltigung im Krankenhaus Gütersloh: Arzt droht eine lange Haftstrafe», Ärzte Zeitung, 02.06.2021 ·
· «Vergewaltigender Narkose-Arzt muss in Haft», n-tv.de, 30.09.2021 ·
· «Vergewaltiger-Arzt akzeptiert sein Urteil nicht», BILD, 18.10.2021 ·
· «Angeklagter Arzt bestreitet Vorwurf von Vergewaltigungen», RP Online, 07.09.2022 ·
· «Arzt vergewaltigte Patientinnen – elf Jahre Haft», RP Online, 07.09.2022 ·