A a c h e n
Klinikdirektor soll Angestellte
sexuell belästigt haben
·
Ermittlungen laufen
Prof. wechselt Bundesland
Im Februar 2024 stellte die Uniklinik Aachen eine Führungskraft frei. Dies bestätigte damals der Sprecher der Uniklinik, Mathias Brandstädter, gegenüber der Aachener Zeitung und erklärte dazu: «Weitere Ausführungen zur Person oder den Hintergründen sind zum derzeitigen Punkt aus formalen Gründen nicht möglich.»
Nach Informationen der Aachener Zeitung betraf die Freistellung einen Chefarzt, gegen den strafrechtlich relevante Vorwürfe im Raum standen. Auch die Staatsanwaltschaft Aachen bestätigte, dass ein Ermittlungsverfahren gegen einen Hochschullehrer der RWTH Aachen eingeleitet worden war. Ausgangspunkt dafür war die Strafanzeige einer ehemaligen Mitarbeiterin, welche die Staatsanwaltschaft veranlasste, wegen sexueller Belästigung zu ermitteln. Da die Uniklinik zugleich Teil der Hochschule ist, hing die arbeitsrechtliche Freistellung direkt mit den strafrechtlichen Ermittlungen zusammen.
Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Ermittlungsverfahren noch ganz am Anfang. Über die Anzeige hinaus lagen keine weiteren Erkenntnisse oder Beweismittel vor. Der Tatvorwurf stand im Zusammenhang mit der Tätigkeit als Hochschullehrer. Zugunsten des Persönlichkeitsschutzes und um die Ermittlungen nicht zu gefährden, gab die Staatsanwaltschaft keine weiteren Auskünfte.
Nur wenig später gab die Uniklinik Aachen einen außerordentlichen «Führungswechsel» in der Medizinischen Klinik III bekannt. Dem bisherigen Direktor dieses Bereichs wurde «außerordentlich und fristlos» gekündigt, wie in einer Mitteilung erläutert wurde. Laut Angaben des Klinikums handelte es sich um Professor Württemberger⭒, der seit 2005 diesen Bereich geleitet hatte. Die kommissarische Leitung übernahm Professor Alexander Koch. Die Kündigung wurde damit begründet, dass es schwere Vorwürfe gegen den bisherigen Klinikdirektor gebe. Genannt wurden arbeitsrechtlich relevantes Fehlverhalten und unangemessenes Verhalten gegenüber Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, ohne weitere Details zu nennen. Die Kündigung betraf sowohl die Klinikleitung als auch die Lehrtätigkeit an der RWTH.
Laut Recherchen der Aachener Zeitung gingen die Vorwürfe gegen Professor Württemberger auf mehrere Vorfälle zurück, darunter eine Dienstreise nach Italien im Herbst 2023 sowie weitere Anschuldigungen von Frauen. Dies ging aus internen Nachforschungen hervor. Die Uniklinik betonte, dass aufgrund der laufenden Prüfvorgänge keine weiteren Angaben gemacht werden könnten. Der Klinikbetrieb, insbesondere im Bereich Gastroenterologie, Stoffwechselerkrankungen und internistische Intensivmedizin, wurde uneingeschränkt fortgeführt und für Patientinnen und Patienten ergaben sich keine Veränderungen.
Im Juni 2024 äußerte sich die Staatsanwaltschaft Aachen präziser zum Stand der Ermittlungen. Die Vorwürfe gegen Professor Württemberger, die mit seiner Tätigkeit als Hochschullehrer in Zusammenhang stehen, betreffen insbesondere eine mutmaßliche sexuelle Belästigung während der Italienreise. Weitere Auskünfte wollte die Staatsanwaltschaft mit Hinweis auf den Persönlichkeitsschutz und den Schutz der laufenden Ermittlungen nicht erteilen. Zu diesem Zeitpunkt war weiterhin offen, ob sich die Vorwürfe erhärten und ein Strafverfahren gegen ihn eröffnet würde. Professor Württemberger hielt an seiner Darstellung fest, zu Unrecht entlassen worden zu sein, und reichte eine Klage gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber beim Arbeitsgericht Aachen ein.
Im Februar 2025 erhob die Staatsanwaltschaft Aachen schließlich Anklage gegen Professor Württemberger wegen eines mutmaßlichen sexuellen Übergriffs, wie eine Sprecherin des Aachener Landgerichts bekannt gab. Damit endeten die rund ein Jahr andauernden Ermittlungen in diesem Fall. Die Staatsanwaltschaft sah offenbar ausreichend Beweislage für eine Anklage. Das Landgericht konnte zum damaligen Zeitpunkt jedoch noch keinen Termin für den möglichen Prozess nennen; bis zur Eröffnung des Verfahrens könnten noch Monate vergehen, sofern die Anklage zugelassen wird. Professor Württemberger beteuerte weiterhin seine Unschuld und setzte seinen arbeitsrechtlichen Streit mit der Uniklinik Aachen fort.
Die erste Pressemitteilung der Uniklinik wurde mittlerweile zurückgezogen. Der Fall macht ein systemisches Problem im Gesundheitswesen sichtbar: Während Ermittlungen zwar in polizeilichen Datenbanken wie dem zentralen staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister (ZStV) und dem Informationssystem der Polizei (INPOL) gespeichert werden, haben potenzielle Arbeitgeber darauf keinen Zugriff. Ein polizeiliches Führungszeugnis weist grundsätzlich nur rechtskräftige Verurteilungen aus, nicht aber laufende Ermittlungen oder noch nicht abgeschlossene Strafverfahren. So können Beschäftigte wie Professor Württemberger trotz laufender Strafverfahren möglicherweise problemlos eine neue Anstellung in einem anderen Bundesland aufnehmen, ohne dass der neue Arbeitgeber von den Ermittlungen erfährt.
⭒ Der Name wurde geändert, da in Deutschland der Schutz der Persönlichkeit auch dann Vorrang hat, wenn bereits staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakten gefüllt, Pressemitteilungen verschickt und immerhin in 3½ Zeitungsschnipseln berichtet wurde – und der neue Arbeitgeber trotzdem von nichts erfährt, geschweige denn Kolleginnen und Patientinnen, die weiterhin vertrauensvoll und ahnungslos vor jenem stehen, der sich besonders gegenüber Frauen offenbar nicht zu benehmen weiß.
Quellen
«Aachen Staatsanwaltschaft ermittelt - Uniklinik Aachen stellt Führungsperson frei»
Aachener Zeitung│20.02.2024
«Aachener Uniklinik kündigt Klinikdirektor fristlos»
Aachener Zeitung│Februar 2024 (Archiv)
«Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ehemaligen Klinikdirektor»
Ingo Wagner│WDR│17.06.2024
«Ex-Klinikdirektor aus Aachen: Anklage wegen sexuellen Übergriffs erhoben»
Ingo Wagner│WDR│04.02.2025