S C H W E I N F U R T
Sexueller Missbrauch und heimliche Aufnahmen:
Orthopäde zu Bewährungsstrafe verurteilt
Geständnisse & Aussagen
Bereits zu Prozessbeginn am 17. April 2023 vor dem Landgericht Schweinfurt zeigte sich das ganze Ausmaß des Missbrauchs. Der 59-jährige Orthopäde gestand über seinen Verteidiger, dass er von Patientinnen heimliche Videoaufnahmen gemacht hatte. Zusätzlich hatte er auch eine Kamera auf der Personaltoilette versteckt und seine eigenen Angestellten gefilmt. «Ich schäme mich zutiefst dafür», ließ der Arzt vor der 1. Großen Strafkammer durch einen seiner beiden Anwälte verlauten und ließ anschließend um Vergebung bitten.
Die Aussagen der Betroffenen vor Gericht verdeutlichten die Tragweite des Missbrauchs. Eine 30-jährige ehemalige Angestellte berichtete, dass ihr Chef «immer viel Privates von uns wissen» wollte. Obwohl ihr die Arbeit meist Spaß gemacht habe, sei sie völlig ahnungslos gewesen: «Nie hätte sie gedacht, dass ihr Chef sie heimlich mit einer versteckten Kamera auf der Toilette gefilmt haben soll. Ich war natürlich überrascht», sagte sie dem Gericht.
Die Anklage umfasste acht Betroffene, die der Arzt zwischen 2016 und 2020 belästigt haben soll. Neben den heimlichen Videoaufnahmen soll er auch die Brust von Patientinnen ohne medizinische Notwendigkeit massiert haben. Auffällig war sein Verhalten während der Behandlungen: Er schickte seine Arzthelferin öfter aus dem Behandlungszimmer und führte Untersuchungen auch außerhalb der regulären Sprechzeiten durch - ein Verhalten, das die Arzthelferin als «komisch» empfand. Trotz der schwerwiegenden Vorwürfe durfte der Arzt zu diesem Zeitpunkt noch praktizieren, allerdings mit der Auflage, keine Frauen und Mädchen mehr zu behandeln.
Erste Vorwürfe
Der am 1963 geborene Mediziner hatte eine zunächst erfolgreiche Laufbahn hinter sich. Nach seiner Approbation als Arzt am 1. Mai 1992 durch das Bayerische Staatsministerium des Innern etablierte er sich in der Region Schweinfurt. Seit dem 1. Januar 2015 führte er eine Einzelarztpraxis im Bereich der Orthopädie und Unfallchirurgie in Schweinfurt und war zusätzlich als Belegarzt in der Kreisklinik in Gerolzhofen tätig. Seine Patienten vertrauten ihm ihre körperlichen Beschwerden an, ohne zu ahnen, dass dieser Vertrauensvorschuss in gravierender Weise missbraucht wurde.
Am 30. Juli 2020 wandte sich eine ehemalige Patientin mit einer triftigen Beschwerde an die Regierung von Unterfranken. Sie teilte mit, dass gegen den Orthopäden ein Ermittlungsverfahren bei der Kriminalpolizeiinspektion Schweinfurt geführt werde, da dieser während der ärztlichen Behandlung unbefugt Foto- und Videoaufnahmen von ihr und anderen Patientinnen mit nacktem Oberkörper gefertigt haben soll. Diese Anschuldigung markierte den Beginn einer Entwicklung, die das Leben des Arztes und das Vertrauen seiner Patientinnen nachhaltig erschüttern sollte.
Das Amtsgericht Schweinfurt reagierte schnell auf die Vorwürfe und verhängte bereits mit Beschluss vom 2020 ein vorläufiges Berufsverbot gegen den Mediziner. Bemerkenswert ist, dass das Gericht das Verbot auf die Untersuchung und Behandlung von weiblichen Patientinnen beschränkte - ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Vorwürfe spezifisch das Verhalten gegenüber Frauen betrafen. Die Regierung von Unterfranken ließ den Vorwürfen Taten folgen. Nach ordnungsgemäßer Anhörung des betroffenen Arztes ordnete sie am 30. Oktober 2020 wegen Unwürdigkeit und Unzuverlässigkeit das Ruhen der erteilten Approbation an und zog die Approbationsurkunde ein.
Missbrauch
Das Strafverfahren vor dem Landgericht Schweinfurt brachte das ganze Ausmaß der Vorwürfe ans Licht. Der Orthopäde sah sich einer umfangreichen Anklage gegenüber, die neben den Bildaufnahmen auch körperliche Übergriffe umfasste. Zu Prozessbeginn gestand er die heimlichen Bildaufnahmen und entschuldigte sich dafür - ein erster Schritt, der jedoch das Vertrauen seiner Patientinnen nicht wiederherstellen konnte.
Am 24. April 2023 fällte das Landgericht Schweinfurt ein Urteil, das den Arzt in neun tatmehrheitlichen Fällen der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen gemäß § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB verurteilte. Besonders schwerwiegend waren zwei Fälle, in denen diese Taten in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses gemäß § 174c Abs. 1 StGB durch medizinisch nicht indizierte Massagen im Brustbereich standen. Das Gericht verhängte eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Die Ermittlungen förderten Details zutage, die das Vertrauen in den Arzt vollends zerstörten. Er hatte nicht nur Videoaufnahmen der Missbrauchstaten gefertigt und gespeichert, sondern suchte ausweislich der Feststellungen des Landgerichts die vollständigen Namen der Geschädigten via Google mit Begriffen wie «nackt», «porno» oder «sex video». Dieses Verhalten zeigt, dass es sich keineswegs um spontane Fehlentscheidungen handelte, sondern um ein systematisches Vorgehen, das weit über die eigentliche Behandlungssituation hinausging. Die Staatsanwaltschaft Schweinfurt war mit dem verhängten Strafmaß nicht zufrieden und legte am 3. Mai 2023 Revision beim Bundesgerichtshof ein.
Revision & Konsequenzen
Die Staatsanwaltschaft hatte eine Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren ohne Bewährung gefordert, während die Verteidigung lediglich acht Monate Haft auf Bewährung beantragt hatte. Die Revision bedeutete, dass das Urteil nicht rechtskräftig wurde und der Fall voraussichtlich vor dem höchsten deutschen Strafgericht verhandelt werden würde. Unter normalen Umständen wäre eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zwischen November 2023 und Mai 2024 zu erwarten gewesen, also etwa 6 bis 12 Monate nach Einlegung der Revision.
Als das strafprozessuale Berufsverbot aufgehoben wurde, reagierte die Regierung von Unterfranken umgehend. Am 16. Mai 2023 ordnete sie nach erneuter Anhörung des Arztes die sofortige Vollziehbarkeit der Maßnahmen an. Nach einer weiteren Anhörung am 13. Juni 2023 vollzog die Regierung von Unterfranken am 13. Juli 2023 den entscheidenden Schritt: Sie hob das Ruhen der Approbation auf und widerrief stattdessen die dem Arzt am 1. Mai 1992 erteilte Approbation vollständig.
Die Behörde stützte den Widerruf auf § 5 Abs. 2 Satz 1 BÄO, da die Erteilungsvoraussetzungen nachträglich entfallen seien. Der Arzt sei zur Ausübung des ärztlichen Berufs unwürdig und unzuverlässig. Eine beschränkte Approbation nur für männliche Patienten sei rechtlich nicht möglich, da die Approbation «bedingungsfeindlich» ist und keine Auflagen erlaubt. Die Behörde argumentierte, dass mit dem Ethos des ärztlichen Berufsstands das Verhalten des Arztes unvereinbar sei.
Gescheiterte Gegenwehr
Der Arzt wehrte sich auch gegen den endgültigen Approbationswiderruf. Am 27. Juli 2023 erhob er Klage vor dem Verwaltungsgericht Würzburg und beantragte im einstweiligen Rechtsschutz die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. Er argumentierte, es liege ein unzulässiger Eingriff in die Berufswahl- und Berufsausübungsfreiheit vor. In seiner Verteidigung beharrte der Orthopäde darauf, dass das Urteil des Landgerichts bezüglich der Massagen im Brustbereich fehlerhaft sei - diese seien medizinisch indiziert gewesen.
Er verwies auf die traditionelle chinesische Medizin und kritisierte, der Gutachter im Strafverfahren habe keine hinreichende Sachkunde gehabt. Zuzugeben sei lediglich, dass er unberechtigt Filmaufnahmen von Mitarbeiterinnen und Patientinnen gemacht habe. Der Arzt argumentierte weiter, dass in Zukunft solches Verhalten nicht mehr von ihm zu erwarten sei. Die Sachverhalte lägen mehrheitlich sechs Jahre, zumindest drei Jahre zurück. Er habe sich intensiv mit seinem Verhalten auseinandergesetzt und sei deswegen in Therapie.
Das Verwaltungsgericht Würzburg wies den Antrag am 11. September 2023 ab und bestätigte damit die Rechtmäßigkeit des Approbationswiderrufs. In einer ausführlichen Begründung stellte das Gericht fest, dass sowohl die Unwürdigkeit als auch die Unzuverlässigkeit des Arztes gegeben seien. Das Gericht betonte, dass Unzuverlässigkeit gegeben sei, wenn der Arzt nicht die Gewähr dafür biete, dass er in Zukunft seine beruflichen Pflichten zuverlässig erfüllen werde. Das Verhalten des Arztes lasse befürchten, dass er auch künftig nicht ordnungsgemäß arbeiten und das sexuelle Selbstbestimmungsrecht seiner Patientinnen respektieren werde.
Presse & Ausblick
Der Fall führte zu einer regen Presseberichterstattung. Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass bei einer kurzen Internetrecherche etwa zehn Artikel lokaler und überregionaler Medien auffindbar seien, die den Fall behandelten und auf April und Mai 2023 datierten. Diese öffentliche Aufmerksamkeit verstärkte die Argumentation der Behörden, dass das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Zuverlässigkeit ärztlicher Hilfe nachhaltig geschädigt wäre, würde der Arzt seine Approbation behalten.
Der Orthopäde hatte im Zuge des Strafverfahrens seine Praxis veräußert. Das Verwaltungsgericht wertete dies als Indiz dafür, dass keine nicht mehr zu korrigierenden wirtschaftlichen Dispositionen zu erwarten seien. Diese Tatsache floss in die Abwägung ein, ob die sofortige Vollziehbarkeit des Approbationswiderrufs gerechtfertigt sei.
Nach einer außerberuflichen Bewährungszeit kann der ehemalige Arzt einen Antrag auf Wiedererteilung der Approbation stellen oder eine Erlaubnis nach § 8 BÄO erlangen. Eine konkrete Zeitspanne ist gesetzlich nicht geregelt, beträgt aber nach der Verwaltungspraxis bei schwerwiegenden beruflichen Verfehlungen regelmäßig mindestens fünf, tatsächlich eher acht Jahre. Der Fall des Schweinfurter Orthopäden zeigt exemplarisch, wie schwerwiegend die Konsequenzen sind, wenn Ärzte das ihnen entgegengebrachte Vertrauen missbrauchen. Die betroffenen Patientinnen mussten nicht nur die Verletzung ihrer Intimsphäre und ihres Vertrauens verkraften, sondern auch mit dem Wissen leben, dass ihre Behandlungssituation für andere Zwecke ausgenutzt wurde.
Quellen
« VG Würzburg, Beschluss v. 11.09.2023 – W 7 S 23.1028, BeckRS 2023, 29403 »
Bayern.Recht, 11. September 2023
« Orthopäde filmte Frauen heimlich in seiner Praxis: Ich schäme mich zutiefst dafür »
RTL, 17. April 2023
« Urteil: Orthopäde filmt heimlich Frauen in Praxis »
ZEIT ONLINE, 25. April 2023
« Schweinfurt: Orthopäde wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt – Staatsanwaltschaft geht in Revision »
Charivari, 3. Mai 2023
« Schweinfurt: Patientinnen heimlich gefilmt – Bewährungsstrafe für Arzt »
Süddeutsche Zeitung, 26. April 2023
« Urteil gegen Schweinfurter Orthopäden nicht rechtskräftig »
Main-Post, 4. Mai 2023