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Sexuelle Übergriffe
Betrug & Alkohol
Ein Frauenarzt verwandelt
die Praxis in einen Tatort

Ein komplexes Netz aus sexuellen Übergriffen & medizinischen sowie behördlichen Verfehlungen

 

 

Selten sind Frauen im Alltag verletzlicher als im Behandlungszimmer eines Frauenarztes. Dort geben sie viel von sich preis – körperlich, aber auch seelisch. Es geht um Kinderwünsche, Gesundheits- und Sexualprobleme. Patientinnen müssen ihrem Arzt deshalb besonders viel Vertrauen entgegenbringen. Ein Vertrauen, das ein Frauenarzt aus der luxemburgischen Hauptstadt über Jahre hinweg ausgenutzt haben soll. Der Fall, der durch das Luxemburger Wort aufgedeckt wurde, zeigt ein komplexes Netz aus sexuellen Übergriffen, finanziellem Betrug und medizinischen Verfehlungen, das sich über mehr als ein Jahrzehnt erstreckte.

 

 

 

 

ÜBERGRIFFE

 

Zwischen 2013 und 2018 soll der auf künstliche Befruchtungen und Fruchtbarkeitsbehandlungen spezialisierte Frauenarzt vier Frauen bei Untersuchungen «weit über das medizinisch Notwendige berührt» haben, wie das Luxemburger Wort berichtet. Im vermeintlich geschützten Raum seines Behandlungszimmers soll es zu sexuellen Übergriffen gekommen sein. Die erste Anzeige wurde im April 2019 erstattet, woraufhin die Strafermittlungsbehörden weitere Untersuchungen einleiteten. So konnten drei weitere mutmaßlich betroffene Frauen ermittelt werden. Unter anderem hatten sich Patientinnen des Mannes an den Collège médical gewandt.

 

Die Ermittlungen sind inzwischen abgeschlossen, und die Staatsanwaltschaft will den Arzt wegen Vergewaltigung und besonders schwerer Angriffe auf die Schamhaftigkeit vor Gericht bringen. Ob es so weit kommen wird, muss aber eine richterliche Ratskammer entscheiden. Die Richter befanden voraussichtlich im Juni 2023 darüber, ob für einen Prozess vor einer Kriminalkammer genügend Elemente gegen den Beschuldigten vorliegen. Der Mediziner, der seit Jahrzehnten in Luxemburg praktiziert, bestreitet unterdessen die Vorwürfe der Frauen. Wie sein Anwalt Maître Frank Rollinger betont, wolle die Verteidigung dagegen juristische Schritte einleiten.

 

 

 

BETRUG

 

Arbeiten durfte der Frauenarzt in Luxemburg bereits seit Dezember 2022 nicht mehr. Der Conseil supérieur de discipline des Collège médical hatte den Mann zu einem zwölfmonatigen Berufsverbot verurteilt, davon sechs Monate zur Bewährung. Der Arzt durfte erst Mitte Juli 2023 wieder seine Aktivitäten aufnehmen. Im Mittelpunkt des Disziplinarverfahrens standen vorwiegend Ungereimtheiten bei Verrechnungen. Der auf künstliche Befruchtungen und Fruchtbarkeitsbehandlungen spezialisierte Frauenarzt soll sich über Jahre hinweg auf Kosten seiner Patientinnen bereichert haben.

 

So vermerkte der Mann unter anderem auf Rechnungen für künstliche Befruchtungen, dass die Patientinnen diese nicht bei der Gesundheitskasse einreichen sollten. Die Behandlung würde nämlich nicht zurückerstattet werden. Dies entspricht aber nicht den Tatsachen. Zudem liegen die CNS-Tarife deutlich unter dem vom Arzt verrechneten Betrag. In dem Berufungsverfahren erhielt der Arzt ein vergleichsweise mildes Urteil. In erster Instanz hatte der Disziplinarausschuss ihn nämlich zu einem einjährigen Berufsverbot ohne Bewährung verurteilt. Der Collège médical hatte derweil im Berufungsverfahren eine noch strengere Strafe gefordert, auch weil der Arzt durch sein Handeln den besonders verletzlichen Zustand seiner Patientinnen ausgenutzt haben soll. Immerhin seien diese aufgrund eines unerfüllten Kinderwunsches zu ihm gekommen.

 

 

 

DELEGATION

 

Für den Frauenarzt war es nicht das erste Verfahren wegen dubioser Verrechnungsmethoden. In der Vergangenheit war der Mann deshalb sogar strafrechtlich verfolgt worden. Gegen ihn wurden Ermittlungen wegen unerlaubter Ausübung der Medizin und Fälschung geführt. Der Mediziner fand jedoch eine Einigung mit der Staatsanwaltschaft, sodass es zu keinem Prozess kam. Der Frauenarzt bekannte sich schuldig und wurde im März 2022 aufgrund eines Jugement sur accord zu einer Geldstrafe in Höhe von 30.000 Euro verurteilt.

 

Der Mann hatte zwischen 2012 und 2013 Untersuchungen für einen Arzttarif verrechnet, die nicht von ihm selbst, sondern von Hebammen durchgeführt wurden. Dabei stellt nicht nur die Verrechnung ein Problem dar. Die Untersuchungen liegen nämlich nicht im Befugnisbereich einer Hebamme. Der Arzt weilte zudem während der Behandlungen im Ausland. Dem Frauenarzt steht voraussichtlich noch ein weiteres Disziplinarverfahren des Collège médical wegen mutmaßlichen Fehlverhaltens bevor. Der Disziplinarausschuss der Berufskammer setzte das Verfahren jedoch zeitweilig aus, nachdem der Mediziner Zeugen verklagt hatte.

 

So beschuldigte der Mann im Zuge einer Privatklage zwei junge Ärztinnen, die 2014 und 2015 ein Praktikum in seiner Praxis gemacht hatten, der üblen Nachrede und Verleumdung. Wie auch RTL zuvor berichtete, hatten die Frauen in einem Praktikumsbericht, beziehungsweise im Zuge des Disziplinarverfahrens gegenüber dem Collège médical, angegeben, dass der Frauenarzt Alkohol in der Praxis getrunken habe. So soll der Mann einer der jungen Ärztinnen zufolge an einem Tag zu betrunken gewesen sein, um zu arbeiten. Er habe nicht mehr richtig sprechen können. Daraufhin sei sie in der Praxis auf sich allein gestellt gewesen. Der Frauenarzt hatte die Aussagen der Ärztinnen stets bestritten. Die Vorwürfe der üblen Nachrede und Verleumdung behielt das Gericht nicht zurück. Den Frauen könne keine bösartige Absicht nachgewiesen werden. Im März 2019 bestätigte das Berufungsgericht die Freisprüche aus erster Instanz.

 

 

 

VERBINDUNGEN

 

Teil des ausstehenden Disziplinarverfahrens sind dem Vernehmen nach ebenfalls Anschuldigungen eines früheren Geschäftspartners. Der Arzt war bis zum Jahr 2013 in der Praxis des Beschuldigten tätig, bis es zu Konflikten kam. Die beiden Ärzte trafen bereits vor Gericht aufeinander. Im Zuge einer Privatklage beschuldigte der Mann den vom Disziplinarverfahren betroffenen Praxisinhaber unter anderem der üblen Nachrede und der Diffamation. Unter anderem soll der Beschuldigte seinen Ex-Geschäftspartner nach der Trennung gegenüber Patientinnen als schlechten Arzt bezeichnet haben. Er sei für verschiedene medizinische Fehler verantwortlich. Der Beschuldigte wurde jedoch sowohl in erster als auch in zweiter Instanz vom Großteil der Vorwürfe freigesprochen. Lediglich für eine anders gelagerte beleidigende Aussage wurde der Mann im April 2020 vom Berufungsgericht zu einer Geldstrafe von 200 Euro und einer Schadenersatzzahlung von 500 Euro verurteilt.

 

Wie RTL berichtete, soll einem weiteren Geschäftspartner des Luxemburger Arztes ein überaus schwerwiegender medizinischer Fehler unterlaufen sein. Der deutsche Arzt wurde wegen schwerer Körperverletzung zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt. Bei einer Operation in einem französischen Krankenhaus verletzte der Mann 2018 eine Patientin so sehr, dass diese lebenslange Behinderungen davontrug. Nachdem er 2019 vom französischen Ordre médical ausgeschlossen worden war, arbeitete er laut RTL bis Anfang 2022 in der Praxis des Luxemburger Arztes. Nach seiner rechtskräftigen Verurteilung in Frankreich wurde der Mann von den Luxemburger Behörden im März 2022 ausgeliefert und verbüßte laut RTL und dem Luxemburger Wort bereits 2023 seine Haftstrafe in Frankreich, bevor er im Jahre 2024 unbehelligt in Baden-Württemberg seine eigene gynäkologische Privatpraxis eröffnen konnte und bis heute (Stand 18.05.2025) als Frauenarzt tätig ist.

 

 

 

SCHWEIGEN

 

Was zusätzlich irritiert, ist das völlige Informationsvakuum, das seit 2023 um diesen Fall herrscht und somit fast an deutsche Standards heranreicht. Trotz intensiver Recherche in französischsprachigen, deutschsprachigen und englischsprachigen Medien sowie offiziellen Justizquellen konnte kein finales Urteil oder aktuelle Berichterstattung zum ursprünglichen Fall gefunden werden. Weder das Luxemburger Wort, RTL Infos, Le Quotidien noch L'essentiel haben seit 2023 über Entwicklungen in diesem spezifischen Fall berichtet. Die Suche wurde zusätzlich erschwert durch die Überlagerung mit anderen ähnlichen Fällen in der Region, besonders dem Fall des 52-jährigen Allgemeinmediziners aus dem Osten Luxemburgs, der 2024 wegen sexueller Übergriffe inhaftiert wurde.

 

Eine Durchsuchung der offiziellen Justizportale von Luxembourg brachte keine relevanten Urteile oder Verfahrensaktualisierungen für den Zeitraum 2023-2025 zutage. Die verfügbaren anonymisierten Gerichtsentscheidungen enthalten keine Hinweise auf den Fall. Diese Abwesenheit jeglicher aktueller Berichterstattung ist bemerkenswert, insbesondere in einer Zeit, in der gynäkologische Gewalt verstärkt thematisiert wird. In einer funktionierenden Demokratie sollte die Öffentlichkeit über den Ausgang solcher Verfahren informiert werden, besonders wenn es um das Vertrauen in das Gesundheitswesen geht.

 

Mehrere Erklärungen sind denkbar: Eine Verfahrenseinstellung durch die chambre de conseil könnte erfolgt sein, ohne dass dies öffentlich kommuniziert wurde. Alternativ könnte eine außergerichtliche Einigung zwischen den Parteien erzielt worden sein. Luxembourg hat strenge Datenschutzbestimmungen im Justizwesen, möglicherweise wurde bewusst auf eine Berichterstattung verzichtet, um die Privatsphäre der betroffenen Frauen zu schützen. Die mediale Aufmerksamkeit hat sich zudem auf spektakulärere internationale Fälle verlagert, wie den französischen Chirurgen, der 2025 zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde, oder den belgischen Gynäkologie-Studenten, der trotz Vergewaltigungsvorwurf keine Strafe erhielt.

 

Während in Belgien 2025 ein Fall für massive Proteste sorgte – ein Gynäkologie-Student wurde trotz Vergewaltigungsvorwurf nicht bestraft, weil das Gericht seine «vielversprechende Zukunft» berücksichtigte – verhängte Frankreich drastische Strafen: Ein 74-jähriger Chirurg erhielt 20 Jahre Haft für 299 dokumentierte Missbrauchsfälle. Diese unterschiedlichen Rechtsansätze zeigen die Bandbreite europäischer Justizpraxis und machen das luxemburgische Schweigen umso rätselhafter.

 

Der Fall zeigt letztendlich nicht nur die Notwendigkeit verstärkter Kontrollen und Präventionsmaßnahmen im Gesundheitswesen auf, sondern auch die Bedeutung transparenter Justiz. Die Tatsache, dass der Arzt trotz wiederholter Verfehlungen jahrelang praktizieren konnte und problematische Geschäftspartner beschäftigte, zeigt Schwächen in der Überwachung medizinischer Berufe auf. Die verschiedenen Verfahren – von sexuellen Übergriffen über Abrechnungsbetrug bis hin zu unerlaubter Medizinausübung – zeichnen das Bild eines Arztes, der das Vertrauen seiner Patientinnen auf mehreren Ebenen missbrauchte. Doch ohne Kenntnis des Verfahrensausgangs bleibt die wichtigste Frage unbeantwortet: Wurde Gerechtigkeit für die betroffenen Frauen erreicht?

Q U E L L E N

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